Treffpunkt Straße? Öffentlicher Raum zwischen Verdrängung und Rückgewinnung. Einige geschichtliche und aktuelle Entwicklungen

Andreas Klose

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Es gibt vielfältige Gründe sich aus der Perspektive von Streetwork / Mobiler Jugendarbeit (SW / MJA) mit der Thematik „Öffentlicher Raum“ auseinanderzusetzen. Einer davon ist sicherlich die enge – auch assoziative – Verbindung von Straße und öffentlichem Raum. In diesem Sinne lässt sich der Öffentliche Raum jedoch keinesfalls nur auf eine geometrische Größe reduzieren – im Sinne einer messbaren Kategorie von Länge mal Breite mal Höhe. Der Öffentliche Raum ist ein Vielfaches von dem, und zugleich auch ein endliches Gut. Er ist wesentlicher Bestandteil unterschiedlicher Fachdisziplinen wie der Soziologie, der Ethnographie, der Sozialen Arbeit, des Rechts aber auch der Architektur oder der Stadt- und Regionalplanung. Im Kontext sozialwissenschaftlicher und Sozialer Arbeit ist er zu unterschiedlichen Zeiten thematisiert worden, z.B. als Lebensraum (vgl. u.a. Zinnecker 1979), als Sozialisationsraum (vgl. u.a. Böhnisch / Münchmeier 1990), als Sozialraum (vgl. u.a. Deinet 1999) oder auch als Aneignungsraum (vgl. u.a. Deinet / Reutlinger 2004)… um nur einige inhaltliche Einordnungen zu benennen, die durchaus in der Tradition einer Denkschule stehen. Er ist Treffpunkt, Raum für Begegnung, für Kommunikation, ist Ort des Austausches, der Interaktion, ist Ort für Konflikte und des Interessenausgleiches, Ort des Lernens und Ort für Ausschluss und / oder Integration.

Der öffentliche Raum, die „Straße“ im übertragenen Sinne, ist in Leipzig aus Sicht Sozialer Arbeit seit 20 Jahren, in der Bundesrepublik seit Beginn der 70er Jahre, der Arbeitsplatz und Ausgangspunkt für eine professionelle Unterstützung für (junge) Menschen in schwierigen Lebenslagen und Lebenssituationen. Es ist ein scheinbar „offener“, ein „freier“ Arbeitsplatz. Ein Arbeitsplatz, den die Arbeitsplatzinhaber, Streetworker / Mobile Jugendarbeiter, jedoch nur in bescheidenem Maße selbst bestimmen und gestalten können. Es ist in diesem Sinne notwendig, sich von Zeit zu Zeit den Arbeitsplatz genauer anschauen: Wie hat er sich verändert? Wer hat welche Anteile am Veränderungsprozess? Was sind die Folgen? Und sind die Angebote, Maßnahmen und Konzepte von Sozialer Arbeit, von SW / MJA, in diesen Veränderungsprozessen an diesen Orten noch stimmig?

Eine solche Reflektion passiert im Alltag der professionellen Sozialen Arbeit (hoffentlich) in regelmäßigen Abständen. Es ist in diesem Kontext sinnvoll, sich von Zeit zu Zeit auch gesellschaftliche Wandlungsprozesse und Veränderungspotentiale anzuschauen. Die sichtbaren und wahrnehmbaren Veränderungen aus unterschiedlichen Perspektiven zu betrachten und diese nicht nur phänomenologisch als Einzelfälle zu kategorisieren, sondern sie in einen modernisierungstheoretischen Kontext zu stellen. In diesem Beitrag soll das Augenmerk auf zwei Kernaussagen gelegt werden.

Der Öffentliche Raum ist ohne das Private nicht denkbar. „Öffentlich und privat“ ringen quasi im übertragenden Sinne miteinander um Platz, Einfluss und Macht. In der Geschichte lassen sich diese Prozesse quasi retrospektiv analysieren, in der Aktualität lassen sie sich erleben und wahrnehmen – wenn auch nicht immer bewusst. Im Diskurs der letzten Jahre [2] findet sich verstärkt der zunehmende Einfluss des Privaten abgebildet. Aber der Öffentliche Räum „verschwindet“ nicht einfach oder wird zum privaten Raum. Vielmehr weitet sich eine dritte Dimension aus, der halböffentliche Raum. Damit einher gehen unterschiedliche Prozesse, die u.a. umschrieben werden können mit Funktionszuschreibungen und einer Ökonomisierung von Räumen, so wie von veränderten Sicherheits- und Zuständigkeitsverantwortungen und einer Zunahme der Produktion von Konflikt(lag)en.

Insbesondere die Adressaten von SW / MJA sind als Grenzgänger, mit ihrem Aufenthalt an öffentlichen Orten, von diesen Veränderungsprozessen stark betroffen. Damit einher geht die konkrete Auseinandersetzung von SW / MJA mit diesen sich verändernden Rahmenbedingungen. SW / MJA verändert sich dabei „zwangsläufig“ mit, erfährt eine Veränderung in der Rollenzuschreibung, wird zu einem „neuen“ Akteur in der Sicherheitsarchitektur, wird zu einem sanften Regulator für Konflikte im Öffentlichen Raum, ähnlich wie es bereits Cremer-Schäfer (1990) für andere Bereiche Sozialer Arbeit ausführte. Folgerichtig ergeben sich daraus Fragen für den beruflichen Alltag, u.a.: Wie geht man mit diesem „Halb-Privaten, Halb-Öffentlichen“ um? Wie lässt sich das berufliche Selbstverständnis im Rahmen eines modernisierungskritischen Professionalisierungsdiskurses neu justieren?

Bis heute immer wieder spannend zu lesen und ein Klassiker im Themenfeld „Leben und Aufwachsen im öffentlichen Raum“, sind die Untersuchungen und Ausführungen von Martha und Hans Heinrich Muchow „Der Lebensraum des Großstadtkindes“ (1998) aus den 30er Jahren. Jürgen Zinnecker haben wir es zu verdanken, dass er Ende der 70er Jahre in der alten BRD für eine Wiederauflage dieser Forschungsarbeiten sorgte. Die Muchows beschäftigten sich im Rahmen ihrer Feldforschung damit, wie Kinder sich ihre Welt im Lebensraum der Großstadt erschließen. Sie wählten damals dafür den alten Hamburger Arbeiterstadtteil Barmbeck aus. [3]

Eine Geschichte des öffentlichen Raumes, seine Entwicklung, Gestaltung und Bedeutung für das Zusammenleben von Menschen, füllt bereits Bücherregale und Filmarchive. Diese Ausführungen können nur einige Gedanken aufgreifen und perspektivische Schlaglichter setzen. Die Themenvielfalt der Gründe, warum wir uns mit dem öffentlichen Raum befassen, bietet zumindest die Grundlage dafür: Es geht u. a. um Sicherheit und Unordnung, es geht um Prävention und Kontrolle, es umfasst Themen wie Ausschluss und Integration, Konflikte und Interessenausgleiche, Macht und Machtmechanismen.

Die Wandlungsprozesse bieten auch Raum für Diskussionen wie: Welche Funktion kommt dem (traditionellen) öffentlichen Raum in der digitalen Zeit von Twitter, Facebook und Second Life-Communities noch zu? Konkret auf den Bereich SW / MJA bezogen: Wie kann sich Straßensozialarbeit als helfende, unterstützende, ausgleichende und präventiv wirksame Einrichtung im und als Teil des Öffentlichen Raumes gegenüber repressiven Anforderungen und kontrollpolitischen Erwartungen verhalten und – immer wieder – neu positionieren?

Öffentlicher Raum

Die Annäherung an den Öffentlichen Raum zeigt gleichsam seine große Bedeutung für gesellschaftliches Zusammenleben in modernen Gesellschaften. Die unterschiedlichen Fachdisziplinen thematisieren ihn aus unterschiedlichen Perspektiven mit unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen. So setzt sich die Architektur mit ihm als „Stadt als öffentlicher Raum – Stadtkultur“ auseinander (vgl. z.B. Bahrdt, bereits in seinem Standardwerk „Die moderne Großstadt“, 1961). Die Stadtplanung / Stadtsoziologie untersucht städtische Segregationsbewegungen (vgl. u.a. Häußermann / Siebel 1987 u. 1997, Häußermann 1991 u. 2008, Schubert 1999, Siebel / Wehrheim 2003, Reiß-Schmidt 2011). Die Juristen debattieren städtische Ordnungen, Datenschutz und / oder Videoaufzeichnungen (vgl. u.a. Feltes 2011, Bartsch 2004). Die Soziologie im Sinne „Sozialer Wandel und Öffentlicher Raum“ (vgl. u.a. Sennet 1983) oder auch Kontrolle im öffentlichen Raum (vgl. u.a. Garland 2008, Belina 2011, Lauen 2011). Letztlich in dieser Aufzählung die Soziale Arbeit mit der Straße als Lernort, Straße als gefährlicher Ort, oder, wie bereits Martha und Hans Heinrich Muchow ihre Untersuchung aus den 1920er / 1930er Jahren nannten, als „Der Lebensraum des Großstadtkindes“ (vgl. u.a. Zinnecker 1979, Thiersch 2005, Thole 2005).

Deutlicher Beleg für die stetige Aktualität der Thematik bleiben Finanzierungen von Maßnahmen, wie in jüngster Vergangenheit u.a. die Fortführung des großen ESF-Bundesprogramms „Soziale Stadt – Bildung, Wirtschaft, Arbeit im Quartier“ mit der Zielrichtung benachteiligte Quartiere ganzheitlich (das heißt auch: fachdisziplinübergreifend) zu stabilisieren und aufzuwerten (Laufzeit von 2008-2015).

Lassen Sie mich jedoch kurz den Bogen noch einmal spannen. Sprechen wir vom Öffentlichen Raum, so formulieren wir im Stillen gleichsam den privaten Raum mit aus. Ohne privat gibt es kein öffentlich. Verändert sich also der Öffentliche Raum, so kann man davon ausgehen, dass das auch mit einer Veränderung des Privaten einhergeht. So bestimmt die Diskussion um den Öffentlichen Raum immer auch die Frage, wie sich das Private entwickelt. Das Private drängt zunehmend danach, öffentlicher zu werden, verändert das Öffentliche, wie es Richard Sennett bereits in den 80ziger Jahren in seinem Buch „Verfall und Ende des öffentlichen Lebens. Die Tyrannei der Intimität“ (oder Original: The fall of public man) ausführte (vgl. Sennet 1983).

Der Öffentliche Raum ist kein statisches „Gebilde“. In seiner Ausgestaltung, mit seinen Regeln und Ordnungen, seiner räumlichen und visuellen Beschaffenheit ist er immer auch Ausdruck von gesellschaftlicher Entwicklung. Durch die Sicht- und Betrachtungsweisen der Einzelnen, der Gruppen und Interessenvertretungen unterliegt er einer stetigen Re-Konstruktion. Seine Konstituierung, die Wahrnehmung des öffentlichen Raumes, wird durch die Sichtweisen der jeweiligen Positionen / Rollen bestimmt. Sprechen wir also vom Öffentlichen Raum, so ist zu vermuten, dass man geometrisch durchaus den gleichen Raum meinen könnte. Aber die jeweilige Sichtweise wird sich trotz der vermeintlich gesetzten Koordinaten so deutlich unterscheiden, dass Gemeinsamkeiten möglicherweise dennoch nur schwer erkennbar werden.

In diesem Sinne beteiligen sich die einzelnen Akteure in unseren jeweiligen Rollen an der Konstruktion des Öffentlichen Raumes. In aktuellen Diskussionen nicht selten in Form eines eher sozialromantischen Rückblicks oder auch einer kulturpessimistischen Perspektive. Solche Wahrnehmungen, Konstruktionen, bewegen sich nicht selten auf der Ebene, dass die Entwicklung des Öffentlichen Raumes geprägt ist von Verdrängung, Privatisierung, Kontrolle und Ausschluss – während die Geschichte den Öffentlichen Raum als einen Ort für Gemeinschaftsbildung, Austausch und gesellschaftlichem Leben abbildete.

So einfach ist es natürlich nicht. Nie war der Öffentliche Raum „offen“ für jeden. Öffentlicher Raum war immer auch verbunden mit Ausschluss. Weit in die Geschichte zurück blickend, zum Beispiel auf die Zeit der Industrialisierung – verbunden mit dem Aufstieg der Städte, der enormen Zunahme der Stadtbevölkerung und damit des öffentlichen Lebens aber auch einer signifikanten Landflucht – dokumentieren Bilder und Aufzeichnungen solche drastischen Ausschlussprozesse. Insbesondere junge, ungebundene Arbeitskräfte folgten der „Arbeit“ in die Städte, hatten den „Reichtum“ vor Augen, lebten jedoch nicht selten in Armut, auch Hunger und Kälte erleidend, campierend vor den, für sie verschlossenen, Toren der Stadt.

Gern spricht man von der besonderen Bedeutung des Öffentlichen Raums für die Entwicklung des städtischen Gemeinwesens: Symbolhaft sei die Rolle des Marktplatzes genannt, als Umschlagplatz für den Handel mit Waren und als Ort des kommunikativen Austausches von Nachrichten, Informationen. Noch heute erinnern uns die weit verbreiteten „Markt-Cafes“ an alte Traditionslinien. Als zweites Beispiel sei der Aufstieg der ersten Einzelhandelsgeschäfte genannt – die wachsende Stadtbevölkerung musste durch verstärkten Handel versorgt werden. Als Folge der Verbreitung von Einzelhandelsgeschäften nahm die Bedeutung des Handels unter freiem Himmel (und des Aushandelns der Preise) ab. Die Stadtbevölkerung erlebte einen zunehmenden Verkehr in den Straßen, den Ausbau des Verkehrsnetzes, eine sich weiter ausbreitende „Unordnung“ in ihren prosperierenden Städten. Sie erlebte sich ausweitende Bauaktivitäten – die zunehmende Bevölkerung brauchte Wohnraum – und die damit bereits damals einsetzenden Segregationsprozesse, oder anders ausgedrückt – wie Sennett es für London und Paris beschrieb – „die Isolation von gesellschaftlichen Klassen“. Für die Zeit um 1930 beschreiben die Muchows eindrücklich, wie zum Beispiel das neue Warenhaus als „überdachter Markt“ mit den neu „installierten“ Pförtnern, den Ausschluss für Kinder (keine potentiellen Käufer der ausgestellten Waren) organisierten – und die Gegenstrategien der Kinder, diesen Ausschluss zu unterlaufen.

Ebenen der Diskussion

Nun soll keinesfalls der Eindruck entstehen, dass die Entwicklungen des Öffentlichen Raums nichts „Neues“ darstellen. Dass schon immer im Zusammenhang mit dem Öffentlichen Raum die Diskussion um das Private / Intime verbunden war, der Ausschluss aus dem Öffentlichen Raum in der Geschichte nichts Ungewöhnliches darstellt. Man würde den rasanten Modernisierungsprozessen nicht gerecht werden, verbliebe man auf einer solchen Ebene. Die Auseinandersetzung mit den Veränderungen und Entwicklungen im Öffentlichen Raum ist mehr als notwendig, weil sie nicht die Ergebnisse einer quasi naturgesetzten Vorgabe sind, sondern von unterschiedlichen Menschen und Interessensgruppen entwickelt und gestaltet wurden. Im Sinne einer Beteiligung an einer gerechteren Welt, einer Schaffung von Voraussetzungen für ein gelingenderes Leben der jeweiligen Zielgruppen macht es Sinn, sich einige Ebenen und Dimensionen der Veränderungsprozesse genauer anzusehen.

Öffentlicher Raum und Konsum

Zum Teil kaum wahrgenommen, zum Teil schon fast mit brachialer Gewalt, dringt das Private in den Öffentlichen Raum. So werden zum Beispiel Öffentliche Räume mit dem Impetus einer Ausweitung des öffentlichen Lebens besetzt, und damit quasi unter ein Primat der Ökonomie gestellt, mit weitreichenden Folgen für alle Nutzer. Gemeint sind damit – die von vielen zumeist geliebten – kleinen und großen Straßencafes, gelegen in den Zentren, an öffentlichen Plätzen aber auch an belebten Straßen und in Szenevierteln, wo sie noch den letzten Rest des öffentlichen Fußweges okkupieren, nur damit die Gäste im öffentlichen Leben ihren Platz finden. Eine offene Straßenkultur, die für ein buntes Treiben über den Tag und in lauen Sommernächten bis in die tiefe Nacht sorgt. Zumindest bis 22.00 Uhr, bis zur Grenze der Ruhestörung. Aber auch diese Cafes besetzen und gestalten damit Öffentliche Räume. Die Beziehungsverhältnisse der handelnden Akteure verändern sich in diesen Räumen – die Räume unterliegen einer ökonomischen Bestimmung. Ein Aufenthalt an diesen Orten ist nur gestattet gegen Verzehr und Konsum. Selbst die Zeiten, in denen man in einem netten Cafe Stunden bei einem Kaffee sitzen konnte, gehören auch bereits weitgehend der Vergangenheit an.

Als eines der deutlichsten Beispiele mit welcher fast unscheinbaren Brachialgewalt eine Ökonomisierung von Räumen voranschreitet, kann man an der Umstrukturierung der deutschen Bahnhöfe in Shopping Malls mit Fahranschluss erkennen. Bahnhöfe waren in früheren Zeiten ein Inbegriff des Öffentlichen Raumes. Bahnhöfe hatten immer einen besonderen Charme, ein Charisma, keinesfalls immer positiv konnotiert. Vor allem mit dem Blick eines profunden Szenekenners war es relativ schnell sichtbar, welche Szene sich an welchen Orten des Bahnhofs aufhielt: die Stricher – Jungs und die sich auf der Suche befindlichen Freier, die „Drogis“, die Prostituierten, Punks und Straßenkids, Kleinkriminelle, Taschendiebe und Schließfachspezialisten … und dazwischen die Szene der normalen Bahnreisenden, die zum Teil die einzelnen Szenen gar nicht wahrgenommen haben – Treffpunkt Bahnhof.

War der Bahnhof also einst für die Stadt der Ort, an dem die Züge die Besucher und Gäste im regelmäßigen Takt „ausspuckte“, als Ort des öffentlichen Übergangs zwischen „drinnen und draußen“, ist er heute in einigen Städten nahezu zu einer ernsthaften Bedrohung des öffentlichen Lebens der Innenstädte geworden. Verkleidet als moderne Shopping Malls machen sie in vielen Städten der einstmals gewachsenen Innenstadtstruktur ernsthaft Konkurrenz. Private Sicherheitsdienste sorgen zudem dafür, dass Unbefugten der Eintritt verwehrt bleibt – nur potentielle Kunden dürfen in diesen halböffentlichen, teilprivatisierten Bereich eintreten. Zwar ist es zumeist nicht gelungen, dass die unterschiedlichen Szenen sich völlig aus dem Bahnhofsumfeld zurückgezogen haben, geplant und gedacht war es aber trotzdem. Besonders deutlich wurde dieses Ansinnen, als die traditionellen Bahnhofmissionen aus dem unmittelbaren Inneren der neuen „Geschäftsstraßen mit Bahnanschluss“ ausgegliedert werden sollten. Bahnhofsmissionen passten nicht in das neue Geschäftsmodell der privatisierten Öffentlichkeit. Erst energischer Widerstand breiter Bevölkerungsgruppen und Fürsprecher führte dazu, von dem Vorhaben Abstand zu nehmen.

Neben den privaten Sicherheitsdiensten haben die Bahnhöfe zudem mit der staatlichen (öffentlichen) Bundespolizei (hervorgegangenen aus dem Bundesgrenzschutz) eine Ordnungsmacht, einen neuen Raumwächter, erhalten, der die Sicherheit und Regelkonformität in diesen öffentlich-privaten Orten durchsetzen soll.

Öffentlicher Raum und Bewegung

Wenn man von Verdrängung im Öffentlichen Raum spricht, dann bleibt es nicht aus, die Veränderung von Lebensräumen durch umfangreiche Ausweitungen von Verkehrswegen und Baumaßnahmen zu thematisieren. Vor allem der massiv ins Öffentliche drängende, sich ausbreitende und seinen Platz beanspruchende Individualverkehr verdrängt und vertreibt u.a. die Gruppe der Fußgänger in ihre Reservate, auf ihre Verkehrskanäle wie die Bürgersteige. Mit welcher Macht dann aber auch die jeweiligen Gruppen ihre Interessen an / in ihren jeweiligen Funktionsorten verteidigen, ist im heutigen Alltag täglich erfahrbar. Die Autofahrer, die sich über Fußgänger und Fahrradfahrer auf „ihrer“ Fahrbahn brüskieren. Die ausbrechende Aggressivität der Radfahrer, wenn Fußgänger und Autofahrer ihr Areal und ihre Rechte nicht beachten. Und auch die Fußgänger, die entsprechend „angriffslustig“ reagieren, wenn sie einen Regelverstoß der jeweils anderen Gruppen gegen Ihre Rechte wahrnehmen. Jeder kennt genügend Beispiele.

Verkehr steht in diesem Kontext auch als ein Beispiel für die Entwicklung einer zunehmenden Funktionalität von öffentlichen Räumen. Räumen wird eine Funktion mit einer bestimmten Ordnung zugeschrieben. Es gibt die normierten Sportflächen, die Spielflächen für Kinder, die Erholungsräume (Parks), die Einkaufsmeilen usw. Aber mal auf dem Bahnhofsvorplatz Fußball spielen? Oder einen Verkaufsstand im öffentlichen Park aufbauen? Oder Kinder auf der Straße, die nicht als Spielstraße ausgewiesen ist, Seilspringen lassen?

Es gibt keine Straßenfußballer mehr. So ein beliebter und ein wenig wehmütiger Satz aus dem Fußballkontext. Man meint damit, das offene, freie, unorthodoxe, wilde Spiel, gepaart mit Einsatz, Eifer, Durchsetzungsvermögen und einer Portion List. Heute spielen die Kinder und Jugendlichen in den Städten in extra dafür angefertigten Käfigen mit „richtigen“ Toren auf Kunststoffbelag, zum Teil eingepfercht zwischen zwei Brandmauern von sich gegenüberstehenden Wohnkomplexen.

Die Aufzählung solcher Funktionalitäten lässt sich nahezu unzählig weiter führen. Die Wohnviertel, in denen es keine Arbeit mehr gibt für diejenigen, die dort wohnen (solange ist es noch nicht her, dass Wohnhäuser in die unmittelbare Nähe der Fabriken / der Arbeitsplätze gebaut wurden). Industrieflächen, liebevoll Industrieparks genannt, liegen inzwischen am Rande der Stadt. In ihrer Nähe möchte in der heutigen Zeit kaum noch jemand wohnen, die Bodenpreise sind niedrig und Baugrundstücke für Wohneinheiten dort eher preisgünstig zu erwerben.

Die Entwicklungen zeitigen gewollte und ungewollte Folgewirkungen. Menschen müssen sich bewegen, um die Funktionalität der Räume ausfüllen zu können. Die Räume sind funktional so weit optimiert, dass andere Nutzungen zum Teil völlig ausgeschlossen sind. Oder machen Sie mal auf dem Bolzplatz mit Kunststoffbelag ein kleines Lagerfeuer, weil man vielleicht die Würstchen nach dem gemeinsamen Fußballspiel noch grillen möchte. Nein, dafür gibt es den öffentlichen Grillplatz am Rande des Stadtparks – dessen Wiesen sind jedoch als Liegewiesen ausgewiesen und das Fußballspiel ist dort verboten.

Entstanden sind im Laufe der Zeit zum Teil leblose, funktional eindimensional ausgerichtete öffentliche Räume, die insbesondere Jugendliche herausfordern, riskantes Verhalten zu erproben, Grenzerfahrungen zu machen, die Funktionalitäten der Räume, die so gar nicht mit ihren Erfahrungshorizonten und Begehrlichkeiten zusammen passen, zu durchbrechen.

Öffentlicher Raum als Bühne

Politische Demonstrationen, Autokorsos nach Jubelfeiern erfolgreicher Fußballspiele, flanieren auf den Boulevards und in den Szenevierteln der Stadt: der öffentliche Raum ist für den Einzelnen und für Gruppen immer auch Bühne zur Darstellung und Präsentation [4], von sich selbst, seinen Vorlieben, seinen Wünschen und auch Distanzierungen. Zentrale öffentliche Plätze, Schnittstellen wichtiger Verkehrswege, Orte mit großer historischer Bedeutung, Orte des urbanen Lebens werden dazu als Teil des eigenen Lebensraums genutzt. Der Blick fällt auf die Skatergruppen vor dem Einkaufszentrum, auf die letzten Punks vor McDonald’s in der Fußgängerzone, auf die Drogenszene am Rande des belebten Stadtparks oder rund um den Eingang des U-Bahnhofs, oder auf die Gruppe der Fußballfans, der Ultras, an Spieltagen des Fußballs im Fußballstadion und auf den An- und Abmarschwegen. Es gibt viele Beispiele.

Für jeden Einzelnen und für jede Gruppe macht es einen subjektiven Sinn – und durchaus einen unterschiedlichen – an den jeweiligen Orten präsent zu sein. Zum Beispiel die Skater, die einen wunderbaren Belag auf dem Vorplatz des Einkaufzentrums vorfinden. Aber auch ausreichend öffentliche Zuschauer. Neben dem Gruppenerlebnis wollen sie natürlich auch zeigen, was sie können, wollen ihre Skaterkunst im öffentlichen Raum präsentieren, den öffentlichen Platz als ihre Schaubühne nutzen. Was macht es in ihren Augen für einen Sinn, die Half-Pipes etc. an den Stadtrand zu bauen? Dorthin, wo die Jugendlichen niemanden stören.

Plätze besetzen, sich anzueignen, kann aber auch bedeuten, anderen den Zugang zu erschweren. Den Raum für andere zu verstellen. Die Bühne „Öffentlicher Raum“ ist zwar groß, bietet Gestaltungsfläche für viele unterschiedliche Rollen. Manche schließen sich allerdings auch aus oder sind zumindest schwer miteinander vereinbar. Die auffällige Jugendszene auf der Flaniermeile der Innenstadt für die „Schönen und Reichen“. Oder die Drogenszene vor dem neuen, modernen Hauptbahnhof. Der Treffpunkt der Wohnungslosenszene in einer Restaurantmeile für die Gourmets der Stadt. Die jeweils gleichen Szenen auf anderen Plätzen, anderen Bühnen der Stadt sind jedoch durchaus vorstellbar.

Im Zentrum des Diskurses „Verdrängung und Rückgewinnung im Öffentlichen Raum“ geht es also substantiell keinesfalls nur um die unterschiedlichen Szenen und Gruppen oder um die einzelnen Orte und Plätze. Vielmehr steht die Beziehungskorrelationen von „Raum und Rolle“ im Fokus und damit einher gehend, Vereinbarkeiten (Integration) und Unvereinbarkeiten (Ausschluss).

Öffentlicher Raum und Macht

Letztlich entscheiden Macht- und Einflussfaktoren über die Besetzung von Räumen. Nicht immer ist das Resultat eindeutig, auch wenn die Rechtsverhältnisse solches vermuten lassen würden. Als Grundlage für die legale Machtausübung gibt es Gesetze, Ordnungen, Erlasse, Richtlinien, Hausordnungen etc. Raumwächter / -wärter, die mehr oder weniger mit Zeichen der Macht ausgestattet sind wie Polizei, Ordnungsamt, private Sicherheitsdienste und verstärkt auch die sanften Kontrolleure (Cremer-Schäfer 1990) wie Sozialarbeiter, aber auch in den letzten Jahren verstärkt Künstlergruppen, Nachbarschaftsorganisationen versuchen die Bestimmtheit der Räume im Sinne der einzuhaltenden Ordnungen zu sichern. Zudem gibt es Gruppen an diesen Orten, die ihre Ordnung und Funktionalität der Räume leben (wollen), aber nicht über eine legale Machtfülle verfügen.

Nicht immer gelingt die Durchsetzung von legalen Machtansprüchen. Schaut man zum Beispiel auf die Gruppe der Ultras beim Fußball. Wie gern würden inzwischen viele Vereine auf ihre Ultra-Anhänger verzichten, setzen unterschiedliche Ordnungsmaßnahmen bis in die Grenzbereiche der legalen Machtausübung um – aber es gelingt den Vereinen nicht, die Funktionalität der Orte (Stadien) in ihrem Sinne durchzusetzen.

Andere Gruppen wiederum verlassen zwar „ihre Plätze“ – nachdem sie sich zum Teil massiver Durchsetzung von Machtansprüchen ausgesetzt sahen – unter Protest und mit erfahrenen „Verletzungen“ von Wertschätzung (vgl. u.a. Piepel / Bodenmüller 2003, Honneth 1994), tauchen aber an ähnlichen Orten wieder auf. Zumeist auch an diesen „neuen“ Plätzen ähnlich unbeliebt – und das „Spiel“ beginnt von vorn.

Hintergrund für die beschriebenen Szenerien sind gesellschaftliche Entwicklungslinien, die sich als fortschreitender Prozess von „Sicherheit, Ordnung, Kontrolle und Disziplinierung im Öffentlichen Raum“ verfolgen lassen (vgl. u.a. Garland 2009, Siebel / Wehrheim 2003, Simon 2005, Klose 2009, Dietrich 1996).

Sicherlich lässt sich, ohne große Widersprüche hervorzurufen, behaupten, dass es kaum eine Zeit gab, in der die körperliche Unversehrtheit in deutschen Städten im Durchschnitt so sicher war, wie sie es in der heutigen Zeit ist. Gleichsam vermitteln breite öffentliche Berichterstattungen über herausragende Einzelfälle einen gegenteiligen Eindruck. So werden einige Autobrandstiftungen schnell zum Beginn einer neuen linksterroristischen Bewegung; Übergriffe und schwere Körperverletzungen nach Auseinandersetzungen auf Bahnhöfen stellen die Innere Sicherheit in Frage; Auseinandersetzungen von Ultra Gruppierungen, lassen Polizeigewerkschaftler die fahrlässige Behauptung aufstellen, dass es nur eine Frage der Zeit sei, wann es in deutschen Fußballstadien die ersten Toten gibt.

Galt früher in der Wahrnehmung - und wahrscheinlich auch aus Erfahrung - das Land eher als unsicher und die Stadt als sicher, so hat sich im Laufe der Zeit die Wahrnehmung verändert. Heute ist es die Stadt, die als unsicher gilt, während das Land in der öffentlichen Präsentation Ruhe, Ordnung und Sicherheit abbildet. Und das, obwohl in der früheren Zeit kaum weniger Gewalt und Kriminalität vorgefallen ist, wenn man Studien und Einschätzungen glauben darf.

Auf noch einen anderen Unterschied soll hingewiesen werden. Wer war früher für die Sicherung des öffentlichen Raumes zuständig? In erster Linie die Polizei und das Militär / die Armee. Heute stellt sich eine differenzierte, moderne Sicherheitsarchitektur, die sich als feingliedrig mit unterschiedlichen Gruppen von Akteuren zeigt. Nur beispielhaft eine Berichterstattung aus Essen, einer Stadt im Ruhrgebiet, die mit schonungsloser Klarheit, einfach und unmittelbar die Dimensionen dieser modernen Sicherheitsverantwortung im Öffentlichen Raum thematisiert. Unter der Überschrift „Task Force soll Essener Problemstadtteil retten“ wird beschrieben, wie aus einem Aktionsbündnis aus Polizisten, Sozialarbeitern, Jugendgerichtshelfern und Behörden-Experten der Stadtteil Altenessen „gerettet“ werden soll. Die Task Force wurde dort eingerichtet, als nach einem Überfall krimineller Jugendlicher auf einen Rollstuhlfahrer und anderen Vorfällen dieser Stadtteil als unsicherer Stadtteil, als rechtsfreier Raum galt. Inzwischen kümmert sich die Task Force um Fälle, wenn Kinder nicht zum Unterricht erscheinen, sucht die Elternhäuser auf oder bietet Jugendcliquen an Basketballplätzen im Stadtteil ihre „kontroll-orientierte“ Hilfe an (vgl. Tageszeitung „Im Westen“ 2011).

Deutlich wird, dass Gewalt- und Kriminalitätsprävention in der modernen Sicherheitsarchitektur inhaltlich und strukturell inzwischen eine andere Ebene erreicht hat. Sie bindet strukturell nicht nur unterschiedliche gesellschaftliche Kräfte, Professionalität und bürgerschaftliches Engagement, ein. Inhaltlich setzt der Kampf um Unordnung und Kontrolle zunehmend niedrigschwellig an, nämlich bereits dann, wenn die mögliche Abwendung von Störungen, um disorder im öffentlichen Raum im Mittelpunkt steht – zum Teil weit im Vorfeld justiziabler Vorfälle und Delikte. In dieser „Vorfeld-Prävention“ ist die Polizei allein – verständlicherweise – überfordert. Man holt sich entsprechende Helfer zur Unterstützung der eigenen Aufgabenerfüllung. Gewalt- und Kriminalprävention ist inzwischen zu einer – auch in der öffentlichen Wahrnehmung – gesamtgesellschaftlichen Aufgabe geworden. Die unterschiedlichen Professionellen aus den entsprechenden Disziplinen schließen sich zusammen, um steigenden Sicherheitsbedürfnissen von Bürgern und Bürgerinnen gerecht zu werden.

Bezogen auf das Handlungsfeld SW / MJA hat das Konsequenzen. Wenn Sicherheit, Ordnung, Kontrolle und Disziplinierung zu einem handlungsleitenden Prinzip werden, muss sich zumindest SW / MJA (Soziale Arbeit) die Frage stellen, für welche Ordnung im Öffentlichen Raum man professionell eintritt (vgl. u. a. Klose 2000 u. 2009). Ganz offen wird man zu einem der neuen Regulierer im Öffentlichen Raum.

Sich aus dieser Rolle zu entziehen wird schwer, der gesellschaftliche Druck ist groß. Wer kann sich schon einem Ziel „Erhöhung der Sicherheit“ öffentlich verweigern. Gegenargumente sind nahezu immer gleich. Der parteiliche Ansatz von SW / MJA wird schnell als Kumpanei mit der Zielgruppe ausgelegt, fehlende Distanz und Verharmlosung werden angemahnt. Manche Diskussionen gehen so weit, dass der professionellen Sozialen Arbeit unterstellt wird, mit ihrer Präsenz an Orten (oder auch mit stationären Einrichtungen) für eine Stabilisierung von Szenen zu sorgen – somit man quasi Mitschuld trägt an der Existenz der Verhältnisse. Sobald jedoch man in solchen „Task Force“- Einrichtungen mitarbeitet, sind diese Bedenken meist kaum noch ein Thema. Man ist aufgenommen in den „Kreis“ der modernen Sicherheitsakteure, nun gehört man dazu. Beispiele dafür gibt es in Deutschland viele, aber auch aus den europäischen Nachbarländern (wie der Schweiz) könnte man sie benennen.

Mit dem präventiven Grundsatz, nicht erst anzusetzen, wenn die Verfehlungen stattgefunden haben, sondern bereits frühzeitiger einzugreifen, wird ein Ansatz umschrieben, der eine möglichst umfangreiche Überwachung des Raumes umfasst, eine weitgehende Kontrolle des Raumes. Technische Hilfsmittel, wie die möglichst flächendeckende Videoüberwachung, sollen ihren Beitrag leisten, um diese Kontrolle zu gewährleisten. Die Befürworter stellen die präventiven Wirkungen und Hilfestellungen zur Aufklärung von Straftaten heraus. An dieser Stelle sollen nicht die Vor- und Nachteile, die Bedenken und die Positionen der euphorischen Befürworter und nachdenklichen Kritiker von Videoüberwachungen wiedergegeben werden. Im Kontext „Öffentlicher Raum“ soll der Ansatz / die Sichtweise nur ein weiteres Indiz dafür sein, mit welchen Mitteln Raumordnungen umgesetzt und durchgesetzt werden. Längst hat man sich von der einfachen Videoüberwachung durch Kameras entfernt, arbeitet in der Entwicklung weiter an intelligenten Maschinen. Programmierungen sehen vor, dass miteinander kommunizierende Kameras anhand von entwickelten Typenprofilen selbstständig dazu in der Lage sind, „verdächtige“ Personen zu verfolgen und in ihrem Netzwerk quasi selbstständig der „Kamera-Kollegin“ den Hinweis zur Übernahme geben, wenn sich die entsprechende Person aus dem eigenen Blickfeld entfernt. Nicht die Anwendung solcher intelligenter Technik ist es, die zum Nachdenken anregen sollte, sondern die Entwicklung der entsprechenden Typen-Profile.

Ein anderer – und damit letzter Gedanke. Schaut man sich die Entwicklung von SW / MJA in den letzten 30 Jahren an, zeichnet sich im Zentrum das Bild einer professionell parteilichen Sozialen Arbeit mit den sogenannten Randgruppen, den Außenseitern und Auffälligen, den Outlaws, Grenzgängern und Exoten. In diesem Kontext muss auffallen, dass sich in den letzten Jahren die Fokussierung auf den Aspekt der „Inneren Sicherheit“ im Zusammenhang mit diesen Zielgruppen deutlich verändert hat. Ist es ein Zufall der Zeitgeschichte, dass es in dem Zeitraum, in dem die äußere Bedrohung der Sicherheit des Landes durch feindliche Nachbarländer (Ideologie des „Kalten Krieges“) eine deutliche Fokussierung auf die Bedrohung der „Inneren Sicherheit“ gibt? Der gesellschaftliche Umgang mit Randgruppen hat sich in diesem Zeitraum deutlich „verschärft“. Das gemeinschaftliche Eintreten der professionellen und engagierten gesellschaftlichen Kräfte für innere Ordnung und Sicherheit , lässt zumindest ansatzweise den „gesellschaftspolitischen Kitt“ in den rasanten Modernisierungsprozessen mit einer Vielzahl an Verlieren – aber auch an Gewinnern – nicht trocknen und zerbröseln.

Quer zu den vorgestellten, ausgewählten Entwicklungslinien finden Prozesse im Öffentlichen Raum statt, die mit dem Zugang unterschiedlicher Theorien hier nur ganz kurz skizziert werden sollen:

In der Zusammenarbeit mit unterschiedlichen, interessengeleiteten Akteuren / Akteursgruppen und unterschiedlich ausgeprägten strategischen und operationalen Handlungsweisen agiert SW / MJA oftmals allein. Die Einbindung in die eigene Fachdisziplin ist mitunter nur suboptimal ausgeprägt. Die Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Modernisierungsprozessen, ihren Folgen und professionellen theoriefundierten Strategiediskussionen wenig ausgeprägt.

Verdrängung und Rückgewinnung

Wenn jedoch die Ausgestaltung des öffentlichen Raumes Ausdruck von gesellschaftlicher Entwicklung ist, dann müssen Verdrängung und Rückgewinnung aus der Sicht von SW / MJA sicherlich anders diskutiert werden als auf einer eindimensionalen „Täter-Opfer“ Ebene.

  1. Rückgewinnung muss gesellschaftspolitisch diskutiert werden und mehr ausmachen, als konkret vor Ort zu sein, z.B. mit dem einzelnen Center-Management zu verhandeln, ob die Skatergruppe nicht doch auf dem Vorplatz des Centers ihren Treffpunkt haben kann.
  2. Man muss sich als Teil begreifen von gesellschaftlichen Interessen(skonflikten), in der gesellschaftspolitische Fragen nach der Deutungshoheit gestellt werden.
  3. Es gilt, sich als Teil von und mit Anderen zu begreifen, die fachliche / fachpolitische Fragestellungen und Ansatzpunkte thematisieren.
  4. Daraus folgt auch, dass der wichtige, notwendige und zu fördernde Ansatz, den Einzelnen Unterstützungsleistungen anzubieten, nur eine Facette der Arbeit von SW / MJA sein kann. Eine professionelle, berufsbezogene, gesellschaftskritische Grundhaltung gehört mit in die Diskussion und zum Aufgaben- und Tätigkeitsfeld.
  5. Konkret heißt das, dass konzeptionelle und praktische Hilfestellungen bei der Wohnungssuche, beim Ausstieg aus dem Drogenmilieu, bei der Arbeits- und Lehrstellensuche, bei der Verarbeitung zum Umgang mit Gewalt- und Missbrauchserfahrungen, bei der Unterstützung von Raum- und Aneignungsprozessen genauso zum professionellen Verständnis von SW / MJA gehören wie die professionelle Netzwerkarbeit mit anderen (nicht nur Institutionen der Sozialen Arbeit), in der die Deutungshoheit über die Ausgestaltung des Öffentlichen Raumes öffentlich und nachhaltig thematisiert wird.

Dabei heißt Integration und Rückgewinnung von Öffentlichem Raum möglicherweise auch immer Ausschluss von Anderen. Das gilt für alle unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppierungen. Aber zumindest die Ermöglichung von gesellschaftlicher Teilhabe, die Chance auf ein gelingerendes und gerechteres Leben, ist aus Sicht einer professionellen SW / MJA alternativlos.

Literatur


[1] Der vorliegende Beitrag bildete die Basis für einen Vortrag im Rahmen der Festveranstaltung „20 jähriges Bestehens des Sachgebietes Straßensozialarbeit“ der Stadt Leipzig und des Landesarbeitskreises Mobile Jugendarbeit Sachsen im November 2011.

[2] Ohne an dieser Stelle eine genaue zeitliche Eingrenzung vornehmen zu wollen, verweist die Anzahl der Veröffentlichungen zum Thema auf einen Zeitraum der letzten 20 Jahre mit zunehmender Tendenz.

[3] Im weiteren Text wird später darauf noch einmal eingegangen.

[4] Auch wenn in Deutschland der Öffentliche Raum als Ort der politischen Bühne im Verlaufe der letzten 20 Jahre eher eine immer geringere Rolle einzunehmen scheint – zumindest, wenn man auf die Anzahl der Beteiligten schaut. Insofern ist auch der Begriff der „Bühne“ passend, geht es doch in vielerlei Hinsicht um die „Schau“.


Zitiervorschlag

Klose, Andreas (2016): Treffpunkt Straße? Öffentlicher Raum zwischen Verdrängung und Rückgewinnung. Einige geschichtliche und aktuelle Entwicklungen. In: sozialraum.de (4) Ausgabe 2/2012. URL: https://www.sozialraum.de/treffpunkt-strasse.php, Datum des Zugriffs: 29.03.2024