Das Autonome Architektur Atelier (AAA) Bremen: Einfach probieren –Zwischennutzungen und die Öffnung von Räumen für eine demokratische Stadtgesellschaft
Anne Angenendt, Oliver Hasemann, Daniel Schnier
1. Von AAA bis ZZZ
Das Autonome Architektur Atelier (AAA GmbH) aus Bremen organisiert Projekte und Aktionen an der Schnittstelle von Kunst und Stadtentwicklung, zwischen Quartiersarbeit und Gründungsideen. Seit 2009 setzt das AAA die ZZZ – ZwischenZeitZentrale Bremen als städtisches Projekt um: Leerstehende Gebäude und Brachflächen werden mit Hilfe von Zwischennutzungen wachgeküsst. Temporär werden Haustüren und Zeitfenster für neue Ideen und neue NutzerInnen geöffnet. Wer steht hinter dem AAA? Wie kam es vom AAA zur ZZZ? Und was bedeutet das Öffnen von Räumen für die Stadtgesellschaft?
1.1 Der AAAnfang
„Wir haben uns über eine Annonce kennengelernt...“. Dieser Satz wabert häufig durchs Büro und ist nicht nur scherzhaft gemeint, sondern ist tatsächlich Teil der Gründungsgeschichte des Autonomen Architektur Ateliers. Der Gründungsimpuls entstand durch eine Annonce von Daniel Schnier auf dem digitalen Schwarzen Brett www.bremen.de, dem offiziellen Auftritt der Stadt Bremen. Hier, wo sonst Kleintiere und WG-Angebote getauscht werden, suchte Daniel Schnier in prä-facebook-Zeiten online nach ähnlich gesinnten StadtliebhaberInnen aus der Region. Auch in digitalen Fachportalen wie dem Auftritt der Deutschen Bauzeitung und in anderen Architekturmagazinen wurde die Annonce veröffentlicht. Schniers Intention? Eine Plattform für BerufseinsteigerInnen zu gründen. Auf der Suche nach Beschäftigungsmöglichkeiten aus der Arbeitslosigkeit in ihre jeweiligen Berufsfelder taten Oliver Hasemann und Daniel Schnier sich zusammen und starteten mit ersten, zunächst informellen Projekten. Die Auseinandersetzung mit dem eigenen urbanen Umfeld und die Erprobung erster Ideen zogen dann schnell weitere Projekte nach sich. Das AAA schaffte sich das eigene Arbeitsfeld und wurde so zum realen Arbeitsplatz für Hasemann und Schnier – und das funktioniert seit mittlerweile 10 Jahren.
Seit 2015 unterstützt Anne Angenendt (M.A. Kunst- und Kulturvermittlerin) mit dem Schwerpunkt Stadtvermittlung und Rauminszenierung das AAA-Team. Die Interdisziplinarität in der Zusammenarbeit ist ein wichtiger Meilenstein im erfolgreichen Arbeiten des Teams. Trotz der verschiedenen Fachhintergründe haben Hasemann, Schnier und Angenendt eins gemeinsam: Die Leidenschaft für den urbanen Raum und die Erfahrung in der Umsetzung von Gemeinschaftsprojekten im Stadtraum.
Abbildung 1: Das Team der AAA und der ZZZ (Foto: Cathrin Eisenstein)
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1.2 Einfach probieren
Einfach probieren – diese einfach klingende Formel ist zum roten Faden der Arbeit des Autonomen Architektur Atelier geworden. Hinter der einfachen Parole entfaltet sich ein komplexes Aufgabengebiet, wenn es darum geht, andere StadtbewohnerInnen beim „einfach ausprobieren“ zu unterstützen. Und wenn man das „probieren“ im Zusammenhang mit der Verwaltung denkt, ist schon alles gar nicht mehr so „einfach“. Doch aus dem Wunsch heraus, „einfach zu probieren“ entstehen spannende Projekte, die Städte ergänzen oder kritisch hinterfragen. Wer als BürgerIn „einfach probiert“ wird in der eigenen Stadt aktiv, nutzt Räume neu und stößt Diskussionen an. Diese Tendenzen im Sinne eines informellen, bügerInnengetragenen Urbanismus prägt das AAA seit der Gründung und unterstützt andere darin.
2. Urbane Spaziergänge – unterschätze Orte und lokale ExpertInnen
Seit 2006 lädt das Autonome Architektur Atelier (AAA GmbH) zu Urbanen Spaziergängen in Bremen ein. Dabei werden nicht nur klassische und bekannte Orte aufgesucht, es wird hinter die Fassaden geschaut. Als ortskundige Wegbereiter führen Oliver Hasemann und Daniel Schnier in unbekannte Ecken der Stadt, die aus stadtentwicklerischer oder stadtpolitischer Sicht spannend sind. Im Laufen veranschaulichen sie Prozesse der Stadtentwicklung und stellen die auf den ersten Blick unsichtbare Beziehung zwischen Mensch und Raum her. Sie helfen den Teilnehmenden, die urbanen Kontraste zu erkennen und appellieren an das individuelle Wissen der StadtbewohnerInnen als lokale ExpertInnen.
Abbildung 2: Urbaner Spaziergang (Foto: Daniel Schnier)
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Aus dem gemeinsamen Durchqueren und Wahrnehmen der Stadt ergaben sich schnell weitere Projekte, die in der temporären Nutzung leerstehender Gebäude und innerstädtischer Brachflächen mündeten:
2.1 Sproutbau. Ein Sommer im Beton. Wohnen und Kunst im Abrisshaus.
Das Wohnexperiment Sproutbau fand im Spätsommer 2007 statt. Einen Monat lang verwandelte das Projekt ein tristes Abrisshaus in Bremen-Tenever in ein lebendiges, buntes Wohnexperiment. Der Prozess des Abbruchs, den StadtplanerInnen euphemistisch als Rückbau bezeichneten, wurde unterbrochen und der Raum temporär für die Vision eines Neubezugs und einer Lebensalternative zur Verfügung gestellt. 79 Menschen aus 15 Nationen, KünstlerInnen, Kreative und QuerdenkerInnen, nutzten den unbegrenzten Spielraum der Großwohnsiedlung für die freie Umsetzung ihrer Utopien. Auf 12.000 m² wurde gelebt, gearbeitet und gefeiert. Der leere Raum regte zu kühnen Gestaltungsideen an. Der Sproutbau wurde eine Plattform für neue, beziehungsweise wenig genutzte Lebens-/ Wohnutopien, ein Befähigungskasten mit Wechselwirkungen zwischen Raum, Menschen und Kunst. Die Experimente und Ergebnisse konnten auf dem dreitägigen Festival der Betonale begutachtet werden.
Abbildung 3: Sproutbau (Foto: Yannik Radeke)
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2.2 Gemeinsam arbeiten: Zwischennutzung der ABFERTIGUNG
Im Anschluss öffnete das AAA im Jahr 2008 die leerstehende ABFERTIGUNG. Das Gebäude wurde Anfang der 60er Jahre gebaut und diente bis 2006 als LKW-Abfertigung des Zollamtes Überseehäfen. Bis zum Auszug im Jahr 2015 arbeiteten im Rahmen dieses Zwischennutzungsprojektes 32 Menschen unterschiedlichster Professionen in den sieben Räumen der ABFERTIGUNG. Ein Zwischennutzungsvertrag ermöglichte günstige Mieten für Bürogemeinschaften, eine Besonderheit in dem sich verändernden Stadtteil Bremen-Überseestadt. Vernetzt mit zahlreichen AkteurInnen arbeitete die AAA GmbH von hier aus an der Inszenierung und Aktivierung von vergessenen und brachliegenden Orten.
2.3 Inszenierung innerstädtischer Brachfläche
Grundsätzlich wird mit der Inszenierung öffentlicher Räume ihre Funktion sichtbar hinterfragt und die Stadtgesellschaft ermutigt, den Raum mit neuen Nutzungen zu interpretieren. Das AAA inszenierte mehrere innerstädtische Brachen, so zum Beispiel in der Bremer Überseestadt und im Zentrum:
b.a.l.d. – Brache als lebendiges Dorf
In dem Projekt b.a.l.d.wurde im Jahr 2008 eine Brache in der Bremer Überseestadt belebt. In der Überseestadt, dem größten Stadtentwicklungsprojekt Norddeutschlands, wurden seit Beginn der 2000er Jahre vor allem hochpreisige städtebauliche Entwicklungskerne geschaffen. Zwischen diesen Orten, die urbanes Leben verhießen, lagen großflächige Brachen mit ruralem Charakter. Im Rahmen einer Öffnung und Belebung dieses Noch-Nicht-Stadtteils wurde die Idee eines Dorfs entwickelt, in dem sich mögliche BewohnerInnen des Stadtteils ansiedeln konnten. Das niedrigschwellige Angebot erlaubte über zwei Wochen allen Interessierten hier die eigenen Ideen zu realisieren und den Stadtteil mitzugestalten. Zwei Dorffeste mit Kulturprogramm luden BesucherInnen aus der gesamten Stadt ein, das neue „Dorf“ in der Überseestadt kennenzulernen.
Abbildung 4: b.a.l.d. (Foto: Daniel Schnier)
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AUFAUF – AUFeinandertreffen AUF der Brache
Eine weitere Inszenierung einer Brachfläche wurde im Jahr 2009 umgesetzt. Auf der Fläche hinter dem ehemaligen Güterbahnhof entstand mitten im Stadtzentrum Bremens eine temporäre Oase. Diese bot allen Interessierten an einer Gestaltung der Fläche die notwendigen Infrastrukturen. Eingeladen mitzuwirken waren alle BremerInnen. Die Flächen auf der alten Rangierfläche wurden in temporäre Claims aufgeteilt, die dann nach eigenen Vorstellungen gestaltet werden konnten. Vorträge, Filme und Installationen gaben einen Eindruck über die Brache als Möglichkeitsraum. Die Aneignung des Areals startete dabei mit einer inszenierten Grenzöffnung: Ein neuer Zugang wurde geschaffen und die BesucherInnen auf die Fläche geführt. Im Rahmen des Projekts entstanden zahlreiche architektonische-künstlerische Installationen und Veranstaltungen luden zum Verweilen und Diskutieren ein. Das Projekt fand seinen Abschluss Ende Juli 2009.
3. Das AAA erfindet die ZZZ – ZwischenZeitZentrale Bremen
Durch Urbane Spaziergänge, Leerstandsinszenierungen und Zwischennutzungsexperimente wurde das Autonome Architektur Atelier in Bremen sichtbar. Als lokale ExpertInnen wahrgenommen, bewarb sich die AAA GmbH in Kooperation mit Sarah Oßwald und Michael Ziehl im Jahr 2009 erfolgreich auf die Umsetzung einer Zwischennutzungsagentur in Bremen. Die ZZZ – ZwischenZeitZentrale Bremen startete als Pilotprojekt der Nationalen Stadtentwicklungspolitik des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung und des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung und wurde und wird in Bremen vom Senator für Wirtschaft und Häfen, dem Senator für Bau, Umwelt und Verkehr und der Senatorin für Finanzen getragen. Die ZwischenZeitZentrale Bremen weckt seitdem leerstehende Gebäude und Brachflächen mit Zwischennutzungen auf Zeit wieder auf.
Im Zeitraum von 2009 bis 2017 konnten bisher 123 Zwischennutzungsprojekte unterstützt und umgesetzt werden. Der Charakter dieser Projekte schwankt dabei zwischen kurzfristigen, tageweisen Projekten bis hin zu Nutzungen, die sich langfristig aus der Zwischennutzung in eine reguläre Nutzung verstetigen. Die Herausforderungen in Zwischennutzungsprojekten sind oft ein Verhandlungspingpong zwischen Stadtverwaltung, ProjektemacherInnen und EigentümerInnen. Immer wieder wird deutlich, dass BürgerInnen und Netzwerke Unterstützung im Behörden- und Antragsdschungel brauchen. Die ZZZ bietet diese Hilfe. Das Besondere dabei: Die ZZZ ist als Unterstützerin eines informellen Urbanismus städtisch finanziert.
3.1 Was macht die ZZZ?
Haustüren und Zeitfenster öffnen – hinter diesem einfachen Konzept steckt ein komplexes Aufgabenspektrum, das eine Vielzahl von AkteurInnen verknüpft. Die Anforderungen sind entsprechend umfangreich: Die ZZZ spürt Leerstände auf, spricht InteressentInnen an, moderiert NutzerInnenkonstellationen, klärt rechtliche Fragen, holt Genehmigungen ein, kommuniziert die Nutzungskonzepte gegenüber Politik und Verwaltung, leistet Öffentlichkeitsarbeit, kalkuliert Kosten, wirbt zusätzliche Projektgelder ein und erarbeitet eigene Nutzungsideen. Nicht selten sind auch Materialtransporte, die eigene Muskelkraft und handwerkliche Expertise für den Umbau von Räumen gefragt. Für die öffentliche Akzeptanz und den Erfolg der Projekte ist es entscheidend, die Bedürfnisse aller Beteiligten zu verstehen und zwischen rechtlichen Vorgaben, kreativen Vorhaben und berechtigten Bedenken eine allgemein zufriedenstellende Lösung zu verhandeln. Als Zentrale im Gesamtkomplex Zwischennutzung berät die ZZZ die NutzerInnen, verhandelt mit den EigentümerInnen, sammelt die Wünsche von Politik und Verwaltung ein, übersetzt zwischen diesen AkteurInnen und wirbt dafür, Projekte im vertrauensvollen Dialog zur Umsetzung zu bringen.
Die ZZZ sieht sich dabei an erster Stelle als Ermöglicherin von Projekten, die vorhandene Raumpotenziale mit vorhandenen Raumwünschen zusammenbringt und für eine neue Belebung sorgt. Die Zwischennutzung der Leerstände erfolgt als ergebnisoffenes Experiment, das auf niedrigem Niveau eine Erprobung erlaubt, die dann in eine Verstetigung übergehen kann. Die Zwischennutzung ist mehr als ein Lückenfüller und Ziel jeden Projekts ist es, eine langfristige Perspektive sowohl für die beteiligten NutzerInnen als auch die genutzten Objekte zu entwickeln.
3.2 Wie funktioniert die ZZZ?
Die ZZZ wird von drei Ressorts der Stadt Bremen finanziert: dem Senator für Wirtschaft, Arbeit und Häfen, dem Senator für Umwelt, Bau und Verkehr und der Senatorin für Finanzen. Mit diesen verbunden sind die stadteigenen Betriebe Immobilien Bremen AöR und die Wirtschaftsförderung Bremen GmbH, die als VerwalterInnen der stadteigenen Liegenschaften wichtige AnsprechpartnerInnen sind. Als TrägerInnen des Projekts entsenden diese Ressorts VertreterInnen in die Lenkungsgruppe der ZZZ. Dieser Kreis wurde 2012 um einen Vertreter des Senators für Kultur ergänzt. Die Lenkungsgruppe tritt alle zwei Monate zusammen. Sie ist das Gremium, in dem der laufende Stand der Projekte diskutiert wird. Hier wird auch über den Fördertopf der ZZZ entschieden: ZwischennutzerInnen können sich sehr leicht für bis zu 3000 Euro bewerben. Die Treffen mit der Lenkungsgruppe sind gut mit dem Bild einer Schwingtür, die sich in beide Richtungen öffnet, zu beschreiben: Die Fragen, die auf der NutzerInnenseite auftreten, können von den VerwaltungsmitarbeiterInnen in die jeweiligen Ressorts getragen und dort beantwortet werden. Umgekehrt werden Probleme, die bei der Umsetzung der Projekte in den Ressorts aufgetaucht sind, hier angesprochen, sodass die ZZZ gemeinsam mit den NutzerInnen an einer Umgestaltung ihrer Projekte arbeiten kann, um diese auszuräumen.
3.3 Die ZZZ – eine intermediäre Akteurin
Die Übersetzungs- und Moderationsfunktion gilt wechselseitig: Die ZZZ ist somit ein intermediärer Akteur, eine Art Amphibienwesen, welches zwischen der Ebene der (sub-)kulturellen Netzwerke und den Verwaltungsmitarbeitern vermittelt. ProjektmacherInnen, die an einer Zwischennutzung interessiert sind, können sich auf einfachem Weg bei der ZwischenZeitZentrale melden. Egal ob mit einem fertigen Businessplan in der Hand oder losen Ideen im Kopf – die ZZZ lädt die AkteurInnen niedrigschwellig zu einem Kennenlerngespräch ein. Sie hat ebenso offene Ohren für die Ansprüche von Start-up-GründerInnen wie für die Raumgesuche von Kultur- und Sozialeinrichtungen oder die Festivalpläne subkultureller Kollektive.Der Kontakt kann über E-Mail oder einen Anruf starten oder sogar mit einer Facebook-Nachricht beginnen. Die ZZZ begleitet Ideen, berät bei Konzeptformulierungen und übersetzt die verwaltungsrechtlichen Voraussetzungen der Stadt.
3.4 Start in die eigene Zwischennutzung
Die Kontaktaufnahme kann per Telefon oder das Internet erfolgen, häufig funktioniert sie aber auch über den persönlichen Kontakt auf einer Veranstaltung oder auf offener Straße. Dieser folgt dann eine Ideenskizze oder, falls bereits vorhanden, ein ausformuliertes Konzept der zukünftigen ZwischennutzerInnen per E-Mail und die Einladung zu einem Treffen im Büro der ZZZ. Hier werden die Ideen und erste Vorschläge für die Umsetzung und für mögliche Orte durchgesprochen. Das persönliche Kennenlernen dient dazu, die Motivation und den Hintergrund der ZwischennutzerInnen kennenzulernen, da Zwischennutzungen ein großes Vertrauen zwischen den Projektverantwortlichen, den EigentümerInnen, der ZZZ und der bremischen Verwaltung sowie enge Absprachen voraussetzen.
Das Büro der ZZZ bildet für diese Treffen die ideale Kulisse. Momentan befindet es sich im vierten Stock der Verwaltung einer ehemaligen Wurstwarenfabrik in Bremen-Hemelingen. Seit dem 1. April 2015 haben hier, initiiert von der ZZZ, über 50 GestalterInnen, KünstlerInnen, MusikerInnen, FilmemacherInnen und andere Freischaffende ihren Arbeitsraum gefunden und bilden die kreative Nutzungsgemeinschaft im WURST CASE. Dieses Büro in einem durch Zwischennutzung belebten Leerstand bietet einen inspirierenden und informierenden Ort für angehende ZwischennutzerInnen. Das Ambiente vermittelt ein direktes Gefühl dafür, welche Herausforderungen auf die künftigen ZwischennutzerInnen zukommen und wie diese bewerkstelligt werden können. Einige AnfragerInnen können gleich hier ihre Raumwünsche umsetzen und ein Büro oder ein Atelier im WURST CASE beziehen.
Der Start in die individuelle Zwischennutzung kann auch mit der Besichtigung eines Leerstandes starten: Die ZZZ wird von EigentümerInnen angesprochen oder hat diese angesprochen, weil sie in ihrer Arbeit auf einen Leerstand aufmerksam geworden ist, und vereinbart einen Besichtigungstermin. Hier wird der Zustand des Gebäudes festgestellt, die möglichen Nutzungskonditionen werden verhandelt und gemeinsam mit den EigentümerInnen werden erste Nutzungsideen entwickelt. In Absprache mit den EigentümerInnen werden dann die InteressentInnen durch die möglichen Räume geführt und können eigene Ideen für das Gebäude entwickeln oder die konzipierten Projektvorhaben in den Räumen umsetzen. Die Besichtigung findet häufig mit mehreren InteressentInnen statt und besitzt einen Event-Charakter: Die NutzerInnen können sich von den Räumlichkeiten inspirieren lassen und möglicherweise erste Kollaborationen mit anderen InteressentInnen eingehen. Der stadträumliche Fokus der Arbeit der ZZZ liegt insbesondere auf Stadtquartieren und auf Objekten, die nicht ohne weiteres durch Eigeninitiative in eine neue Nutzung kommen. Die Besichtigung dient daher nicht nur dem Abstecken der eigenen Räume, sondern sie führt Raumsuchenden die Möglichkeit einer Nutzung in spannenden Leerständen außerhalb der hippen Innenstadtquartiere als realistische Alternative vor Augen.
3.5 Hilfe zur Selbsthilfe
In der Begleitung der Zwischennutzungsprojekte besteht die Arbeit der ZZZ darin, praktische Unterstützung zu geben und immer wieder im persönlichen Gespräch zu ermutigen. Vielfach sind es einfache Fragen, welche die NutzerInnen für den Moment überfordern und die von der ZZZ beantwortet werden können: wenn zum Beispiel die richtige Versicherung für eine Nutzung gefunden oder die Fördergelder aus dem Stadtteil auf dem richtigen Formular abgerechnet und nachgewiesen werden müssen. Die ZZZ begleitet die NutzerInnen zu Terminen mit der Verwaltung, zu der Vorstellung ihrer Projektideen in die lokalen Ortsbeiräte oder organisiert bei Veranstaltungen gemeinsame Treffen mit den NachbarInnen, den VertreterInnen der Polizei und Feuerwehr und den zuständigen Ämtern, um im Vorfeld Probleme anzusprechen und Bedenken auszuräumen. Gleichzeitig ist es klar, dass die ZwischennutzerInnen die Verantwortlichen für die Projekte sind und die ZZZ lediglich als Ermöglicherin hilft, den Gestaltungsraum für diese zu eröffnen, sodass die Projekte möglichst schnell eigenständig laufen können und die ZwischennutzerInnen die entsprechenden Kompetenzen aufbauen.
Die ZZZ versteht sich in keiner Weise als reine Vermittlungsagentur, sondern als Kooperationspartnerin bei der Umsetzung. Die Unterstützung des einzelnen Projekts erfolgt dabei auch immer als Unterstützung anderer Projekte, denn positive Zwischennutzungen ermöglichen weitere Zwischennutzungen stadtweit: Private EigentümerInnen werden ermutigt, ihre leer stehenden Immobilien temporär abzugeben; IdeenhaberInnen werden bestärkt, ihre Projekte erstmalig auszuprobieren; und in der Stadtgesellschaft wächst das Bewusstsein für die positiven Effekte von Zwischennutzungen; die Hemmschwelle, ein eigenes Projekt zu starten, sinkt. Die intensive Begleitung der Projekte über die Pressekontakte und Social-Media-Kanäle der ZZZ sind ein wichtiger Faktor zur Verstärkung dieser Wirkung.
Die Rolle der ZZZ besteht in einer Melange aus proaktiver Projektleitung und Anleitung zur Selbsthilfe. Ob als Unterstützerin, Möglichmacherin oder Projektverantwortliche – die ZZZ verfügt über einen großen Erfahrungsschatz in Sachen Zwischennutzung, der sich sukzessive erweitert. Jede Zwischennutzung verläuft anders, wirft neue Fragen auf und reichert durch Bewältigen neuer Hürden das praktische und theoretische Wissen weiter an.
4. Fünf Erfahrungsschätze und Erfolgsfaktoren der ZZZ
4.1 Kollaborationen sind Gold wert
Im Mittelpunkt jeder Zwischennutzung stehen die beteiligten Menschen. Als ProjektinitiatorInnen, als handelnde AkteurInnen, aber auch als NachbarInnen, BesucherInnen oder einfach als BürgerInnen. Wenn diese Menschen in einem leer stehenden Raum, sei es auf einer Brache oder in einem Gebäude, gemeinsam träumen, denken, planen, wird der ungenutzte, einer vorherigen Funktion enthobene Raum zu einem Labor auf Zeit. Die Temporalität und Lokalität von Zwischennutzungen bieten die Chance, den Raum, Teamkonstellationen, Kooperationen und Rollenverteilungen zu erproben. Der transparente Dialog mit AnsprechpartnerInnen aus der Verwaltung und der Politik sowie die vertrauensvolle Kommunikation mit den EigentümerInnen ist Ausgangslage für eine Zwischennutzung, die alle Seiten zufriedenstellt.
4.2 Ein offener Planungsprozess eröffnet Teilhabemöglichkeiten
Die Projektumsetzung funktioniert nur, wenn sie im Einklang mit den NachbarInnen und AnwohnerInnen geschieht, wenn die Rücksichtnahme auf das Umfeld selbstverständliches Gebot ist. BesucherInnen und BürgerInnen wollen wissen, was in ihrer Stadt, in ihrem alltäglichen Umfeld passiert – je mehr im Vorfeld vermittelt wird, desto größer wird die Akzeptanz während der Projektumsetzung sein. Bei der Umsetzung des Projekts werden im Idealfall Anknüpfungspunkte für die Nachbarschaft geboten. Dabei können die Möglichkeiten zur Gestaltung der Teilhabe von einem Tag der offenen Tür über Flohmärkte, einem Workshop zur Zukunft des Gebäudes oder Areals, Flyern oder einer persönlichen Einladung zur Eröffnung des Projekts reichen.
4.3 DIY – Einfach machen
Der Wille der NutzerInnen, Räume selbst zu gestalten und zu verwalten, ist stark. Mit Motivation und Engagement werden Ideen im Austausch und Verbund mit Menschen verschiedener Professionen geplant und umgesetzt. Die Verantwortung für den eigenen Raum, bei gleichzeitiger Gestaltungsfreiheit, führt in der Regel zu einem leidenschaftlichen und unendlichen Einsatz für den Raum. Ohne die Vorgabe von Nutzungszwecken durch geldgebende Autoritäten oder städtische Institutionen werden Möglichkeitsräume erschlossen und Ideen umgesetzt, die vorher nicht vorstellbar waren. Im Handeln werden die ProjektorganisatorInnen zu ExpertInnen der genutzten Räume und der eigenen Idee. Rund um die Umsetzung werden Fähigkeiten zu Projektmanagement, Akquise und Öffentlichkeitsarbeit erworben und das handwerkliche Geschick und kreatives, querdenkendes Improvisationstalent herausgefordert. Das Aushandeln mit verschiedenen AnsprechpartnerInnen (EigentümerInnen, Politik, Verwaltung, Nachbarschaft, Sponsoren) und die Zusammenarbeit im Team fördern die Verhandlungssicherheit sowie die Offenheit für Kompromisse, Eingeständnisse und neue Räume.
Abbildung 5: Treffen zum EU Projekt REFILL im Rom (Foto: Daniela Patti)
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4.4 Gestaltungsfreiheit im institutionalisierten Rahmen
Zwischennutzungen sind immer ein Aushandlungsprozess zwischen den individuellen Wünschen und Erwartungen ihrer AkteurInnen (NutzerInnen und EigentümerInnen) und den Anliegen der Stadtgesellschaft. Für ihre Entfaltung brauchen die ZwischennutzerInnen ein Maximum an Freiheit, während Verwaltung und EigentümerInnen eine verlässliche Struktur anstreben. Zu dieser gehören Regelungen und Vorschriften, die für die Projekte ausgehandelt werden, und Verträge zur Absicherung als vertrauensbildender Schritt für die EigentümerInnen und als Schritt in Richtung Verantwortungsübernahme für die NutzerInnen. Hierzu gehört auch die Einbettung von Zwischennutzungen in Verwaltung und Politik als gelebte Praxis der dort handelnden AkteurInnen. Jedes Projekt kann nur so gut funktionieren, wie die in dem Projekt Handelnden dazu befähigt und ermächtigt werden, dieses umzusetzen. Zwischennutzungen entstehen und wachsen aus den Ideen und der Leidenschaft ihrer NutzerInnen, diesen muss die Möglichkeit gegeben werden, jene auszuleben und selbst zu gestalten.
4.5 Die mediale Öffentlichkeit wirkt als Katalysator
Die Akzeptanz von Zwischennutzungen hängt stark von ihrer Wahrnehmung in der Öffentlichkeit ab. Die Präsenz in den lokalen und sozialen Medien, die Bewerbung im Stadtteil und die Einladung der NachbarInnen erzeugen Neugier und Toleranz. Die Projektverantwortlichen gewinnen so neue UnterstützerInnen oder sogar MitstreiterInnen für die Projekte und sie haben die Möglichkeit, Feedback auf die Ideen zu bekommen. Öffentlichkeitsarbeit ist eine Möglichkeit, die eigene Meinung wirksam zu artikulieren und in den Austausch über unterschiedliche Nutzungsansprüche zu kommen. Um möglichst viele Menschen zu erreichen, sind diverse Wege nötig und möglich, wie die Verbreitung über FreundInnen und Netzwerke, die lokalen Zeitungen, die sozialen Medien, den Aufbau einer Internetseite oder das Führen eines Blogs, aber auch das Informieren per Flyer oder Plakaten. Je mehr StadtbewohnerInnen von der Projektumsetzung erfahren, desto präsenter wird das Projekt und der genutzte Raum rückt auf die mentale Karte der StadtbewohnerInnen.
5. Erfahrungsschätze aus der Praxis – StadtgestalterInnen am Werk
ZwischennutzerInnen öffnen temporär ungenutzte Orte oder widmen gleich den Zweck eines erbauten Orts um. Sie greifen damit aktiv in das Stadtleben ein. Je nach Einzelperson oder Gruppierung ist der Wille, die Nachbarschaft einzubeziehen oder nachhaltig urbane Wirkung zu erzielen, unterschiedlich hoch. Auch die Motivation der ProjektemacherInnen wechselt von Zwischennutzung zu Zwischennutzung. Als StadtgestalterInnen übernehmen sie Aufgaben an der Schnittstelle von Kunst, Kultur, Stadtentwicklung, politischem Aktivismus und Sozialer Arbeit und schaffen sich teilweise nicht nur einen eigenen Arbeitsort, sondern finden eine Berufung dazu.
5.1 Good practice Zwischennutzung: Bricolage Plantage
Eines der erfolgreich umgesetzten und unterstützten Zwischennutzungen ist das Projekt Bricolage Plantage (Plantage 9 e.V.) in Bremen-Findorff. Der stadteigene Gewerbeleerstand in der Plantage Nr. 9 bot sich aufgrund der unklaren weiteren Nutzungen für eine Zwischennutzung an. In dem Gebäude konnten ab Juli 2010 30 Raumsuchende einen Arbeitsplatz finden, die Spannbreite umfasste dabei Büro-, Atelier-, Werkstatt- als auch Lagerflächen. Neben der Unterstützung in akuten Fragen der Instandhaltung und Organisation des alltäglichen Miteinanders, war die ZZZ vor allem in Fragen der rechtlichen Formierung der NutzerInnen und als Begleiter des Verhandlungsprozesses mit der WFB – Wirtschaftsförderung Bremen als Eigentümerin des Gebäudes tätig. Als temporäre Zwischennutzung gestartet, ist die Plantage 9 aktuell ein verstetigter Ort der Kultur-und Kreativwirtschaft in Bremen, dessen Trägerverein die alltäglichen Anforderungen souverän meistert. Der Anspruch der ZZZ, als Experten Hilfe zur Selbsthilfe beim Ausprobieren zu leisten, ist aufgegangen.
5.2 Good practice DKP – Die Komplette Palette
Im Jahr 2016 baute Immo Wischhusen, gebürtiger Bremer und als FlowinImmO eine lebende Legende der deutschen Rapszene, auf dem bay-WATCH-Gelände im Hemelinger Hafen eine mobile Bühne aus Paletten: Die Komplette Palette (DKP). Als Rapper sonst eher auf professionellen Bühne zu Hause, plante und baute er mit Unterstützung von FreundInnen und Fans eine eigene Bühne, die vor allem SchülerInnen im Rahmen von Rap-Workshops und anderen MusikerInnen zur Verfügung stand. Die mobile Bühne stellte im Sommer 2016 einen Magneten in Hemelinger Hafen dar. Im Jahr 2017 zog die DKP ein Hafenbecken weiter und nutzt eine um vielfaches größere Landzunge an der Weser. Seit Mai 2017 arbeiten hier ununterbrochen ehrenamtliche QuartiersbewohnerInnen, u.a. die Jugendlichen aus dem sozialpräventiven Lernprojekt „Hemelinger Füchse“ und Freunde des Rappers an der Schaffung eines Möglichkeitsraums auf Zeit. Bis September 2017 bleibt die Palettenbühne mit den anderen fliegenden Bauten bestehen. Lokal bis überregional bekannte KünstlerInnen nutzen die Bühne. Der bisher nur von HundebesitzerInnen genutzte Weserstrand auf der Landzunge im Industriegebiet wird nun regelmäßig von einem gemischten Publikum angesteuert.
Abbildung 6: DKP – Die Komplette Palette (Foto: Daniel Schnier)
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5.3 Good practice: Tempel Hop on/off Space.
Wenn Zwischennutzungen als Plattformen wirken und viele Menschen sowohl als ProduzentInnen als auch als KonsumentInnen einladen, dann erfüllen sie ihren Zweck. So geschieht es im Juli/August 2017 in der Bremer Neustadt. Dieses Quartier verändert sich aktuell rasch: Selbstorganisierte Kneipen und Cafés mit Flohmarktmöbeln sprießen aus dem Boden. Die (sub-)kulturellen Netzwerke sind gut organisiert und leerstehende Ladenlokale gehen weg wie warme Biobrötchen. Braucht es da noch Zwischennutzungen in der Neustadt? Ja, findet die ZZZ. Denn gerade in Quartieren, in denen Gentrifizierungsprozesse rasch voranschreiten, ist es wichtig, Räume zu teilen und zu öffnen. Viele ProjektemacherInnen fragen gerade nach Räumen auf Zeit zu günstigen Mieten in diesem zentralem und beliebten Viertel bei der ZZZ. Mit dem Tempel Hop on/off Space nutzt Judith Reischmann das zuvor leerstehende Ladenlokal für sechs Wochen als Kunstgalerie: Jeden Dienstag findet eine Vernissage statt – es stellen nur Bremer Künstlerinnen aus. Lesungen, Musik und Kunst sind ohne Eintritt zu genießen, Bier und Brause können gegen Spende erstanden werden. An zwei Tagen in der Woche finden Yogakurse gegen Spende statt. Reischmann öffnet den Raum auf Zeit als unkommerziellen Kommunikationsort, bevor der neue Mieter sein Einzelhandelskonzept dort umsetzen wird.
https://www.facebook.com/Tempel-hop-onoff-space-103399476979228/
Abbildung 7: Tempel (Foto: Daniel Schnier)
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6. Zwischennutzungen für alle
Neben den temporären Zwischennutzungen, die tage- oder wochenweise auf- und wieder zuploppen, versucht die ZZZ verstärkt Plattformen zu schaffen, die nachhaltig wirken. Wie in den obigen Beispielen beschrieben, öffnet die ZwischenZeitZentrale am liebsten Räume, die von vielen Menschen genutzt werden können. Es geht nicht in erster Linie um das hippe Element des Temporären im urbanen Raum im Sinne von Pop-up-Stores bekannter Firmen. Auch versucht die ZZZ, Zwischennutzung nicht nur als Instrument der Stadtentwicklung zu verbreiten. Zwischennutzungen können als Instrument der Stadtentwicklung Orte und Nutzungskonzepte erproben, sie sollten jedoch nicht instrumentalisiert als Katalysatoren von Gentrifizierungsprozessen mit voraussagbaren Ergebnissen eingesetzt werden. Denn das Potential von Zwischennutzungen liegt gerade in den nicht vorhersehbaren Auswirkungen. Zwischennutzungen ermöglichen das gezielte Experimentieren auf Zeit in unbekannten Räumen, in neuen Gruppierungen. Experimentelle Situationen sind der Standard bei Zwischennutzungen. Und doch ist es häufig ein bestimmter Kreis an Menschen (vor allem aus der kreativen, weißen Mittelschicht mit akademischen Hintergrund), welche die Möglichkeiten von Zwischennutzung nutzen. Wie lassen sich die positiven Effekte auf andere Nutzungsgruppen erweitern? Wie kann die Öffnung von Räumen, wenn auch auf Zeit, zu einem wahrhaft demokratischen Zugang zu Stadtgestaltungsprozessen führen?
7. Urbane Labore als Antwort auf urbane und soziale Herausforderungen
Die Herausforderungen für Stadtgesellschaften sind aktuell hoch: Europaweit stehen Kommunen vor der Aufgabe, geflüchtete Menschen angemessen willkommen zu heißen und sie beim Aufbau einer neuen Heimat zu unterstützen. Als Neuankommende müssen sie die Möglichkeit haben, am stadtgesellschaftlichen Leben ebenso teilzunehmen wie alteingesessene Nachbarschaften. Viel zu oft sind Geflüchtete in provisorischen Unterkünften, ehemaligen Kasernen oder in Containerdörfern am Stadtrand untergebracht. Hier haben sie kaum die Möglichkeit, ihr Recht auf Stadt und Zentralität wahrzunehmen und die eigene Alltagsumgebung zu gestalten. Vor diesem Hintergrund sind Projekte wie das Grandhotel Cosmopolis in Augsburg oder das Bellevue di Monaco in München Leuchttürme der urbanen und sozialen Inklusion. In beiden Projekten wurden ehemalige Leerstände von KünstlerInnen und aktiven Netzwerken in Räume gelebter Integration umgewandelt. Hier treffen Geflüchtete und NachbarInnen aufeinander und bilden neue Gemeinschaften, wohnen und arbeiten zusammen.
Die Schaffung solcher Urbanen Labore auch in Bremen ist das Ziel der ZZZ in den kommenden Jahren. Urbane Labore, das sind multifunktionale Möglichkeitsräume in neuen Nachbarschaften: Sie verknüpfen die Funktionen Arbeiten, Wohnen, Qualifizieren und bieten darüber hinaus Raum zum Kennenlernen und Austauschen. Sie stellen günstig Büro- und Arbeitsräume zur Verfügung, die von Geflüchteten und GründerInnen aus dem Quartier genauso genutzt werden wie von Unternehmen und Start-Ups der Bremer Kultur- und Kreativwirtschaft. Urbane Labore bilden Schnittstellen für bestehende und neu geschaffene Kultur- und Bildungsangebote im Stadtteil.
Die Finanzierungsmodelle, die ein Urbanes Labor ermöglichen, sind unterschiedlich. Eine Gastronomie ist als subventionierender Ankermieter ebenso denkbar wie das Gründen einer Sozialgenossenschaft. Voraussetzung für die Umsetzung eines Urbanen Labors ist es, dass die heterogenen NutzerInnen die Grundidee des Urbanen Labors gemeinsam leben. Das Projekt verläuft als eigenverantwortliche Aneignung, in der die Perspektiven der unterschiedlichen NutzerInnen (Geflüchtete, NachbarInnen, BürgerInnen, StadtplanerInnen, GeschäftsgründerInnen, PolitikerInnen und AktivistInnen) als MitgestalterInnen ihren Platz finden. Das Urbane Labor wird zum laufenden Experiment zur Stadtgestaltung.
7.1 Das EU-Projekt REFILL als Feedbackmaschine
Mit der Idee von Urbanen Laboren als Weiterentwicklung der bisherigen Zwischennutzungsstrategien beteiligt sich Bremen seit 2013 dem URBACT III-Projekt REFILL (Reuse of vacant spaces as driving force for innovation on local level). Mit zehn anderen europäischen Städten, die alle Erfahrungen mit Zwischennutzungen gesammelt haben, werden Konzepte zur Übertragung von Zwischennutzungseffekten diskutiert. Insbesondere werde neuartige Governance-Konstellationen hinsichtlich der Zwischennutzung leerstehender Flächen und Gebäude im europäischen ExpertInnenkontext in den Fokus gerückt.
Besondere Beachtung bekommt vor allem die Frage, inwieweit urbane Projekte (wie z.B. Zwischennutzungsprojekte), die von BürgerInnen angestoßen sind und von intermediären AkteurInnen befördert und unterstützt werden, für Diskussion, Innovation oder gar Umstrukturierung in der Administrationsebene sorgen können. Eine weitere Frage ist, wie RaumagentInnen (also z.B. Zwischennutzungsagenturen oder Netzwerke, die sich professionalisiert haben in der Umsetzung urbaner Projekte) auch für andere Nutzungsgruppen abseits der hochqualifizierten, kreativen Mittelschicht demokratische Beteiligungsmöglichkeiten in Stadtentwicklungsprozessen schaffen können, z.B. durch Zugang zum Raum oder durch Expertise.
Die genannten europäischen Netzwerke bergen viele fruchtbare Synergien jenseits eines einfachen Wissenstransfers. Das URBACT II-Programm REFILL ist so strukturiert, dass sowohl auf lokaler Ebene mit interessierten BürgerInnen diskutiert wird, als auch auf europäischer Ebene. In der Umsetzung der bremischen Idee eines Urbanen Labors deutet das EU-Projekt eine stetige Rückkopplung der europäischen Erfahrungen mit den eigenen Schritten. Zu vielen lokalen Herausforderungen lassen sich Praktiken aus den Partnerstädten übertragen. Beispielsweise inspirierte Athen mit Erfahrungen zur Unterstützung von Selbstorganisationsprozessen und Gent regte mit innovativen Fördermitteln kultureller und sozialer Projekte neue Gedanken zur Planung eines bremischen Urbanen Labors bei.
https://refillthecity.wordpress.com
7.2 Prototype eines Urbanen Labors: WURST CASE
Die Umsetzung eines Urbanen Labors ist ein partizipativer Prozess, der schrittweise vollzogen wird. Mit der Transformation einer ehemaligen Wurstwarenfabrikation probiert das Autonome Architektur Atelier aktuell verschiedene Formate aus:
Seit dem 1. April 2015 brennen wieder die Lichter im ehemaligen Verwaltungsgebäude der Könecke Wurstwarenfabrikation GmbH in Bremen-Hemelingen. Das vierstöckige Gebäude wird kleinteilig untervermietet: Über 40 GestalterInnen, KünstlerInnen, MusikerInnen, FilmemacherInnen und andere Freischaffende bilden die kreative Nutzungsgemeinschaft im WURST CASE. Mit der temporären Nutzung ist wieder Leben in den seit Anfang 2014 leerstehenden Verwaltungstrakt eingezogen – die Verarbeitungshallen stehen bereits seit 2012 leer. Hinter und neben dem Verwaltungstrakt erstrecken sich die ehemaligen Fertigungs- und Logistikhallen des Unternehmens auf circa 45.000 m².
Abbildung 8: WURST CASE (Foto: Daniel Schnier)
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Der WURST CASE ist eine experimentelle Antwort auf die Frage nach dem Umgang mit brachliegenden Industrieflächen. In Kooperation mit den lokalen AkteurInnen aus Politik, Wirtschaft, mit Hemelinger Kulturinitiativen, lokalen Institutionen und der Nachbarschaft werden partizipative Angebote mit den StadtteilbewohnerInnen umgesetzt. Gerade im Zusammenhang mit dem Zuzug geflüchteter und somit ankommender Menschen im Stadtteil erreicht ein kollaborativer Ort wie der WURST CASE – der soziale Impulse mit dem Ziel der urbanen und sozialen Inklusion verspricht – ein neues Level an Bedeutung. Offenheit, Ausprobieren, Kollaborieren sind weiterhin die Schlüssel in der Herangehensweise der AAA GmbH. BesucherInnen sind jederzeit herzlich willkommen!
http://www.wurstcase-hemelingen.de
Zitiervorschlag
Angenendt, Anne, Oliver Hasemann und Daniel Schnier (2017): Das Autonome Architektur Atelier (AAA) Bremen: Einfach probieren –Zwischennutzungen und die Öffnung von Räumen für eine demokratische Stadtgesellschaft. In: sozialraum.de (9) Ausgabe 1/2017. URL: https://www.sozialraum.de/das-autonome-architektur-atelier-aaa-bremen.php, Datum des Zugriffs: 21.12.2024