Die Nadelmethode 2.0 als Werkzeug für Projektarbeit zu sozialräumlicher Partizipation und Medienpädagogik

Irene Dummer, Manuel Malcherowitz, Jens Weck

1. Einleitung

Seit Mitte der 1990er Jahre erhält das Internet kontinuierlich Einzug in Institutionen und Haushalte und damit in das alltägliche Leben der Menschen. Mittlerweile verfügen knapp 80 Prozent aller deutschen Haushalte über einen Internetanschluss (vgl. destatis 2015b), ebenso viele Jugendliche ab zehn Jahren haben im ersten Quartal 2014 das Internet genutzt (vgl. destatis 2015a). Diese Entwicklung deutet darauf hin, dass virtuelle Räume zunehmend an Bedeutung gewinnen und Teil der Lebenswelt vieler Menschen werden und bereits geworden sind. Soziale Räume befinden sich heute nicht mehr nur in der materiell-physischen Umwelt, sondern haben sich um jene des Internets (virtuelle Räume und Welten) erweitert. Daher sollte eine Sozialraumanalyse diese digitalen Sozialräume mit einbeziehen. Umso erstaunlicher ist es jedoch, dass in der professionellen wie disziplinären Sozialen Arbeit diese (noch) recht wenig Beachtung finden.

Im Rahmen des vorliegenden Textes soll auf Grundlage der bestehenden sozialräumlichen Erhebungsmethode der Nadelmethode (Deinet/Krisch 2009) eine Nadelmethode 2.0 dargestellt werden, die diese um die mit dem virtuellen Raum entstandenen Möglichkeiten erweitert und in den selbigen verlagert. So soll nicht nur die Attraktivität der Methode bei der zumeist jugendlichen Zielgruppe sondern auch der Erkenntnisgewinn erhöht werden.

Im Folgenden stellen wir dar, wie die Nadelmethode 2.0 durchgeführt wird und erläutern dies auch an einem Beispiel. Wir erörtern dabei auch die Frage, wie partizipativ diese weiterentwickelte Nadelmethode ist und beziehen auch datenschutzrechtliche Aspekte in unsere Überlegungen mit ein.

Unsere Weiterentwicklung der Nadelmethode basiert auf dem seit Anfang der Nullerjahre entstehenden Web 2.0. Die Existenz des Web 2.0 setzt zunächst einmal das Bestehen des Web 1.0 voraus. Die beiden unterscheiden sich durch ihre unterschiedlichen Kommunikationswege. Charakteristisch für das Web 1.0 sind die one-to-one- und one-to-many-Kommunikation, wie sie seit Beginn der 1990er Jahre bis Anfang des 21. Jahrhunderts üblich waren. Institutionen und Einzelpersonen präsentierten sich zunehmend mittels eigener Homepage im Internet (one-to-many). Seither gibt es kaum ein Unternehmen, einen Verein oder eine Partei ohne eigene Internetpräsenz. Der klassische Brief wurde zunehmend von E-Mails, der kostengünstigeren und schnelleren elektronischen Variante, abgelöst (one-to-one).

Anfang der Nullerjahre vollzog sich ein Paradigmenwechsel im Internet hin zu einer many-to-many- und many-to-one-Kommunikation. Kennzeichnend hierfür sind die Möglichkeiten, für Nutzer selbst Inhalte zu erstellen, publizieren und zu teilen, sich mit anderen Usern zu vernetzen und mit ihnen in Kontakt zu treten. Der passive Internetanwender, der bisher hauptsächlich Informationen konsumierte, konnte nun eine aktive Rolle übernehmen und selbst agieren. Es öffneten sich für ihn zunehmend Partizipationsmöglichkeiten. Diese Entwicklung bot das Fundament für die sog. sozialen Netzwerke, wie beispielsweise Facebook oder Twitter (vgl. Kneuer 2013: 10). „Solche Angebote, bei denen sich die traditionellen Trennungen zwischen Konsumenten und Produzenten, Information und Kommunikation, Professionalität und Amateurtum vermischen, werden mit den Schlagworten Web 2.0 oder Social Media überschrieben“ (Muuß-Merholz 2011: 1).

2. Die Nadelmethode 2.0

Der Grundgedanke der Nadelmethode 2.0 ist die Verlagerung der klassischen Nadelmethode, die Ulrich Deinet und Richard Krisch (vgl. Deinet/Krisch 2009) im Rückgriff auf frühere Versionen von Norbert Ortmann entworfen haben, in den virtuellen Raum.

Bei der Nadelmethode 2.0 steht den Teilnehmenden ein auf bereits bestehenden Kartendiensten basierendes Programm zur Verfügung, das ihnen die Möglichkeit gibt Orte/Plätze mit verschiedenen Farben und Formen zu markieren, deren jeweilige Bedeutung vorab gemeinsam mit den Mitarbeitern festgelegt wird. Zur Qualitätssicherung kann mit Hilfe einer Feedbackfunktion, bei der Rückmeldungen auch anonym abgegeben werden können, das Programm kontinuierlich optimiert werden.

Mit Hilfe von verschiedenen programmimmanenten Erweiterungen (bspw. Kommentarfunktion, Möglichkeit, eigene Bilder zu verlinken und teilen) besteht die Möglichkeit, Markierungen zu personalisieren und direkt online in Austausch mit anderen Nutzern zu treten. Ein Austausch vor Ort ist jedoch unerlässlich, da in solch einem entanonymisierten, persönlichen Rahmen Gespräche und Diskussionen erfahrungsgemäß von höherer Qualität zeugen. Auch ist die Hemmschwelle, Nachfragen zu stellen, in solch einem Rahmen zumeist niedriger.

2.1 Durchführung der Nadelmethode 2.0 in der Praxis

Verwendung einer Social Media Map zur Gewinnung eines Vorab-Überblicks
Angesichts der Vielzahl der möglichen Plattformen, die junge Menschen nutzen, gilt es vorab zu erkunden, in welchen digitalen Sozialräumen sich die Befragten aufhalten, sei es etwa in privaten sozialen Netzwerken wie Facebook, Bildertauschplattformen wie Instagram, Blogs oder Wikis. Einen guten Überblick liefert die „ Social Media Map“ der Plattform ovrdrv.com. Diese wurde eigentlich für das Gewinnen eines Überblicks für Aktivitäten des Online-Marketings erstellt, kann aber kostenfrei verwendet werden und für die Kinder- und Jugendarbeit einen guten Überblick über die verschiedenen Plattformen des Web 2.0 bieten.

Auch hier gilt, wie bei anderen sozialräumlichen Erhebungsmethoden auch: will man etwas über das Nutzungs- und Aneignungsverhalten junger Menschen herausfinden, ist das Gespräch unerlässlich. Auch aufgrund der vielen verschiedenen Cluster mit ihren diversen zugeordneten Diensten ist es notwendig, die Jugendlichen bei der Markierung ihrer virtuellen Orte zu unterstützen.

Aufwärm- und Erkundungsphase:
Zu Beginn der eigentlichen Durchführung der Nadelmethode 2.0 bedarf es einer Aufklärung, wozu die Erhebung gemacht wird (Fragestellung und Ziele). Auch die Nadelmethode ist nicht immer unweigerlich niederschwellig und selbsterklärend, schließlich werden hier auch sensible Daten erhoben, etwa geheime Treffpunkte oder persönliche Aktivitäten. Die Befragten müssen entsprechend wissen, mit welchem Ziel die Daten erhoben werden und was mit ihren Daten passieren wird, wer Zugriff darauf haben wird und wo diese abgelegt werden sollen.

Zudem ist eine gewisse Vertrauensbasis notwendig, damit die Befragten offen über ihre Sozialräume erzählen. Und um mit den erhaltenen Informationen gut umgehen zu können, erfordert die Nadelmethode 2.0 darüber hinaus noch grundlegende Kompetenzen im Umgang mit neuen Medien.

Die durchführenden „ForscherInnen” müssen sich daher Zeit nehmen, um den Teilnehmenden die verschiedenen Funktionen und Möglichkeiten des Programms zu erklären sowie sie über datenschutzrechtliche Bestimmungen aufzuklären. Werden zur Durchführung der Methode von den teilnehmenden Personen keine eigenen Endgeräte genutzt (etwa eigene Smartphones), gilt es, den Umgang mit den von der Einrichtung zur Verfügung gestellten Geräten (bspw. Tablets) zu erläutern.

Pin-Phase:
Wurden bei der ursprünglichen Nadelmethode 1.0 zusammen mit den Beteiligten Nadeln auf einem Stadtplan auf Papier platziert, hat bei der weiterentwickelten Variante 2.0 nun jeder Teilnehmende seine eigene digitale Karte. Für den Einstieg empfiehlt es sich, zusammen mit allen Teilnehmenden einen Ort exemplarisch zu markieren und kommentieren, Bilder hochzuladen und andere Funktionen auszuprobieren, um die wichtigsten Fragen bereits vorab zu klären und einen möglichst reibungslosen Ablauf zu gewähren. Unerlässlich ist hierbei ein fester Ansprechpartner für die Teilnehmenden, an den sie sich bei aufkommenden Fragen oder Problemen vertrauensvoll wenden können.

Damit die Nadelmethode ihren qualitativen Charakter nicht verliert, müssen Orte nicht nur markiert, sondern diese auch besprochen werden. Dabei reicht eine Kommunikation über die im Programm integrierte Kommentarfunktion und über soziale Netzwerke nicht aus. Ein regelmäßiger Austausch und Diskussionen zwischen Beteiligten und Fachkräften, etwa in der durchführenden Einrichtung (bspw. Jugendhaus), sind fester Bestandteil der Methode. Hierdurch sowie durch eine entsprechende Fragestellung erhält sie einen aktivierenden Charakter. Wie die Durchführung der Nadelmethode 2.0 in der Praxis aussehen kann, soll im Folgenden an einem (fiktiven) Beispiel dargestellt werden.

2.2 Ein Umsetzungsbeispiel

Um Einblicke in die Lebenswelt der Jugendlichen zu gewinnen, wollen die MitarbeiterInnen eines Jugendhauses herausfinden, an welchen Orten sich die Jugendlichen außerhalb der Einrichtung aufhalten (Freizeitorte, informelle Treffpunkte etc.) und welche sie meiden. Mit Hilfe der hierdurch gewonnenen Daten und Erkenntnisse sollen bestehende Angebote optimiert oder neue geschaffen sowie eine Gesprächsgrundlage mit kommunalpolitischen Entscheidungsträgern erreicht werden.

Die MitarbeiterInnen entscheiden sich aufgrund der verschiedenen Vorteile für die Nadelmethode 2.0. Da sie jedoch keine Kenntnis über die Funktionsweisen des Programms haben, erklärt sich ein Kollege eines anderen Jugendhauses, ein Medienpädagoge, bereit, eine Einführung zu geben.

Die durchführende Einrichtung verfügt zwar über einen kleinen Computerraum mit zwei PCs aber nicht über mobile Endgeräte. Die Durchführung der Nadelmethode 2.0 wäre auch mit diesen Computern möglich. Jedoch sind Tablets, Smartphones etc. für die meisten Jugendliche wesentlich attraktiver und im Hinblick auf die Umsetzung der Methode praktischer, da portabel. Somit leihen sich die zuständigen Sozialarbeiter einige Tablets von anderen Einrichtungen aus.

Als Teilnehmende konnte eine Gruppe von sieben Jungen und Mädchen im Alter von 14-15 Jahren gewonnen werden, die seit etwa zwei Jahren regelmäßig die Einrichtung besuchen und ein als gut zu bezeichnendes Verhältnis zu den Mitarbeitern haben.

In gemütlicher Runde wurden die Teilnehmenden über den Untersuchungsgegenstand, das Programm, datenschutzrechtliche Bestimmungen sowie den geplanten Ablauf informiert. Da nur zwei der Jugendlichen keine internetfähigen Smartphones besitzen, werden diese mit Tablets ausgestattet. Durch die Verfügbarkeit von kostenlosem WLAN in der Stadt entstehen für die Jugendlichen keine zusätzlichen Kosten. Während der Projektdauer treffen sich Mitarbeiter und Teilnehmer zu festen, regelmäßigen Terminen, um sich auszutauschen. Bei aufkommenden Fragen können die Betreuer auch jederzeit im Jugendhaus aufgesucht werden.

Die Jugendlichen markieren Orte und Plätze, denen sie eine bestimmte Bedeutung beimessen, etwa informelle Orte an denen sie sich treffen oder Orte die sie meiden. Ein Jugendlicher legt sich beispielsweise den Nicknamen Skater02 zu, unter dem er das Programm nutzt.

Beispiel
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Wie einige andere aus der Gruppe auch, markiert er zwei Bänke als festen Treffpunkt seiner Clique und postet zu diesem Ort ein selbst aufgenommenes Bild inklusive Kommentar. Darüber hinaus teilt er dieses Bild über Google+ mit weiteren Freunden. In den Diskussionen über das soziale Netzwerk sowie vor Ort im Jugendhaus mit den zuständigen SozialarbeiterInnen entwickelt sich der Wunsch nach einem Unterstand, um den Treffpunkt auch bei schlechtem Wetter aufsuchen zu können. Motiviert mit Hilfe der Mitarbeitenden und den über das Internet zusätzlich motivierten Jugendlichen einen solchen bei der Kommune einzufordern, entwickelt sich hieraus ein weiteres Projekt. Darüber hinaus haben die InitiatorInnen Erkenntnisse über die Lebenswelt der Jugendlichen gewinnen können, die nach Auswertung der Daten die Grundlage für weitere Aktionen bilden.

2.3 Partizipationsmöglichkeiten

Die Nadelmethode 2.0 eignet sich sehr gut für Projekte mit Partizipationsanspruch. An Definitionen, Auffassungen und Standpunkten zu dem, was sich hinter dem Begriff „Partizipation“ verbirgt, mangelt es in der einschlägigen Fachliteratur nicht. So definiert beispielsweise Jaun (zit. n. Moser 2010: 226) Partizipation in der Kinder- und Jugendarbeit wie folgt: „Partizipation von Kindern und Jugendlichen ist die verbindliche Einflussnahme von Kindern und Jugendlichen auf Planungs- und Entscheidungsprozesse, von denen sie betroffen sind, mittels ihnen angepasster Formen“. Ausgehend von dieser Definition wird deutlich, dass die oft synonym verwendeten Begriffe „Partizipation“ und „Teilnahme“ aus rein etymologischer Sicht eng miteinander verknüpft sind, sich inhaltlich jedoch unterscheiden. Partizipation umfasst mehr als Kinder und Jugendliche lediglich teilhaben zu lassen und ihnen ein Anhörungsrecht einzuräumen. Erst wenn sie aktiv an Entscheidungen, die sie betreffen, mitwirken dürfen, kann von Partizipation im engeren Verständnis gesprochen werden (vgl. Moser 2010: 75). Im Zentrum steht hierbei, dass Kinder- und Jugendliche einerseits die Erfahrung machen, eine wichtige Rolle in und für die Gesellschaft in der sie leben zu spielen und andererseits, dass sie diese auch selbst und aktiv mitgestalten können.

Jaun betont in seiner Definition die Wichtigkeit von Partizipationsformen, die den Kindern und Jugendlichen „angepasst“ sind. Wir verstehen hierunter lebensweltnahe Beteiligungsformen, die der Zielgruppe als attraktiv erscheinen, zur Teilnahme motivieren und zielführend sind.

Reflektiert man nun Lebensweltbezug – einen Grundpfeiler in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen sowie der Sozialen Arbeit im Allgemeinen – im Kontext der zunehmenden gesellschaftlichen Mediatisierung, müssen hier auch virtuelle Räume mitgedacht werden. Sie nehmen eine wachsende Bedeutung in der Entwicklung junger Menschen ein und können, ebenso wie reale Räume, der Identitätsbildung und als Aktionsräume für soziale Beziehungen und gesellschaftliche Teilhabe dienen. Daher erscheint es zweckmäßig, diese Räume nicht nur aus rein technologischer Sicht zu betrachten, sondern als Sozial- und Lebensräume mitzudenken (vgl. Brüggen/Ertelt 2011: 5). Dahingehend gewinnt ePartizipation zunehmend an Bedeutung in der praktischen Kinder- und Jugendarbeit. Im weitesten Sinne kann hierunter „jede Form der Beteiligung an elektronischen Medien verstanden werden“ (BMGFJ 2008: 3).

Die Nadelmethode 2.0 versucht eine solche „angepasste“ Partizipationsform darzustellen. Durch die Möglichkeiten, sowohl über eine Online-Plattform zeit- und ortsunabhängig Orte/Plätze zu markieren, kommentieren, in gegenseitigen Austausch zu treten etc. oder vor Ort, etwa im Jugendhaus, selbständig oder unter Anleitung zu agieren, werden Kinder und Jugendliche stärker in Gestaltungs- und Entwicklungsprozesse involviert und als ExpertenInnen ihrer Lebenswelt sichtbar.

Trotz dieser Vorteile muss beachtet werden, dass ePartizipation nicht nur Chancen für ein Mehr an Partizipation bietet, sondern auch exkludierend wirken kann. So setzt diese Form der Beteiligung neben einem ökonomischen Mindeststandard auch einen entsprechenden Bildungshintergrund voraus. Damit führt allein die Verlagerung von Partizipationsprojekten ins Internet nicht automatisch zu einer zielgruppengerechteren Partizipationsform. Sie bietet hierfür aber Möglichkeiten, die in gute Angebote integriert werden können. Dem Deutschen Bundesjugendring (DBJR) folgend muss ePartizipation „(…) Auseinandersetzung bieten, Lebensweltbezug herstellen, eine Positionierung ermöglichen, Bewertungen erlauben, Feedbackschleifen einplanen, Transparenz und Informationen bieten und wirksame Ergebnisse erzielen, mit denen Einfluss auf Entscheidungen genommen werden kann“ (DBJR 2012: 2).

Wie partizipativ ist die Nadelmethode 2.0?

Im folgenden Schritt soll nun erörtert werden wie partizipativ die Nadelmethode 2.0 ist. Hierfür wurden auf Grundlage der Definition des DBJR folgende Kategorien festgelegt:

Angesichts dieser Kriterien kann die Nadelmethode 2.0 durchaus als partizipative Methode verstanden werden. Allerdings bedeutet dies nicht, dass sie zwangsläufig partizipativ sein muss. Dieser Effekt hängt zu einem Großteil von den durchführenden Mitarbeitern vor Ort und ihren Haltungen und Handlungen ab.

2.4 Medienkompetenz und Datenschutz

Jenseits der partizipations- und lebensweltorientierten Möglichkeiten kann die Nadelmethode 2.0 auch sehr gut dafür eingesetzt werden, als medienpädagogisches Angebot zentrale Aspekte von Medienkompetenz und einem reflektierten Umgang mit Datenschutzkriterien zu vermitteln. Während auf Plattformen, wie Facebook jeder freiwillig seine Daten hinterlässt, sammeln Anbieter wie Google auch jene Informationen, die unfreiwillig hinterlassen werden. Durch das Web 2.0 wird diese Herausforderung verstärkt. Jede Person, die einen Youtube-Kanal besitzt, besitzt zwangsläufig ein Google Konto und ist auf Google+ angemeldet. Das „Mitmach-Internet“ macht es möglich. Ich hinterlasse auf diesen Diensten immer etwas, eventuell freiwillig, aber auch immer wieder unfreiwillig (vgl. Reischl 2008: 29).

Mit der Nadelmethode 2.0 kann diese Thematik anhand eines konkreten und direkten Beispiels thematisiert werden. Jugendliche sind unmittelbar mit der Frage des Umgangs und der Preisgabe ihrer persönlichen Daten konfrontiert und können in der Gruppe diskutieren, wie sie damit umgehen wollen und welche persönlichen Belange hier relevant werden. Dabei kann auch Wissen über den aktuell stattfindenden Umgang mit Daten bei Anbietern vermittelt werden. Einige Überlegungen hierzu sollen im Folgenden am Beispiel der Firma Google erörtert werden.

Grundsätzlich vertritt Google die Position, dass kein Mensch persönliche Daten preisgeben müsse, wenn er z. B. mit ihrer Suchmaschine im Internet sucht. Das Problem besteht jedoch darin, was unter persönlichen Daten verstanden wird. Das ist nicht nur von den verschiedenen Personen und ihrer Nutzung von Google Diensten abhängig, denn Informationen fallen immer an. Bis Anfang Juni 2008 hatte Google keine „Privacy Policy“ auf seiner Startseite. Dort findet man normalerweise die Datenschutz Hinweise (vgl. ebd.: 30).

Der „Google-Trick“ besteht aus dem „Nehmen-Geben-Prinzip“. Die Firma stellt Dienste kostenlos zur Verfügung, nimmt dafür aber die Daten des Nutzers. Durch maßgeschneiderte Werbung werden die Werbeeinnahmen erhöht. Da Google sich nach außen hin als sehr freundlich und offen darstellt, ist das Vertrauen der NutzerInnen in die Firma meist sehr hoch. Neben den Gratis-Diensten produziert Google jede Menge Patente. Die Ideenmaschine läuft auf Hochtouren, um sich ein gigantisches Stück der IT-Zukunft zu sichern. Die Übernahme von Firmen in allen möglichen Bereichen trägt ebenfalls zu dieser Sicherung bei (vgl. ebd.: 31). Wenn Google zum Datensammlerkönig wird, hat Google eine Monopolstellung und kann selbst entscheiden, was mit den Informationen passiert oder nicht. Google könnte diese Daten manipulieren oder sogar streichen und somit auch resultierende Erkenntnisse oder Wissen (vgl. ebd.: 22; 34-36).

Google strebt nach dem semantischen, nach dem personalisierten Web. Die Suchmaschine verwandelt sich in einen Suchassistenten, der Ergebnisse liefert, die genau auf die suchende Person zugeschnitten ist. Dafür muss Google auf einen Pool von Daten über den User zugreifen, die der Konzern vorher über Suchanfragen und andere Dienste wie Google+ gesammelt hat (vgl. ebd.: 41-43).

Diese Informationen fügt Google dann zusammen (vgl. Google Inc. 2015: 3). Dort heißt es genau: „Unter Umständen verknüpfen wir personenbezogene Daten aus einem Dienst mit Informationen und personenbezogenen Daten aus anderen Google Diensten. Dadurch vereinfachen wir Ihnen beispielsweise das Teilen von Inhalten mit Freunden und Bekannten. […]

Bevor wir Informationen zu anderen als den in dieser Datenschutzerklärung aufgeführten Zwecken nutzen, werden wir Sie um Ihre Einwilligung bitten.

Google verarbeitet personenbezogene Daten auf unseren Servern, die sich in zahlreichen Ländern auf der ganzen Welt befinden. Daher verarbeiten wir Ihre personenbezogenen Daten gegebenenfalls auf einem Server, der sich außerhalb des Landes befindet, in dem Sie leben“ (Google Inc. 2015: 3).

Im ersten Absatz versucht Google das Sammeln und Zusammenführen von Daten dem Nutzer gut zu verkaufen. Es steckt aber wesentlich mehr dahinter. Das Interesse am semantischen Web wird hier noch einmal deutlich, wenn auch von Google freundlich dargestellt.

Im letzten Absatz wird auf die zahlreichen Server verwiesen, die Google weltweit betreibt. Für diese Server gilt das jeweilige Landesrecht. Es ist daher unwahrscheinlich, dass komplett überwacht werden kann, ob z. B. ungewollte Nutzerprofile wirklich komplett aus dem Netz verschwinden oder doch noch irgendwo gespeichert und abrufbar sind.

3. Fazit

Ein sehr nützlicher Aspekt dieser webbasierten Methode ist die Vergleichbarkeit, auch über längere Zeiträume hinweg. Digitale Karten erleichtern dies, wenn die Methode nach einer bestimmten Zeit nochmals durchgeführt wird. Hieraus könnte etwa bei baulichen Veränderungen an bestimmten Orten/Plätzen aufgezeigt werden, wie sich diese Eingriffe auf die Sozialräume von Kindern und Jugendlichen ausgewirkt haben. Die Ergebnisse aus den Karten können sehr gut in Projekte mit Partizipationscharakter integriert werden und für weitere Aktivitäten in diesem Bereich genutzt werden.

Als weitere Ebene können medienpädagogische Ansätze im Rahmen der Durchführung der Nadelmethode 2.0 mit integriert werden. So könnten Projekte zur Förderung der Medienkompetenz flankierend initiiert und Personen, die vorher etwa aufgrund von Unerfahrenheit den neuen Medien eher ängstlich gegenüberstanden, an solche herangeführt werden. Erfahreneren Teilnehmenden hingegen kann mehr Verantwortung übertragen werden, in dem sie zusätzlich zu Administratoren zur Verwaltung des Programms ernannt werden (hier gilt es, datenschutzrechtliche Bestimmungen zu beachten!) und weniger erfahrenere zu unterstützen und bei Fragen zur Verfügung stehen.

Positiv an der Methode ist, dass sie nicht rein virtuell ausgeführt wird, sondern feste Termine für den persönlichen Austausch untereinander und mit den Professionellen zur Verfügung stehen. Für die Authentizität der TeilnehmerInnen ist ein gutes Vertrauensverhältnis zwischen Gruppe und den Professionellen weiterhin vonnöten. Des Weiteren ist die Methode mobil und damit überall und jederzeit nutzbar. Verschiedene Zugriffs- und Sharefunktionen erweitern damit die neue Methode gegenüber der klassischen. Jugendliche können sich ihre Bearbeitungszeit selbst wählen.

Die neue Methode ist viel leichter zu handhaben, da keine großen Karten mehr benutzt werden müssen und mehr Funktionen direkt zur Verfügung stehen, wie zum Beispiel das Markieren von ganzen Gegenden mit wenigen Klicks statt mit Nadeln und Gummis. Durch Erweiterung der Nadelmethode 2.0 mit der Social Media Map werden auch virtuelle Räume und der Aufenthalt in Ihnen darstellbar. Durch die Verfügbarkeit und die Sharefunktionen erreicht man ein großes Publikum und eventuell auch Jugendliche, die man im Jugendzentrum/Jugendhaus weniger gut oder gar nicht erreicht hätte.

Eine Herausforderung stellt, neben einem nötigen Zugriff auf die Geräte, auch die Voraussetzung einer hohen Medienkompetenz seitens der MitarbeiterInnen dar. Zudem müssen für die Entwicklung und Pflege des Programms bzw. für mögliche Lizenzen bei Rückgriff auf bereits bestehende Dienste (etwa Google Maps) Kosten mit einkalkuliert werden.

Die Entscheidung, ob man der „Datenkrake“ Google über „My Maps“ Informationen überlässt, muss in der Gruppe getroffen werden. Wenn ein Großteil der TeilnehmerInnen schon per Smartphone Sicherungen über ihr Google Konto laufen lässt oder angemeldet die Google Suche nutzt, fallen die Informationen, die das Unternehmen noch über „My Maps“ erfährt, nur noch wenig ins Gewicht. Dennoch ist es Aufgabe der Professionellen, die Jugendlichen über die Datenschutzrichtlinien und die Gefahren, aber auch Möglichkeiten zu informieren und in der Gruppe eine Reflektion darüber anzuregen und dann einen Konsens zu finden.

Damit der Nadelmethode 2.0 kein direkter Einfluss auf politische Entscheidungen genommen werden kann, ist dies neben der Datenschutzproblematik und eventueller Kosten ein weiteres großes Problem. Da für politische Entscheidungsträger solche Formen der Partizipation immer wichtiger werden ist es nicht ausgeschlossen, dass die Nadelmethode 2.0 an Einfluss auf die Politik gewinnt.

Trotz der Kritikpunkte halten wir die Methode für sehr geeignet, da sie zu einem guten Austausch innerhalb eines Stadtteiles/einer Stadt/einem Gebiet führen kann. Die Jugendlichen werden aktiviert, sich mit dem Stadtteil, ihrer Gruppe und anderen Gruppen auseinanderzusetzen und aktiv Ihre Lebenswelt zu gestalten.

Literatur

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Kneuer, Marianne (2013): Mehr Partizipation durch das Internet?. In: Zur Sache (o.Jg.) Heft 7, 5-22.

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Muuß-Merholz, Jöran (2011): Wie können Web 2.0 Werkzeuge in Angebot bzw. Formate der Bildungsarbeit integriert werden? URL: http://aktionstage-politische-bildung.net/wp-content/uploads/2012/02/bpb-Expertise-Web-2.0-Dienste-in-der-politischen-Bildung.pdf, Zugriff am 27.02.2015

Reischl, Gerald (2008): Die Google Falle. Die unkontrollierte Weltmacht im Internet. Wien: Ueberreuter.


Zitiervorschlag

Dummer, Irene, Manuel Malcherowitz und Jens Weck (2015): Die Nadelmethode 2.0 als Werkzeug für Projektarbeit zu sozialräumlicher Partizipation und Medienpädagogik. In: sozialraum.de (7) Ausgabe 1/2015. URL: https://www.sozialraum.de/die-nadelmethode-20.php, Datum des Zugriffs: 19.03.2024