Subjektive Landkarten

Ulrich Deinet, Richard Krisch

Mit Hilfe selbst gezeichneter und gemalter Karten werden die subjektiv bedeutenden Lebensräume von Kindern und Jugendlichen im Stadtteil oder in der Region sichtbar gemacht (vgl. Schumann 1995, S. 215). Kinder, Jugendliche, Erwachsene, auch ältere Menschen, können mit dieser Methode motiviert werden, ihren subjektiven Lebensraum zu zeichnen oder zu malen, um damit bedeutsame Orte und Räume zu markieren und individuelle Bedeutungen und Wahrnehmungen des Wohnumfeldes wie z. B. Spiel- und Aufenthaltsorte, Angsträume etc. deutlich zu machen. Hierbei werden die Lebensräume einzelner Kinder und Jugendlicher - auch über den Stadtteil/Sozialraum hinaus - sichtbar, ebenso können Netzwerke deutlich werden.

Die Methode stellt eine vereinfachte Variante der qualitativen Forschungsmethode „narrative Landkarte" dar. Die besondere Leistung dieser Methode besteht darin, dass mit ihrer Hilfe die unmittelbare Lebenswelt von Menschen aus ihrer subjektiven Sicht dargestellt werden kann. Die Umwelt der befragten Personen kann vielschichtig erfasst werden, z. B. aus einer räumlichen oder sozialen Perspektive heraus. Entwickelt wurde diese Forschungsform in einem Projekt zur sozialwissenschaftlichen/pädagogischen Kindheitsforschung, Urheber sind I. Behnken und J. Zinnecker (1997). Die vereinfachte Form der auch Mentalmaps bzw. Spielweltpläne genannten, subjektiven Landkarten wurde von Hiltrud von Spiegel für die Erforschung kindlicher Lebenswelten entwickelt (von Spiegel 1997).
Zunächst markieren die Teilnehmer in einer Stegreifzeichnung wichtige Orte in ihrem Lebensumfeld, in der Regel ausgehend von einem Fixpunkt, wie beispielsweise der Wohnung oder einer Jugendfreizeiteinrichtung. Solche Zeichnungen haben gerade nicht den Anspruch einer maßgeblichen Wiedergabe der geographischen Bedingungen eines Sozialraums, sondern stellen subjektives Erleben dar, so dass Distanzen, Größen von Häusern etc. zum Teil insbesondere bei kindlichen Zeichnungen sehr unterschiedlich proportioniert sein können.

Subjektive Landkarte

In einem zweiten Schritt geht es um die Weiterentwicklung des Bildes bzw. der Skizze durch Nachfragen und durch das Eintragen von Details, z. B. durch verschiedene Farben etc. Es entsteht eine Kommunikation zwischen den feldforschenden Fachkräften und den Probanden zu deren Zeichnungen und weiteren Details. In einem dritten Schritt werden durch die aktivierten Personen Bewertungen vorgenommen und ein gemeinsames Resümee gezogen.
Bei Jugendlichen und Erwachsenen zeigen die Bilder oft unterschiedliche Räume und Orte, die wie im Inselmodell vielfach keinen direkten geographischen Zusammenhang haben. Damit besteht die besondere Chance der subjektiven Landkarten darin, auch andere Lebensräume, z. B. virtuelle Räume (Chatroom u.ä.) oder außerhalb des direkten Wohnumfeldes liegende Lebensräume (etwa die jährlich besuchte zweite marokkanische Heimat eines Jugendlichen) aufzugreifen.

Die TeilnehmerInnen teilen eher persönliche und individuelle Informationen und damit auch Problemlagen mit, die nicht direkt mit dem Prozess einer Sozialraumanalyse zu verbinden sind, aber trotzdem angemessen thematisiert werden müssen.
Da Jugendliche oft schwer zum Zeichnen/Malen zu motivieren sind (hier muss deutlich gemacht werden, dass es nicht um schöne Bilder geht), verweisen wir an dieser Stelle auch auf Methoden, die stärker die neuen Medien einsetzen.

Die subjektiven Landkarten sind eine interessante Methode, die nach der Einstiegsphase einer Sozialraumanalyse angewandt werden kann, um spezifischen Fragestellungen nachzugehen oder die Lebenswelten bestimmter Gruppen zu erkunden. Gerade in festen Gruppenzusammenhängen, etwa Mädchengruppen, in der Jungendarbeit oder der sozialen Gruppenarbeit in den Hilfen zur Erziehung, aber auch in Schulklassen, ist sie gut anwendbar; allerdings dürfen die Gruppen dabei nicht zu groß sein.
Die Methode folgt der Darstellung subjektiver Lebensräume und kann sehr gut mit den beiden sozialökologischen Modellen (Zonenmodell von Barke und Inselmodell von Zeiher) interpretiert werden. So geht es bei Kindern oft um die Erweiterung des Handlungsraumes, die dabei auftretenden Barrieren, aber auch neue interessante Orte, die sich sozusagen zonenförmig um die Wohnung bilden.

Subjektive Landkarte

Genauere Beschreibungen der Vorgangsweisen und Beispiele, sowie weitere Literaturhinweise finden sich in:

Ulrich Deinet: Analyse und Beteiligungsmethoden. In: Ulrich Deinet (Hrsg.): Methodenbuch Sozialraum. Wiesbaden 2009. S.75 f.
Richard Krisch: Sozialräumliche Methodik der Jugendarbeit. Aktivierende Zugänge und praxisleitende Verfahren. Weinheim und München 2009. S. 110f.

Zitiervorschlag

Deinet Ulrich und Richard Krisch (2009): Subjektive Landkarten. In: sozialraum.de (1) Ausgabe 1/2009. URL: https://www.sozialraum.de/subjektive-landkarten.php, Datum des Zugriffs: 19.03.2024