Autofotografie
Ulrich Deinet, Richard Krisch
Das animative Verfahren der Autofotografie (vgl. von Spiegel 1997:191) zielt darauf ab, dass Bewohner eines Stadtteils/ Sozialraums eigenständig bestimmte Orte auswählen, diese fotografieren und die Abbildungen in weiterer Folge auch kommentieren und interpretieren. So sollen die subjektiven Bewertungen und Eindrücke und die Qualitäten der fotografierten Räume und Orte deutlich werden. Dieses Verfahren eignet sich sowohl in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen, aber auch mit Erwachsenen und Senioren.
Es entstehen sowohl subjektive Abbildungen einzelner Personen, wie auch in der Zusammenfassung aller Fotoreihen, komplexere Einschätzungen des Blickwinkels der BewohnerInnen auf ihre Lebensräume. Die besondere Qualität der Methode besteht besonders darin, dass z.B. Kinder und Jugendliche zu ExpertInnen ihres Sozialraums gemacht werden, weil ihre Perspektive, ihre Sichtweisen o. ä. m. im Vordergrund stehen. Durch die Auswahl der fotografierten Objekte, wie auch durch die Form der Abbildung entsteht eine Sammlung von Eindrücken, die zeigt, was die BewohnerInnen selbst in ihrem sozialräumlichen Bezug wichtig finden und wie sie bestimmte Orte und Räume bewerten.
Ausgangspunkt dieses Projektes ist eine Themenstellung - wie beispielsweise der Weg zur Schule oder Lieblingsorte im Stadtteil -, die gemeinsam besprochen wird. Die Kinder erhalten für einige Tage einen Fotoapparat , der entstandene Film wird ausgewertet und die Fotoreihe dann von den Kindern mit Unterstützung der Fachkräfte interpretiert und dokumentiert.
In der Arbeit mit Kindern beschreibt von Spiegel folgende Vorgehensweise:
- „Kinder erhalten den Auftrag, Personen, Dinge und Umgebungen zu fotografieren, die etwas von ihnen selbst ausdrücken oder die Teil von ihnen sind.
- Die Einführung kann über eine Geschichte erfolgen: Z.B. könnte von einer Tante in Australien die Rede sein, die noch nie in der Stadt war und auch nicht deutsch spricht. Dieser Tante soll eine Fotogeschichte geschickt werden, die etwas über das tägliche Leben der Kinder und ihrer Persönlichkeit aussagt.
- Die Kinder erhalten einen Fotoapparat, den sie für eine verabredete Zeit alleine handhaben dürfen. Sie können ihn also auch mit nach Hause nehmen um dort zu fotografieren.
- DieFeldforscherInnen verabreden einen Rückgabezeitpunkt.
- Die Fachkräfte übernehmen die Kamera und entwickeln die Fotos.
- Ein verabredeter Treff dient dem gemeinsamen Gespräch über die Fotoserie; die Kinder können die Fotos erläutern und interpretieren.
- Eine Aufzeichnung der Auswertungsgespräche ist wünschenswert" (von Spiegel 1997, S. 191).
Bei der Durchführung ist zu beachten, dass zwischen FeldforscherInnen/Fachkräften und Kindern und Jugendlichen bereits Kontakt hergestellt worden ist, so dass die Methode am besten mit vorhandenen Gruppen, etwa einer Mädchengruppe oder einer Schulklasse durchgeführt werden kann. Ganz offene Situationen sind zu unverbindlich: Hier gehen nicht nur (Einweg-) Kameras verloren, auch die Gruppendiskussion kommt in der Regel nicht zustande, so können keine Ergebnisse produziert werden. Aufträge und Rahmengeschichte müssen klar formuliert werden und den Altersgruppen angepasst sein. Die oben genannte Rahmengeschichte einer Tante aus Australien ist eben nur für Kinder geeignet. Für Jugendliche kann man die Methode auch abwandeln, indem Handykameras eingesetzt werden oder noch weitergehend, wenn die von den Jugendlichen gemachten Fotos dann digital in virtuelle Stadtpläne eingestellt und dort interpretiert werden (vgl. dazu „Kiezatlas") etc.).
Die in der qualitativen Sozialforschung vielfach übliche Gruppendiskussion gehört auf jeden Fall zur Auswertung des Einsatzes dieser Methode. Erst wenn Kinder, Jugendliche und Erwachsene die von ihnen gemachten Fotos erklären und beim gemeinsamen Anschauen ihre Interpretationen und Wahrnehmungen kommunizieren können, hat die Methode im Rahmen einer Sozialraumanalyse einen eigenen Wert. Varianten dieser Methode sind z. B. die bekannten Spielplatzbewertungen durch Kinder, wo diese ebenfalls mit Fotos Spielplätze und deren Ausstattung etc. dokumentieren und bewerten.
Verbunden wird die Methode der Autofotografie oft mit Projekten der Öffentlichkeitsarbeit, in dem die Arbeiten der Kinder dann entsprechend präsentiert werden. In unserem Zusammenhang einer Sozialraum-/Lebensweltanalyse stehen allerdings die gemeinsamen Interpretationen im Vordergrund, sowie Vergleiche und Kontrastierungen zwischen den Eindrücken unterschiedlicher Gruppen (vgl. Stadtteilbegehung mit Kindern und Jugendlichen). Das Medium der Fotografie eröffnet noch einmal neue Möglichkeiten, gerade für Kinder und Jugendliche, die sprachlich weniger gewandt sind und anstatt einer guten Beschreibung hier interessante Fotos machen. Alle Erfahrungen zeigen, dass auch Kinder nach relativ kurzer Zeit in der Lage sind, mit Kameras zu arbeiten und auswertbare Fotos zu produzieren.
Die Autofotografie eignet sich gut als Kooperationsprojekt mit Institutionen wie z.B. der Schule. Dabei sollten aber die Ergebnisse den unterschiedlichen Kooperationspartnern sichtbar gemacht werden (z. B. durch eine Fotoausstellung). Dies kann auch im Sinne einer Lobbyarbeit für Kinder- und Jugendinteressen genutzt werden.
Ulrich Deinet: Analyse und Beteiligungsmethoden. In: Ulrich Deinet (Hrsg.) Methodenbuch Sozialraum. Wiesbaden 2009. S.78 f.
Spiegel, Hiltrud von: "Offene Arbeit mit Kindern - (k)ein Kinderspiel", Münster 1997
Richard Krisch: Sozialräumliche Methodik der Jugendarbeit. Aktivierende Zugänge und praxisleitende Verfahren. Weinheim und München 2009. S. 115f.
Zitiervorschlag
Deinet Ulrich, Richard Krisch (2009): Autofotografie. In: sozialraum.de (1) Ausgabe 1/2009. URL: https://www.sozialraum.de/autofotografie.php, Datum des Zugriffs: 21.12.2024