Quartiersgespräche in der Sozialplanung: Impulse für Quartiersarbeit und soziale Quartiersentwicklung

Annette Harth, Silke Mardorf

Die hier dargestellte Methode der Quartiersgespräche gehört in den Kontext dialogischer Formen der kleinräumigen sozialen Stadtentwicklung. Dazu gibt es vielfältige Formate und Möglichkeiten (wie z. B. Sozialraumkonferenzen, Stadtteildialoge oder Bürger*innenforen) und auch unterschiedliche Initiator*innen. Im Folgenden geht es um die Perspektive der Sozialplanung, die Steuerungsinstrument und Berufsfeld zugleich ist. Als Steuerungsinstrument zielt Sozialplanung auf die Gestaltung sozialer Lebensbedingungen und Teilhabe im Rahmen der kommunalen Daseinsvorsorge. Sie bewegt sich entlang der Schnittstellen zwischen Verwaltung, Sozial- und Raumforschung und Politikberatung. Als Berufsfeld hat sie sich primär in Kommunalverwaltungen etabliert. Vereinzelt beschäftigten auch Landes- und Bundesverwaltungen sowie Wohlfahrtsverbände Sozialplaner*innen und/oder nutzen deren Instrumente (vgl. Mardorf/Sauermann 2018). Im vorliegenden Zusammenhang geht es um die Perspektive der kommunalen Sozialplanung.

Seit ihrer Entstehung in den 1960er Jahren entwickelte sich Sozialplanung immer mehr in Richtung Partizipation. Seit ca. 2005 könne man von einer „beteiligungsorientierten Steuerung“ sprechen, bei der das Zusammenwirken unterschiedlicher Interessen- und Anspruchsgruppen im Mittelpunkt stehe (vgl. Schubert 2020). Aus einem Verständnis von kooperativ-partizipativer Stadtentwicklung ist die Beteiligung der Wohnbevölkerung und der Akteur*innen, wie freigemeinnützige, wirtschaftliche und zivilgesellschaftliche Organisationen und Träger, unabdingbar. Die Rolle der Kommunen (und so auch ihrer Sozialplanungen) besteht angesichts vielfältiger Auseinandersetzungen und Kooperationen, mächtiger Einflüsse privater Akteur*innen und steigender Partizipationsansprüche mehr und mehr darin, die komplexen Prozesse der Stadtentwicklung zu steuern und für Ausgewogenheit, Transparenz und Beteiligung zu sorgen.

Vor diesem Hintergrund haben sozialraumorientierte planungsbezogene Soziale Arbeit und das Arbeitsprinzip Gemeinwesenarbeit mit ihren leitenden Handlungsprinzipien wie Aktivierung, Empowerment, Unterstützung von gegenseitiger Hilfe und Selbstorganisation, Partizipation und eigensinniger Aneignung zunehmend an Beachtung gewonnen. Gleiches gilt auch für die Sozialraumorientierung sozialer Dienste, Institutionen und kommunaler Ressorts. Die Evaluation des Programms „Soziale Stadt“ und einer Studie zur Gemeinwesenarbeit in der Sozialen Stadt zeigen allerdings, wie prekär die Situation der Gemeinwesenarbeit selbst in den benachteiligenden Förderquartieren ist (vgl. BBSR/BMUB 2017, 111 f.; 9; BMI/BBSR 2020). Obgleich deutlich wurde, dass die Beseitigung wohnungs- und städtebaulicher Missstände nicht ausreicht, um die häufig durch Ausgrenzung gekennzeichnete Lebenssituation der Bewohner*innen nachhaltig zu verbessern, sondern dass es dazu gesellschaftliche Veränderungen und auch Gemeinwesenarbeit braucht, ist diese nicht zur Regelstruktur geworden – trotz vieler kleiner und größerer Erfolge bei der Entwicklung von tragfähigen Netzwerken und sozialräumlichen Inklusions- und Partizipationsprozessen.

Die Notwendigkeit von Bürger*innenbeteiligung, lokalen Entwicklungspartnerschaften und Kooperationen in den Quartieren ist in der Sozialplanung unbestritten und wird in der Praxis vermehrt von der Bevölkerung eingefordert und auch umgesetzt. Wichtige Grundlagen dafür sind kleinräumige Daten aus der Sozialberichterstattung und aus qualitativen Sozialraumanalysen (vgl. Heintze 2019, 46). Diese können Prozesse der gemeinschaftlichen sozialen Quartiersentwicklung befördern, wenn sie zur Grundlage von Diskussionen über sozialräumliche Entwicklungsziele werden. Sie können Fachkräfte und deren Netzwerke bei der Schwerpunktsetzung und Koordination ihrer quartiersbezogenen Arbeit unterstützen, und sie können Debatten und Auseinandersetzungen mit der Wohnbevölkerung im öffentlichen Raum begleiten und so deren Beteiligung anregen.

Eine Methode datenbasierter kleinräumiger Dialoge soll nachfolgend dargestellt werden. Das Quartiersgespräch ist eine von der hannoverschen Koordinationsstelle Sozialplanung entwickelte, vielfach erprobte und überwiegend bewährte Dialogform mit Stadtteil- und Quartiersrunden. Ursprünglich als eine für Programmgebiete „Soziale Stadt“ (seit 2020 mit fortentwickelter Programmstruktur umbenannt in „Sozialer Zusammenhalt – Zusammenleben im Quartier gemeinsam gestalten“) entwickelte Methode zur Unterstützung des Quartiersmanagements, ist sie auch in Quartieren ohne städtebauliche Förderkulisse anwendbar. 

1. Von der Sozialberichterstattung zur sozialen Quartiersentwicklung

Eine wichtige Aufgabe der Sozialplanung ist die regelmäßige Beobachtung der Entwicklung der sozialen Lage der Bevölkerung, der sozialen Ungleichheit und der unterschiedlichen Teilhabechancen in einer Kommune. Die Sozialberichterstattung hat Aufgaben und Funktionen auf unterschiedlichen Ebenen. Sie dient nicht nur der Aufklärung der Stadtgesellschaft und der Analyse sozialer Ungleichheit und lokaler Ressourcen oder Problemlagen. Sie soll auch innerhalb der Verwaltung Fachplanungen (von Kitabedarfsplanung über Schulentwicklung bis Seniorenfachplanung) unterstützen und außerhalb der Verwaltung Kommunikations- und Beteiligungsprozesse in der Kommune anstoßen. „Sozialberichte können (…) zum Ausgangspunkt partizipativer Stadtentwicklung werden“ (Harth et al. 2019, 55).

Dabei kommt der Quartiersebene eine besondere Bedeutung zu. Das Wohnquartier ist eine Art Knotenpunkt, an dem sich unterschiedliche alltägliche Lebensbereiche miteinander verklammern und gemeinsam erlebbar werden: Wohnen, Arbeiten, Konsumieren, Erholen, Bildung usw. Eine Stadt als Ganzes zu erleben, ist kaum möglich – das Wohnquartier hingegen ist überschaubar; es ist der eigentliche Ort städtischen Lebens. Das Quartier ist eine Ressource der Alltagsgestaltung und Lebensbewältigung, was besonders, aber nicht nur für benachteiligte und immobilere Sozialgruppen gilt. Quartiere werden in alltäglichen Begegnungen und Lebenszusammenhängen gemeinsam als Sozialräume hergestellt und durch unterschiedliche Akteur*innen als Quartiere konstruiert (vgl. Schnur 2018, 376 f.).

Die Sozialplanung kann auf der Basis einer kleinräumigen Sozialberichterstattung zu einer Impulsgeberin für Quartiersentwicklungsprozesse werden. Quartiersbezogene Problemlagen oder besondere Entwicklungstrends, die bei den Analysen erkannt werden, können Anlässe für Quartiersgespräche werden. Impulse dafür können natürlich auch von anderen Entwicklungen und Akteur*innen ausgehen, z. B. von in der (Presse-) Öffentlichkeit benannten Problemlagen, von Gremien und Institutionen, von lokaler Ökonomie und Bürgerinitiativen oder von Wohlfahrtsverbänden. Anlässe für Quartiersgespräche in Hannover sind zum Beispiel:

2. Zielsetzungen von Quartiersgesprächen

Quartiersgespräche zielen primär darauf ab, soziale Strukturen, Problemlagen und Potenziale sowie sich abzeichnende soziale Entwicklungen gemeinsam zu identifizieren. Eines der Ziele ist, dass das Quartiersmanagement, die Gemeinwesenarbeit oder die betreffenden Quartiersakteur*innen auf dieser Basis temporäre Arbeitsschwerpunkte setzen können, wenn sie das möchten. Die Methode eignet sich, um der Quartiersarbeit – faktengestützt und gut begründbar – einen thematischen roten Faden zu geben. Sie kann aber auch ein Baustein und Auftakt eines größeren gemeinsamen sozialen Quartiersentwicklungsprozesses sein.

Gemeinsam heißt: Eine möglichst multiprofessionell und multiperspektivisch zusammengesetzte Runde von Quartierskenner*innen blickt, moderiert von der Sozialplanung, auf ihr Quartier. Quartierskenner*innen sind Menschen, die:

Im Kern geht es darum, den Blick von außen auf der Basis von Sozialdaten mit dem Blick von innen aus Sicht von Akteur*innen und Bewohner*innen zu konfrontieren und abzugleichen, um daraus Handlungsstrategien zu entwickeln und (weitere) Beteiligungsprozesse anzustoßen. „Erst in der Kommunikation und Auseinandersetzung mit den Sozialdaten werden statistische Bezugsräume zu flexiblen Partizipations- und Bewältigungsräumen oder politischen Räumen, in denen sich Bürgerengagement entfaltet“ (Mardorf 2010, 83).

3. Haltung der Sozialplanung

Eine wichtige Gelingensbedingung für Quartiersgespräche ist die Haltung der Sozialplaner*innen. Diese sollte erstens durch ein Bewusstsein der eigenen Erkenntnisgrenzen geprägt sein und einen offenen Umgang damit. Kommunale Sozialplaner*innen sind – anders als die Stadtplanung – in ihrer Verwaltung oft ‚Einzelkämpfende‘, zum Beispiel als Stabsstelle in der Sozialverwaltung angesiedelt oder bestenfalls mit kleinem Planungsteam. In einer (großen) Großstadt mit über 50 Stadtteilen und noch viel mehr Quartieren ist es Sozialplaner*innen kaum möglich, alle Einrichtungen, Gruppen, Straßen, Plätze, Bau- und Planungsvorhaben oder Initiativen und bestehenden Angebote in jedem der Quartiere zu kennen. Anders als beim Quartiersmanagement, das explizit Expertise für ein Quartier mitbringt und Anlaufstelle für alle in diesem Quartier ist, vernetzt, aktiviert, bestehende Strukturen kennt und neue schafft, sind Sozialplanende im Rahmen von Quartiersgesprächen eher temporär ‚einfliegende‘ Generalist*innen. Kernkompetenz der Sozialplanung ist der stadtweite Überblick über soziale Strukturunterschiede und über vergangene und beginnende soziale Entwicklungen sowie die Kenntnis von Quartiersbesonderheiten durch vergleichende Raumbeobachtung. Diese Kernkompetenz heißt im Umkehrschluss, dass kein systematisches Wissen in der ‚Tiefe des Raums‘ vorliegen kann. Expert*innen für sozialräumliches Binnen- und Tiefenwissen sind die jeweiligen Quartiersakteur*innen und die Bewohner*innen.

Ein wichtiges Haltungsprinzip ist zweitens die Wertschätzung anderer Perspektiven und die Kommunikation auf Augenhöhe. Quartiersgespräche leben von Multiprofessionalität. Alleinige Gültigkeit hat weder das, was Sozialplanung mit Fakten hinterlegen kann, noch allein das, was Quartierskenner*innen tagtäglich, aber meist selektiv vor Augen haben. Aus der Summe vieler Details aus unterschiedlichen Perspektiven, die von der Kenntnis eines (prototypischen?) Einzelfalls über gruppenbezogene Beobachtungen bis hin zu exakten Geschäftsstatistiken sozialer Einrichtungen über ihre Nutzungsgruppen reichen, entsteht ein facettenreiches Quartiersbild. Mithilfe der ‚Weisheit der Vielen‘, gepaart mit sozialstrukturellen Daten entsteht in der Gesamtschau sukzessive ein Bild vom Quartier und seiner einzigartigen Charakteristik.

Damit verbunden ist drittens das Gebot von Offenheit und Transparenz. Quartiersgespräche sind keine internen Zirkel mit Geheimwissen und Hintergrundgesprächen. Sie leben vielmehr vom offenen Austausch unterschiedlicher Sichtweisen. Datenanalysen und Ergebnisse der Gespräche sollten breit zugänglich sein, auch innerhalb der Institutionen der Teilnehmenden. Sie verstehen sich als ‚work in progress‘, offen für Ergänzungen und weitere Gesichtspunkte. Das bedeutet auch, Datenquellen und -interpretationen nicht zu monopolisieren, sondern sie gemeinsam auszudeuten und ihre blinden Stellen zu benennen. Die Runde sollte sich nicht als geschlossener ‚Kreis der Auserwählten‘ betrachten, sondern als Kerngruppe, deren Wissen und Erkenntnisse nach außen kommuniziert werden und die selbst weitere Informationen gern aufnimmt, wenn sie nützlich sind.

Viertens ist eine Klarheit über die eigene Rolle im Quartiersgespräch wichtig. Die Kommunikation vor Ort beinhaltet auch Reibung und Konflikte, denn die Auseinandersetzung über die Datengrundlagen und ihre Interpretationen ist auch eine Kontroverse über die Deutungshoheit in Bezug auf das Agenda Setting, die Skandalisierung von Problemen und letztendlich auch die Verteilung von knappen Ressourcen. Kommunale Sozialplanung ist (bisweilen in ihren Handlungsmöglichkeiten vollkommen überschätzter) Teil der (Sozial-)Verwaltung und muss als solche manchen Frust einstecken, den Menschen über die Verwaltung oder die Politik im Laufe der Jahre angesammelt haben. Rollenklarheit bedeutet dann zu sehen, dass man nicht als Person gemeint ist, sondern in seiner (vermeintlichen) Zuständigkeit. Es geht darum, den inhaltlichen Kern des Argumentes herauszuschälen, aber auch sich gegen persönliche Angriffe deutlich abzugrenzen. Es gibt vielfältige Strategien der Kommunikation, die dabei nützlich sein können. Vieles kann auch durch eine geeignete Methodenauswahl und das Setting beeinflusst werden. So weisen Nutz et al. (2020, 161) darauf hin, dass es in Beteiligungsverfahren sinnvoll ist, homogene und heterogene Runden vorzusehen. In homogenen Formaten, in denen nur Akteur*innen oder nur Bewohner*innen angesprochen werden, gelinge die Herstellung einer konstruktiven Arbeitsatmosphäre besser und auch die Ansprache unterschiedlicher, auch beteiligungsferner Gruppen. In heterogenen Gruppen dominieren dagegen nicht selten die scharfe Auseinandersetzung und die Dominanz der Fachleute und Vielredner*innen.

Da die Sozialplanung (meist) die Moderation übernimmt, ist es fünftens wichtig, den gemeinsamen Prozess zu gestalten und gemeinsam getroffene Vereinbarungen, etwa über den zeitlichen Ablauf, auch durchzusetzen. Das bedeutet, eine klar strukturierte, dem Kommunikationsprozess verpflichtete und die Anwesenden unterstützende Haltung einzunehmen und den Rahmen im Auge zu behalten.

4. Vorgehensweise

4.1 Den Rahmen abstecken: Transparenz über Ziele und Rolle der Sozialplanung

Von Anfang an sollte klar sein, was ein Quartiersgespräch leisten kann und was nicht, und was die Rolle der Sozialplanung dabei ist. Folgende Fragen sind dabei vorab zu klären:

Was ist das Ziel aus Sicht der Quartiersrunde? Zielt das Gespräch auf die Reflexion der eigenen Quartiersarbeit oder auf soziale Quartiersentwicklung? Geht es primär um eine Analyse und Bestandsaufnahme oder sollen Handlungsschwerpunkte entwickelt werden, zum Beispiel im Rahmen der Erarbeitung eines Integrierten Stadtentwicklungskonzepts?

Den Rahmen abstecken: Sind die erarbeiteten Handlungsschwerpunkte mit Ressourcen (Personal, Quartiersbudget) hinterlegt, sodass eine Umsetzungsmöglichkeit besteht? Was geschieht mit den erarbeiteten Ergebnissen, formulierten Zielsetzungen oder gar Handlungsempfehlungen? Wer entscheidet am Ende über Quartiersentwicklungsziele und Maßnahmen? Hat die Quartiersrunde ein Mandat für das Quartier? Welches? Was legitimiert sie?

Was kann Sozialplanung leisten, was nicht? Wird primär eine Sozialstrukturanalyse gewünscht oder die Moderation und Begleitung eines sozialen Quartiersentwicklungsprozesses? Eignet sich für Letzteres die Sozialplanung überhaupt oder ist es angemessen und machbar, hierfür eine verwaltungsexterne Moderation, ein Bürger- oder Planungsbüro ‚einzukaufen‘?

Von welchem Quartier reden wir? Handelt es sich um ein Programmgebiet Soziale Stadt / Sozialer Zusammenhalt, ein Quartier mit alternativer Förderkulisse oder nichts von alledem. Das kann erhebliche Konsequenzen für die Spielräume zur späteren Umsetzung von Ideen haben. Welchen Raum meinen wir im Rahmen der Sozialstrukturanalyse (feste Raumgrenzen erforderlich), welchen Raum meinen wir im Rahmen der Potenzialanalyse und der Bestandsaufnahme der sozialen Infrastruktur (Raumgrenzen können identisch sein, aber auch großzügig davon abweichen)? Und welchen Raum schließlich meinen wir, wenn wir von den lebensweltlichen Sozialräumen der Wohnbevölkerung ausgehen?

Mögliche Raumgrenzen für Strukturanalysen am Beispiel von Stadtteilen und Mikrobezirken in Hannover, Oststadt
Abbildung 1: Mögliche Raumgrenzen für Strukturanalysen am Beispiel von Stadtteilen und Mikrobezirken in Hannover, Oststadt. Quelle: © Landeshauptstadt Hannover, Geoinformation 2020.

Bestehende, erweiterte oder neu zu gründende Quartiersrunde?Gibt es bereits eine feste, bestehende Quartiersrunde? Was ist deren originäre Zielsetzung (oft: Vernetzung, Austausch im Quartier) und aktuelle Motivation (Unzufriedenheit, Problemlagen, Veränderungen im Quartier)? Wie multiprofessionell ist die Runde zusammengesetzt? Muss, kann diese ggf. für das Quartiersgespräch um weitere fachliche Perspektiven (z. B. Jugendhilfe, Senior*innenarbeit, Migrant*innenorganisationen, Stadtplanung, Umwelt und Stadtgrün, Polizei) oder um weitere Institutionen oder Träger (aus Verwaltung, Politik, Verbänden, Vereinen, Gemeinden) oder um Sprecher*innen weiterer Gruppen, die zu anderen Themen im Quartier arbeiten (z. B. Gewerbetreibende, Wohnungswirtschaft), ergänzt werden? Die Teilnahme von Bewohner*innen als Quartierkenner*innen ist zwingend, wenn es um Quartiersentwicklungsprozesse geht. Handelt es sich dagegen um die Reflexion der strategischen sozialraumorientierten Ausrichtung der Einrichtungen im Kontext ihrer Quartiersarbeit, steht die Teilnahme der Quartiersakteur*innen im Vordergrund.

4.2 Vorbereitung, Teilnehmende und Einladung

Wer initiiert das Quartiersgespräch, wer lädt ein? Die Initiative kann sowohl von bestehenden Stadtteilrunden ausgehen, als auch von der Sozialplanung, dem Quartiersmanagement, der Gemeinwesenarbeit oder von einer Nachbarschaftsinitiative. Um den Rahmen zu stecken, die Zielsetzungen der Teilnehmenden zu erfragen und die mit dem Quartiersgespräch verbundenen Erwartungen abzuklopfen, empfiehlt sich ein Vorgespräch. Dies kann im Fall einer bereits bestehenden Runde ein Gespräch mit den Sprecher*innen oder auch mit der gesamten Quartiersrunde sein. Falls keine etablierte Runde existiert, kann mit der jeweiligen Initiator*in eine Teilnehmendenliste erstellt werden (siehe Multiprofessionalität). Optimalerweise lädt die Sozialplanung ein (oder lädt sich nach Rücksprache selbst ein) und stellt die Spielregeln auf: Aus der Einladung sollte bereits deutlich hervorgehen, in welchem Rahmen das Gespräch stattfindet, was die Ziele sind oder ob und wieviel Vorbereitung durch die Teilnehmenden erwartet wird.

Multiprofessionalität: Gemeinsam am Tisch sitzen beispielsweise die Leitung der Kindertagesstätte oder des Familienzentrums, Mitarbeitende des Jugendzentrums, das Quartiersmanagement / die Gemeinwesenarbeit, die Jugendbildungskoordination, die Schulsozialarbeit, Vertreter*innen unterschiedlicher Migrant*innenorganisationen, der Kommunale Sozialdienst, die Seniorenberatung, die Nachbarschaftsinitiative, das Kulturzentrum, der Elterntreff oder der Senior*innenclub, Vertreter*innen lokaler Vereine, Gewerbetreibende, Kontaktbeamt*innen der Polizei, Vertreter*innen von Gemeinden oder Initiativen, ggf. alteingesessene und neu zugezogene Bewohner*innen – und last but not least: Die Sozialplanung. Je heterogener, diverser und multiprofessioneller, desto besser. Dabei kommt es nicht darauf an, dass die Gruppe repräsentativ (gemessen an der Wohnbevölkerung des Quartiers) zusammengesetzt ist, sondern möglichst divers. Denn: Soziale Lagen und Quartiersentwicklungen sollen multiperspektivisch diskutiert und beurteilt werden.

Gruppengröße: Die Gruppengröße ist entscheidend für die Arbeitsfähigkeit der Gruppe. Eine Gruppengröße von 20 bis maximal 25 Teilnehmenden hat sich in der (hannoverschen) Praxis bewährt, um einerseits Multiprofessionalität und andererseits die gleichzeitige Mitwirkungsmöglichkeit aller zu gewährleisten, ohne unbedingt Kleingruppen bilden zu müssen (zu den Nachteilen von Kleingruppen in diesem Format vgl. 4.3).

Vorbereitungszeit: Zur Vorbereitung eines Quartiersgesprächs sollten mindestens vier Wochen angesetzt werden, damit erstens: Die Teilnehmenden vorab ihre Themenwünsche einbringen können (z. B. Zuwanderung oder Kinderarmut) und Sozialplanung diese Themen aufgreifen und vorbereiten kann und zweitens: Die Sozialplanung die Sozialstrukturanalyse durchführen, aufbereiten und zentrale Ergebnisse visualisieren kann (z. B. Poster- oder Power-Point-Präsentation, Kartenmaterial, Tischvorlagen oder Handouts etc.).

Durchführungszeit: Während ein Quartiersgespräch für Verwaltungsmitarbeiter*innen, darunter Sozialplanung, in der Regel bezahlte Arbeitszeit ist, ist sie das nicht auch zwangsläufig für alle anderen. Zahlreiche Stadtteil- oder Vernetzungsrunden finden für Teilnehmende nach Feierabend und in deren Freizeit statt. Auch engagierte Bewohner*innen investieren hierfür ihre private Zeit. Aus diesem Grund sollte der zeitliche Rahmen so ‚zeitschonend‘ wie möglich und gleichzeitig so ausreichend wie nötig sein. Bei bestehenden Stadtteilrunden, die sich häufig nur zwei- bis viermal pro Jahr treffen, kann das Quartiersgespräch auf einen solchen ohnehin stattfindenden Termin gelegt werden. Klar muss allerdings sein, dass das Quartiersgespräch Schwerpunkt des Treffens sein wird. Das dafür angesetzte zeitliche Minimum liegt bei drei bis vier Stunden, mit ausreichend Pausen. Möglich und denkbar sind aber auch zwei bis drei kürzere Arbeitstreffen innerhalb eines überschaubaren Zeitraums, die jeweils einen Themenschwerpunkt haben (z. B. Generation 60 plus im Quartier oder Familien im Quartier).

Arbeitsteilung: Eine Person kann nicht präsentieren, moderieren, paraphrasieren, Zwischenergebnisse visualisieren und zugleich protokollieren. Falls machbar, bietet es sich an, mindestens zu zweit zu arbeiten, zum Beispiel im Wechsel. Falls nicht machbar, kann ein*e Teilnehmer*in aus der Runde eine Rolle übernehmen (z. B. Protokoll).

4.3 Ablauf und Aufgaben der Sozialplanung in den einzelnen Phasen

Das Quartiersgespräch hat folgenden, dreistufigen Ablauf, hier idealtypisch dargestellt:

  1. Phase 1 - Der Blick von außen: Der Kommunikationseinstieg erfolgt über ‚harte‘ Sozialdaten, Fakten und statistische Entwicklungen. Mithilfe sozialer Daten werden die Charakteristika des Quartiers aus Sicht der Sozialplanung herausgearbeitet. Ausgehend von einer klassischen Sozialstrukturanalyse entsteht ein Quartiersprofil, das die Besonderheiten im Vergleich zu anderen Quartieren aufzeigt und aktuelle soziale Entwicklungen oder absehbare Trends im Quartier hervorhebt. Hier ist die Perspektive der Sozialplanung gefragt, die den räumlichen und zeitlichen Vergleich vornimmt und das jeweils ‚Quartierstypische‘ ableitet.
  2. Phase 2 - Die Wahrnehmung von innen:  In dieser Phase geht es darum, den Daten, Fakten und messbaren Entwicklungen die Wahrnehmung vor Ort gegenüberzustellen. Stimmt die dort gefühlte Realität mit der statistischen Realität überein? Hier ist die Perspektive der Quartiersakteur*innen und der Bewohner*innen, der Engagierten und der Netzwerke vor Ort gefragt. Werden die Ergebnisse der Sozialstrukturanalyse bestätigt und qualitativ unterfüttert? Wo gibt es Abweichungen? Wie erklären sich diese? Welche Themen sind gerade brisant vor Ort – können aber nicht mit Sozialdaten hinterlegt oder abgebildet werden? Gibt es unerschlossene andere, auch qualitative Datenquellen dazu?
  3. Phase 3 - Die Synthese: Daten, gepaart mit qualitativem ‚Vor-Ort-Wissen‘, ermöglichen einen tiefen Blick ins Quartier. In der Synthese von Innen- und Außenblick kommt ein Austausch über die aktuellen und künftigen Herausforderungen für das Quartier in Gang und in der Folge für die (soziale) Quartiersarbeit: Was bedeutet das für die Bewohner*innenschaft – was bedeutet es für die Quartiersakteur*innen und: Was davon löst (unmittelbaren) Handlungsbedarf aus? Erst auf der Basis gemeinsam erarbeiteter Charakteristika des Quartiers lassen sich mögliche Handlungsschwerpunkte, aber auch Potenziale und Ressourcen, für die Quartiersarbeit oder die Quartiersentwicklung ableiten.

In den drei aufeinanderfolgenden Phasen gibt es jeweils besondere Aufgaben der Sozialplaner*innen, wobei sich folgendes Vorgehen bewährt hat:

In der Phase 1 ist es wichtig, Daten und Fakten zu visualisieren: Datenungeübte Menschen können oft nur schwer komplexere Tabellen lesen. Es ist dringend zu empfehlen, soziale Strukturen zu visualisieren (Diagramme, Piktogramme, Fotos) und Konzepte wie zum Beispiel ‚Armut‘ oder ‚Hochaltrigkeit‘ einmal kurz zu erläutern: Was verstehen wir darunter? Wen zählen wir dazu, wen nicht, warum nicht? Warum ‚rechnen‘ wir das so und nicht anders?

Bei der Diskussion der Sozialdaten sollte außerdem deutlich gemacht werden, dass nicht jedes Datum und jede Entwicklung erklärbar sind. Natürlich wäre es wünschenswert, wenn Sozialplanung jedes Datum oder jede Entwicklung erklären könnte. Warum sinkt die Arbeitslosigkeit? (z. B. bundesweites oder lokales Phänomen). Wieso gibt es hier neuerdings so viele Singlehaushalte? (z. B. Neubau eines Studierendenwohnheims). Nicht selten gibt es aber soziale Phänomene, über die keine statistischen Daten vorliegen oder denen so komplexe Wirkungszusammenhänge zugrunde liegen, dass sie (jedenfalls nicht ad hoc) erklärt werden können. Deswegen sollte man sich auch nicht dabei verzetteln. Manche Entwicklungen sind messbare Realität, aber zunächst nicht eindeutig erklärbar. Hier empfiehlt sich Gelassenheit. Wesentlich für das Quartiersgespräch ist nicht, alles erklären zu können, sondern die Frage: Löst diese Entwicklung vor Ort irgendeinen Handlungsbedarf aus? Oder erweist sich dies gar als zentrale Ressource und Stärke?

Weiterhin ist es in der ersten Phase wichtig, Schwerpunkte zu setzen: Nicht alle Themen können beleuchtet werden. Es empfiehlt sich, eine Auswahl vorzunehmen, zum Beispiel entlang bestimmter Themen oder Zielgruppen: Wir schauen nacheinander z. B. auf Kinder und Jugendliche, die Generation 60 plus oder auf Alleinerziehende, wenn sie in einem Quartier eine große, bedeutende Gruppe sind. Das variiert von Quartier zu Quartier. Für jede Gruppe können Phase 1 (Blick von außen) und Phase 2 (Blick von innen) direkt nacheinander stattfinden.

In Phase 2 bietet es sich an, mit Methoden des aktiven Zuhörens und Paraphrasierens zu arbeiten: Eine sowohl aus der Beratung als auch aus der qualitativen Inhaltsanalyse bekannte Methode ist die des Paraphrasierens. Ein Großteil der Phase 2 (Blick von innen) des Quartiersgesprächs besteht aus aktivem Zuhören, zusammenfassendem Nachfragen und Paraphrasieren, also der sinngemäßen Wiedergabe des Gehörten mit dem Ziel der gemeinsamen Verständigung auf ein Teilergebnis.

In Phase 3 schließlich, in der es um die Synthese geht, um Schwerpunktsetzung für die eigene Arbeit in den Einrichtungen (z. B. Akquisition neuer Zielgruppen), für die Quartiersarbeit oder für Quartiersentwicklungsprozesse, zeigt sich, wie wichtig es ist, dass alle Teilnehmenden an allen Phasen mitgewirkt haben. Gerade weil die Perspektiven sehr unterschiedlich sein können, kann es für Teilnehmende sehr bereichernd sein, vollkommen neue und andere Perspektiven einzunehmen. Natürlich bestünde auch die Möglichkeit, parallel in Kleingruppen separiert etwa auf a) Alleinerziehende und b) Altersarmut und Vereinsamung zu schauen. Dann aber würde einigen Teilnehmenden spätestens in Phase 3 ein wichtiges Puzzleteil für das Gesamtbild fehlen.

4.4 Nachbereitung und Ausblick

Handout und Protokoll: Die Ergebnisse der Sozialstrukturanalyse (Handout, Poster, Präsentationen) können der Gruppe überlassen werden, um ihr die Möglichkeit zu geben, damit weiterzuarbeiten. Das Material muss allgemeinen Anforderungen an den Datenschutz genügen (z. B. keine Rückrechenbarkeit bei kleinen Fallzahlen, was ein häufiges Problem bei Kleinräumigkeit darstellt), und es sollte keine Quartiersstigmatisierung befördert werden. Es kann prinzipiell nie ausgeschlossen werden, dass das Datenmaterial in einer Weise ohne Kontext veröffentlicht wird, die gezielt oder unbeabsichtigt zur Stigmatisierung des Quartiers beiträgt. Die Materialien sollten deswegen so aufbereitet werden, dass sie möglichst wenig ‚Angriffsflächen‘ dafür und möglichst viel Kontextwissen bieten. Ferner kann der Runde der Entwurf eines Ergebnisprotokolls zur Verfügung gestellt werden, das im Nachgang gemeinsam endabgestimmt wird.

Prozessbegleitung: Ja oder nein? Spätestens an dieser Stelle muss klar sein, ob dies der gemeinsame Abschluss der Zusammenarbeit ist und die Gruppe eigeninitiativ mit den Ergebnissen weiterarbeitet oder ob dies der Auftakt eines größeren Quartiersentwicklungsprozesses ist, bei dem Prozessbegleitung weiterhin erwünscht ist und: Ob dies von der Sozialplanung leist- und machbar ist.

Skatepark am Ihmeufer in Hannover-Linden
Abbildung 2: Skatepark am Ihmeufer in Hannover-Linden. Ergebnis einer Bürger*innenbeteiligung. Quelle: Silke Mardorf, eigene Aufnahme.

5. Beispielhafte Impulse für die Quartiersarbeit oder Quartiersentwicklung

Beispiel Altersarmut und Teilhabe: Die Teilnehmenden des Quartiersgesprächs nehmen überrascht zur Kenntnis, dass Altersarmut in ihrem Quartier ein messbares zentrales Thema für die Generation 60 plus ist. Das Thema Altersarmut war vor Ort bisher weder offen, noch verdeckt Thema in den Einrichtungen oder Beratungsstellen. Im Gespräch wird deutlich, dass sowohl Scham und Tabus Gründe dafür sein können, aber auch die weiten Wege zu den Einrichtungen und Beratungsstellen. Die Seniorenberatung hat ihr Büro leider nicht in diesem Quartier, sondern zwei Haltestellen außerhalb. Das ist für manche Senior*in fußläufig zu weit und die Nutzung von Bus oder Straßenbahn kostet zwei Einzeltickets, ein großes Hemmnis bei kleinem Budget. Auch die Pflegestützpunkte sind zwar dezentral über das Stadtgebiet verteilt, werden aber von den Bewohner*innen dieses Quartiers kaum in Anspruch genommen. Nur im Seniorentreff wird beobachtet, dass Vorträge, die mit kostenlosem Kaffee und Klönschnack einhergehen, besonders beliebt sind. Die betreffenden Einrichtungen entwickeln ein gemeinsames Konzept mit Angeboten und Maßnahmen, wie zum Beispiel:

Beispiel gemeinwesenorientierte Gesundheitsförderung: Im hannoverschen Stadtteil Stöcken zeigte sich über mehrere Jahre hinweg ein überdurchschnittlich hoher Anteil übergewichtiger Erstklässler*innen. Datenquelle dafür ist die jährliche Schuleingangsuntersuchung. Ausgelöst durch diese und weitere Sozialdaten und gestützt durch qualitative Innenwahrnehmung wird „Gesundheitsförderung im Quartier“ zum strategischen Ziel der sozialen Quartiersentwicklung im Rahmen des Förderprogramms „Soziale Stadt“ im Programmgebiet Stöcken. Gesundheitsförderung und -prävention werden die lokale Quartiersarbeit und Angebotsstruktur in den nächsten Jahren maßgeblich beeinflussen. Unter dem Motto „Gesund in Stöcken“ etablieren sich beispielsweise ein Gesundheitstreff und ein lokales Netzwerk mit gesundheitsfördernder Angebotsstruktur rund um Sport und Bewegung, Kochen und Ernährung oder psychische Gesundheit (vgl. Landeshauptstadt Hannover 2016).

6. Fazit und Ausblick

Methodisch ist das Quartiersgespräch an der Schnittstelle zwischen quantitativen und qualitativen Methoden der Sozialraumanalyse angesiedelt. Es ist ein möglicher Baustein im Rahmen dialogischer Beteiligungsformen in der kleinräumigen sozialen Stadtentwicklung. Das Quartiersgespräch ist primär analytisch, hat aber das Potenzial zur Aktivierung. Mit Daten und Fakten ausgestattet, kann es ganze Stadtteilrunden ‚empowern‘: Dann nämlich, wenn diese ihr zuvor teils diffuses ‚Bauchgefühl‘ über Entwicklungen oder Problemlagen im Quartier datenbasiert unterfüttern können (aber manchmal auch über Bord werfen müssen). Ausgestattet mit Fakten über das eigene Quartier haben Stadtteilrunden Argumentationshilfen in der Hand, mit denen sie Quartiersentwicklungen besser belegen und damit ihre eigenen Ziele oder Interessen (z. B. zusätzlicher Raum- und Personalbedarf bei wachsender Bewohnerschaft) besser begründen können.

Quartiersgespräche unterstützen Rückkoppelungsprozesse zwischen Verwaltungssystem und Lebenswelten in den Quartieren. Sie versuchen gezielt, Perspektivenvielfalt zu generieren, Informationen auszutauschen und Interpretationen im Konsens zu vertiefen. Eine wichtige Voraussetzung dafür ist es, die Begrenztheit der eigenen Sichtweise zu erkennen und die des Gegenübers als Bereicherung wahrzunehmen. Untenstehende Abbildung zeigt zusammenfassend die Chancen und Fallstricke, die eine alleinige Innen- oder Außenperspektive haben können: Die Lösung ist die Kombination von beidem.

 Von außen (Sozialstrukturanalyse)Von innen (Quartierskenner*innen)
Chancen
  • Blick für Charakteristika des Quartiers im gesamtstädtischen Vergleich
  • nicht wegzudiskutierende Fakten
  • Untermauerung/Widerlegung der subjektiven Perspektiven und Alltagstheorien
  • Vogelperspektive, innere Distanz
  • Detail-, Lebenswelt- und Erfahrungswissen
  • Netzwerke und Kontakte vor Ort
  • Vor-Ort-Kenntnisse, Binnensicht
  • Institutionelles Wissen, z.B. über die Besucher*innen oder Nachfrage und Inanspruchnahme von Angeboten und Leistungen
Fallstricke
  • Zu viel Abstraktion, Fachsprache
  • Allgemeinplätze, Pauschalierung
  • Datenverliebtheit: Fokus allein auf daten(gestützte) Themen
  • Unklare Rolle der Sozialplanung, unklare Ziele, Erzeugen nicht einlösbarer Erwartungen
  • Fehlen wichtiger Erkenntnisse, Faktoren und Hintergründe
  • Zu viel Nähe, Detailverliebtheit, persönliche Verstrickung, enger Blick, Verallgemeinerung des Einzelfalls
  • Konkurrenzen um knappe Ressourcen, Machtgerangel
  • Mono- statt multiprofessionelle Zusammensetzung der Gruppe (z.B. ausschließlich Vertreter*innen der Generation 60 plus)

Abbildung 3: Chancen und Fallstricke von Innen- und Außenperspektive. Eigene Darstellung.

Bei einer klaren Haltung der Sozialplanung und einer quartiersbezogenen geeigneten Umsetzung der Vorgehensweise profitieren im besten Fall alle Beteiligten vom Quartiersgespräch:

Das Gemeinwesen / die Wohnbevölkerung: Weil es zum Blick ins eigene Quartier und über den eigenen Quartierstellerrand hinaus anregt, die Kommunikation in der Nachbarschaft befördert und zum Netzwerken, Mitwirken, Mitgestalten und selbstinitiierten Projekten im Quartier einlädt. Quartiersgespräche sind auch ein Bestandteileiner gemeinsamen Quartierskonstruktion und können Zusammenhalt und Selbstorganisation stärken.  

Die Quartiersakteur*innen: Weil es die Selbstreflexion und ein kritisches Hinterfragen der Ausrichtung der eigenen Arbeitsschwerpunkte befördert, z. B. mit Blick auf neue Nachbarschaften und bisher unerreichte Zielgruppen. Die Interdisziplinarität der Teilnehmenden erweitert den Blick aller und ermöglicht es, der Netzwerk- und Quartiersarbeit einen gemeinsamen roten Faden zu geben.

Die Sozialplanung: Weil sie zu ihrer vergleichenden Vogelperspektive mithilfe von Daten und Entwicklungen eine vertiefte Innenperspektive auf ein Quartier hinzugewinnt, dies in die Verwaltung hinein kommunizieren und für ihre Fachplanungen nutzen kann. Das ist auch eine Chance zur Verbesserung und Ergänzung der Sozialberichterstattung durch weitere Datenquellen, veränderte oder neue Indikatoren und qualitative Hintergrundinformationen für die Dateninterpretationen.

Ausblick: Zahlreiche Förderprogramme richten ihre Förderrichtlinien derzeit verstärkt auf die Quartiersebene aus. Hierzu zählt zum Beispiel die Neustrukturierung der Städtebauförderung von Bund und Ländern, die das Quartier als Bezugsraum mehrfach explizit benennt:

Auch einzelne Bundesländer unterstützen Gemeinwesenarbeit und Quartiersmanagement. Im Land Bremen gibt es bereits seit 1998 das Programm ‚Wohnen in Nachbarschaften (WiN) – Stadtteile für die Zukunft entwickeln‘, in dem es auch um gemeinwesenbezogene Integration, Aktivierung und Beteiligung geht. Und auch das Land Niedersachsen fördert seit einigen Jahren integrative Handlungsansätze mit dem Ziel, die Gemeinwesenarbeit stärker mit der Stadtteil-, Quartiers- oder Ortsentwicklung zu verknüpfen (vgl. LAG Soziale Brennpunkte Niedersachsen 2020).

Dennoch bleibt die finanzielle Ausstattung der Quartiersarbeit überwiegend unzureichend, oft befristet und projekthaft. Vielerorts fehlt trotz vieler kleiner und größerer Projekte eine Einführung von Gemeinwesenarbeit als Regelstruktur in Quartieren mit besonderer Benachteiligung oder deutlich erhöhter Dynamik des Bevölkerungsaustausches. Die derzeitige Aufgeschlossenheit für die Notwendigkeit und den Nutzen von Gemeinwesenarbeit sollte auch zu einer besseren und vor allem langfristigen Finanzierung der sozialraumbezogenen Sozialen Arbeit im Gemeinwesen führen. Denn die komplexen Aufgaben der Stärkung, Vernetzung und Aktivierung der Wohnbevölkerung, vor allem in benachteiligten Quartieren, bedarf einer langfristigen und kontinuierlichen Bearbeitung. Dabei sind vielfältige Perspektiven einzubeziehen und eine breite Palette von Beteiligungs- und Dialogformaten. Hierbei kann die Methode des Quartiersgesprächs, initiiert oder begleitet durch kommunale Sozialplanung, auch künftig – und nicht nur in Hannover – ein wichtiger Impuls für Quartiersarbeit und soziale Quartiersentwicklung sein.

Literatur

BBSR, Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung/BMUB, Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (Hrsg.) (2017): Zwischenevaluierung des Städtebauförderungsprogramms Soziale Stadt. Bonn.

BMUB, Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (2016): Quartiersmanagement Soziale Stadt. Eine Arbeitshilfe für die Umsetzung vor Ort. Berlin.

BMI, Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat/BBSR, Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (2020): Gemeinwesenarbeit in der sozialen Stadt. Entwicklungspotenziale zwischen Daseinsvorsorge, Städtebauförderung und Sozialer Arbeit. Bundeskonferenz in Berlin am 25. November 2019. Dokumentation. Berlin.

BMI, Bundesministerium des Innern (2019): Neue Städtebauförderung – einfacher, flexibler, grüner. Pressemitteilung vom 19.12.2019.

Harth, Annette/von Oertzen, Susanna/Litges, Gerhard/Döring, Christoph (2019): Werkzeugkasten Sozialberichterstattung. Ein Praxisleitfaden für niedersächsische Kommunen. Hildesheim: HAWK.

Heintze, Isolde (2019): Sozialraumorientierung. In: Gottschalk, Ingo (Hrsg.): VSOP Kursbuch Sozialplanung. Orientierung für Praxis und Wissenschaft. Wiesbaden: Springer VS. 39–52.

LAG Soziale Brennpunkte Niedersachsen e.V. (2020): Modellförderung Gemeinwesenarbeit und Quartiersmanagement in Niedersachsen. In: www.gwa-nds.de, abgerufen am 26.07.2020.

Landeshauptstadt Hannover (2016): Integriertes Handlungskonzept, Sanierung „Soziale Stadt“ Stöcken 2015, Teil II. Hannover: Fachbereich Planen und Stadtentwicklung, Stadterneuerung.

Landeshauptstadt Hannover (2017): Alter(n)sgerechte Quartiersentwicklung – Bericht nach dreijähriger Erprobungsphase. Informationsdrucksache Nr. 1041/2017. Hannover: Fachbereich Senioren.

Mardorf, Silke/Sauermann, Elke (2018): Sozialplanung. In: Akademie für Raumforschung und Landesplanung (Hrsg.): Handwörterbuch der Stadt? und Raumentwicklung. Hannover, 2219–2223.

Mardorf, Silke (2010): Raum – Daten – Kommunikation. In: Hammer, Veronika/Lutz, Ronald/Mardorf, Silke/Rund, Mario (Hrsg.): Gemeinsam leben – gemeinsam gestalten. Zugänge und Perspektiven Integrierter Sozialraumplanung. Frankfurt am Main: Campus, 73–93.

Nutz, Anna/Schubert, Herbert/Spieckermann, Holger/Winterhoff, Nicola/Zinn, Julia (2020): Instrumente der Prozessgestaltung. In: Nutz, Anna/Schubert, Herbert (Hrsg.): Integrierte Sozialplanung in Landkreisen und Kommunen. Stuttgart: Kohlhammer. 54–250.

Schnur, Olaf (2018): „Quartiersentwicklung für alle“? Von Integrationsdiskursen und Quartierspolitiken. In: Gesemann, Frank/Roth, Roland (Hrsg.): Handbuch Lokale Integrationspolitik. Wiesbaden: Springer VS. 373–391.

Schubert, Herbert (2020): Integrierte Sozialplanung in Kreisen und kreisangehörigen Kommunen. In: Nutz, Anna/Schubert, Herbert (Hrsg.): Integrierte Sozialplanung in Landkreisen und Kommunen. Stuttgart: Kohlhammer. 1–38.


Zitiervorschlag

Harth, Annette und Silke Mardorf (2020): Quartiersgespräche in der Sozialplanung: Impulse für Quartiersarbeit und soziale Quartiersentwicklung. In: sozialraum.de (12) Ausgabe 1/2020. URL: https://www.sozialraum.de/quartiersgespraeche-in-der-sozialplanung-impulse-fuer-quartiersarbeit-und-soziale-quartiersentwicklung.php, Datum des Zugriffs: 20.11.2024