Das Projekt „ProMeile“ – Aufsuchende Jugendarbeit auf der Bremer Discothekenmeile
Christoph Reineke, André Taubert
Der Verein zur Förderung akzeptierender Jugendarbeit (VAJA e.V.) ist in Bremen der größte Träger für aufsuchende Jugendarbeit. Ziel der Arbeit dabei ist es, Kinder und Jugendliche zu erreichen, für die der öffentliche Raum zum zentralen Aktions- und Aufenthaltsort ihrer Freizeit geworden ist und die von anderen Angeboten der Jugendarbeit nicht ausreichend oder gar nicht mehr erreicht werden.
Entstehung und Beteiligungsprozess
Die Discomeile befindet sich in unmittelbarer Nähe des Bremer Hauptbahnhofs und erstreckt sich mit ihren Diskotheken, Kneipen und Clubs über eine Länge von 1,5 km. Sie ist an den Wochenenden Anziehungspunkt für bis zu 10.000 Partygänger aus ganz Bremen und weit darüber hinaus. Verschiedene Altersgruppen, jugendkulturelle Szenen und musikalische Vorlieben werden von den Betreibern bedient, was für eine bunte Angebotspalette sorgt, aber auch Konfliktpotential birgt.
Die unter jugendlichen Besuchern der so genannten „Meile“ zunehmenden Alkohol- und Gewaltexzesse führten 2006 zu einer Debatte über die Einbindung pädagogischer Arbeit vor Ort und schließlich zu der Entscheidung, Streetwork auf der Discomeile zu installieren. ProMeile ist zunächst als zeitlich befristetes Projekt von VAJA in Zusammenarbeit u.a. mit dem Referat Kinder- und Jugendschutz der Senatorischen Behörde für Arbeit, Frauen, Gesundheit, Jugend und Soziales entstanden und wurde finanziell von den Discobetreibern unterstützt. Aufgrund des anhaltenden Bedarfs ist das Projekt aber inzwischen als festes Team von VAJA verstetigt.
Wie vorab erwähnt, ist das Projekt ProMeile ein Resultat aus der Idee, durch jugendpolitische Maßnahmen die Attraktivität und Sicherheit der Discomeile in Bremen zu erhöhen. Im Jahr 2006 wurden dazu folgende Maßnahmen eingeleitet.
- Durchführung einer Befragung und Beobachtung durch Studenten und Studentinnen der Universität Bremen
- Durchführung einer Online Befragung auf verschiedenen jugendrelevanten Internetportalen
- Einrichtung einer Informations- und Beratungsstelle auf der Discomeile mit dem ProMeile Team
Im Vordergrund stand dabei der Aspekt, über diese Maßnahmen Vorschläge der jungen Leute zu erhalten, wie sich die Situation auf der Discomeile möglicherweise verbessern kann. Aus der Befragung vor Ort und dem Fragebogen im Internet gingen schließlich gewisse Bedarfe hervor und es ergab sich auch von Seiten der Jugendlichen ein Interesse daran, das Sicherheitsempfinden zu steigern. Parallel zu diesen Schritten wurde das Projekt ProMeile als Pilotprojekt über einen Zeitraum von vier Monaten als Probelauf getestet. Dabei waren pro Nacht fünf bis sechs Personen im Einsatz, die über das Verteilen von Informationsmaterial, Gespräche mit Jugendlichen und die eigentliche Präsenz auf der Discomeile das Projekt bekannt machen sollten. Als Anlaufstelle diente dabei ein Kleinbus, der von der Polizei an jedem Abend zur Verfügung gestellt wurde. Die Pilotphase zeigte, dass das Projekt ProMeile positiv von der Zielgruppe der Jugendlichen aufgenommen und bewertet wurde. Dementsprechend setzte das Team ab 2007 die Arbeit vor Ort als feste Instanz fort.
Zum Auftrag von ProMeile
Der Großteil der jungen Menschen, die sich auf der Discomeile bewegen, ist zwischen 16 und 24 Jahren alt. Die soziale, ethnische und jugendkulturelle Vielfalt der Besucher, teilweise gepaart mit dem Konsum von Alkohohl und Drogen, führt insbesondere auf den Gehwegen und anderen öffentlichen Flächen vor den Diskotheken zu konfliktträchtigen Situationen.
Das ProMeile Team widmet sich dieser herausfordernden Lage. In der Regel ist ein Team von vier bis sechs Personen freitags und samstags in der Zeit von 22.30 Uhr bis 03.30 Uhr vor Ort und bietet Unterstützung auf zwei Wegen. Im Rahmen von Streetwork ist das Team auf der Discomeile präsent und ansprechbar. Einsatzgebiet ist dabei der öffentliche Raum vor den Diskotheken, nicht deren Innenraum. Nach Möglichkeit bewegt sich das Team auf der Discomeile in gemischtgeschlechtlichen Gruppen, um allen Jugendlichen einen einfachen Zugang bei Problemlagen, zu bieten. Zudem tragen die Mitarbeiter Namensschilder mit dem Vornamen, so besteht die Möglichkeit zu einem direkten und persönlichen Gesprächseinstieg. Neben dem mobilen Team auf der Discomeile, existiert eine Anlauf- und Beratungsstelle in einem Wohnwagen, dem sogenannten „Meilenstein“. Dieser bietet eine Rückzugsmöglichkeit für Gespräche mit Jugendlichen.
Die MitarbeiterInnen von ProMeile agieren auf niedrigschwelliger Basis als Unterstützer der Jugendlichen und verzichten bewusst auf repressive Handhabe. Sie bieten sich als Ansprechpartner für die Jugendlichen bei Problemen aller Art an. Der Partysituation auf der Discomeile entsprechend, bildet dabei der Alkohol- bzw. Drogenkonsum der Jugendlichen einen Schwerpunkt bei der Beratung. Gewalterfahrungen auf der Discomeile und in ihrem Alltag sind ebenfalls häufig Thema für die ratsuchenden Jugendlichen. In akuten Konfliktsituationen vor Ort werden die MitarbeiterInnen von ProMeile deeskalierend tätig, in Notfällen leisten sie Opferschutz.
Darüber hinaus steht das Team den Jugendlichen auch für andere individuelle Sorgen und Ängste beratend zur Verfügung, wie z.B. bei Problemen mit Türstehern, Eltern, Freunden, Schule, Ausbildung oder bei Liebeskummer. ProMeile vermittelt bei Bedarf an entsprechende fachspezifische Jugendhilfeeinrichtungen, zur Polizei oder zu medizinischer Versorgung und bietet darüber hinaus Begleitung zu diesen Institutionen sowie weiteren Kontakt an. Aufgrund der vertraulichen und stets parteilichen Präsenz des Teams erhalten die Jugendlichen auf der Discomeile das Gefühl, Konfliktsituationen nicht mehr allein und hilflos gegenüber zu stehen. Das Wissen um verlässliche Ansprechpartner vor Ort fördert die positive Stärkung der Jugendlichen, trägt zu ihrem Sicherheitsgefühl und somit zu einer friedlichen Party bei.
Die Basis der personellen Ressourcen von ProMeile bilden ehrenamtliche Kräfte, die gemeinsam mit hauptamtlichen MitarbeiterInnen von VAJA auf der Discomeile tätig sind. Die für ein professionelles Arbeiten in diesem sensiblen Handlungsfeld erforderlichen Schulungsmaßnahmen werden regelmäßig u.a. in den Bereichen Streetwork, Deeskalationstraining und Erste Hilfe durchgeführt. Für alle MitarbeiterInnen besteht die Möglichkeit zur internen Praxisberatung und Supervision. Allabendlich wird mittels Evaluationsbögen Zahl und Art der Kontakte nebst Weiterem evaluiert. Einmal monatlich findet ein Teamtreffen statt, um arbeitsrelevante Inhalte zu besprechen und den Austausch mit allen Beteiligten zu ermöglichen. Momentan setzt sich das Team aus sechs Honorarkräften, mit pädagogischem Hintergrund, und ca. 16 ehrenamtlichen Personen zusammen. Als Standard wird gesehen, dass nachts immer zwei Honorarkräfte und zwei bis drei ehrenamtliche MitarbeiterInnen vor Ort sind.
Die Zusammenarbeit mit Polizei – Komplementäre Notwendigkeit statt Symbiose
Das ProMeile Team und die Polizei verfolgen das einheitliche Ziel, die Sicherheit auf der Discomeile zu erhöhen. Arbeit und Selbstverständnis der Polizei und der Streetworker sind dabei aber grundsätzlich verschieden (Möller 2010). Dieser Punkt soll gegenüber den Jugendlichen und den weiteren Beteiligten immer wieder deutlich herausgearbeitet und vermittelt werden.
Die Kooperation im Einzelnen stellt sich so dar, dass sich allabendlich der diensthabende Zugleiter der Polizei am Wohnwagen vorstellt. Dabei findet ein kurzer Austausch über das vergangene und das kommende Wochenende statt. Außerdem können Situationen besprochen werden, in denen es zu Schnittpunkten mit den Beamten vor Ort und dem ProMeile Team gekommen ist. Während der Abende wird versucht, eine offensichtliche Kooperation möglichst gering zu halten. Bei den Jugendlichen soll nicht der Eindruck entstehen, dass ProMeile neben der Polizei eine zweite Ordnungskraft darstellt, die im gegenseitigen Austausch steht. Eine direkte Zusammenarbeit auf der Discomeile entsteht somit lediglich, wenn es für die Streetworker zu nicht lösbaren Situationen kommt und die Polizei herangezogen werden muss. Des Weiteren können die Beamten im Ernstfall auch eine Sicherung für das ProMeile Team darstellen.
Aus der praktischen Arbeit auf der Discomeile hat sich in diesem Punkt gezeigt, dass hier eine hohe gegenseitige Akzeptanz vorhanden ist und eine Zusammenarbeit in solchen Risikosituationen auf ein überschaubares Maß reduziert wird. Von Seiten der Polizei werden folgende Aspekte benannt, die auch eine positive Bewertung der Zusammenarbeit mit ProMeile verdeutlichen. Zum einen sind die MitarbeiterInnen des Teams durch rote Jacken und Namensschilder optisch klar gekennzeichnet. Somit ist klar zu erkennen, in welcher Funktion sich die Streetworker auf der Discomeile bewegen. Für die Jugendlichen vor Ort ist es oftmals einfacher einen zivilen Streetworker anzusprechen, als einen uniformierten Polizeibeamten. Außerdem kann durch die Präsenz des ProMeile Teams der Nebeneffekt entstehen, dass potentielle Straftäter von bestimmten Handlungen Abstand nehmen. Weiterführend suchen oftmals frustrierte und aggressive Jugendliche die Streetworker auf, um über ihren Ärger zu sprechen. Durch diese Gespräche kann das Aggressionspotential gemindert werden, das die Jugendlichen möglicherweise an anderen Personen ausgelassen hätten, wodurch sie schlussendlich mit der Polizei konfrontiert worden wären.
Fazit
Traditionellerweise besteht der Auftrag der Polizei in der Ermittlung und Verfolgung von Straftaten, sowie der Repression und Abwehr von Gefahren, wenngleich in neuerlicher Zeit auch Kriminalitätsprävention als polizeiliche Aufgabe definiert wird (vgl. v. Hasseln, 2006). Auf der Bremer Discomeile gehört, eher im Sinne tertiärer Prävention, Gefahrenabwehr und gegebenenfalls Repression zu den zentralen und unvermeidlichen Inhalten polizeilicher Arbeit. Als sich 2006 Akteure aus Politik und Sicherheit und Diskobetreiber zusammen an einen Tisch setzten, war man auf der Suche nach einem Projekt mobiler Sozialarbeit im Sinne sekundärer Prävention.
Geschaffen wurde ein zu Polizeiarbeit komplementäres und koproduktives Projekt, zu dem der Erstkontakt seitens der Besucher der Discomeile attraktiv und niedrigschwellig ist und das im Sinne der Kernaufgaben sozialer Arbeit individuelle Handlungsfähigkeit und soziale Integration fördert (vgl. Böhnisch 2008). Neben der finanziellen Absicherung des Projektes sichert den Erfolg des Projektes, dass Polizei und ProMeile Team ihre Auftragslagen, Selbstverständnisse und Arbeitsprinzipien in Abgrenzung zueinander definieren und eine gegenseitige Übereinkunft bezüglich einer komplementären Notwendigkeit der Arbeit beider Seiten vorhanden ist.
Literatur
Böhnisch, Lothar (2008): Sozialpädagogik der Lebensalter. Eine Einführung. Weinheim und München, 5., überarb. u. erw. Aufl.
Hasseln, Sigrun v. (2006): Rechtspädagogik. Von der Spaß- in die Rechts- und Verantwortungsgesellschaft. Norderstedt.
Möller, Kurt (2010): Fachwissenschaftliche Perspektiven auf das Verhältnis von Polizei und Sozialer Arbeit. In: Möller, Kurt (Hrsg.): Dasselbe in grün. Aktuelle Perspektiven auf das Verhältnis von Polizei und Sozialer Arbeit. Weinheim und München, S. 9-13.
Zitiervorschlag
Reineke, Christoph und André Taubert (2016): Das Projekt „ProMeile“ – Aufsuchende Jugendarbeit auf der Bremer Discothekenmeile. In: sozialraum.de (4) Ausgabe 2/2012. URL: https://www.sozialraum.de/das-projekt-promeile.php, Datum des Zugriffs: 21.12.2024