Gemeingut Grün: Ein Dauergartenvertrag für die urbanen und interkulturellen Gärten in Berlin
Marco Clausen, Kerstin Meyer
Dieser Beitrag entstand in einem öffentlichen Konsultationsprozess zur Weiterentwicklung der urbanen und interkulturellen Gärten in Berlin. Dafür wurde am beim ZK/U Berlin– Zentrum für Kunst und Urbanistik der „Untersuchungsausschuss #01“ gegründet, der von Juli bis September 2018 tätig war. Der vorliegende Beitrag begründet die Notwendigkeit des Erhalts und Ausbaus der urbanen und interkulturellen Gärten Berlins mit ihren gemeinwohlorientierten Funktionen und ihrer Relevanz für den sozial-ökologischen Stadtumbau.
Für den Untersuchungsausschuss #01 wurden vom ZK/U Kerstin Meyer und Marco Clausen eingeladen, die Frage nach dem Wert, Umgang und Erhalt von Grünräumen in Berlin zu untersuchen. Damit berief das ZK/U zwei Expert*innen in den ersten Untersuchungsausschuss, die sich in den letzten Jahren für den Erhalt von unbebauten Flächen in Berlin engagiert haben. Kerstin Meyer erreichte als Mitinitiatorin des Volksentscheids Tempelhof (thf100.de) die Nichtbebauung des Tempelhofer Feldes. Marco Clausen setzt sich aktuell mit Common Grounds e. V. für einen 99-jährigen Erbpachtvertrag für die unbebaute Fläche der Prinzessinnengärten (prinzessinnengarten.net) am Moritzplatz in Berlin Kreuzberg ein.
1. Der Untersuchungsausschuss #01
Im Untersuchungsausschuss #01 waren über 100 aktive Teilnehmende involviert. Er war der Ort für einen dreimonatigen Prozess aus Untersuchungen, Ortsbegehungen, Kartierungen, Gesprächen, Inputvorträgen, Aktionen, Literatursammlungen und der Beauftragung von zwei künstlerischen Arbeiten. Zusammen mit dem Netzwerk Urbane Gärten Berlin wurde zu Beginn im August 2018 ein Fragebogen entwickelt und an verschiedene Gartenprojekte geschickt. Das Gartennetzwerk war 2017 anlässlich der akuten Bedrohung des Gemeinschaftsgartens Prachttomate gegründet worden, um die solidarischen Strukturen zwischen den Gärten zu stärken und ihnen eine politische Stimme zu geben.
An der Umfrage haben sich trotz der Sommerpause und der kurzen Vorlaufzeit elf Gärten aus acht Stadtteilen beteiligt. 20 Gartenaktivist*innen sind am 13. September in der Laube im Prinzessinnengarten zusammengekommen, um gemeinsam die Ergebnisse zu besprechen. Obwohl es in den letzten Jahren eine kaum zu überschauende Zahl von Forschungsarbeiten und Publikationen zum Thema gab [1], war das Feedback einhellig: Eine vergleichbare Erhebung, die nicht nur Daten über Größe, Anzahl der Beteiligten, Organisationsstrukturen und Kosten der Gartenprojekte erhebt, sondern diese auch mit den stadtpolitischen Zielsetzungen der Gärten verknüpft, hat es noch nicht gegeben [2].
Hintergrund der Umfrage war die Koalitionsvereinbarung der derzeitigen Berliner Regierung aus SPD, Die Linke und Bündnis90/Die Grünen, die in ihrer Koalitionsvereinbarung von 2016 einen dauerhaften Erhalt und eine Ausdehnung der Grün-, Frei- und Naturflächen angekündigt und dabei zum ersten Mal auf Senatsebene auch explizit die urbanen Gärten in diese Forderung einbezogen hat: „In Orientierung am vor mehr als 100 Jahren geschlossenen Dauerwaldvertrag und am existierenden Berliner Landschaftsprogramm strebt die Koalition einen Stadtvertrag zur dauerhaften Erhaltung wichtiger Grün-, Frei- und Naturflächen an. Wo wohnortnahe Grünflächen fehlen, sind durch den Ankauf oder die Umnutzung von Flächen neue Grünflächen zu schaffen und die Pflege abzusichern. Die Koalition richtet eine/-n feste/-n Ansprechpartner*in für Urban Gardening ein und entwickelt zusammen mit den Akteur*innen der Gartenszene ein gesamtstädtisches Konzept für urbane und interkulturelle Gärten. Berlin wird zur ‚Essbaren Stadt‘.“ [3]
In der 16. Sitzung des Ausschusses für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz wurde der Antrag Urban Gardening in der Stadt zu verwurzeln von allen Fraktionen mit Ausnahme der AfD angenommen. Der Vertreter der AfD warnte vor den Gärten als „Brutstätten linkspolitischer, marxistisch-leninistischer, anarchistischer oder sonstiger Ideologien“, vor dem Entstehen eines „neuen außerparlamentarischen Ackers“, vor Verbandsklagerechten und dem Lahmlegen der Stadt durch Spontandemos, vor der Umnutzung von Parkplätzen – und davor, dass Wildtiere in die Stadt gelockt würden. In seinem Beschluss vom 22.02.2018 hat das Abgeordnetenhaus den Auftrag aus dem Koalitionsvertrag nochmals bestätigt und den Senat aufgefordert, zusammen mit den unterschiedlichen Akteur*innen ein „gesamtstädtisches Konzept für urbane, Klein- und interkulturelle Gärten zu entwickeln“.
2. Die Ergebnisse des Untersuchungsausschusses #01
In dem von uns herumgeschickten Fragebogen stand die Frage im Vordergrund, wie aus Sicht der Gartenaktivist*innen ein gesamtstädtisches Konzept für urbane und interkulturelle Gemeinschaftsgärten aussehen sollte. In der folgend darstellten Auswertung haben wir die Ergebnisse nach unserer eigenen Einschätzung als eine Sammlung von Aussagen zusammengefasst und dabei versucht, die Vielstimmigkeit der Gärten zu berücksichtigen. Es handelt sich ausdrücklich nicht um eine Aussage der Gärten. Wir haben die zentralen Aussagen unter den Überschriften „Was wir geben“ und „Was wir brauchen“ zusammengefasst.
Deutlich geworden ist auch die Vielfalt der Gärten. Ihre Größen reichen von einer gemeinschaftlich bewirtschafteten Kleingartenparzelle bis zu Gemeinschaftsgärten mit mehreren Tausend Quadratmetern, Hunderten aktiven Nutzer*innen und Zehntausenden Besucher*innen pro Jahr. Zentrale Forderung aller Gärten ist dabei die dauerhafte Sicherung der Projekte und ihrer Funktion als offene, soziale, ökologische und gemeinwohlorientierte Orte. In ihren Zielen stimmen alle an der Umfrage Beteiligten der gemeinsamen Positionsbestimmung aus dem 2014 veröffentlichten Urban Gardening Manifest zu.
2.1 Was wir geben
Die Sorge für das Gemeinwohl in den urbanen und interkulturellen Gärten
Wir haben die Gärten gefragt, welche Aufgaben sie bereits im Sinne der Förderung des Gemeinwohls durch ihr meist ehrenamtliches Engagement übernehmen. Danach sind die Gärten Freiräume und Begegnungsorte, soziale Treffpunkte und Orte der Teilhabe, Orte für Informations- und kulturelle Veranstaltungen, Orte der Entspannung und Kontemplation, Treffpunkte für die Nachbarschaft. Sie haben darüber hinaus therapeutische Funktionen.
Für die Nachbarschaften schaffen sie Kleinbiotope und „grüne Oasen“, sie bieten kostenfrei nutzbare und qualitativ anspruchsvolle Grünfläche, sie tragen zur Verschönerung der Kieze und zur Umweltgerechtigkeit bei, verbessern das Stadtklima sowie das Wassermanagement und sorgen für nachhaltige Ressourcenkreisläufe, etwa durch Re-Use von Materialien und Kompostierung. Teilweise vernetzen sich die Gärten im Quartier mit anderen stadtpolitischen Initiativen gegen Verdrängung und sind im Sinne von Agoren direktdemokratische Orte für eine offene Diskussion, Meinungs- und Wissensaustausch.
Es gibt zwei zentrale gemeinwohlorientierte Funktionen aller Gärten: zum einen die ökologische Bewirtschaftung der Gärten selbst, die dem Natur- und Umweltschutz, der biologischen Vielfalt und dem Stadtklima dient. Damit verbunden sind selbstorganisierte, niedrigschwellige, oft informelle Bildungsangebote, die Wissen und Praxis einer breiten und heterogenen Gruppe von Menschen zugänglich machen. Zu den hier vermittelten Themen zählen nach Aussage der Gärtner*innen u. a. der Erhalt der biologischen Vielfalt, klimafreundliche Anbautechniken, soziale Ökologie, alternative Ökonomien wie Subsistenz oder Commoning, solidarische Ökonomien sowie gesunde und nachhaltige Ernährung. Die Schaffung qualitativen und vielfältigen Grüns in Wohnortnähe ermöglicht zudem offen zugängliche Naturerfahrungsräume. Gemeinsam erlernt werden durch die Möglichkeit zur Teilhabe auch Kompetenzen der Selbstverwaltung und zivilgesellschaftliches Engagement.
Zu den konkreten Angeboten der unterschiedlichen Gärten zählen beispielsweise Besuche von Kitas und Schulen, die Teilnahme an Veranstaltungen wie dem Langen Tag der Stadtnatur, Festivals, Märkte, Workshops, Filmabende mit sozialen und Bildungsträgern sowie zivilgesellschaftlichen Organisationen zu unterschiedlichen gesellschaftlich relevanten Themen wie Ernährungssouveränität, ökologischer Landbau, biologische Vielfalt, Naturschutz, Lebensmittelverschwendung, Recht auf Stadt etc. Zwei Gärten besitzen eine Food-Sharing-Station. Es gibt Möglichkeiten zum Selbstbau und zum Reparieren in Repair-Cafés, offene Fahrrad-, Holz- und Metallwerkstätten, einen Verleih von Lastenfahrrädern und Werkzeug, offene Tage zum Mitgärtnern, gemeinschaftliche und kostenlose Essen, Bienenstandorte und Ausbildungsorte zur „wesensgemäßen Imkerei“, Saatgut- und Pflanzentauschmärkte, offene wöchentliche Treffen als Beteiligungsangebot zur nachbarschaftlichen Planung, Kompostierangebote sowie Zugang zu organischer Erde und sortenfestem Saatgut für das Gärtnern auf dem Balkon oder im eigenen Kleingarten. Teilweise werden auch umliegende Bereiche und öffentliche Räume durch Bewässerung von Bäumen und Entsorgung von Müll mitgepflegt.
Selbstverpflichtung der Gärten im Sinne der Gemeinwohlorientierung
Auf der Basis der bereits bestehenden Praxis gibt es in den Gemeinschaftsgärten eine große Bereitschaft, in Verbindung mit einer dauerhaften Sicherung auch verpflichtende Gemeinwohlkriterien für urbane und interkulturelle Gärten zu formulieren. Zu diesen Kriterien zählen:
- Die Gärten müssen Gemeingüter sein. Sie dürfen kein Privateigentum sein und nicht kommerziell verwertet werden.
- Erwirtschaftete Einnahmen müssen zurück in das Projekt fließen und dürfen nicht entnommen werden.
- Die Gärten besitzen selbstverwaltete und demokratische Organisationsstrukturen, eine klare Ansprechbarkeit, Verantwortlichkeit und Erreichbarkeit.
- Die gemeinnützigen Ziele müssen verbindlich in der Satzung oder in Form einer Absichtserklärung festgeschrieben sein. Auch die einzelnen Mitwirkenden müssen den Rechten und Pflichten zustimmen.
- Die Gärten sind auf mehrere Generationen ausgerichtet (Nachhaltigkeit).
- Die Gärten gewährleisten eine niedrigschwellige Zugänglichkeit, u. a. durch kostenfreie Nutzung, festgelegte Öffnungszeiten für die Öffentlichkeit, öffentliche Veranstaltungen und offene Programme, durch die Möglichkeit für jede*n mitzuwirken, gemeinschaftliche Aktivitäten, gezielte Zusammenarbeit mit der Nachbarschaft, die Schaffung nachbarschaftlicher Treffpunkte und von Räumen der Begegnung, Sicherstellung von Interkulturalität und Inklusivität auch über die jeweiligen Angebote, durch mehrsprachige und vor Ort einsehbare Informationen sowie ein Diskriminierungsverbot.
- Die Gärten nehmen an den regelmäßigen Vernetzungstreffen teil.
- Es gibt ein Zusammenarbeitsgebot mit Schulen, Kitas, Flüchtlingsunterkünften und anderen sozialen und Bildungsträgern.
- In den Gärten werden ökologische Kriterien umgesetzt. Zu diesen zählen: der Verzicht auf den Einsatz von Pestiziden, Herbiziden und chemischen Düngemitteln, Naturschutzmaßnahmen (Vogelschutz, bestäubende Insekten), die Verwendung samenfesten Saatguts, die Förderung des Anbaus seltener Gemüse- und Obstsorten, die Förderung von Blühstreifen und Rückzugsorten für Tiere und Wildpflanzen. Die ökologische Ausrichtung wird vor Ort vermittelt,
2.2 Was wir brauchen
Dauerhafte Absicherung der Gemeinschaftsgärten als Gemeingut
Aufgrund der oft prekären Lage als Zwischennutzung besteht die zentrale Forderung an ein Gartenkonzept für Berlin darin, die bestehenden Flächen auf einer verbindlichen Rechtsgrundlage dauerhaft zu sichern. Die selbstorganisierten Gärten müssen als Bildungs- und Teilhabeorte in einer zukunftsfähigen Stadtplanung zu einem fest verankerten Teil der sozialen und ökologischen Infrastruktur werden.
Der Zugang zum gemeinschaftlichen Gärtnern soll allen sozialen Schichten offenstehen und wohnortnah gewährleistet sein. Dazu sollen über die bestehenden Standorte hinaus weitere Flächen für Gemeinschaftsgärten in allen Kiezen ausgewiesen werden. Dies muss gerade auch in dicht bebauten Bereichen gewährleistet sein – unter der Zielsetzung, einen höheren Grad an Umweltgerechtigkeit umzusetzen, insbesondere dort, wo Umweltbelastungen hoch sind und der Zugang zu Natur und Erholung eingeschränkt ist. Ein Potenzial, auch im Zusammenhang mit dem Ziel eines klimaneutralen Berlins, ist der Ausbau der grünen Infrastruktur auf den bisher dem automobilen Individualverkehr vorbehaltenen Flächen. Zur dauerhaften Absicherung der Gärten müssen diese als eine Allmende (Gemeingut) verstanden werden. Die Gärten übernehmen bereits jetzt schon zahlreiche öffentliche Aufgaben und gemeinwohlorientierte Funktionen wie die öffentliche Zugänglichkeit zu Naturerfahrungs- und Erholungsräumen, Bildungsangebote, soziale und nachbarschaftliche Aufgaben sowie die Umsetzung von Zielen des Natur-, Umwelt- und Klimaschutzes. Im Rahmen einer gesamtstädtischen Planung werden diese Funktionen gemeinsam mit der Politik ausgehandelt und verbindlich für die Gärten festgeschrieben.
Um die Umsetzung dieser Aufgaben sicherzustellen, bedarf es einer gesicherten und kontinuierlichen Finanzierung für Personal- und Sachmittel. Um diese Sorge für das Gemeinwohl zu gewährleisten und die Gemeinschaftsgärten zu einem generationenübergreifenden Teil der Stadt zu machen, werden die Gärten dauerhaft der Spekulation, Privatisierung und Bebauung entzogen. Modelle für eine solche Absicherung sind der Berliner Dauerwaldvertrag, das um nicht-temporäre Flächenwidmungen ergänzte Kleingartengesetz und Community Land Trusts.
Die Sorge um das Gemeinwohl kann nicht ausschließlich ehrenamtlich gewährleistet werden
Die finanzielle Ausstattung eines Urban-Gardening-Programms stellt die Umsetzung von Maßnahmen der Umweltbildung, Klimaanpassung, der biologischen Vielfalt und Umweltgerechtigkeit sicher. Zur kooperativen Umsetzung von Politik und Zivilgesellschaft müssen ausreichend Personalmittel in der Verwaltung eingestellt werden. Für Sicherung und Zukäufe von Flächen soll ein Bodenfonds eingerichtet werden.
Gemeinschaftsgärten als ressortübergreifendes Thema verstehen
Urbanes Gärtnern muss als ressortübergreifendes Thema verstanden werden, welches das Grün in der Stadt, den Umwelt- und Naturschutz ebenso umfasst wie Fragen der gesunden Ernährung, der Bildung, der Inklusion, des Wassermanagements, der Klimaanpassung und alternativer Ökonomien. Auf Bezirks- und Senatsebene sollte es klare und kompetente Ansprechpartner*innen geben.
Voneinander lernen
Es werden Beratungseinrichtungen eingerichtet, die gärtnerische, ökologische und rechtliche Kompetenzen an die Gärten und alle Interessierten vermitteln. Die Beratungsangebote können Themen wie ökologischen Landbau, Baumschnitt, Nistplätze, Brunnenbau etc. umfassen.
Mitgestalten statt pseudo-partizipieren
Im Prozess für eine gesamtstädtische Planung sollten die unterschiedlichen Akteure, die sich das gemeinwohlorientierte Grün zur Aufgabe machen, paritätisch vertreten sein. Es muss eine echte Teilhabe in der Erarbeitung von Konzepten und Plänen geben – keine Pseudo-Partizipation. Die Ergebnisse müssen verbindlich auf Landes- und Bezirksebenen umgesetzt werden.
Das Gemeingut Grün als Baustein eines sozial-ökologischen Stadtumbaus
Über eine Planung für urbane Gärten hinaus sollten Gemeinschaftsgärten, Kleingärten, Gartenarbeitsschulen, Schulgärten - mithin das von unten initiierte Grün insgesamt – in eine Strategie des sozial-ökologischen Stadtumbaus integriert werden. Diese umfasst u. a. eine wirksame Dekarbonisierung Berlins, einen Ausbau des Fahrradnetzes, ökologische Maßnahmen des Bauens, der Wassernutzung und des Abfallmanagements sowie eine zukunftsfähige Ernährungsstrategie für Berlin-Brandenburg. Die Umsetzung des Ziels „Essbare Stadt“ bedeutet neben der Förderung urbaner und sowie peri-urbaner Landwirtschaft und einem stärkeren Fokus auf Selbstversorgung die engere Zusammenarbeit mit ökologischen Produzent*innen in der Region. Urbane Gärten können eine Brücke zum Land schlagen, indem sie als Verteilungs- und Vermittlungsorte dienen.
Leuchtturmprojekt „Allmende-Gärten“ auf dem Tempelhofer Feld
Im Rahmen des Volksentscheids zum Erhalt des Tempelhofer Feldes haben die Berliner*innen selbst ein Gesetz formuliert und mit großer Mehrheit unterstützt, welches das Feld vor einer Bebauung schützt. In dem Gesetz wird der Senat verpflichtet, „Allmende-Gärten“ im äußeren Wiesenring anzulegen. Dieser Verpflichtung ist nachzukommen.
Über den Gartenzaun hinweg neue Kooperationsformen einüben
Parzellen in Kleingartenanlagen werden für gemeinschaftliches Gärtnern geöffnet. Wir arbeiten mit Schulgärten und Gartenarbeitsschulen im Bereich Bildung für nachhaltige Entwicklung zusammen. Für die Schulen, Kindergärten und familiären Einrichtungen werden Zugang zu geeigneten Flächen und eine ausreichende Ausstattung mit kompetentem Personal geschaffen.
3. Der Berliner Dauergartenvertrag – Ein Entwurf
Aus der Arbeit des Untersuchungsausschuss #01 und den dargestellten Ergebnissen wurde ein folgend dargestellter Entwurf für einen Berliner Dauergartenvertrag entwickelt. Dieser formuliert die zentralen Erfordernisse für einen dauerhaften Erhalt und die Weiterentwicklung der urbanen und interkulturellen Gärten in Berlin und benennt die dafür nötigen strukturellen Voraussetzungen der öffentlichen Daseinsvorsorge.
Der Berliner Dauergartenvertrag
Ein Entwurf
Präambel
Als Teil der sozialen und ökologischen Infrastruktur werden die urbanen und interkulturellen Gärten Berlins dauerhaft als Orte des Gemeinwohls und des Gemeinschaffens gesichert. Der Berliner Dauergartenvertrag ist ein Baustein für den notwendigen sozial-ökologischen Umbau zu einer zukunftsfähigen, vielfältigen, lebenswerten, klimaneutralen, sozial und ökologisch gerechten Stadt-Land-Region.
§ 1
Um der wachsenden Bevölkerung Berlins für die ferne Zukunft Gelegenheit zum gemeinschaftlichen Gärtnern, zur Erholung und Erfrischung im Freien sowie der gemeinsamen Sorge um das Grün zu geben, werden die bestehenden 113 urbanen und interkulturellen Gärten dauerhaft gesichert.
§ 2
a) Bis 2022 werden zusätzlich Flächen für 200 weitere gemeinwohlorientierte Gartenprojekte in allen Stadtteilen ausgewiesen, um allen Berliner*innen Zugang und Teilhabe wohnortnah zu ermöglichen.
b) Gemeinschaftsgärtnerisch genutzte Bereiche auf öffentlichen Grünflächen, auf Schulstandorten, in sozialen Einrichtungen und in den Berliner Kleingärten können bei einer Selbstverpflichtung auf die gemeinwohlorientierten Zwecke des Vertrages (§ 6) Teil des Dauergartenvertrages und der Bodenstiftung für urbane und interkulturelle Gärten (§ 5) werden.
§ 3
Für einen nötigen Zukauf von Flächen wird ein angemessen ausgestatteter Bodenfonds eingerichtet.
§ 4
Es wird eine Widmung „gemeinwohlorientierter Gemeinschaftsgarten“ als Teil der Daseinsvorsorge in die Planung aufgenommen.
§ 5
Die durch den Berliner Dauergartenvertrag geschützten Gärten werden in eine Bodenstiftung für urbane und interkulturelle Gärten übertragen und dauerhaft gemeinwohlorientierten Zielen gewidmet.
§ 5.1
Im Vorstand der Bodenstiftung sind die Nutzer*innen, Vertreter*innen des Senats und der Bezirke aus den jeweiligen Fachbereichen (Grünflächen, Umwelt-, Natur- und Klimaschutz, Bildung, Soziales) und entsprechende Vertreter*innen der Zivilgesellschaft mit einem Stimmrecht von jeweils einem Drittel paritätisch vertreten. Der Vorstand achtet auf die Umsetzung der gemeinwohlorientierten Funktionen der Gärten.
§ 6
Die Nutzung der urbanen und interkulturellen Gemeinschaftsgärten des Berliner Dauergartenvertrages verfolgt gemeinwohlorientierte Ziele. Die Gärten richten demokratisch organisierte Trägerstrukturen ein und verpflichten sich
- zur Gewährleistung einer niedrigschwelligen Zugänglichkeit, u. a. durch die kostenfreie Nutzung, feste Öffnungszeiten, öffentliche Veranstaltungen und Angebote für jede*n zur Mitwirkung und Teilhabe,
- zur Interkulturalität, Inklusion und Diskriminierungsfreiheit,
- zur Umsetzung von sozialen und Bildungsangeboten, insbesondere mit Schulen, Kitas, sozialen und forschenden Einrichtungen,
- zur Umsetzung ökologischer Zielsetzungen. Zu diesen zählen ökologischer Anbau, Naturschutzmaßnahmen, Förderung der biologischen Vielfalt und Klimaanpassungsmaßnahmen.
§ 7
Zur Umsetzung der gemeinwohlorientierten Ziele werden kontinuierliche und ausreichend ausgestattete Förderprogramme aufgesetzt. Die Nutzung der ausgewiesenen Flächen erfolgt pacht- und betriebskostenfrei.
§ 8
Der Berliner Dauergartenvertrag ist Bestandteil des sozial-ökologischen Stadtumbaus, der zukunftsfähigen Ernährungsstrategie Berlin-Brandenburg und des Transformationskonzeptes Klimaneutrales Berlin.
4. Ausblick
Die Ergebnisse bilden die Antworten und Beiträge der bisher erfassten Gartenprojekte und Beteiligten ab. In der gemeinsamen Diskussion der Ergebnisse wurde deutlich, dass die beteiligten Gärten eine solche Erhebung als wertvolles Instrument verstehen, um ihre Interessen zu vertreten. Für ein noch umfassenderes und breiteres Bild müsste die Befragung und Auswertung noch auf weitere urbane und interkulturelle Gärten ausgeweitet werden und noch weitere Akteur*innen in den Blick genommen werden. Dabei müssten auch die für die öffentlichen Aufgaben des Stadtgrüns zuständige landeseigene Grün Berlin GmbH, die Bezirks- und Senatsverwaltungen sowie weitere Urban Gardening Projekte in anderen Städten mit in eine erweiterte Betrachtung genommen werden. Zu diesen Aspekten und zu den Hintergründen des Untersuchungsausschusses #01 können in der hier unten verlinkten Langversion des Abschlussberichts viele weitere Informationen entnommen werden.
Langversion Bericht Untersuchungsausschuss #01
ZK/U Berlin – Zentrum für Kunst und Urbanistik
Demokratische Initiative 100 % Tempelhofer Feld e. V.
Prinzessinnengärten Berlin / Common Grounds e. V.
Fußnoten
[1] Auf der Website www.anstiftung.de ist eine große Auswahl von Bachelor-, Master- und Doktorarbeiten zum Thema Urban Gardening zu finden. 58 Forschungsarbeiten sind vollständig verfügbar, siehe: www.anstiftung.de/forschung
[2] Angesichts der „Überforschung“ der Gärten und der Erfahrung, sehr viel Zeit und Informationen in die Unterstützung studentischer Arbeiten zu stecken, ohne dass die Ergebnisse in die Gärten zurückfließen, haben einige Aktive eine Art ethischen Code für die Forschungsarbeit mit Initiativen entwickelt. Nach dem „Prinzip des Gärtnerns“ kann aus einem Garten nur etwas entnommen werden, wenn auch etwas in ihn hineingesteckt wird. Konkrete Vorschläge sind die gemeinsame Erarbeitung der Forschungsfragen, die Einbettung in die konkrete Praxis, die Vermittlung der Ergebnisse über den akademischen Kontext hinaus sowie die Sicherstellung ihrer Zugänglichkeit. Das dazugehörige Praxisblatt ist ebenfalls über anstiftung.de abrufbar. Zum Thema „Aktionsforschung“ siehe auch: Halder, Severin (2018): Gemeinsam die Hände dreckig machen. transcript Verlag, Bielefeld.
[3] Koalitionsvereinbarung 2016–2021: Berlin gemeinsam gestalten. Solidarisch. Nachhaltig. Weltoffen, S. 162.
Zitiervorschlag
Clausen, Marco und Kerstin Meyer (2019): Gemeingut Grün: Ein Dauergartenvertrag für die urbanen und interkulturellen Gärten in Berlin. In: sozialraum.de (11) Ausgabe 1/2019. URL: https://www.sozialraum.de/gemeingut-gruen.php, Datum des Zugriffs: 21.11.2024