Kiezatlas – Ein interaktiver Stadtplan und seine Weiterentwicklung in sozialräumlichen Praxisprojekten
Reinhilde Godulla
In der zweiten Ausgabe von sozialraum.de habe ich innerhalb meines Artikels „Das Berliner Projekt ‚Network – Verstärkung der Jugendarbeit‘“ (Godulla 2009) unter anderem auch den „Kiezatlas“ als virtuellen und interaktiven Stadtplan beschrieben. Im folgenden Beitrag soll über die Weiterentwicklungen des Kiezatlas in verschiedenen sozialräumlichen Praxisprojekten berichtet werden.
1. Was ist der Kiezatlas?
In Berlin werden mit Hilfe von Kiezatlas unter anderem Angebote der Jugendhilfe in ihrem sozialräumlichen Zusammenhang sichtbar gemacht. Dieser Aspekt ist vor allem für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der unterschiedlichen Dienste und Einrichtungen von Interesse, kann es doch dazu dienen, die Angebote transparenter zu machen, sie besser aufeinander abzustimmen und zu vernetzen. Ressourcen können aufgezeigt, sozialräumliche Zusammenhänge können visualisiert werden. Der Kiezatlas stellt somit ein Werkzeug für die sozialräumliche Betrachtung von Infrastrukturdaten dar. Eine weitere Zielgruppe stellen selbstverständlich die potentiellen und tatsächlichen NutzerInnen der Angebote, die breite Öffentlichkeit, dar.
Auf den Karten der Kiezatlasseiten werden Einrichtungen und Angebote unterschiedlicher Art geo-graphisch „verankert“ sowie weitere Informationen zur Einrichtung angezeigt (Anschrift, Ansprech-partnerInnen, Öffnungszeiten, Erreichbarkeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln, Internet- und E-Mail-Adressen, Angebote, Programme, Fotos, Logos, Sozialstrukturdaten etc.). Durch die Aufbereitung als interaktive Karte wird die Zugängigkeit der Angebote erhöht:
- Der Kiezatlas kann interaktiv abgefragt werden, der/die Nutzer/in entscheidet, welche Auswahl der gesamten Informationsmenge er/sie auf der Karte sehen will (dabei sind nach Kategorien gefilterte Abfragen möglich, die auch wahlweise miteinander kombinierbar sind)
- Die „Treffer“ auf der Karte können als ‚Türöffner’ zu einer unbegrenzten Zahl weitergehender Informationen fungieren (von der Website einer Einrichtung über einen Stadtplanlink zum öffentlichen Personennahverkehr bis zur Ansicht in „OpenStreetMap".
Einbezug von LOR-Daten
Ein weiteres Herzstück sind die „Lebensweltlich orientierten Planungsraum“ = LOR-Daten, die wir in Kooperation vom Amt für Statistik Berlin-Brandenburg für das Projekt Kiezatlas erhalten und aufbereiten. Diese können auf bezogen auf Straßen oder Ortsteile unter folgender URL abgerufen werden: www.kiezatlas.de/sozialraumdaten.
Über die LOR-Daten werden Informationen zur Bevölkerungsstruktur, insbesondere zur Herkunft und Nationalität sowie zur Altersstruktur der BewohnerInnen sichtbar. Ein LOR-Beispiel für die Oranienburger Str. in der Bezirksregion Alexanderplatz des Bezirks Berlin-Mitte wäre: http://jugendserver.spinnenwerk.de/~lor/seiten/2013/06/?lor=01011302
Vor einigen Jahren erhielt ich eine E-Mail von einem Dozenten einer niederländischen Universität, welcher nachfragte, ob wir nicht mehr die Berliner Sozialraumdaten zur Verfügung stellten. Ich antwortete, dass diese nunmehr über die LOR-Daten zu finden sind. Auf meine Frage nach dem dahinter stehenden Interesse erläuterte er mir folgendes Projekt:
Jährlich findet eine Exkursion niederländischer Lehramtsstudenten nach Berlin statt. Die Studierenden erhalten LOR-Daten aus verschiedenen Berliner Kiezen und erstellen daraus eine Analyse der Sozialstruktur und des Lebensgefühls. Anschließend erkunden sie paarweise die Kieze, befragen die Bewohner und stellen die Ergebnisse der Erkundung ihren vorherigen Analysen gegenüber. Dabei zeigen sich oft überraschende Ergebnisse, die mit den zuvor erstellten Analysen wenig gemein haben.
Beispiel 1, Zehlendorf/Mexikoplatz:
Anhand der vorhandenen Daten ging man z. B. von wohlhabender Bevölkerung und geringer Arbeitslosigkeit aus, was auf ein angenehmes Lebensgefühl und freundliche Atmosphäre hindeutet. Bei der Befragung trafen die StudentInnen jedoch vorwiegend auf unfreundliche Menschen mit geringer Bereitschaft, die Arbeit der StudentInnen zu unterstützen.
Beispiel 2; Neukölln/Rütlikiez:
Hohe Arbeitslosigkeit und Armut lassen eine negative Atmosphäre vermuten; die StudentInnen trafen jedoch auf aufgeschlossene, freundliche, einladende Interviewpartner, die Atmosphäre war entspannt und angenehm.
Seit Zustandekommen des Kontaktes ist die erste Anlaufstation der StudentInnen in Berlin die Internetwerkstatt Netti, unser Medienkompetenzzentrum, wo Kiezatlas und seine Projekte vorgestellt werden. Die Erfahrungen und Ergebnisse der Studien sind auch für mich immer wieder von großem Interesse.
2. Weiterentwicklungen des Kiezatlas
Die ersten Versionen des Kiezatlas boten zahlreiche Anregungen für die Entwicklung weiterer Projekte, die die interaktive Kartierung als Zugang übernommen haben und regionale oder themenbezogene Varianten des Kiezatlas entwickelt haben.
Mit den Administratoren der verschiedenen Kiezatlanten werden jährlich ein bis zwei Treffen durchgeführt. Dabei werden Erfahrungen, Entwicklungswünsche, ausgetauscht und diskutiert und die weitere Finanzierung besprochen. Alle Ergebnisse und Weiterentwicklungen stehen allen Beteiligten zur Verfügung. Im Folgenden werden einige Beispiele für Weiterentwicklungen kurz vorgestellt.
Ehrenamtsatlas
Die Berliner Senatskanzlei unterhält eine Datenbank der Angebote der Ehrenämter. Über eine Schnittstelle sind diese Daten nun auch mit 'OpenStreetMap' über Kiezatlas abrufbar (http://www.berlin.de/atlas/ehrenamt). Zudem ist hierfür, wie auch für alle anderen Karten, ist auch eine Mobile-App verfügbar (http://m.kiezatlas.de/ehrenamt).
Erweiterte Funktionen des Kiezatlas
Die Kiezatlas-Version 2.0 bietet erweiterte Nutzungsmöglichkeiten, so z. B. das neu eingerichtete 'Familienportal', das ein Redaktionstool über die Daten der Bezirke einbindet. In Kürze wird auch die Möglichkeit der Umkreissuche verfügbar sein (welche Angebote gibt es in einer definierten Umgebung bzw. Entfernung, z. B. 500 m, 1 km, 2 km etc.?).
Ausweitung des Kiezatlas auf weitere Städte
Inzwischen nutzen weitere Städte und Projekte die Kiezatlas-Technik, so etwa Oberhausen, Rostock, Köln.
- Oberhausen: Seit Ende September wird der Kiezatlas auch in Oberhausen genutzt. Im Rahmen des Projekts „Aktiv für Arbeit im Stadtteil“, das eine sozialraumorientierte Arbeitsmarktpolitik umsetzen will, sollen zu diesem Thema Angebote im Quartier Innenstadt gesammelt werden. Ziel des Projektes ist mit den Akteuren im Quartier in Kontakt zu treten, Kommunikationsprozesse anzuregen und so die vorhandenen Kompetenzen im Quartier Innenstadt zu bündeln. Daher wird der Stadtteilatlas in Oberhausen zu aller erst als Informationsplattform für die Akteure vor Ort genutzt, um das Wissen um die Angebote im Stadtteil zu vergrößern und eventuelle Kooperationen vor anzutreiben. Stadtteil-Atlas Innenstadt/Alt-Oberhausen
- Rostock: Hier startete das Rostocker Freizeitzentrum e.V. mit den Regionen Gartenstadt, Hansaviertel, Reutershafen. Weitere Regionen sind in Planung. Stadtteil-Atlas Rostock
- Köln: Der Köln-Atlas befindet sich im Aufbau. Bisher sind dort nur Angebote aus dem Stadtbezirk Nippes hinterlegt. Wir wünschen uns, dass weitere Bezirke unserem Beispiel folgen, sodass in naher Zukunft alle neun Kölner Stadtbezirke dort ihre Angebote veröffentlichen. Wenn Sie sich über die vielfältigen Angebote im Bezirk Nippes informieren möchten, klicken Sie bitte auf die grau unterlegte Fläche im Stadtplan rechts. Köln-Atlas
DDR-Heimatlas
Innerhalb des Forschungsprojektes „Vertiefende Aufarbeitung der Heimerziehung der DDR" ist ein Heimatlas-DDR angefertigt worden. Sie können ihn einfach einsehen, wenn sie auf die links abgebildete DDR-Karte klicken. Der Atlas erklärt sich von selbst. Er bietet im Moment Basisinformationen von 720 DDR-Heimeinrichtungen. Natürlich ist er nicht vollständig. DDR-Heimatlas
Atlas für Zugewanderte aus Ost- und Südosteuropa
Der OSOE-Atlas ist ein Online-Atlas mit Anlaufstellen und Unterstützungsangeboten für Zugewanderte aus Ost- und Südosteuropa. Entwickelt wurde der Atlas im Modellprojekt „Maßnahmen zur Stärkung der Roma-Community in Berlin“, um Vernetzung und Zusammenarbeit von Einrichtungen unterschiedlicher Fachbereiche zu fördern. Atlas für Zugewanderte aus Ost- und Südosteuropa. Ein Projekt von Gangway e.V.
Atlas al Arab
Ein Atlas über arabisches Leben in Berlin meines Networkkollegen des Projektes Orientexpress. Atlas al Arab
Kreuz und quer durch Tempelhof-Schöneberg
Dieses Projekt bietet einen interaktiven Kinder- und Jugendstadtplan für den Berliner Bezirk Tempelhof-Schöneberg. Kreuz und Quer durch Tempelhof-Schöneberg
Stadtteilzentren in Berlin
Hier wurde ein kartographisches Verzeichnis aller Stadtteil- und Nachbarschaftszentren in Berlin angelegt. Stadtteilzentren in Berlin. Ein Projekt unseres Verbandes für sozial-kulturelle Arbeit e.V.
Die vielfältigen und kreativen Weiterentwicklungen des Kiezatlas verdeutlichen seine Möglichkeiten. Wir freuen uns, wenn diese weiterhin vielfältig genutzt werden. Mehr unter: http://www.kiezatlas.de
Literatur
Godulla, Reinhilde (2009): Das Berliner Projekt „Network – Verstärkung der Jugendarbeit“. In: sozialraum.de (1) Ausgabe 2/2009, URL: http://www.sozialraum.de/das-berliner-projekt-network.php
Zitiervorschlag
Godulla, Reinhilde (2014): Kiezatlas – Ein interaktiver Stadtplan und seine Weiterentwicklung in sozialräumlichen Praxisprojekten. In: sozialraum.de (6) Ausgabe 1/2014. URL: https://www.sozialraum.de/kiezatlas.php, Datum des Zugriffs: 21.11.2024