Mobile Jugendmedienbildung im Stadtteil als eine Methode virealer Sozialraumaneignung

Verena Ketter

Die Aufenthaltsorte Jugendlicher und die damit verbundene Sozialraumaneignung sind heute vielfältig. Neben Schule, Jugendeinrichtungen, Spiel- bzw. Sportplätzen oder informellen Treffpunkten im Stadtteil zählen das Web 2.0 und insbesondere soziale Netzwerke zum Handlungs- sowie Erfahrungsraum Heranwachsender. Hier treffen sie auf Gleichaltrige, präsentieren ihr eigenes Selbst, kommunizieren und tauschen sich über Erlebnisse und ihre Lebenswelt aus. Im Rahmen dieser sozialen Prozesse gehen Jugendliche ihren Entwicklungsaufgaben oder Handlungsaufgaben wie Straus/Höfer (1997) das normative, auf die Adoleszenz beengte und von Havighurst entwickelte Konzept bezeichnen, nach. Im Gegensatz zur Erwachsenengeneration unterscheiden sie nicht mehr zwischen realen und virtuellen Erlebnissen – sie erfahren die vielfältigen Sozialräume ‚vireal'. Um an diese gewandelten/erweiterten Sozialraumerfahrungen anzuknüpfen und in den vielfältigen Sozialräumen Bildungsangebote zu initiieren, besteht die Herausforderung vor allem für eine sich selbst als sozialraum- und lebensweltorientiert verstehende Jugendarbeit aus der Entwicklung angemessener Methoden.
Im Folgenden wird zunächst Sozialraumaneignung im Kontext des Web 2.0 dargestellt um anschließend „vireale Sozialraumaneignung" als Ansatz einer sich wandelnden Jugend(medien)arbeit zu skizzieren. Den Beitrag abschließend wird die Methode der mobilen Jugendmedienbildung spezifiziert.

Sozialraumaneignung im Kontext des Web 2.0

In Anbetracht der mediatisierten Gesellschaft ist die Trennung der Parallelwelten in „real" und „virtuell" aufzuheben, da Virtualität die Realwelt ergänzt und nicht ersetzt oder multipliziert. Um das Konglomerat der Welten und eine neue Daseinskategorie zu charakterisieren, ist das Attribut „vireal" notwendig. Der Begriff „vireal" stammt aus der interaktiven Medienkunst und wurde vom Institut für Neue Medien an der Städelschule in Frankfurt/Main um dessen damaligen Direktor Peter Weibel geprägt (INM 1996, S.12).
Infolge medientechnologischer Entwicklungen (Computer, Internet und Mobiltechnologie) erleben Jugendliche heutzutage Raum als fragmentär, gestaltbar, bewegt und punktuell verknüpft wie ein „fließendes Netzwerk" (Löw 2001, S. 266). Raum wird in diesem Kontext verstanden als von Menschen und deren Handlungen konstruiert und nicht - dem absolutistischen Raumverständnis nach - als „Container". Web 2.0 und soziale Netzwerke stellen demnach auch Sozialräume dar, so dass von virealen Sozialräumen gesprochen werden kann.
Heranwachsende eignen sich, neueren Raumtheorien entsprechend, den Sozialraum nicht mehr in einer sukzessiven Erweiterung des Handlungsraumes in konzentrischen Kreisen an wie beispielsweise bei dem sozialökologische Zonenmodell (ausgehend vom ökologischen Zentrum über ökologischen Nahraum und ökologischen Ausschnitten bis hin zur ökologischen Peripherie (Baacke 1987)). Vielmehr erfährt die mit dem Internet heranwachsende Generation Raum, im Sinne einer Fortschreibung des Inselmodells nach Helga Zeiher (1983), das auch die Entstehung mehrere Räume an einem Ort zulässt. Wichtig sind hierfür die beiden Prozesse des „Spacing" und die „Syntheseleistung". Mit „Spacing" bezeichnet Löw das „Errichten, Bauen und Positionieren [...] in Relation zu anderen Platzierungen" (Löw 2001, S. 158). Unter „Syntheseleistung" ist das Zusammenfassen von Gütern und Menschen zu Räumen „über Wahrnehmungs-, Vorstellungs- und Erinnerungsprozesse" zu verstehen (ebd., S. 159).

Das „Spacing" und die „Syntheseleistung" berücksichtigend aktualisiert Ulrich Deinet seinen vor allem in der Kinder- und Jugendarbeit etablierten Ansatz der (Sozialraum) Aneignung, dessen Grundgedanken auf die kulturhistorische Schule der sowjetischen Psychologie und dessen Weiterentwicklung durch Klaus Holzkamp zurückgehen (Deinet 2010, S.38):

Nach Deinet machen sich Kinder und Jugendliche heute nicht nur physisch-materielle Räume zu Eigen, sondern kreieren und gestalten symbolische sowie virtuelle Räume aktiv in sozialen Prozessen. Bereits als Aktivitätsformen in Deinets Konzept der sozialräumlichen Jugendarbeit angelegt und für die Medienpädagogik von Niesyto (1991) als „symbolische Umweltaneignung" entfaltet, ist die Sozialraumaneignung für eine Jugendarbeit mit Web 2.0 bzw. Jugendmedienbildung zu präzisieren und fortzuschreiben.

Vireale Sozialraumaneignung

Zur Konkretisierung medienpädagogischer Praxis, die sich als eine sozialraum- und lebensweltorientierte Jugendarbeit versteht, ist das Methodenrepertoire um den Ansatz einer virealen Sozialraumaneignung zu erweitern. Vireale Sozialraumaneignung ist angelehnt an das Aneignungskonzept von Ulrich Deinet und Franz Josef Rölls Konzept des virealen Lernens.
Unter virealem Lernen versteht Röll die Auseinandersetzung Jugendlicher mit der ineinander verwobenen sozialen und medialen Wirklichkeit. Als Ziel nennt er die Identitätsstärkung, „um zu einem bewussteren Verhältnis zu sich selbst, des direkten Lebensumfeldes und einem komplexeren Verständnis gesellschaftlicher und medialer Wirklichkeit zu gelangen." (Röll 2009, S. 268).
Infolgedessen eröffnet vireale Sozialraumaneignung Gelegenheiten/ Optionen/ Möglichkeiten, um Jugendliche weiterhin bei ihrer Handlungsaufgabe, der Auseinandersetzung mit dem eigenen Selbst und der sozialen, materiellen und symbolischen Umwelt zu unterstützen und um dem sich wandelnden Sozialraum mit modifizierten Methoden der Jugendarbeit zu begegnen. Das Modell einer virealen Sozialraumaneignung besteht aus drei Handlungsfeldern der Jugendarbeit: mobile Jugendmedienbildung (Ketter 2010), virtuell-aufsuchende Jugendsozialarbeit und Jugendarbeit (im Rahmen ihrer Diplomarbeit entfaltet Christiane Bollig (2009) den Begriff „virtuell-aufsuchende Jugendarbeit", Weiterentwicklung durch Pritzens (2011)) sowie digitale Jugendbildung (Poli 2010).
Nachfolgend wird die Methode „virtuell-aufsuchende Jugendsozialarbeit & Jugendarbeit" sowie „digitale Jugendbildung" auf das Wesentliche beschränkend beschrieben, differenzierter und anhand eines Projektbeispiels wird „mobile Jugendmedienbildung" charakterisiert.

 Modell: vireale Sozialraumaneignung
Methode:
mobile Jugendmedienbildung

(Ketter 2010)

  • Medienbildung unmittelbar im Stadtteil
  • Präsentationen multimedialer Selbstnarrationen im Internet
Methode:
virtuell-aufsuchende Jugendsozialarbeit & Jugendarbeit

(Bollig 2009, Pritzens 2011)

  • aufsuchende Jugendsozialarbeit & Jugendarbeit in sozialen Netzwerken
  • aufsuchende Jugendsozialarbeit & Jugendarbeit im Stadtteil, zugleich über ein Smartphone in sozialen Netzwerken eingeloggt
Methode:
digitale Jugendbildung

(Poli 2010)

  • nutzt Peer-To-Peer-Kommunikation in sozialen Netzwerken
  • Medienkompetenz-förderung mit netzspezifischen Inhalten

Virtuell-aufsuchende Jugendsozialarbeit & Jugendarbeit

Abgesehen von Aufenthaltsorten im Stadtteil sind Jugendliche heute auch zahlreich in sozialen Netzwerken anzutreffen. Angesichts dieser neuen Treffpunkte führt das Gangway Team Marzahn um Tilmann Pritzens und Uwe Heide des Vereins „Gangway e.V. – Streetwork/Straßensozialarbeit in Berlin" ein Modellprojekt durch, das sie mit „webwork" beschreiben (Pritzens 2011). In sozialen Netzwerken als Sozialarbeiter angemeldet bieten sie jungen Menschen sozialpädagogische Hilfen nach § 13 SGB VIII an und leisten neben Face-To-Face Kontakten auch mithilfe des Web 2.0 Unterstützung bei schulischer und beruflicher Ausbildung, Eingliederung in die Arbeitswelt sowie sozialer Integration. Darüber hinaus sind sie während ihrer Arbeit auf der Straße im Stadtteil über Smartphones in sozialen Netzwerken eingeloggt, um für das Klientel erreichbar zu sein und umgehend agieren zu können.

Digitale Jugendbildung

Das Aufsuchen Jugendlicher an deren Aufenthaltsorten ist auch für die „digitale Jugendbildung" (Poli 2010) grundlegend. Ein wesentlicher Unterschied zur „virtuell-aufsuchende Jugendarbeit" besteht in der Nutzbarmachung der Peer-to-Peer-Kommunikation innerhalb sozialer Netzwerke. Im Sinne des Peer Education Ansatzes (Backes 2002, Nörber 2003) geben Jugendliche Informationen, Wissen und Kompetenzen an Gleichgesinnte, an ihre Peergroup weiter. So haben beispielsweise im Rahmen der Jugendkampagne „Watch your web" Heranwachsende ihre Freunde mithilfe der in Online-Netzwerken vorhandenen Kommunikationsstrukturen (z.B. Anzeige von Aussagen bzw. Aktivitäten bei Freunden/ Followern) auf die Initiative aufmerksam gemacht. Zugleich haben sie mittels interaktiver Ausdrucksweisen Peers im Umgang mit persönlichen Daten im Internet sensibilisiert. Erwachsene wurden als Begleiter und Organisatoren der Kampagne aktiv, über die pädagogischen Fachkräfte hinaus wurden auch Betreiber sozialer Netzwerke bzw. der Internetwirtschaft einbezogen. Diese Form der Jugendbildung steht in Kontrast zu konventionellen Lernmethoden, die durch Hierarchie, Aufklärung mittels Broschüren und durch Erwachsene geprägt sind. Zudem berücksichtigt digitale Jugendmedienbildung bei der Förderung von Medienkompetenz netzspezifische Inhalte wie Datenschutz, Verbraucherschutz, Urheberrecht, exzessive Mediennutzung, Bildung für nachhaltige Entwicklung, kreative Potentiale stärken, Informationskompetenz und Partizipation (detaillierte Beschreibung siehe Positionspapier der AG Digitalen Jugendbildung, Jörissen/Ertelt/Poli/Röll 2011).

Mobile Jugendmedienbildung

Um Heranwachsende zu erreichen, die sich wandelnde Sozialraumaneignung Jugendlicher aufzugreifen und anzuerkennen und um Bildungsangebote zu initiieren, ist das Aufsuchen Jugendlicher an deren Aufenthaltsorten notwendig.
Im Gegensatz zu institutionsgebundenen Medienprojekten erfordert mobile Jugendmedienbildung ein mit der Methode der aufsuchenden Jugendarbeit identisches, pädagogisches Vorgehen und Selbstverständnis. Das Aufsuchen Heranwachsender an deren Aufenthaltsorten im Stadtteil ist mit einem gewandelten Hierarchieverhältnis verbunden. Die Medienpädagogen verfügen nicht mehr über das Hausrecht und damit über Autorität. Vielmehr begeben sie sich als „Gast" in die Lebenswelt Jugendlicher und begegnen ihnen in deren Sozialraum gleichrangig auf Augenhöhe. Ein sensibles Auftreten der Medienpädagogen ist zudem notwendig, um eine vertrauensvolle Atmosphäre und Beziehung zu den teilweise unbekannten Heranwachsenden aufzubauen bzw. um sie nicht aus ihrem Sozialraum zu verdrängen. Für die Jugendlichen bedeutet das Aufsuchen ihrer Aufenthaltsorte durch die Medienpädagogen, dass sie keine Hemmschwelle überwinden und keine Einrichtung betreten müssen. Zusammen mit dem Wegfallen einer verbindlichen oder im Vorfeld zu leistenden Anmeldung eröffnet mobile Jugendmedienbildung eine Niedrigschwelligkeit, die auch Jugendliche erreicht, die für gewöhnlich keine institutionsgebundenen Angebote wahrnehmen.

>medien-street-art< - Verlauf eines mobilen Medienprojekts

medien-street-art

Infolge mobiler Medientechnologie ist Medienpädagogik nicht mehr an einen festen Ort gebunden, sondern kann flexibel an jugendlichen Treffpunkten erfolgen. An unkonventionellen Orten wie der Parkbank, dem Bolzplatz, der Straßenecke wurde im Rahmen des Projekts >medien-street-art< Heranwachsenden die Möglichkeit zur multimedialen Selbstnarration unmittelbar im Stadtteil eröffnet. Schmidt (2006) beschreibt Selbstnarrationen als Erzählungen über die eigene Person, die den Individuen als Rahmen der eigenen Identität und zur Einbettung in die eigene Lebenswelt dienen. Die männlichen Jugendlichen haben sich im Sinne des Identitätskonzepts von Keupp (2009) mit Identitätsfragen wie „Was zeichnet mich aus?", „Was ist typisch für mich?" und ihrer Umwelt direkt auseinandergesetzt, d.h. es war keine Rückkehr in die Einrichtung zur Aufarbeitung der Ergebnisse erforderlich. Die Erfahrungen des eigenen Selbst im Verhältnis zur Lebenswelt präsentierten die Heranwachsenden als Tonaufnahme oder Bilderclip auf Google Maps.

Vergleichbar mit der „Nadelmethode" (entwickelt von Ortmann (1999), fortgeschrieben durch Krisch u.a. (2009)), einer Methode der Sozialraum- und Lebensweltanalyse mit Kindern und Jugendlichen, wurden auf einer den Sozialraum darstellenden Onlinekarte Pins gesetzt. Durch einen Mausklick auf diese virtuellen Pins konnten die multimedialen Selbstnarrationen der Jugendlichen angesehen werden. Zugleich verorteten sich die Jugendlichen damit im Sozialraum und zeigten für sie bedeutsame Plätze im Stadtteil bzw. stellten Öffentlichkeit für ihre Interessen her.

Erfahrungen einer mobilen Jugendmedienbildung

Mit mobiler Jugendmedienbildung traf Jugendarbeit im Rahmen des Projekts >medien-street-art> Heranwachsende im Stadtteil an und initiierte Bildungsprozesse im öffentlichen Raum.
Die Präsenz von Jugendlichen an unkonventionellen Orten (z.B. für den Sperrmüll herausgelegte Schränke an einer Straßenecke) sorgte für Aufmerksamkeit und veranlasste Anwohner sowie Eltern auf ihre Balkone zu treten und die jungen Medienproduzenten zu beobachten bzw. von der nahegelegenen Bushaltestelle aus auf sie zuzugehen. Die Heranwachsenden nahmen das Gesprächsangebot auf, präsentierten umgehend ihre Selbstdarstellungen auf der Online-Landkarte und gaben den Anwohnern, die ihnen zuvor oft ablehnend gegenübertraten, Einblicke in ihre Lebenswelt. Neben den Jugendlichen wurde auch Jugendarbeit von einer breiteren Öffentlichkeit wahrgenommen und ein Dialog mit Anwohnern, Erwachsenen und Eltern entstand.

medien-street-art

Das Aufeinanderzugehen und die Verständigung zwischen den Generationen sind grundlegende Voraussetzungen für ein gemeinschaftliches Zusammenleben in einem Stadtteil und konstitutiv für Jugendarbeit. Im Kontext einer aktiven Mitgestaltung des Stadtteils repräsentieren die Selbstdarstellungen auf der Online-Landkarte eine direkte und authentische Form von Partizipation, fernab vom „Runden Tisch" oder Kinder- bzw. Jugendparlamenten, die insbesondere für Jugendliche aus sozial- und bildungsbenachteiligten Milieus geeignet ist. Die Heranwachsenden haben sich in den Bilderclips mit dem eigenen Selbst und ihrer Umwelt auseinandergesetzt und zeigen Orte, an denen sie ihren Interessen nachgehen. Ein Bilderclip ist bspw. auf Google Maps an der Stelle verortet, an dem die Verkehrsverhältnisse und der Straßenbelag besonders zum Skaten geeignet sind. Greift Jugendarbeit diese Sozialraumerkundung und Stadtteilbeurteilung auf, können Jugendliche an der Planung und Gestaltung des Stadtteils beteiligt werden.

Zur Verstetigung sozialräumlicher Beteiligung reichen einmalige medienpädagogische Projekte allerdings nicht aus, sondern sind in das Methodenrepertoire einer sozialräumlichen und lebensweltorientierten Jugendarbeit aufzunehmen, mit weiteren aktiven Mitgestaltungsformen zu verknüpfen sowie wiederholt durchzuführen.
Wie die Projektbeschreibung und die Artefakte als Patchwork des eigenen Selbst und der Lebenswelt veranschaulichen eröffnet die Methode der mobilen Jugendmedienbildung vielfältige Bildungsgelegenheiten. Zugleich kann mobile Jugendmedienbildung auch als medienethnographische Methode und als Instrument der Sozialraum- und Lebensweltanalyse betrachtet werden.
Der aus drei Methoden bestehende Ansatz einer virealen Sozialraumaneignung schließt darüber hinaus an geschlechterspezifischen Raumzugängen und -aneignungen an. An dem mobilen Jugendbildungsprojekt >medien-street-art< nahmen ausschließlich Jungen teil, Mädchen wurden auf der Straße kaum angetroffen. Erfahrungen sozialpädagogischer Praxis und medienpädagogischer Forschung zeigen, dass insbesondere Mädchen mit Migrationshintergrund bezüglich ihrer Ausgehzeiten und geschlechtshomogenen Aufenthaltsorten reglementiert sowie im Gegensatz zu Jungen in Familien- und Haushaltspflichten stärker eingebunden werden. Um dennoch mit ihren Freunden in Kontakt zu bleiben bzw. sich mit ihnen zu unterhalten, loggen sich Mädchen zu Hause ein und sind in sozialen Netzwerken aktiv (Tillmann 2008; Wagner 2008). Um eine geschlechtsspezifische Sozialraumaneignung pädagogisch zu unterstützen, scheint neben der mobilen, eher männliche Jugendliche ansprechende Jugendmedienbildung, die Methode der virtuell-aufsuchenden Jugendarbeit, das Aufsuchen Jugendlicher in sozialen Netzwerken als Ergänzung zum Erreichen von Mädchen sinnvoll.

Fazit & Ausblick

Vireale Sozialraumaneignung bezeichnet die Gleichzeitigkeit sozialräumlicher Erfahrungen im Sinne einer Verschmelzung von real zugänglichen und mediatisierten Sozialräumen und deren Ineinanderwirken.
Das Modell einer virealen Sozialraumaneignung ist für die Jugendarbeit erforderlich, um an sich wandelnde Lebenswelten und Sozialraumerfahrungen Jugendlicher anzuschließen und Heranwachsende bei ihren Handlungsaufgaben unterstützen zu können. Dabei wird an bereits ausdifferenzierte Ansätze der Jugendarbeit (subjektbezogene, sozialraumorientierte, anerkennende Jugendarbeit) angeknüpft und im Sinne eines „Mashups" werden Bildungsgelegenheiten initiiert, die Jugendliche mithilfe des Web 2.0 bilden. Der aus der Web 2.0-Kultur stammende Begriff „Mashup" steht für eine collagenartige Synthese bereits existierender (Medien)Inhalte, aus der neue (Medien)Inhalte hervorgehen. Vireale Sozialraumaneignung stellt demzufolge Bildungsarbeit im Kontext des Web 2.0 dar, die klassische Ziele der Jugendbildung wie Persönlichkeitsbildung oder gesellschaftliche Mitverantwortung verfolgt.
Das Gelingen ist allerdings mit der grundlegenden Voraussetzung verbunden, dass Medienpädagogik nicht als Spezialdisziplin der Jugendarbeit betrachtet und auf die Vermittlung technisch-instrumenteller Kompetenzen reduziert wird. Medienpädagogik ist als integraler Bestandteil einer lebensweltorientierten Jugendarbeit anzuerkennen und in das Methodenrepertoire als Querschnittsaufgabe aller pädagogisch Tätigen zu integrieren. Insbesondere für die Kinder- und Jugendarbeit hat dies zur Folge, das alltägliche Medienhandeln Jugendlicher im Web anzuerkennen und für pädagogische Aufgaben nutzbar zu machen.
Neben diesem konstitutiven Wandel bedarf es der Entwicklung einer Berufethik für im Web 2.0 aktive Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen, die sich z.B. mit der Trennung von Privat- und Berufsleben in sozialen Netzwerken sowie mit dem Umgang persönlicher Daten bzw. Informationen von Jugendlichen auseinandersetzt. Um überdies Erkenntnisse für eine zukünftige Jugendarbeit zu erhalten, sind jedoch weitere explorativ-medienpädagogische Praxis und Forschung unerlässlich.

Quellen

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Der vorliegende Beitrag ist eine veränderte Fassung des merz-Artikels:
Ketter, V. (2011): „Vireale Sozialraumaneignung – Ansatz einer sozialraum- und lebensweltbezogenen Jugendmedienbildung". In: merz. medien+erziehung. Zeitschrift für Medienpädagogik. 2011. Jg. 55. Heft 3. München. kopaed. S. 19-24.
Er erscheint mit freundlicher Genehmigung der merz-Redaktion


Zitiervorschlag

Ketter, Verena (2011): Mobile Jugendmedienbildung im Stadtteil als eine Methode virealer Sozialraumaneignung. In: sozialraum.de (3) Ausgabe 1/2011. URL: https://www.sozialraum.de/mobile-jugendmedienbildung-im-stadtteil.php, Datum des Zugriffs: 21.11.2024