Zwischen Selbstermächtigung und Unsichtbarkeit: Die Ausstellung „Architektur für Alle?!“ als Ort und Praxis der Reflexion über den patriarchalen Normalzustand

Clara Röhrig

„Sobald wir zu verstehen beginnen, dass die Stadt angelegt ist, um eine bestimmte Art und Weise der Gesellschaftsorganisation –  entlang von Geschlecht, Race, Sexualität und mehr –  aufrechtzuerhalten, können wir anfangen Ausschau nach neuen Möglichkeiten zu halten.“ (Kern 2020, 189)

Die Städte, in denen wir leben, mit den öffentlichen und privaten Räumen, durch die wir uns bewegen, sind kein neutraler Boden. Sie verdeutlichen unser gesellschaftliches System, das über Jahrhunderte in Beton und Asphalt festgeschrieben wurde. Doch wer gestaltete unsere Städte? Wessen Ideen verleihen sie (noch immer) Gestalt? Wer bewegt sich im Feld der Architektur und Planung? Und wer wird in diesem Feld (un-)sichtbar gemacht?

Die Ausstellung „Architektur für Alle?! Emanzipatorische Bewegungen in Planung und Raum“, zu sehen vom 13.10.22 bis zum 12.03.23 im Design-Museum Bremens, dem Wilhelm Wagenfeld Haus, hat sich diesen Fragen gestellt. Mit einem emanzipatorischen Blick sollten Lücken in der architektonischen Wissensproduktion und unbeleuchtete Ecken der Archive sichtbar gemacht werden. „Ausgangspunkt unseres Vorhabens war die These, dass heute zwar mehr Frauen als Männer Architektur studieren, im Beruf aber noch ‚nicht ankommen‘ beziehungsweise nicht ausreichend sichtbar werden“ (b.zb 2022, 10), so die Kurator:innen. Daraus entwickelten sie eine Ausstellung, die mit einem lokalen Bezug auf Bremen zeigte, wie Frauen schon seit vielen Jahrzehnten in Planung und Raum wirksam sind. Die Ausstellungspraxis zielte darauf ab, in partizipativen Prozessen mehrere Diskurse anstoßen: Einerseits sollte einem breiten Publikum Einblicke in das historische und aktuelle Wirken von Akteurinnen gewährt werden. Andererseits sollte die Ausstellung Berufsfelder rund um Architektur und Planung kritisch analysieren und reflektieren, um so die patriarchalen Strukturen offenzulegen, die noch immer richtungsweisend sind. Das Bestreben war, mit Wissenshegemonien und fachlichen Traditionen zu brechen und neue Räume für einen diversitätssensiblen Austausch zu erschließen.

Dieser Artikel beschreibt die Konzeption der Ausstellung und die Gedanken und Eindrücke der Autorin, die für die wissenschaftliche Begleitforschung und Evaluation der Ausstellung zuständig ist. Die Ausstellung wird hierbei als intervenierende Form sozialräumlicher Praxis verstanden und deshalb auch bewusst in der Rubrik „Praxis“ dieser Zeitschrift publiziert. Um die Eindrücke möglichst gegenwärtig zu halten, ist der Beitrag im Präsens formuliert.

1. Wegen Umbau geöffnet

Bereits die räumliche Konzeption der Ausstellung im Gebäude des Wilhelm-Wagenfeld-Hauses zeigt eine schöne Möglichkeit, wie es sich mit fachspezifischen Traditionen brechen lässt. Die Künstlerin Clare Waffel will die Besucher:innen ihre Gewohnheiten hinterfragen lassen. Ziel ihrer künstlerischen Intervention „Wegen Umbau geöffnet – Bitte nutzen Sie den Seiteneingang“ war es, das Museum für die Dauer der Ausstellung in eine (scheinbare) Baustelle zu verwandeln. Ein Gerüst sollte die Fassade und den Haupteingang verhüllen, so dass Besucher:innen den Seiteneingang zum Betreten nutzen müssen – den Eingang, der, anders als der Haupteingang, barrierefrei gestaltet ist. Doch zur Ausstellungseröffnung wird die Fassade des Wilhelm-Wagenfeld-Hauses tatsächlich renoviert und verwandelt sich nun auch unabhängig von Waffels Arbeit zu einer Baustelle. Und auch der Seiteneingang kann nicht wie von Waffel konzipiert genutzt werden, da dies personell vom Museum nicht umsetzbar sei. Trotzdem: Der Prozess der Intervention ist in einem ersten Raum der Ausstellung dokumentiert. Damit werden Prozesshaftigkeit und Reflektion als Tenor des gesamten Ausstellungsprojektes gesetzt.

Das Wilhelm-Wagenfeld-Haus in Bremen

Abbildung 1: Das Wilhelm-Wagenfeld-Haus in Bremen zum Zeitpunkt der Ausstellung. Zu erkennen sind die Sanierungsmaßnahmen an der Fassade, so wie das Banner der Ausstellung. (Quelle: Nikolai Wolff / Fotoetage)

2. Ein Blick in die Archive

Der Ausstellungsrundgang wirft sodann einen historischen Blick in die Archive. In zwei Räumen werden fünf Frauen und ihr architektonisches Schaffen ab 1950 bis in die 1970er-Jahre vorgestellt. Es wird deutlich, dass die Archive umgewälzt werden müssen, um entsprechende Beispiele zu finden. Durch historische Textdokumente und Fotos wird die Arbeit unterschiedlicher Architektinnen im Nachkriegs-Deutschland deutlich, wo sie als Vorreiterinnen wortwörtlich Räume prägen.

Es kann jedoch auch rekonstruiert werden, wie stark die patriarchalen gesellschaftlichen Umstände sie dabei einschränkten: So wurde Lore Krajewski, eine ausgebildete Architektin, durch ihre Ehe gezwungen ihre Arbeit im Hochbauamt niederzulegen, wodurch sie zunächst als freie Architektin tätig wurde, bis ihr auch dies von ihrem Ehemann untersagt wurde, da ihre eigenen Tätigkeiten und Erfolge diesem zu Schade kommen könnten. Ihre Nachfolgerin im Hochbauamt war Heidi Breyer-Starke, die mit Krajewskis Ehemann eng zusammenarbeitete und unter anderem an dem Umbau der Kunsthalle Bremen beteiligt war. Ein schwarz-weiß Foto zeigt sie fast schon versteckt in einer Männergruppe, ein Sinnbild für die Resilienz, aber auch Unsichtbarkeit einzelner Frauen in den Berufsfeldern der damaligen Zeit.

Um dagegen anzugehen, offenbaren die Archive schon früh die Wichtigkeit von Netzwerken, die für die Bedürfnisse von Frauen einstehen. So wird hier der Bremer Frauenausschuss angeführt, der bereits in den 1950er-Jahren für die Bedürfnisse von alleinstehenden und berufstätigen Frauen einsteht und aus dem sich 1952 der Verein Frauen-Wohnheim e. V. gründet.

Archiv-Dokumente werden in den Dialog mit aktuellen Perspektiven gebracht

Abbildung 2: Archiv-Dokumente werden in den Dialog mit aktuellen Perspektiven gebracht. (Quelle: Nikolai Wolff / Fotoetage)

3. Die zweite Welle der Frauenbewegung schwappt über

Wie wichtig die Organisierung innerhalb patriarchaler Strukturen ist, zeigt auch der nächste Raum. Auf der zweiten Etage des Ausstellungshauses werden die Errungenschaften der zweiten Welle der westdeutschen Frauenbewegung der 1980er- bis 1990er-Jahre im Bremer Kontext sichtbar. Ein Zentralaspekt ist dabei die Entstehung des Frauenstadthauses: Aus einer Fachveranstaltung zum Thema frauenbezogener Planung, die 1986 im Rahmen der Bremer Frauenwoche von drei Architektinnen auf die Beine gestellt wurde, formiert sich innerhalb weniger Monate der Verein Frauenstadthaus. Die Vereinsgründerinnen ersteigerten im Herbst 1989 ein Altbremerhaus, das sie anschließend sanierten und ab 1992 als Zentrum für Unternehmerinnen nutzten. Im Ausstellungsraum erzählen drei der acht Gründerinnen in einem Videointerview von dem Prozess des Projektes Frauenstadthaus und ihren innovativen Ideen, mit denen sie versuchten, einen egalitären Raum zu schaffen. Sie berichten von den bürokratischen Hürden der Zeit, der Aufbruchsstimmung während der Durchsetzung, dem emanzipatorischen Gründungsgeist und der Zukunftsperspektiven: „Heute stehen wir vor der Frage, wie es weitergeht mit dem Verein. Viele Ältere, die das Vereinsleben mitgetragen haben, gehen bald. […] Es ist nicht klar, dass dieses Haus immer in Frauenhand bleibt.“ (b.zb 2022, 119)

Ein weiterer Fokus liegt in diesem Raum auf der Dokumentation der Entwicklung der Feministischen Organisation von Planerinnern und Architektinnen Bremen, kurz FOPA Bremen, die sich innerhalb des überregionalen Netzwerkes von FOPA-Vereinen gründen. Die Ausstellung verdeutlicht, wie der Verein die Bremer Debatten um Architektur und Stadtplanung mitprägte und immer wieder den Fokus auf die ihnen inhärente Unterdrückung legte. Außerdem wird anhand der Berichterstattung der lokalen Tageszeitung Weser-Kurier das Projekt „Beginenhof“ vorgestellt, das 1997 als Wohnprojekt von Frauen für Frauen geplant wurde. Trotz internationaler Aufmerksamkeit kann das Vorhaben seine Ansprüche aufgrund finanzieller Sorgen aber nur in Teilen erfüllen. Ab 2001 wird das Wohnprojekt von der städtischen Wohnungsbaugesellschaft GEWOBA weitergeführt und steht seit 2006 allen Interessent:innen offen.

„Allen gemein ist diesen Projekten und Initiativen, dass sie auf die Kraft der Vernetzung bauen: In Arbeitsgruppen und auf Fachtagungen, im universitären Kontext wie in der Zusammenarbeit mit der Verwaltung und Berufsvertretung kommen Frauen aus den stadt-, landschafts- und gebäudeplanenden Berufen zusammen und arbeiten an der Umsetzung einer frauengerechten, und damit für alle besseren Umwelt“ (b.zb 2022, 109). Damit wird hier auch eine politische Ebene der emanzipatorischen Bewegungen deutlich: Räume, Praxen und Akteur:innen werden bewusst als feministisch bezeichnet, weil damit einhergehend eine gesellschaftliche Kritik und politische Vision liegt.

: Eine Installation auf der rechten Seite zeigt feministischen Veranstaltungsplakate aus dem Bremen der 1970er- und 80er-Jahre

Abbildung 3: Eine Installation auf der rechten Seite zeigt feministischen Veranstaltungsplakate aus dem Bremen der 1970er- und 80er-Jahre (Leihgabe Belladonna e.V.). Die Videoinstallation zeigt ein Interview mit drei der Gründerinnen des Frauenstadthauses (Video: Janika Wetzig). (Quelle: Nikolai Wolff / Fotoetage)

4. Persönliche Erfahrungen in strukturellen Kontexten

Anders gestaltet sich dies im Folgeraum, einem der Herzstücke der Ausstellung. Hier sind die Geschichten und Erfahrungen von 29 Frauen abgebildet, die alle im Feld der Architektur[1] tätig sind. Die Interviews mit Ihnen stellten den Startpunkt des Ausstellungsprojektes dar, ihre Berichte sollen die Eigen- und Fremdwahrnehmung ihres Schaffens verdeutlichen. Mit Statistiken und Diagrammen wird die (Un-)Sichtbarkeit von Frauen im Feld der Architektur in Zahlen gefasst. Eine künstlerisch ausgearbeitete Matrix verdeutlicht individuelle Wege und Entscheidungen innerhalb eines strukturellen Rahmens kollektiver Erfahrungen. Eine von den Kurator:innen so genannte „Sexismus-Dusche“ beschallt die Besucher:innen mit sexistischem Verhalten, von dem die Interviewten berichteten.

Besonders interessant sind auch einzelne Objekte, die die Interviewten ausstellen, um ihr eigenes Wirken im Feld der Architektur abzubilden. Darunter finden sich persönliche Gegenstände aus vergangenen Projekten, wie das Modell des Design Hotels ÜberFluss vom Büro Ute Kastens Architekten. Es finden sich aber auch sehr symbolische Objekte, wie beispielsweise ein Gewebe aus Kokosfasern, für die Ausstellung beigesteuert von Verone Stillger, das in der Landschaftsarchitektur genutzt wird, um z.B. neu modellierte Uferböschungen vor der Erosion zu schützen. Wenn die Pflanzen die Erde mit ihren Wurzeln eigenständig halten können, löst sich das Gewebe auf. So ähnelt es in seiner Wirkung der Arbeit von all jenen, die in dieser Ausstellung sichtbar werden. Denn auch sie zeigen, dass es zunächst ein Netzwerk, eine Struktur braucht, damit sich auf lange Sicht neue Formen durch eigene Verwurzelung in ebendieser halten können. Die Gegenstände verdeutlichen auch intersektionale Perspektiven auf Wohnen: So stellt Meike Austermann-Frenz einen manuellen Fensteröffner aus, der kleineren Menschen oder Personen mit Mobilitätseinschränkungen dabei hilft, selbstbestimmt und selbstständig entscheiden zu können, wann sie das Fenster aufmachen wollen.

Illustrierte Porträts zeigen die Interviewten

Ein anderer Bereich zeigt die persönlich kuratierten Objekte, im Vordergrund ist das Netz aus Kokosnussfasern zu sehen

Abbildung 4 und 5: Illustrierte Porträts zeigen die Interviewten. Ein anderer Bereich zeigt die persönlich kuratierten Objekte, im Vordergrund ist das Netz aus Kokosnussfasern zu sehen. (Quelle: Nikolai Wolff / Fotoetage)

5. Weiterdenken: Intersektionale Perspektive integrieren

Intersektionale Perspektiven werden in dem letzten Raum der Ausstellung vertieft. Hier öffnet sich das Blickfeld und es geht nicht mehr primär um Architektur im engeren Sinne, sondern um die Aneignung von Raum. Und auch die Perspektiven weiten sich, weg von der cis-heteronormativen, binären, weißen Norm und hin zu einer intersektionalen Perspektive. Die Künstler:innen Eden Obonyo, Mona Abdel-Keream und Brunn Morais bieten mit ihrer Rauminstallation die Möglichkeit, sich anhand unterschiedlicher, den Raum durchkreuzenden Achsen zu positionieren, die auch auf verschiedene Diskriminierungsformen und Identitätsmerkmale verweisen. Außerdem ermöglicht ein virtueller Stadtrundgang, Bremen aus den Perspektiven von FLINTA* (Frauen, Lesben, intergeschlechtliche, nicht-binäre, trans und agender Personen) erfahrbar zu machen.

In dem Raum präsentiert das Kollektiv KOSK*I außerdem ihren KOSK*IMAT, einen Verkaufsautomaten, der mit seiner Produktpalette die patriarchale und heteronormative Konsumkultur hinterfragen und die Bedürfnisse von FLINTA* sowie vermeintliche Tabuthemen wie Sexualität in den Vordergrund stellen soll. Hier finden sich Safersex-, Menstruations- und Hygieneprodukte sowie feministische Magazine. Ziel des Kollektivs ist es, diesen Automaten als Vorstufe für einen feministischen Kultur-Kiosk in den öffentlichen Raum zu bringen und so mehr Sichtbarkeit zu schaffen.[2]

Mehr Sichtbarkeit fordert auch das Ausstellungsprojekt Sisterhood Graffiti, das in diesen Räumlichkeiten erste Einblicke in ihre Konzeption gibt. Auf Wandtafeln zeigen Fotos und Zitate die widerständige Praxis unterschiedlicher Sprayer:innen, die unter anderem dafür kämpfen, gesellschaftliche und geschlechterdifferenzierende Stigmata innerhalb und außerhalb der Subkultur des Graffiti in den Fokus zu stellen und mit ihnen zu brechen.

Die Installation der Künstler:innen Eden Obonyo, Mona Abdel-Keream und Brunn Morais

Abbildung 6: Die Installation der Künstler:innen Eden Obonyo, Mona Abdel-Keream und Brunn Morais verweist auf intersektionale Ebenen von Gewalt und (Un-)Sicherheit. (Quelle: Nikolai Wolff / Fotoetage)

An der Seite des letztens Raums hängt noch ein besonderer Kommentar: In einem Comic der Künstlerin Eden Obonyo wird die berufliche Realität einer Schwarzen Architektin beleuchtet. Darunter wird dazu eingeladen, die Ausstellung einmal aus ihrer Perspektive zu beleuchten. Es ist bezeichnend, dass diese intersektionalen Perspektiven sowohl in der Ausstellung als auch in diesem Text erst am Ende miteinfließen. Wichtige Aspekte, wie die De-Kolonisierung von Räumen, die Distanzierung von einer binären Geschlechternorm sowie die kritische Auseinandersetzung mit Rassismus und Klassismus im öffentlichen Raum werden damit scheinbar separat behandelt, als würden sie nicht die gesamte Ausstellung durchfließen. Gleichzeitig entspricht dies auch dem chronologischen Aufbau der Ausstellung: Der Blick wird vor allen Dingen in die Vergangenheit geworfen und analysiert, inwiefern das Schaffen von Frauen im Feld der Architektur über Jahrzehnte und Generationen hinweg systematisch unsichtbar gemacht wurde. Die Ausstellung verdeutlicht das Potenzial emanzipatorischer Bewegungen, in denen sich vernetzt und Kräfte vereint werden. Am Ende wagt sie auch einen Ausblick in die Zukunft, in der es weniger um den Hochbau neuer Gebäude und stärker um die Aneignung von Räumen und den Bruch mit der weißen, heteronormativen, patriarchalen Norm geht.

Besucher:innen gehen nun wieder zurück auf die untere Etage des Hauses und befinden sich erneut im ersten Raum. Nun, mit einem geschärften Blick, stechen vielleicht noch einmal andere Fragen und Erkenntnisse aus den unterschiedlichen Bilderrahmen ins Auge: Die Architektinnen der 1950- bis 1970er-Jahre zum Beispiel gehörten alle einer bürgerlichen Schicht an, die den Zugang zu Studium und Berufsausübung möglich machten. Auch heute noch werden relevante Daten von der Hochschule und Berufskammer ausschließlich binär erhoben. Das gemeinsame Arbeiten an Prozessen aber wird auch dadurch deutlich, dass dieser Raum in Kooperation mit dem Mariann-Steegmann-Institut Kunst & Gender als Forschungssalon und Leseecke mit Fachliteratur genutzt wird.

Ein Blick in den Forschungssalon, der die Prozesshaftigkeit der Ausstellung und ihrer Konzeption darstellt

Abbildung 7: Ein Blick in den Forschungssalon, der die Prozesshaftigkeit der Ausstellung und ihrer Konzeption darstellt. (Quelle: Nikolai Wolff / Fotoetage)

6. Die Ausstellung als Ort/Praxis der Reflexion und kritischen Erneuerung

Zu der Ausstellung gibt es ein Begleitprogramm mit unterschiedlichen Vorträgen, Workshops und Lesungen. Auch hier werden unterschiedliche (queer-)feministische Perspektiven in den Fokus gerückt, die die Fragen der Ausstellung fortführen. Einzelne Ausstellungsinhalte werden zudem in dem Katalog zur Ausstellung vertieft, der in der b.zb-Schriftenreihe beim Schünemann Verlag in Bremen erschienen ist.

Um mit der Reflektion und Kritik nicht bei sich selbst aufzuhören, wird das Ausstellungsprojekt durch einen Evaluationsprozess begleitet. So wurde vor Beginn der Ausstellung ein Gespräch mit dem Kurator:innen-Team geführt, in dem die Entstehung der Ausstellung und die selbstgesetzten Ziele und Erwartungen thematisiert wurden.[3] Zum Zeitpunkt des Verfassens dieses Textes, im Februar 2023, ist absehbar: Die Ausstellung und das Team an Mitwirkenden hat es in vielen Hinsichten geschafft den eigenen Vorhaben gerecht zu werden. So wurde die Ausstellung sowohl in das Seminar- und Vorlesungsprogramm für Studierende der Architektur (Hochschule Bremen) und Kultur- und Politikwissenschaften (Universität Bremen) aufgenommen. Dadurch wurden einerseits kritische Diskurse unter den Studierenden angestoßen. Ihr Feedback wurde außerdem dokumentiert und teilweise durch Fragebögen in den Evaluationsprozess mitaufgenommen. Um ein breiteres Spektrum an Einschätzungen zu den Themen der Ausstellung abzufragen, haben Besucher:innen die Möglichkeit in jedem Raum eine Frage zu beantworten und ihre Gedanken in einen Briefkasten zu werfen. Eine entsprechende Auswertung läuft parallel zur Ausstellung.

Es lässt sich bereits jetzt festhalten, dass die Sichtbarkeit von Frauen im Feld der Architektur auf unterschiedliche Weise erreicht wurde: Dank der umfangreichen Recherche zur FOPA Bremen wurde das Bremer Zentrum für Baukultur (b.zb) auf die Arbeit des Vereins aufmerksam und würdigte diese zusammen mit der Bausenatorin (SKUMS) im Dezember 2022 mit der Bremer Auszeichnung für Baukultur.[4] Zeitgleich debattiert die Architektenkammer Bremen – vielleicht ja auch inspiriert durch die Ausstellung – ihre Außendarstellung gendersensibel zu erneuern.[5] Fest steht: Viele Prozesse hin zu einer diskriminierungskritischen und anti-patriarchalen Praxis von Architektur und Planung stehen noch immer in den Startlöchern. Zugleich verdeutlicht die Ausstellung „Architektur für Alle?! Emanzipatorische Bewegung in Planung und Raum“, dass schon einige wichtige Schritte gegangen worden sind.

Die Praxis der Ausstellung kann dabei vor allen Dingen historische Perspektiven aufarbeiten und konkrete Anstöße liefern, die (Architektur)Geschichte differenzierter neu- bzw. umzuschreiben. Gleichzeitig kann sie aktuelle lokale Diskurse fördern und verschiedenen Akteur:innen eine Plattform geben. Nicht zuletzt kann so auch eine Vernetzung vorangetrieben werden, die eine Zusammenarbeit über den Zeitraum der Ausstellung hinaus und damit auch eine kollektive Wirksamkeit ermöglicht.

Literatur

b.zb – Bremer Zentrum für Baukultur (Hrsg.) (2022): „Architektur für Alle?! Emanzipatorische Bewegungen in Planung und Raum“. Schriftreihe Band 19, hrsg. von Christian von Wissel und Jörn Tore Schaper. Bremen: Schünemann.

Kern, Leslie (2020): Feminist City. Wie Frauen die Stadt erleben. Münster: Unrast.


Fußnoten

[1] Vom „Feld der Architektur“ reden die Kurator:innen deswegen, weil „Architekt:in“ sich nur diejenigen Personen nennen dürfen, die in der Architektenkammer Mitglied sind, viele Frauen aber Architektur studiert haben und auch ohne Kammermitgliedschaft mit ihrem architektonischen Fachwissen beruflich tätig sind.

[2] Ein ausführliches Gespräch mit den Künstler:innen des KOSK*I-Kollektives findet sich im Podcast Schall&Raum. https://schallundraum.podigee.io/30-s7e4-limo-lecktuch-lucky-strike-feministische-kioske-als-medium-der-gleichstellung-im-offentlichen-raum

[3] Das Gespräch wurde im Ausstellungskatalog abgedruckt.

[4] Pressemitteilung des Bremer Senats über die Auszeichnung der FOPA: https://www.senatspressestelle.bremen.de/pressemitteilungen/feministische-organisation-von-planerinnen-und-architektinnen-e-v-fopa-bremen-erhaelt-bremer-auszeichnung-fuer-baukultur-412348

[5] vgl. Platz, Oliver/Beerens, Tim: Ergebnisprotokoll der Kammerversammlung vom 9. November 2022, in: DAB Deutsches Architektenblatt, Ausgabe Bremen Niedersachsen, 04.2023, 7-9, hier auf Seite 7.


Zitiervorschlag

Röhrig, Clara (2023): Zwischen Selbstermächtigung und Unsichtbarkeit: Die Ausstellung „Architektur für Alle?!“ als Ort und Praxis der Reflexion über den patriarchalen Normalzustand. In: sozialraum.de (14) Ausgabe 1/2023. URL: https://www.sozialraum.de/zwischen-selbstermaechtigung-und-unsichtbarkeit.php, Datum des Zugriffs: 21.11.2024