Online-Jugendarbeit im Verein Wiener Jugendzentren in Zeiten der Covid-19-Pandemie
Martin Himmelfreundpointner
In der nach wie vor andauernden Covid-19-Pandemie bleibt kein Stein auf dem anderen. Die Phase der drastischen Maßnahmen, die bislang selbstverständlich erscheinende Grundrechte in Frage stellen ließ, scheint allerdings vorerst abgeklungen zu sein. Grund genug inne zu halten und diese Phase aus Sicht der Offenen Kinder- und Jugendarbeit im Verein Wiener Jugendzentren zu reflektieren. [1]
Das gesellschaftliche Zusammenleben war in den vergangenen Monaten aufgrund der massiven Einschränkungen des alltäglichen Lebens erheblichen Veränderungen ausgesetzt und fand im Ausdruck des „Lockdowns“ eine Bezeichnung, die stellvertretend für all diese Veränderungen steht. Offene Kinder- und Jugendarbeit sah sich dieser Krisensituation entsprechend mit einer Herausforderung der besonderen Art konfrontiert:
All das, was bislang maßgeblich vor Ort in Jugendzentren, -treffs und im Streetwork stattfand, musste nun ehestmöglich in digitale Räume transferiert werden. Während diese Räume für viele Jugendarbeiter*innen gewissermaßen Neuland bedeuteten, unterscheiden Jugendliche längst nicht mehr zwischen On- und Offline. Die Grenzlinien dieser Lebenswelten sind für junge Menschen längst nicht mehr existent, sodass Symbiosen aus diesen einst strikt voneinander getrennten Welten gebildet werden (vgl. Heher 2019).
Digitale Räume sind nunmehr seit einigen Jahren integraler Bestandteil jugendlicher Lebenswelten und entsprechend der Prinzipien der Lebenswelt- und Sozialraumorientierung von Interesse für die Offene Jugendarbeit. Aufgrund der sich seit langer Zeit abzeichnenden und fortschreitenden Digitalisierung des alltäglichen Zusammenlebens wurden im Verein Wiener Jugendzentren bereits vor dem digitalen Boom Konzepte für Offene Jugendarbeit in digitalen Räumen entwickelt, die den ständigen und in großen Schritten vorauseilenden Veränderungen folgend bis heute laufend adaptiert werden. Die weise Voraussicht, dass die digitale Welt sich unumstößlich zu einer Welt entwickeln wird, in der sich Jugendarbeiter*innen zurechtfinden müssen und in die sie sich hineinbewegen müssen, machte sich nun in der Covid-19-Pandemie sehr bezahlt.
1. (Digitale) Medienbildung und Online-Jugendarbeit
Im Wirkungskonzept des Vereins Wiener Jugendzentrenwird von(Digitaler) Medienbildung und Online-Jugendarbeit als zwei voneinander zu unterscheidenden Handlungsfeldern ausgegangen. Die Trennlinien zwischen diesen Handlungsfeldernverlaufend schwimmend, ergänzen einander und bilden zusammen eine Einheit, die von der Arbeit in digitalen Räumen umrahmt ist. Das Handlungsfeld (digitaler) Medienbildung beschreibt kurzgefasst die Förderung der Medienkompetenz durch Anregung zu und Begleitung von Medienbildungsprozessen.
Online-Jugendarbeit hingegen widmet sich im Sinne ihrer sozialräumlichen Orientierung medialen sozialen Räumen, die Orte der Gestaltung sozialer Beziehungen, der Identitätsentwicklung und der gesellschaftlichen Teilhabe sind. Jugendarbeit begegnet jungen Menschen an diesen für sie relevanten Orten und bietet dabei Möglichkeiten zur Begegnung, Kommunikation, Reflexion und Beteiligung an (vgl. Wirkungskonzept Verein Wiener Jugendzentren 2020).
Gemäß der oben beschrieben Unterscheidung zwischen diesen Handlungsfeldern wird in diesem Beitrag vom Handlungsfeld „Online-Jugendarbeit“ zu lesen sein, das anstelle des weit verbreiteten, aber gleichermaßen wenig differenzierten Begriffs der digitalen Jugendarbeit stehen soll.
2. Online-Jugendarbeit im Verein Wiener Jugendzentren
Bereits lange bevor die Nutzung von Social Media Plattformen am Zenit angelangt war, war man im Verein Wiener Jugendzentren bestrebt Konzepte für Online-Jugendarbeit (damals „e-youth-work“) zu entwickeln. Mit dem Entstehen von Social Media Plattformen begann die rasante Entwicklung hin zur digitalen Gesellschaft, der es als professionelle Offene Jugendarbeit zu folgen galt. Nach und nach wagten sich einzelne Jugendzentren und -treffs auf digitales Terrain und starteten einrichtungsbezogene Social-Media-Accounts (Facebook, Instagram, Snapchat und weitere Plattformen). Betrachtet man die Follower-Zahlen auf Instagram, der in Österreich unter 10–18-Jährigen beliebtesten Social Media Plattform (vgl. saferinternet Jugend-Internet-Monitor 2020), so zählt der Verein Wiener Jugendzentren auf alle Einrichtungen gerechnet knapp 10.000 Follower. Um auch in digitalen Sphären Professionalität zu wahren, wurden als Reaktion darauf vereinsinterne Social Media-Guidelines entwickelt, die als Richtlinie und Handlungsanweisung für professionellen Umgang mit Social Media Plattformen zu verstehen sind (vgl. Social Media Guidelines 2016).
Folglich waren Themen rund um digitale (Medien)Bildung und Online-Jugendarbeit wortwörtlich ständig auf der Bild(schirm)fläche und in Form zweier thematischer Medien-Jahresschwerpunkte (2017, 2018) für alle Mitarbeiter*innen des Verein Wiener Jugendzentren ins Zentrum der pädagogischen Arbeit gerückt. In der Zeit dieser inhaltlichen Schwerpunktsetzung fanden sich Mitarbeiter*innen der Einrichtungen der Wiener Jugendzentren regelmäßig in der zentralen Geschäftsstelle ein, um Offene Jugendarbeit in digitalen Räumen zu erforschen, weiterzuentwickeln und die in digitalen Räumen stattfindende Arbeit gemeinsam zu reflektieren. Dadurch entstanden in den knapp 40 Einrichtungen des Vereins Wiener Jugendzentren bereits tragfähige Strukturen und Netzwerke im Bereich der Online-Jugendarbeit, von denen in den vergangenen Monaten profitiert werden konnte.
Dieser kurze Exkurs soll einen groben Einblick in die Vorgeschichte der Online-Jugendarbeit im Verein Wiener Jugendzentren geben, um sichtbar zu machen, dass bestimmte Grundstrukturen und zahlreiche Erfahrungswerte im Bereich digitaler Medienbildung und Online-Jugendarbeit bereits vor der Covid-19 Pandemie gegeben waren. Dennoch waren intensive Bemühungen und Anstrengungen notwendig, um diese Krisenzeit gut bewältigen zu können.
3. Arbeit mit Zielgruppen in Zeiten des Lockdowns
Man könnte den kategorischen Imperativ Kants gewissermaßen auf die Online-Jugendarbeit ummünzen und in etwa so formulieren: „Handle onlinenur so, wie du im Rahmen deines professionellen Wirkens in der Offenen Jugendarbeit auch offline handeln würdest“. Weitergehend ließe sich sagen, dass auch die Pädagogik (vgl. Cloos et al. 2007) der Jugendarbeit online gleichen Grundsätzen zu folgen hat wie vor Ort in Jugendzentren, -treffs und im Streetwork.
Gemäß dieser langgedienten Prinzipien wurde Offene Jugendarbeit unter Miteinbeziehung ihrer Orientierungen und Grundprinzipien auf diversen Social Media Plattformen und Messenger-Diensten in den vergangenen Monaten fortgeführt. Auch der Weg des Telefonats mit Jugendlichen kam, an der einen oder anderen Stelle, zum Einsatz. Die knapp 40 Einrichtungen des Vereins Wiener Jugendzentren waren während des Lockdowns in unterschiedlicher Ausprägung und Intensität auf zahlreichen Social Media Plattformen präsent und für Zielgruppen weiterhin erreichbar. Neue Apps und Plattformen wurden erforscht, bespielt und hinsichtlich ihrer Einsatzmöglichkeiten im Kontext Offener Jugendarbeit getestet. Im Sinne der aufsuchenden Jugendarbeit erwies es sich ebenso sinnvoll, auch in digitalen Welten an für Jugendlichen relevanten Orten Präsenz zu zeigen und am Prinzip der Freiwilligkeit entlang Angebote für dort verweilende jugendliche Zielgruppen zu setzen. Schnell wurde ersichtlich, dass auf verschiedenen Plattformen Jugendliche und Jugendgruppen unterschiedlicher Altersgruppen und Geschlechts erreicht werden konnten. Instagram, das ergab eine kürzlich ausgewertete interne Umfrage unter Jugendlichen im Verein Wiener Jugendzentren, war jene Plattform über die Jugendliche in den letzten Monaten am häufigsten Kontakt zu Jugendarbeiter*innen hatten.
Aber auch weitere Plattformen wie Snapchat, TikTok, HouseParty, Discord oder Online-Gaming-Sessions bildeten digitale Räume in denen zahlreiche Jugendliche erreicht werden konnten. Gleichermaßen erforderte die Bespielung mehrerer Plattformen auch entsprechende personelle Ressourcen, die wohl nur aufgrund der ausschließlich online stattfindenden Arbeit gegeben waren.
Abbildung 1: Zielgruppenarbeit über Instagram. Eigene Darstellung.
Während der mit Unsicherheiten und Ängsten verbundenen Krise, konnte ein erhöhter Bedarf nach intensiven Gesprächen und niederschwelligen Beratungen festgestellt werden. Jugendliche nahmen Offene Jugendarbeit weiterhin als Anlaufstelle für Fragen jeglicher Art und, nicht zuletzt, als vertrauliche Instanz bei Problemen und Krisen wahr.
Probleme am Arbeitsplatz, der Lehrstelle, in der Schule und im Kontext des familiären Umfelds, der Partnerschaft sowiepsychische Probleme und Unsicherheiten in Bezug auf die Entwicklung der persönlichen Situation aufgrund der Covid-19-Krise waren zentrale Anliegen, bei denen Jugendarbeiter*innen jungen Menschen online weiterhin unterstützend und beratend zur Seite standen.
Individuelle Beratungen, Krisengespräche und allgemein kritische und vertrauliche Inhalte wurden aus Datenschutzgründen („Das Internet vergisst nie“) in der Regel telefonisch abgewickelt. Wenngleich das Telefonat nicht das naheliegendste Kommunikationsmittel für Jugendliche darstellte, erschien dieser datenschutzrechtlich relativ unbedenkliche Kommunikationsweg besonders aufgrund der Funktion von Jugendarbeiter*innen als Role Models bedeutend.
Wurden der Offenen Jugendarbeit in den vergangenen Jahren ohnedies bereits Aufgaben zuteil, die über ihre ursprünglichen Aufgabengebiete hinausgingen, so kam es mit der Covid-19-Pandemie zu einer Kumulation weiterer Aufgaben. Im Fokus standen zwar weiterhin die Kernaufgaben Offener Jugendarbeit, neue Anfragen betreffend Lernbegleitung und Hilfe beim Home-Schooling, rechtliche Beratungen im Kontext des Verstoß gegen die Covid-19-Auflagen oder Fragen zum österreichischen Kurzarbeitsmodell reihten sich aber in die Zuständigkeit Offener Jugendarbeit ein.
Unter der Nutzung diverser Social-Media Plattformen und Messenger-Diensten und deren Funktionen wie Postings, Stories, Video-, Gruppen- oder Live-Chats wurden jugendliche Follower unterhalten, begleitet und informiert. Spiel, Spaß und Erlebnis sollten online soweit wie möglich erlebbar gemacht werden. Jugendliche wurden zu sportlichen Challenges aufgefordert, zu kreativen Mitmachaktionen animiert und mit Tipps und Tricks zum Zeitvertreib versorgt.
In jugendgerechter Form wurde zudem laufend über neue Erkenntnisse betreffend des Virus, der Entwicklungen der Fallzahlen in Österreich und die daraus begründeten rechtlichen Gegebenheiten informiert. All das konnte aber das geliebte Jugendzentrum nicht ersetzen, weshalb unter Kolleg*innen die Idee eines virtuellen Jugendzentrums entstand.
4. Online-Jugendzentren
Gewissermaßen eröffnete die Covid-19-Pandemie auch für Jugendarbeiter*innen ein Experimentierfeld, in das man sich vor dem Hintergrund datenschutzrechtlich zu klärender Fragen erst etwas vorwagen musste. Der Jugendinternet-Monitor, der in Österreich ein wertvolles Instrument darstellt, um Trends im Social Media Bereich abzubilden, führte in seiner 2020 veröffentlichten Statistik Discord erstmals unter den beliebtesten Plattformen unter 10–18-jährigen Menschen in Österreich (vgl. saferinternet Jugend-Internet-Monitor 2020).
Discord ist eine besonders unter Gamer*innen beliebte Plattform, deren Benutzeroberfläche es erlaubt, verschiedene Kommunikationsräume zu kreieren. Derartige Räume können bei Discord thematisch gegliedert und benannt, geöffnet für jede*n oder geschlossen für bestimmte Personen und somit analog zu realen Räumen gestaltet werden. In diesen Räumen kann für alle Teilnehmer*innen einsehbar oder privat zwischen ausgewählten Personen per Textnachricht, Videochat, Sprachchat kommuniziert werden.
Diese Voraussetzungen waren der Grundstein für die Idee, mittels Discord ein Online-Jugendzentrum auf die Beine zu stellen. Nach und nach folgten mehr und mehr Einrichtungen des Vereins Wiener Jugendzentren dieser Idee und bauten virtuelle Jugendzentren auf der Plattform Discord auf, um ihren Besucher*innen auch virtuell einen Ort möglichst nahe am realen Bild des von ihnen besuchten Jugendzentrums zu bieten.
Abbildung 2: Jugendarbeit über Discord. Eigene Darstellung.
Über bereits verlässliche Kommunikationswege, zumeist Social Media Plattformen und Messenger-Dienste, wurden Einladungen an Jugendliche geschickt, die sich weitergehend in einem einfachen und überschaubaren Registrierungsprozess in die Online-Jugendzentren einloggen konnten. Dennoch war diese Hemmschwelle für manch eine*n zunächst zu groß, denn die Kontaktzahlen bei Discord blieben, verglichen mit jenen auf den beliebtesten Social Media Plattformen, in überschaubarer Anzahl.
Die Anzahl junger Menschen die den Weg in die Online-Jugendzentren fanden, erhöhte sich aber erfreulicherweise noch ein wenig, sodass vielerorts das Gefühl eines bunten Treibens wie sonst im alltäglichen Geschehen vor Ort entstand. Fand man erstmal den Weg in eines der Online-Jugendzentren, so bekam man dort Zugang zu unterschiedlichen Räumen – vom Jugendcafé, über genderspezifische Rückzugsräume (Räume für Mädchen* oder Jungs*) hin zu Musikräumen und Lernbegleitungs-Räumen waren der Kreativität keine Grenzen gesetzt. Das Ziel, online einen Ort der Geselligkeit am Vorbild der Jugendzentren und -treffs zu schaffen, gelang auf lange Sicht betrachtet zumeist nicht, da sich keine langfristig stabilen Besucher*innenstrukturen etablieren konnten. Einige Online-Jugendzentren werden zwar auch gegenwärtig weitergeführt und erfreuen sich ihrer Besucher*innen, andere Einrichtungen berichten hingegen von nachlassendem Interesse nachdem die Räumlichkeiten der Jugendzentren und -treffs vor Ort wieder ihre Tore öffneten. Letztlich ist das „Experiment Discord“ aber durchaus als kleine Erfolgsgeschichte zu betrachten, die auch Impulsgeberin für zukünftige Online Jugendzentren sein könnte.
5. Herausforderung: Abgrenzung im Home-Office
Viele der im Verlauf des Artikels genannten Leistungen waren bereits zuvor in Einrichtungen der Offenen Jugendarbeit „daily business“, wenngleich nicht in derselben Intensität und Häufigkeit. Vor allem aber änderte sich die Wirkungsstätte, von der aus man als Jugendarbeiter*in agierte. Das Jugendzentrum, der Jugendtreff, der öffentliche Raum – all das sind Orte, die man nach einem langen Arbeitstag hinter sich lässt und zu denen man, sobald man die Schwelle zur eigenen Wohnungstüre überschritten hat, zumindest physisch Abstand nimmt.
In der Zeit des Lockdowns war das Smartphone das einzige Medium, über das man weiterhin mit den Zielgruppen in Kontakt bleiben konnte – und notgedrungen die zentrale Wirkungsstätte Offener Jugendarbeit. Dieser Umstand erforderte eine Neustrukturierung des Arbeitsalltags.
Für die Zielgruppe einerseits und für Mitarbeiter*innen andererseits mussten klar ersichtliche und kommunizierte Online-Anwesenheitszeiten gestaltet werden, die eine professionelle Abgrenzung zwischen Privatleben und Arbeit weiterhin sicherstellten. Die Mechanismen der Social Media Plattformen, gezeichnet von der Jagd nach anerkennenden Likes, machte selbst vor einigen Mitarbeiter*innen nicht Halt, sodass Abgrenzung und klare Einhaltung der Dienstzeiten zu Beginn der Krise unter Mitarbeiter*innen der Wiener Jugendzentren ein häufig zu diskutierendes Thema darstellten.
Die Entwicklung von teambezogenen Leit- und Richtlinien, wie die Arbeit in dieser Zeit gestaltet sein soll sowie weitere Bemühungen, bestimmte Strukturen in den Teams aufrecht zu erhalten, waren letztlich weitestgehend von Erfolg gekrönt. Zudem bestand die Möglichkeit eines wöchentlichen (freiwilligen) Online-Austauschtreffen zum Thema Abgrenzung und persönliche Befindlichkeit im Kontext der Online-Jugendarbeit. Diese Online-Meetings boten all jenen Kolleg*innen, die diesbezüglich weiterhin Gesprächsbedarf hatten, die Möglichkeit des fachlichen Austauschs und der kollegialen Beratung.
6. Interne Vernetzung
Die drastischen Maßnahmen, das vielfach propagierte „Herunterfahren“ des öffentlichen Lebens, die Einschränkungen der Bewegungsfreiheit – all jene Maßnahmen, die in Summe vom Begriff des Lockdowns umrahmt sind – trafen den Verein Wiener Jugendzentren unvorbereitet. Es galt trotz der Anweisung, Jugendzentren auf unbestimmte Zeit zu schließen, für geregelte Kommunikationswege zu sorgen. Bereits am Tag der Entscheidung, dass die Wiener Jugendzentren auf unbestimmte Zeit ihre Pforten schließen müssen, wurde über die Plattform Go-To-Meeting ein Video-Meeting anberaumt in dem die grundlegende Vorgehensweise für die nächsten Tage festgelegt wurde. In sehr regelmäßigen Abständen fanden Management- und Leitungssitzungen fortan per Video-Meeting statt, mit dem Ziel geregelte Kommunikationswege über die Krise hinweg aufrechtzuerhalten und Planungsprozesse ehestmöglich in Gang zu setzen. Diese Videokonferenzen waren Dreh- und Angelpunkt für die Kommunikation zwischen zentralen Führungskräften und der Leitungsebene der Jugendzentren, -treffs und mobilen Jugendarbeit.
Auf Mitarbeiter*innenebene entwickelte sich Discord zu einer zentralen Kommunikations- und Vernetzungsplattform. Gemäß dem Prinzip der Einfachheit wurde das lang erprobte und fachlich fundierte Know-how, soweit wie möglich, in den digitalen Raum transferiert. Discord tat sich dabei als geeignete Plattform hervor. Sämtliche internem Vernetzungstreffen konnten dadurch weiterhin online stattfinden und ermöglichten Austausch, Reflexion, Planung und, nicht zuletzt, die Initiierung von einrichtungsübergreifenden Projekten.
7. Das Projekt #fragnach
Die Covid-19-Pandemie ist nach wie vor mit komplexen Fragen und Unsicherheiten verbunden. Wiederkehrend sahen sich Jugendarbeiter*innen mit Fragen junger Menschen konfrontiert, die nicht selten die eigene fachliche Kompetenz überstiegen. Komplexe Fragen medizinischer („Wann wird es einen Impfstoff geben?“, „Wie wahrscheinlich ist eine Schmierinfektion?“) und juristischer Natur („Darf ich mich unter Einhaltung des Mindestabstands mit Freund*innen im öffentlichen Raum aufhalten?) wurden ebenso häufig wie Fragen zum Schulrecht („An wen kann ich mich wenden, wenn mein Lehrer mir eine negative Endjahresnote gibt, obwohl meine Semesternote in diesem Fach positiv war?“) an Jugendarbeiter*innen herangetragen.
Daraus entstand die Idee, das Online-Projekt #fragnach zu starten, um diese Fragen von Expert*innen und anhandevidenzbasierter Informationen beantworten zu lassen. Die hinter dem Projekt stehende Idee lässt sich knapp gefasst folgendermaßen erklären:
Jugendliche fühlten sich in der Phase des Lockdowns schlecht informiert. Wie auch in anderen Kontexten wurden die Bedürfnisse junger Menschen als Interessengruppe in den gesetzlichen Bestimmungen betreffend Covid-19 nur marginal berücksichtigt. Besonders in der Covid-19-Pandemie wurden zahlreiche junge Menschen betreffende Einschränkungen des öffentlichen Lebens verhängt. Der persönliche Kontakt zu Freund*innen, die Inanspruchnahme des öffentlichen Raums als Treffpunkt und Ort der Geselligkeit, die Nutzung unverzweckter Räume, wie Jugendzentren und -treffs, wurde dem offiziellen Beschluss der österreichischen Bundesregierung folgend untersagt.
Im Dschungel der Verordnungen und Erlässe fand sich selbst so manche*r Jurist*in kaum noch zurecht. Entsprechend schlecht informiert fühlten sich Jugendliche über die nunmehr geltenden Bestimmungen in Österreich. Bei Verstoß gegen die Ausgangsbeschränkungen wurden vehement Geldstrafen verhängt, die fallweise ein ganzes Monatseinkommen der bestraften Jugendlichen überstiegen. Jugendarbeiter*innen waren damit befasst, diese Strafen auf ihre Rechtmäßigkeit zu prüfen und gegebenenfalls Jugendliche dabei zu unterstützen, Einspruch gegen rechtswidrige Strafen zu erheben.
Nicht nur die geltenden rechtlichen Bestimmungen, auch Fake News auf Social Media-Kanälen verbreiteten sich rasch unter Jugendlichen und sorgten für Verunsicherung. „Wurde Corona im Labor gezüchtet“ fragte etwa ein junger Erwachsener? (E., 19 Jahre).
„Stimmt es, dass Bill Gates hinter dem Corona-Virus steckt, da er die gesamte Weltbevölkerung impfen und mit einem Mikrochip bestücken möchte?“ (F. 15 Jahre) fragte ein Jugendlicher an anderer Stelle.
Diese exemplarisch gewählten und andere, das Corona-Virus mystifizierende Fragen, traten an vielen Stellen auf und verbreiteten sich auf dem fruchtbaren Nährboden der Social Media-Bubbles rasant.
Gefährliches Halbwissen und Verschwörungstheorien erleben aktuell spürbaren Rückenwind. Das lässt sich durch aktuelle Studien (vgl. Gesellschaftsindikatorforschung Market & Lazarsfeld 2020) gleichermaßen wie durch Ereignisse, wie etwa die kürzlich in Berlin abgehaltene Demonstration gegen die Hygiene-Bestimmungen, belegen.
Die anhaltenden rechtlichen Fragen, wie auch die kursierenden Verschwörungstheorien waren ausschlaggebend für die Idee, Expert*innen in einem Online-Live-Chat zu Wort kommen zu lassen und sämtliche Fragen junger Menschen auf Basis fundierter Informationen beantworten zu lassen.
Geplant wurde das Projekt von zwei Mitarbeiter*innen des Verein Wiener Jugendzentren, weitere Einrichtungen schlossen sich der Idee schließlich an und waren an der Durchführung des Projekts beteiligt. Das passende Konzept war rasch entwickelt, die Planung und Besprechungen wurden über die zentrale Vernetzungs- und Planungsplattform Discord abgewickelt.
Die Idee der Projektleiter*innen: Auf der Social Media Plattform Instagram existiert die Möglichkeit Live-Chats zu veranstalten zu denen man einen Gast, der ebenfalls über einen Instagram-Account verfügen muss, einladen kann. Jede Person, die den Instagram-Kanal der veranstaltenden Person abonniert hat, kann nun zwei Personen, die sich getrennt voneinander in verschiedenen Zimmern an verschiedenen Orten der Welt befinden bei diesem Live-Chat beobachten, ihnen zuhören und über eine Kommentarfunktion per Text-Nachricht selbst an der Kommunikation teilnehmen.
In regelmäßigen Abständen sollten im Projekt #fragnach über Social Media Plattformen Fragen Jugendlicher zu einem bestimmten Thema gesammelt und schließlich in einem solchen Live-Chat von Expert*innen beantwortet werden. Das erste und dringlichst erscheinende Thema auf Seiten Jugendlicher betraf die geltenden rechtlichen Bestimmungen in Zeiten von Corona. Es folgten weitere #fragnach Sendungen rund um medizinische Fragestellungen,Mythen um Corona undeine Sendung, in der schulrechtliche Fragen vom Wiener Jugend- und Bildungsstadtrat in einem Live-Chat beantwortet wurden.
Mit kurzen jugendgerecht gestalteten Videos und Flyern wurde das Projekt auf Social Media Plattformen bei der Zielgruppebeworben. Mittels Funktionen dieser Plattformen wie Instagram-Umfragen, Stories, Postings oder der Kommunikation in privaten Text- und Videochats wurde schließlich über das Projekt genauer informiert und online zahlreiche Fragen der Jugendlichen gesammelt.
Abbildung 3: Einladung zu einer #fragnach-Veranstaltung. Eigene Darstellung.
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Zu jedem Thema mussten nun noch Expert*innen gefunden werden, die schließlich über Instagram-Live-Chats von Jugendlichen interviewt wurden. Die Live-Chats wurden aufgezeichnet und zu kurzen Videos geschnitten, die wiederum auf Social Media Plattformen einer breiteren Zielgruppe zugänglich gemacht werden konnten.
Trotz der spontanen Initiierung des Projekts zählten die #fragnach Live-Chats zwischen 150–300 Zuschauer*innen pro Sendung und erfreuten sich positiver Rückmeldung der Zielgruppe. Inzwischen gingen vier Sendungen über die Bühne.
Das Video zur ersten Sendung ist unter folgendem Link auf YouTube abrufbar: #fragnach
8. Fazit
Gesamt betrachtet ist es gelungen, die durch Covid-19 bedingten Herausforderungen der letzten Monate gut zu bewältigen. Gewissermaßen wurde der Experimentierraum, der in der Offenen Jugendarbeit üblicherweise weitestgehend von Jugendlichen für sich beansprucht wird, zum Sinnbild für die Online-Jugendarbeit während des Lockdowns. Interne Vernetzungsmöglichkeiten für Mitarbeiter*innen über die Plattform Discord, regelmäßige Videokonferenzen mit Teamleiter*innen und zentralen Führungskräften sowie das Engagement zahlreicher Mitarbeiter*innen sorgten allerdings dafür, dass die Jugendarbeiter*innen des Verein Wiener Jugendzentren von Beginn der Krise an für Jugendliche präsent waren und innovative und an die Situation angepasste Angebote setzen konnten. Vor allem erwies sich diese Zeit für viele Mitarbeiter*innen als großes Lernfeld, aus dem zahlreiche gewinnbringende Erkenntnisse für die Arbeit in post-Lockdown Zeiten mitgenommen werden konnten.
Die in den Datenbanken erhobenen Kontaktzahlen jener Monate, in denen Jugendarbeit ausschließlich online stattfand, zeigen allerdings dennoch einen erheblichen Rückgang der Gesamtkontakte im Vergleich zum Vorjahr. Erfreulicherweise konnten in der Zeit der Online-Arbeit verhältnismäßig immerhin mehr weibliche* Jugendliche als in den Jahren zuvor erreicht werden. In Summe ist die Online-Jugendarbeit im Verein Wiener Jugendzentrum an sich selbst gewachsen und um einige Erfahrungen reicher. Die stärkere Verschränkung zwischen Online- und Offline-Arbeit macht sich schon jetzt im täglichen Handeln bemerkbar. Dennoch, um mit den Worten einiger Jugendlicher zu enden, „ist es viel besser, wenn das Jugendzentrum ganz normal geöffnet hat und man sich hier mit Freund*innen treffen kann“.
Literatur
Cloos, Peter/Köngeter, Stefan/Müller, Burkhard/Thole, Werner (2007): Die Pädagogik der Kinder- und Jugendarbeit. VS Verlag, Wiesbaden.
Gesellschaftsindikatorforschung Market & Lazarsfeld (2020): Covid-19 zieht Verschwörungstheorien an. URL: https://www.market.at/market-aktuell/details/covid-19-zieht-verschwoerungstheorien-an.html (06.08.2020).
Heher, Johannes (2019): Außerschulische Jugendarbeit – Prädestiniert für die Förderung von Medienkompetenz. In: Land Steiermark – A6 Bildung und Gesellschaft; FA Gesellschaft – Referat Jugend (Hrsg.): Jugendarbeit: analog und digital. Versuch einer interdisziplinären Auseinandersetzung. Verlag für Jugendarbeit und Jugendpolitik, Graz.
Saferinternet.at (2020): Jugend-Internet-Monitor 2020. URL: https://www.saferinternet.at/services/jugend-internet-monitor/ (03.08.2020).
Verein Wiener Jugendzentren (2016): Social-Media-Guidelines. URL: https://www.jugendzentren.at/publikationen-blog/publikationen/ (03.08.2020).
Verein Wiener Jugendzentren (2020): Wirkungskonzept. Qualität und Wirkung der Offenen Jugendarbeit im Verein Wiener Jugendzentren. URL: https://www.jugendzentren.at/publikationen-blog/publikationen/ (02.08.2020).
Fußnote
[1] Anm.: Der Verein Wiener Jugendzentren ist mit knapp 40 Einrichtungen in Wien und rund 300 Mitarbeiter*innen der größte Träger Offener Jugendarbeit in Österreich.
Zitiervorschlag
Himmelfreundpointner, Martin (2020): Online-Jugendarbeit im Verein Wiener Jugendzentren in Zeiten der Covid-19-Pandemie. In: sozialraum.de (12) Ausgabe 1/2020. URL: https://www.sozialraum.de/online-jugendarbeit-im-verein-wiener-jugendzentren-in-zeiten-der-covid-19-pandemie.php, Datum des Zugriffs: 21.12.2024