Entwicklung von Standards zur Personalbemessung Sozialer Arbeit in der Stadtteil- und Quartierentwicklung – Hintergründe und zentrale Bezugspunkte

Martin Becker

Der vorliegende Beitrag beschäftigt sich mit der Problematik der Entwicklung von Standards zur Bemessung des Personal(Stellen)bedarfs für den Arbeitsbereich der Gemeinwesenarbeit (GWA) bzw. Quartierarbeit. Beschrieben wird ein Forschungs- und Entwicklungsprojekt, das vom Autor derzeit an der Katholischen Hochschule Freiburg im Rahmen eines Forschungssemesters durchgeführt wird und dessen Inhalte ausführlicher im Herbst 2016 publiziert werden sollen [1].

1. Hintergründe des Projektes

1.1 Neue Relevanz von sozialer Stadtentwicklung und Gemeinwesenarbeit

Weshalb beschäftigt sich ein Forschungs- und Entwicklungsprojekt mit der Bemessung des Personal(stellen)bedarfs für den Arbeitsbereich der Gemeinwesenarbeit bzw. Quartierarbeit? In Deutschland ist das Handlungsfeld der GWA bzw. Quartierarbeit trotz seiner mit über 100 Jahren vergleichsweise langjährigen Tradition gebiets- bzw. gemeinwesenorientierter Sozialer Arbeit kaum gesetzlich verankert. Und, damit verbunden, es existieren keine verbindlichen Rechtsgrundlagen für die Einsetzung von Personal bzw. für die Finanzierung dieser Art Sozialer Arbeit (Becker 2014: 23, 134-136).

Dieser zu konstatierenden Strukturschwäche steht eine gewisse Renaissance der Gemeinwesenarbeit, die ja von einem Teil der Fachwelt Ende der 1970er Jahre schon einmal zu Grabe getragen wurde (Oelschlägel 2013), entgegen. Nach der Weiterentwicklung der GWA von der „3. Methode“ neben Einzelfallhilfe und Gruppenarbeit, über das „Arbeitsfeld“ zum „Arbeitsprinzip“ (Hinte/Lüttringhaus/Oelschlägel 2007) und dem daraus entstandenen Konzept Sozialraumorientierung (Becker 2014; Schönig 2008; Früchtel/Cyprian/Budde 2007; Budde/Früchtel/Hinte 2006), hat „Sozialraumorientierung“ in der Sozialen Arbeit, trotz unübersehbaren begrifflichen und theoretischen Unschärfen (Stövesand/Stoik/Troxler 2013: 23-28), einen beachtlichen Stellenwert erreicht, der mittlerweile über die Soziale Arbeit hinaus auch in anderen Disziplinen Platz greift (Becker 2014: 25 ff.) und mittlerweile selbst von der Sozialen Arbeit in Frankreich entdeckt und rezipiert wird (Becker 2015), wo es bislang keinen eigenen Begriff für GWA gab. Für diesen Hype der GWA gibt es vielfältige Gründe, wobei kein einzelner davon einen hinreichenden Erklärbeitrag zu leisten in der Lage wäre oder als ursächlicher Einflussfaktor für den Bedeutungszuwachs sozialräumlichen Denken und Handelns gelten kann.

Der mit dem Topos „Globalisierung“ nur unzureichend zu beschreibende, seit der Auflösung der bipolaren politischen Weltordnung in kapitalistische und kommunistische Systeme wachsende Prozess weltweiter wirtschaftlicher und medialer Verflechtungen (Albrow 1998) kann als einer dieser Einflussfaktoren angesehen werden. Mit solchen globalen, ökonomischen und ökologischen Entwicklungen beschäftigte sich beispielsweise die UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro bereits 1992 und forderte eine zukunftsfähige Gestaltung der Lebens- und Wirtschaftsweise der Menschen durch einen nachhaltigen Umgang mit lebenswichtigen Ressourcen (Lokale Agenda 21). Unter einer nachhaltigen Entwicklung verstand die UN-Kommission für Umwelt und Entwicklung 1987 eine globale Entwicklung, die die Bedürfnisse heutiger und zukünftiger Generationen decken kann (Hauff 1987). Auf europäischer Ebene wurde die „Leipzig Charta“ für eine nachhaltige europäische Stadtentwicklung im Mai 2007 von den Mitgliedsstaaten der EU verabschiedet (Leipzig Charta EU 2007). Darin wird die gewachsene europäische Stadt (jeder Größe) als wertvolles und unersetzbares Wirtschafts-, Sozial- und Kulturgut angesehen, das es zu schützen, zu stärken und weiter zu entwickeln gilt. Mit einer Nachhaltigkeitsstrategie sollen wirtschaftliche Prosperität, sozialer Ausgleich und gesunde Umwelt bewirkt werden. Hierzu wird eine integrierte Stadtentwicklungspolitik empfohlen, die durch Koordination der sektoralen Politikfelder für mehr Verantwortungsbewusstsein sorgt. Weiterhin wird die Abstimmung teilräumlicher, sektoraler Pläne und politischer Maßnahmen sowie die Sicherung einer ausgeglichenen Entwicklung des Stadtraumes in Bezug auf die geplanten Investitionen vorgeschlagen. Koordination und Moderation, sowohl innerhalb der Stadtverwaltung als auch zwischen allen lokalen Akteuren auf Gesamtstadt- und Stadtteilebene unter Einbezug der BürgerInnen sind weitere Forderungen der „Leipzig Charta“. Neben der Nutzungsmischung von Wohnen, Arbeiten, Bildung, Versorgung und Freizeitgestaltung in den Stadtquartieren gehören aktive Innovations- und Bildungspolitik durch Förderung des sozialen und interkulturellen Dialogs, die Zusammenführung lokaler Akteure, die Unterstützung von Netzwerken und die Optimierung von Standortstrukturen zu den Bestandteilen der genannten Handlungsstrategie. Besondere Aufmerksamkeit wird für benachteiligte Stadtquartiere im gesamtstädtischen Kontext reklamiert, um die Herausforderungen und Probleme aus dem wirtschaftlichen und sozialen Strukturwandel, wie Arbeitslosigkeit, soziale Ausgrenzung und drohende oder bereits manifeste Spaltungen der Stadtgebiete bewältigen zu können. Dies soll durch soziale Wohnraumpolitik, soziales Monitoring und frühzeitige Interventionen in Stadtquartieren im Rahmen aktiver und intensiver Dialoge zwischen BewohnerInnen, Politik und wirtschaftlichen Akteuren bewerkstelligt werden.

Weil sich die Forderungen der „Leipzig Charta“ an alle Mitgliedsstaaten der Europäischen Union richten, wurde im Jahr 2008 von der damaligen Bundesregierung ein Konzept der Nationalen Stadtentwicklungspolitik für Deutschland vorgelegt (Nationale Stadtentwicklungspolitik 2008). Grundlage dafür war das von einer Expertengruppe im Auftrag des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung im Jahr 2007 vorgelegte Memorandum „Auf dem Weg zu einer nationalen Stadtentwicklungspolitik“ (Memorandum 2007). Dieses Memorandum skizziert Herausforderungen der Stadtentwicklung in Deutschland und empfiehlt ausdrücklich, gemeinsam mit Ländern und Kommunen eine nationale Position zu städtischen Fragen zu entwickeln. Durch die Bündelung und Abstimmung von Handlungskonzepten und Förderprogrammen soll deren Wirksamkeit erhöht werden.

Das wohl größte deutsche Städtebauförderungsprogramm „Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf – Soziale Stadt“ (Soziale Stadt 2008) des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS) und der Länder wurde im Jahr 1999 mit dem Ziel gestartet, die „Abwärtsspirale“ in benachteiligten Stadtteilen aufzuhalten und die Lebensbedingungen vor Ort umfassend zu verbessern. Umgesetzt wird dieses Programm von den Ländern und Kommunen, die sich auch finanziell daran beteiligen müssen. Ziele des Programms sind die physischen Wohn- und Lebensbedingungen sowie die wirtschaftliche Basis in den Stadtteilen zu stabilisieren und zu verbessern, die Lebenschancen durch Vermittlung von Fähigkeiten, Fertigkeiten und Wissen zu erhöhen sowie das Gebietsimage, die Stadtteilöffentlichkeit und die Identifikation mit den Quartieren zu stärken. Der integrative Ansatz des Programms Soziale Stadt zeigt sich darin, dass Maßnahmen und Projekte aus allen Politikbereichen realisiert und häufig mehrere Politikbereiche zugleich abgedeckt werden. Die Realisierung von Maßnahmen und Projekten in den inhaltlichen Handlungsfeldern der „Sozialen Stadt“ erfordert den Aufbau eines leistungsfähigen Koordinierungs-, Kooperations- und Partizipationsmanagements, das in den instrumentell-strategischen Handlungsfeldern angelegt ist. Zu diesen instrumentell-strategischen Handlungsfeldern gehören integrierte Entwicklungs- bzw. Handlungskonzepte ebenso wie der Gebietsbezug, womit verbunden wird, dass unterschiedliche kommunale Abteilungen untereinander ressortübergreifend und mit anderen Behörden gebietsbezogen kooperieren, um ihre Ressourcen zum Zweck einer umfassenden Quartiersentwicklung zu bündeln. Die Aufgabe der Steuerung einer solchermaßen verstandenen integrierten Quartiersentwicklung, soll durch ein professionelles Quartiermanagement übernommen werden.

Neben den o. g. Politikprogrammen, die quasi Top-Down eingeführt und Bottom-Up mit Leben gefüllt und bearbeitet werden sollen, gibt es weitere Entwicklungsprozesse deren gesellschaftliche Relevanz und zunehmender Herausforderungscharakter einen steigenden Bedarf an gebietsbezogener Dezentralisierung kommunaler Daseinsvor- und -fürsorge sowie an sozialräumlichen Entwicklungsperspektiven und Interventionen Sozialer Arbeit generieren. Dazu gehört u. a. die demografische Entwicklung, womit in den fortgeschrittenen Industrienationen Europas Prozesse absoluter [2] und relativer [3] Alterung der Bevölkerung (Kohli 2013), aber auch die Zunahme der Wanderungsbewegungen innerhalb Europas und die verstärkte Zuwanderung von Menschen von außerhalb Europas in Verbindung gebracht werden (Haug 2013).

Ein weiteres Thema mit gesamtgesellschaftlicher Bedeutung und erheblichem Herausforderungscharakter ist die Partizipation bzw. Beteiligung der BürgerInnen (Becker 2016; Becker u. a. 2010). In Gesellschaften, deren Bevölkerung vom „Bildungsbürgertum“ dominiert wird und für deren BürgerInnen individuelle Freiheitsrechte und Selbstverwirklichung nach den einschlägigen Milieustudien (Schulze 1992; Sinus-Milieus) wesentliche Orientierungen darstellen, scheinen die Beteiligungsoptionen repräsentativer Demokratiesysteme nicht mehr als ausreichend empfunden und akzeptiert zu werden (Becker 2014). In Deutschland werden seit 1999 in sogenannten „Freiwilligensurveys (FWS)“ regelmäßig Aktivitäten und Motive bürgerschaftlichen Engagements erhoben und aufbereitet. Netzwerke zur Förderung „Bürgerschaftlichen Engagements“ gibt es seit 2002 auf Bundesebene sowie in Ländern und Kommunen (BBE 2002). So wird in den oben erwähnten Programmen zur Stadtentwicklung verlangt, die im Verwaltungshandeln verbreitete Top-Down-Perspektive durch Aktivierung und Beteiligung der BürgerInnen zu einer breiteren Verankerung an der Basis der Bevölkerung im Quartier zu ergänzen.

Auch das Bundesprogramm „Mehrgenerationenhäuser“ (2012) beinhaltet eine starke programmatische Orientierung am nahräumlichen Lebensumfeld der Menschen und fordert zu konsequenter sozialräumlicher Orientierung der Sozialen Arbeit auf, sei es in der Arbeit mit Kindern im Vorschulbereich, in schulbegleitenden Hilfen und Schulsozialarbeit, der offenen Kinder- und Jugendarbeit, der Jugendsozialarbeit, der Arbeit mit Menschen mit Behinderungen, mit Migrationshintergrund, mit erwerbslosen Menschen, mit Menschen in der Nacherwerbsphase, usw.

In den letzten Jahren lässt sich eine weitere Entwicklung konstatieren, die aus einer kulturkritischen Haltung heraus einen eher pädagogischen Auftrag an die Soziale Arbeit in und mit Gemeinwesen formulieren. Hinweise auf Bewegungsmangel, „Fettleibigkeit“ und „falsche“, weil ungesunde Ernährung von Kindern, Jugendlichen, aber auch erwachsenen Menschen dienen als Begründung für Handlungsprogramme [4], die unter dem Stichwort „Gesundheitsförderung im Quartier“ der Sozialen Arbeit im Handlungsfeld der sozialen Stadt- und Quartierentwicklung ein Mandat für pädagogisches Handeln in Quartieren zuzuweisen versuchen. Eine Herausforderung Sozialer Arbeit im Handlungsfeld sozialer Stadt- und Quartierentwicklung besteht darin, die Schaffung gesunder Lebensbedingungen in Stadtteilen und Quartieren als deklariertes Ziel sozialraumorientierter Gesundheitsförderung auf die Veränderung ungünstiger Bedingungen, wie z. B. hoher Arbeitslosigkeitsraten, schlechter Wohnbedingungen oder starker Verkehrsbelastungen zu beziehen und nicht bei der Förderung von Bewegung und Ernährung stehen zu bleiben.

Hinter Begriffen wie „Urban Agriculture“, „urbane Landwirtschaft“, „Urban Gardening“, „Guerilla Gardening“, „Community Gardening“, „Gemeinschaftsgärten“ oder „urbane Gärten“ verbergen sich unterschiedliche Ansätze und Ausformungen einer sozialen Bewegung, die sich rund um die Nutzung von Grünflächen in (Groß-)Städten für unterschiedliche Zwecke dreht (Müller 2011). Das Spektrum reicht vom Anbau von Lebensmitteln zu Zwecken preisgünstiger und/oder gesunder Ernährung oder ökologischem Anbau, über die Ver(h/m)inderung von weiterer baulicher Verdichtung in Innenstädten durch Schließung von Baulücken und Überplanung bisheriger Grünflächen, bis hin zur Schaffung von Begegnungs- und Kommunikationsgelegenheiten für die Bevölkerung in Quartieren oder Nachbarschaften. Für die Soziale Arbeit im Handlungsfeld der sozialen Stadt- und Quartierentwicklung scheint sich die Herausforderung an der Beantwortung der Frage fest zu machen, ob und inwiefern „Urban Gardening“ geeignet ist, die Lebensbedingungen und das Zusammenleben von Menschen in Städten und Quartieren zu verbessern, ohne soziale Benachteiligungen zu verstärken, sondern diese wirksam zu reduzieren.

Das o. g. Thema „Urban Gardening“ gehört bereits partiell zum Themenbereich „lokaler Ökonomie“. Vor dem Hintergrund der starken Ökonomisierung aller Lebensbereiche, die zu Beginn der 1990er Jahre mit den oben beschriebenen Entwicklungen forciert wurde, entstand eine Gegenbewegung zum Rückzug staatlichen Handelns auf seine Gewährleistungs- und Steuerungsfunktionen. Diese Bewegung fordert nicht nur staatliche Eingriffe in den Markt, sondern setzt auf die Möglichkeiten solidarischer Selbstorganisation gemeinnütziger, bedarfsorientierter, demokratischer und nicht primär gewinnorientierter Unternehmensformen (Elsen 2011). Aus einer Reihe von Initiativen sind Arbeits-, Einkaufs- oder Wohngenossenschaften, aber auch Tauschkreise und Regional- oder Lokalwährungen entstanden, die in ihrem sozialen und räumlichen Umfeld ihre Lebenssituation und Lebensverhältnisse zu verändern suchen. Andere Aspekte „lokaler Ökonomie“ betreffen die Sicherung und Weiterentwicklung der Nahraumversorgung, die im Zuge des demografischen Wandels für viele Menschen zunehmende Bedeutung erhält. Herausforderungen für Soziale Arbeit im Handlungsfeld sozialer Stadt- und Quartierentwicklung bestehen darin, auf lokalpolitischer Ebene Aufmerksamkeit und Gehör zu finden für die Einforderung des grundgesetzlich verankerten Sozialstaatsgebots einer sozialen Markwirtschaft. Deren Operationalisierung kann durch nachteilsausgleichende Investitionen in benachteiligten Stadtgebieten, durch vergünstigte Nutzungsmöglichkeiten gemeinnütziger Initiativen, wie Quartiersläden, Einkaufs-, Begegnungsräumen, Arbeitsprojekten oder der Einrichtung von Quartierbudgets, zur Verwendung für besondere Zwecke in Stadtteilen und Quartieren geschehen (Becker 2014: 109ff.).

Globale Probleme wie Klimawandel, Umweltverschmutzung oder Ernährungssicherung, verlangen eine Politik, die Ökologie, Ökonomie und soziale Gerechtigkeit verbinden (Lokale Agenda 21). Soziale Arbeit ist als Handlungswissenschaft Teil praktischer Sozialpolitik und sorgt mit ihren Interventionen für sozialen Ausgleich. Am Beispiel der Steigerung der Mietzinsen in den attraktiven Regionen Deutschlands lässt sich das Dilemma derjenigen Städte aufzeigen, die neuerdings wieder wachsende Bevölkerungszahlen zu verzeichnen haben. Deren Attraktivität führt im Nachgang der Finanzkrise von 2008 und der darauf folgenden Suche von Menschen mit hohen Vermögen nach sicheren Geldanlagemöglichkeiten zu einer starken Nachfrage nach Immobilien und damit zu einer „künstlichen Verknappung“ und realen Verteuerung von Wohnraum. Dadurch entsteht die Gefahr der Vertreibung von Bevölkerungsgruppen in prekären Lebenslagen aus ihren bisherigen Quartieren, die sich das Wohnen in den attraktiven Städten und Stadtteilen nicht mehr leisten können. Hier besteht die Herausforderung für Soziale Arbeit im Handlungsfeld sozialer Stadtentwicklung und Gemeinwesenarbeit darin, die Bedeutung der sozialen Mischung der Stadtbevölkerung für ein zivilisiertes Zusammenleben und die soziale Stadtentwicklung plausibel machen zu können. Studien, die einen Zusammenhang zwischen sozialer Gerechtigkeit und Glücksempfinden nachweisen, bieten dabei entsprechende Grundlagen (Wilkinson/Pickett 2009). Gleichwohl sind Wechselwirkungen zwischen Raum- und Sozialstruktur bislang empirisch schwer nachweisbar (Ziegler 2011).

1.2 Stadt- und Quartierentwicklung als Aufgabenbereich Sozialer Arbeit

Zwar kann nicht davon ausgegangen werden, dass sämtliche soziale Probleme, deren Ursachen i. d. R. nicht rein auf kommunaler oder Quartiersebene liegen, durch Interventionen Sozialer Arbeit auf Stadt- oder Quartiersebene zu lösen seien. Sehr wohl bearbeitbar, im Sinne der Gegenstandsbeschreibung Sozialer Arbeit nach Engelke/Spatscheck/Borrmann (2016) ist jedoch die Vermeidung, Verminderung und Bewältigung sozialer Probleme durch Unterstützung der jeweils betroffenen Bevölkerung, z. B. durch Verbesserung der Teilhabemöglichkeiten an Bildung, Arbeit, Wohnen, Freizeit. Hierzu dient eine integrierte Stadt- und Quartierentwicklung, die bei Maßnahmen der Arbeitsintegration, Bildung und Wohnen, der soziokulturellen Integration und bei der Verbesserung der individuellen Problemlagen vor Ort ansetzt und diese mit städtebaulichen Entwicklungsmaßnahmen unter Beteiligung der Bevölkerung verknüpft (Programmes Projets Urbains 2011).

In den obigen Ausführungen kommt die Problematisierung von Auftrag und Rolle Sozialer Arbeit im Kontext sozialer Stadt- und Quartierentwicklung zum Ausdruck. Oliver Fehrens (2008) Frage, wer denn das Gemeinwesen organisiere, wird von ihm selbst mit der Aufgabenzuschreibung Sozialer Arbeit als intermediärer Instanz beantwortet. Sozialer Arbeit käme im Handlungsfeld sozialer Stadt- und Quartierentwicklung mithin die Aufgabe zu, als Vermittler sowohl vertikal, zwischen Verwaltung und Quartierbevölkerung, als auch horizontal, zwischen lokalen Akteuren im Quartier zu agieren. Das Ziel wäre, über die zivilgesellschaftliche Integration benachteiligter Bevölkerungsgruppen zur Verhinderung der Spaltung der demokratischen Gesellschaft, die aus der sozioökonomischen Spaltung resultiert (Becker 2014), beizutragen. Damit spricht Fehren implizit jene für Soziale Arbeit konstituierenden Rollen an, die in den verschiedenen Mandaten Sozialer Arbeit [5] Grund gelegt sind. Die besondere Herausforderung für Fachkräfte Sozialer Arbeit im Handlungsfeld sozialer Stadt- und Quartierentwicklung liegt darin, die Rollenklarheit zwischen parteilicher Haltung und Arbeit für die benachteiligte Bevölkerung auf der Quartiersebene, vermittelnder Tätigkeit auf intermediärer Ebene und koordinierenden Aufgaben auf der Verwaltungs- und kommunalpolitischen Ebene zu gewährleisten und bei Dilemmata nach berufsethischen Grundsätzen zu entscheiden (Becker 2014: 139ff.).

1.3 Stadt- und Quartierentwicklung als Aufgabe von Kommunen, Trägern und Wohnungswirtschaft

Aus den oben erwähnten Leitbildern und Programmen sozialer bzw. integrierter Stadtentwicklung kann mit etwas Wohlwollen mittlerweile eine leichte Tendenz zum Paradigmenwechsel von der defizitorientierten Konzentration auf Problemgebiete hin zu gesamtstädtischen Ausrichtungen der Stadt- und Quartierentwicklung herausgelesen werden. Dementsprechend sind in Kommunen vermehrte Aktivitäten mit sozialräumlicher Ausrichtung zu konstatieren. Seien es „Bürger-“ oder „Zukunftswerkstätten“ zur Entwicklung kommunaler Leitbilder (Lokale Agenda 21), die Initiierung von Bündnissen für Familie (Lokale Bündnisse für Familie), die Förderung bürgerschaftlichen Engagements (BBE), die Umgestaltung von Kitas in Familienzentren (Stadt Offenburg 2004), die Einrichtung von Mehrgenerationenhäusern (2012), Maßnahmen der integrierten Stadt(teil)entwicklung oder dezentrale Märktekonzepte. Bei allen genannten Beispielen geht es um dezentrale Gebietsorientierung und immer öfter auch um sozialräumliche Orientierung kommunalen Handelns. Für die Moderation zwischen verschiedenen Interessengruppen auf Quartierebene und zwischen Verwaltung und lokalen Akteuren, zu denen auch die Bürgerschaft gehört, werden entsprechend ausgebildete und fachlich kompetente Fachkräfte gebraucht und gesucht, die in der Lage sind, nach sozialräumlichem Konzepten zu arbeiten und mit entsprechend professioneller Haltung auf die unterschiedlichen Akteure zuzugehen. Im Rahmen der Stadtentwicklungsprogramme wie „Soziale Stadt“ gibt es zwar Erfahrungen mit Personalstellen für Quartiermanagement, allerdings lassen sich daraus bislang noch keine hinreichenden Beschreibungen und Tätigkeitsmerkmale für die vielschichtigen Aufgabenstellungen entwickeln (Alisch 1998; Grimm u. a. 2004).

Nicht nur in den Kommunen, auch in den Verbänden der freien Wohlfahrtspflege die im Rahmen des Subsidiaritätsprinzips staatlich garantierte Aufgaben Sozialer Arbeit übernehmen, setzt sich zunehmend eine sozialräumliche Perspektive durch. Die „Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege“ hat im März 2015 eine Standortbestimmung zur Sozialraumorientierung vorgenommen (BAG 2015). Der Deutsche Caritasverband (DCV) hat bereits im Jahr 2013 ein „Eckpunktepapier zur Sozialraumorientierung in der Caritasarbeit“ (NC 11/2013) herausgegeben. Das Deutsche Rote Kreuz (DRK 2015) bezieht seine Soziale Arbeit konzeptionell auf Sozialraumorientierung. Und der Deutsche Verein für öffentliche und private Fürsorge (DV) hat 2008 „Eckpunkte des Deutschen Vereins zur sozialräumlichen Ausgestaltung kommunalen Handelns“ vorgelegt (DV 2008).

Auch in der Wohnungswirtschaft ist das Thema Sozialraumorientierung angekommen, wie die Veröffentlichung der Broschüre „Stadt- und Quartiersentwicklung. Zukunftsaufgabe partnerschaftlich lösen“ des „Verband norddeutscher Wohnungsunternehmen e.V.“ zeigt (VNW 2009). Weitere Beispiele aus der Oberrheinregion belegen die Verbreitung sozialräumlicher Konzepte im Bereich der Wohnungswirtschaft. So hat die Wohnbaugesellschaft der Stadt Lörrach (Wohnbau Lörrach) eine „Stabsstelle Soziales Management“ hauptamtlich besetzt, beschäftigt eine Sozialarbeiterin und hat Treffpunkte, Gemeinschaftsräume u. a. eingerichtet, um „lebendige Wohnquartiere“ zu schaffen. Der „Bauverein Breisgau e.G.“ (Bauverein Breisgau) betreibt in Freiburg mehrere „Quartiertreffs“ mit hauptamtlichem Ansprechpartner als Anlaufstelle für die Menschen aus der Nachbarschaft, um nur wenige Beispiele aus dem deutschen Südwesten zu nennen.

2. Personalbemessung in der der Stadtteil- und Quartierentwicklung: Zentrale Bezugspunkte des Projektes

Angesichts der strukturellen Schwäche einer rechtlich kaum abgesicherten und geregelten Leistungserbringung professioneller Sozialer Arbeit im Handlungsfeld sozialer Stadt- und Quartierentwicklung stellt sich für jene Träger aus Kommunen, Verbänden und Wohnungswirtschaft, die entsprechende Bedarfe erkannt haben, die praktische und konkrete Frage nach Orientierungspunkten und -hilfen zur Aufwands- und Stellenbemessung in diesem Bereich.

Grundsätzlich orientierend zur Beantwortung von Fragen dieser Art sind die in Baden-Württemberg bereits in den Jahren 2004, 2010 und 2012 erarbeiteten „Orientierungshilfen zur Personalbemessung“ für die Arbeitsbereiche „Beistandschaft und Amtsvormundschaft“ sowie „Allgemeiner Sozialer Dienst“ oder die 2014 für die „wirtschaftliche Jugendhilfe“ erarbeitete Arbeitsgrundlage zur Stellenbedarfsbemessung (BaWü 2014) des KVJS [6]. Weil für die genannten Arbeitsbereiche von Beistandschaft, Amtsvormundschaft, allgemeiner Sozialer Dienst und wirtschaftliche Jugendhilfe durch Rechtsgrundlagen und Richtlinien klar bezeichnete Auftrags- und Aufgabenbeschreibungen vorliegen, ist eine Personalbemessung in diesen Bereichen vergleichsweise leicht durch systematische Analyse zu erheben.

Für die das Handlungsfeld der Sozialen Arbeit in der Stadt- und Quartierentwicklung existieren jedoch weder differenzierte Rechtsgrundlagen noch Richtlinien, die Auftrag und Aufgaben verbindlich regeln. Anhand der im Folgenden skizzierten Überlegungen und dem darauf basierenden Entwicklungsprojekt soll diese Situation insofern verändert werden, als damit eine fachlich begründete und nachvollziehbare Orientierungshilfe zur Aufwandsbemessung für den Einsatz professioneller Fachkräfte Sozialer Arbeit im Handlungsfeld sozialer Stadt- und Quartierentwicklung entwickelt und erarbeitet werden soll. Das hier skizzierte Entwicklungsprojekt ist aktuell noch in der Durchführung. Jedoch können seine zentralen Bezugspunkte im Folgenden bereits wiedergegeben werden.

Zur Begründung der zu erbringenden fachlichen Aufgaben bedarf es zunächst der Grundlegung eines fachlichen Konzeptes, das den professionellen „state of the art“ wiedergibt und auf fachlichen Standards aufbaut, die auf einem möglichst breiten Konsens fußen. Hierzu werden, wie oben unter Punkt 1.1 bis 1.3 skizziert, im Rückgriff auf die historischen Wurzeln Sozialer Arbeit die Entwicklungslinien von der gebietsbezogenen Perspektive über die neuerdings stärkere Sensibilität für die Zusammenhänge räumlicher und sozialer Strukturen und Prozesse systematisch ergründet. Die über 100jährige Erfahrung und Tradition dieses Handlungsfeldes Sozialer Arbeit sowie das in der Fachwelt obligatorische und notwendige Ringen um Erklärungen sozialer Phänomene sowie deren Konsequenzen für politisches und professionelles Handeln werden einbezogen und unter Berücksichtigung einschlägiger sozialwissenschaftlicher Erkenntnisse diskutiert. Weiter werden im Projekt die zentralen Begrifflichkeiten geklärt und Vorschläge zur weiteren Begriffsverwendung entwickelt. Nach dieser fachlich-historischen Selbstvergewisserung folgt auf der fachbegrifflichen Basis die Konturierung des Handlungskonzeptes Sozialraumorientierung in der Sozialen Arbeit und dessen Spezifizierung für das Handlungsfeld der sozialen Stadt- und Quartierentwicklung. Eine vergleichsweise ausführliche Darstellung der Grundlagen und Inhalte des Handlungskonzeptes Sozialraumorientierung dient dem differenzierten Verständnis der komplexen Zusammenhänge und wechselseitigen Einflüsse sozialräumlicher Strukturen und Prozesse im Handlungsfeld sozialer Stadt- und Quartierentwicklung. Damit sind die fachlichen Grundlagen für eine Beschreibung von Auftrag, Aufgaben und Interventionen als fachlicher „state of the art“ benannt und können weiter als Maßstab für fachliches Handeln herangezogen werden.

Zur Entwicklung einer konkreten Orientierungshilfe zur Personalbemessung professioneller Stadtteil- und Quartierentwicklung werden dann die Grundprämissen professioneller Sozialer Arbeit (Mandatierung) und die spezifischen Aufgabenstellungen des Einsatz- oder Handlungsfeldes der Quartier- und Stadtentwicklung erarbeitet. Daraus werden sechs Dimensionen des Handlungsauftrages Sozialer Arbeit in Stadtteilen und Quartieren gebildet und diesen jeweils spezifische Aufgaben und Interventionen zugeordnet. Für die Beurteilung des Arbeitsaufwandes professioneller Sozialer Arbeit in Stadtteilen und Quartieren wird dabei berücksichtigt, dass der Personalaufwand abhängig von gesamtgesellschaftlich verursachten Problemlagen, dem situativen Kontext und der konkreten Bedarfslage vor Ort sowie der jeweiligen Beauftragung sein wird. Bei der jeweiligen konkreten Bedarfsbestimmung wird davon ausgegangen, dass nicht immer alle fachlichen Aufgaben in allen Kontexten und zu allen Zeiten gleichermaßen als wichtig und dringlich angesehen werden. Um diese Abhängigkeit von Bedarfs- und Auftragslagen abbilden zu können, werden Einflussfaktoren und deren Indikatoren als Orientierungs- und Bemessungsgrundlagen beschrieben und in das Modell mit einbezogen.

Mit der Operationalisierung der Einflussfaktoren entlang von Dimensionen und Aufgaben wird die Voraussetzung für die Entwicklung eines Berechnungsmodus des Personalaufwands für Stadtteil- und Quartierarbeit geschaffen. Hierzu können die sechs Dimensionen des Handlungsauftrages Sozialer Arbeit in Stadtteilen und Quartieren jeweils gewichtet werden, um daraus die relevanten Anteile der einzelnen Aufgaben berechnen zu können. Mittels exemplarisch ermittelter empirischer Werte für den tatsächlichen Zeitaufwand bestimmter Aufgaben können die im Rahmen der Aufwandsschätzung ermittelten Bewertungspunkte mit deren Gewichtung mittels „Multiplikationsfaktor“ zu Stellenanteilen einer tariflichen Vollzeitstelle umgerechnet werden.

Auf der Basis dieses Berechnungsschemas werden sich Aufwand und Personalbedarf differenziert nach Dimensionen der fachlichen Aufgabenstellung und unterscheidbar nach Einflussfaktoren und Interventionskriterien sowie unter Berücksichtigung von deren Gewichtung abschätzen und am Ende zu Stellenanteilen berechnen lassen. Dazu sind teilweise umfangreichere Erhebungen und Berechnungen nötig, die etwas mehr Aufwand mit sich bringen. Kommunen und Unternehmen, die zur Erreichung von Zielen sozialer Stadtentwicklung professionelle Soziale Arbeit für spezifische Aufgaben einsetzen oder dafür freie Träger beauftragen möchten, haben mit diesem Modell die Möglichkeit, auf Basis eines kriteriengeleitet entwickelten Instrumentariums den für diese Arbeit erforderlichen Personalaufwand prospektiv berechnen zu lassen.

3. Ausblick

Mit der im Projekt zu entwickelten Orientierungshilfe zur Personalbemessung professioneller Sozialer Arbeit in der Stadtteil- und Quartierentwicklung soll kein Absolutheitsanspruch erhoben werden, vielmehr wird ein Vorschlag unterbreitet, der durch Praxiserprobung und Forschung weiterentwickelt, fundiert oder verändert werden kann und muss. Anzahl, Art und Wirkungsannahmen der in diese Orientierungshilfe einbezogenen Einflussfaktoren und Interventionen werden zwar nach derzeitigem Erkenntnisstand und im Bemühen um Validität und Reliabilität ausgewählt sein, sind aber weiterhin kritisch zu untersuchen und sicher auch ergänzungsfähig. Die konzeptionellen Prämissen und entwickelten Berechnungsmodi werden mit der anstehenden Publikation der kritischen Überprüfung und Weiterentwicklung geöffnet. Wünschenswert wäre durch standardisierte Erhebungen an verschiedenen Orten zukünftig eine breitere Basis empirisch gewonnener Vergleichswerte für den zeitlichen Aufwand zur Aufgabenerfüllung zu schaffen.

Das hier beschriebene Entwicklungsprojekt will die Implementation und praktische Anwendung von Interventionen Sozialer Arbeit im Handlungsfeld sozialer Stadt- und Quartierentwicklung erleichtern und gleichzeitig die Berücksichtigung professioneller fachlicher Standards und qualitätsvoller Arbeit im Rahmen sozialer Stadt- und Quartierentwicklung fördern.

Literatur

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Fussnoten

[1] Die Publikation ist geplant in der Reihe „MenschenArbeit. Freiburger Studien“ im Hartung-Gorre Verlag Konstanz. Der Autor ist über die angegebenen Kontaktdaten oder das Institut für angewandte Forschung und Entwicklung der Katholischen Hochschule Freiburg erreichbar.

[2] Erhörung der Lebenserwartung (Kohli 2013)

[3] Erhöhung des Durchschnittsalters und des Anteils älterer Bevölkerung (Kohli 2013)

[4] Z.B. „Aktiv werden für Gesundheit – Arbeitshilfen für Prävention und Gesundheitsförderung im Quartier“ 2008

[5] Gesellschafts-, Organisations-, BürgerInnen-, Professions- und Selbstmandat als Fachkraft

[6] Kommunalverband Jugend und Soziales (KVJS), früher „Landeswohlfahrtsverband“, als Baden-Württembergische Variante des Landesjugendamtes.


Zitiervorschlag

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