Offene Kinder- und Jugendarbeit in Nähe und Distanz zur Schule – Zwei Projektbeispiele zur Gestaltung von Bildungslandschaften
Ulrich Deinet
Der folgende Beitrag thematisiert die Rolle der Offenen Kinder- und Jugendarbeit in der Kooperation mit Schule, bzw. in Bildungsnetzwerken, Bildungslandschaften in NRW am Beispiel von zwei Kommunen:
In der Stadt Witten wurden vor ca. zehn Jahren die Einrichtungen der Offenen Arbeit mit Kindern an die OGS Standorte verlegt, um im sogenannten Wittener „pädagogischen Dreiklang“ eine engere Zusammenarbeit zwischen Grundschule, OGS und Offener Arbeit mit Kindern zu realisieren. Die Beschreibung der Entwicklung zeigt Chancen und Probleme der konsequenten Verlagerung der Offenen Kinder- und Jugendarbeit an den Standort Schule. Die Fragen von Kooperationsstrukturen, veränderten Zielgruppen und den Erwartungen der unterschiedlichen Akteure sowie ihrer Rollen werden thematisiert. Neben der dadurch erreichten Schulnähe der Einrichtungen der Offenen Arbeit mit Kindern stellt das Wittener Modell eine Erweiterung der traditionellen Schullandschaft dar, in Richtung einer Bildungslandschaft, die von den Schulstandorten ausgehend auch weitere Bildungsorte mit einbezieht.
Das zweite Beispiel aus dem Kreis Lippe zeigt die Aktivitäten eines Kreisjugendamtes, die Offene Kinder- und Jugendarbeit auf den sehr unterschiedlichen Ebenen eines großen Flächenkreises in der dortigen Bildungslandschaft stärker als bisher einzubeziehen. Auch hier werden Chancen und Probleme diskutiert, insbesondere die Frage des Bildungsbegriffs in der Jugendarbeit und die Herausforderung an die OKJA, sich neben den anderen Akteuren in einer Bildungslandschaft zu behaupten.
Im abschließenden Resümee werden Chancen und Probleme der beiden Modelle zusammengefasst und ihr Ertrag für die Positionierung der Offenen Kinder- und Jugendarbeit in der Entwicklung der Bildungslandschaften unter dem Aspekt der Öffnungsfunktion der Jugendarbeit für die Bildungslandschaften beschrieben.
1 Offene Arbeit mit Kindern und offene Ganztagsschule unter einem Dach – das Wittener Modell [1]
Am Beispiel der Stadt Witten wird ein Konzept vorgestellt, in dem die Einrichtungen der Offenen Arbeit mit Kindern konsequent an den Ort Schule verlegt wurden. Unter der Überschrift „pädagogischer Dreiklang“ (gemeint damit sind die Grundschule, die OGS [Offene Ganztagsschule] und die Offene Arbeit mit Kindern) hat die Stadt Witten vor ca. zehn Jahren ihre damals acht Kindereinrichtungen an Schulstandorte verlagert. Inzwischen hat sich deren Zahl sogar auf elf erhöht, d.h. elf Einrichtungen der Offenen Arbeit mit Kindern sind in den Räumen von Grundschulen untergebracht. Der Dreiklang versteht sich als die Kooperation zwischen Schule, OGS und Kindertreff unter einem Dach.
Diese Entwicklung kann man fachlich zwischen zwei Polen beschreiben: die konsequente Schulorientierung der Offenen Arbeit als „Rettung“ der Arbeit mit Kindern (die durch die Ausweitung der Ganztagsschule in Bedrängnis gekommen ist) oder als „Ausverkauf“ der Offenen Arbeit mit Kindern und ihre Integration in den Schulbereich. Vor dem Hintergrund dieses Spannungsverhältnisses soll zunächst die Entwicklung in Witten beschrieben werden.
1.1 Strukturelle Bedingungen
Vor Beginn der Umstrukturierung gab es in Witten im Bereich der Offenen Arbeit mit Kindern eine gewachsene Struktur von freien Trägern; die Hälfte der Kindertreffs befand sich in städtischer Trägerschaft. Mit der Umsiedlung der Kindertreffs an die Schule waren die Trägerschaften von OGS und Kindertreffs zunächst getrennt, sind heute aber in einer Hand an den jeweiligen Standorten, d.h. in allen Standorten ist heute ein und derselbe (freie) Träger für OGS und Kindertreff zuständig, was aus Sicht des Jugendamts große Vorteile in der Koordination, in der Raumnutzung, aber auch in der Personalgestaltung mit sich bringt.
„Die Stadt war damals sehr initiativ, ging auf die Schulen zu und schnell wurden Räume identifiziert, die für die Kinderarbeit geeignet waren und die Schulen wurden mehr oder weniger gezwungen den Kindertreff aufzunehmen! Zum Teil werden die Räume auch für OGS und Kindertreff gleichzeitig genutzt. Diese Entwicklung kam in der Zeit als in vielen Grundschulen die Anmeldezahlen schon zurückgingen und deshalb auch Kapazitäten frei waren. Andere Schulen waren zu dieser Zeit immer noch sehr beengt und empfanden die Integration eines Kindertreffs deshalb nicht unbedingt als positiv. Die Aufteilung der Kindertreffs auf die potenziell 17 Schulstandorte erfolgte nach sozialräumlichen Kriterien. Die fußläufige Erreichbarkeit für die Kinder in den jeweiligen Stadtteilen war eine wichtige Voraussetzung für die Auswahl der Schulstandorte in die die Kindertreffs integriert werden sollten“.
In den meisten Fällen hat sich die Stadt als Träger der Kindertreffs zurückgezogen und den OGS-Träger überzeugen können auch die Trägerschaft für den Kindertreff zu übernehmen. Nach Aussagen des Interviewten hat sich dies über die Jahre bewährt, beide Angebote kommen aus einer Hand, allerdings wurde das Prinzip der gemeinsamen Leitung durch eine Person inzwischen aufgehoben, so dass es in den meisten Standorten heute getrennte Leitungen von OGS und Kindertreff gibt. Eine wichtige institutionelle Voraussetzung zur Übernahme der schulischen Räume war, dass Schulverwaltung und Jugendamt in Witten in einem Dezernat sind.
An den Standorten wurden sogenannte „Runde Tische“ eingeführt, um die unterschiedlichen Akteure im pädagogischen Dreiklang in eine gute Kooperation zu bringen. Anfangs war die Situation nicht einfach:
„Die Hausmeister sind alle kollabiert, neue Reinigungszeiten, Heizung neu programmieren, da waren viele schon überfordert! Der runde Tisch soll alle Akteure an einem Standort zusammenbringen, nicht nur die Leitung der Einrichtungen, sondern auch Eltern, Hausmeister, weitere Bildungspartner und Anbieter in der OGS. Heute wird der runde Tisch auch als Instrument der Qualitätsentwicklung genutzt bzw. der Evaluation, weil dort auch freiwillige Selbstverpflichtungen eine Rolle spielen, etwa formulierte Ziele, die einmal im Jahr auch im Beisein der Abteilungsleitung durchgeführt werden sollen“.
Die runden Tische haben eine wichtige Koordinationsfunktion zwischen unterschiedlichen Akteuren, die im pädagogischen Dreiklang eine Rolle spielen. Hier gibt es auch eine freiwillige Selbstverpflichtung, mindestens einmal im Jahr einen solchen runden Tisch durchzuführen, auch im Beisein der Bereichsleitung.
„Alle Akteure am Standort und nicht nur die Leitungen der drei Einrichtungen! Eltern, Hausmeister, weitere Bildungspartner und Anbieter der OGS gehören ebenfalls zu dem runden Tisch“.
Es wird dann die unterschiedliche Verbindlichkeit der runden Tische an einzelnen Standorten deutlich, deren Grundlage eine freiwillige Verpflichtung der Beteiligten ist, die zum Teil aber nur schwer einlösbar ist bzw. bis heute auch einige Unterschriften von Schulleitern fehlen. Die runden Tische sind somit kein wirkliches Steuerungsinstrument, in denen Kontrakte oder eine Vereinbarungen geschlossen werden.
„Wichtig ist, dass der gesamte Prozess auch von oben, d.h. durch die Bürgermeisterin eingeleitet wurde und bis heute unterstützt wird. Es gibt auch einzelne Fälle, wo in einem Jahr kein runder Tisch durchgeführt wird oder sie vergessen das Jugendamt einzuladen“.
Darüber hinaus existiert eine Arbeitsgruppe Offene Kinderarbeit, in der alle elf Leitungskräfte vertreten sind, so dass ein gesamtstädtischer Austausch im Sinne eines Qualitätszirkels gewährleistet ist.
Für die Weiterentwicklung der OKJA bedeutete die Entwicklung in Witten eine Trennung zwischen Kinder- und Jugendbereichen. Vor der Platzierung der Kindertreffs an Schulen gab es fünf große Jugendeinrichtungen mit integriertem Kinderbereich. Diese Kombination existiert heute nicht mehr:
„Wir meinen die Offene Arbeit mit Kindern jetzt an die richtige Stelle gebracht zu haben. Zum Teil haben wir dafür auch neue Gebäude erschlossen. Schulhöfe sind in Witten als Spielflächen ausgewiesen und sollten nicht ausgeschlossen sein“.
1.2 Pädagogisches Konzept und Zielgruppen
Im Gegensatz zu der im OGS-Bereich verbreiteten Orientierung in Arbeitsgruppen und Angeboten sind die Offenen Kindertreffs konzeptionell „spielerisch, auf Freiraum bezogen“ und nicht so durchorganisiert wie die OGS. Viele OGS-Standorte haben dieses offenere Konzept aufgegriffen und z.B. eine „offene Spiel-AG“ eingeführt. Darüber hinaus haben die OGS-Standorte weitere Kooperationspartner; zum Teil finden diese Angebote aber auch in einer Verzahnung von OGS und Kindertreff statt, z.B. ein Schwimmkurs. Der Gedanke der gegenseitigen Öffnung ist besonders wichtig und wird auch pädagogisch umgesetzt. Zu der Verbindung bzw. Vermischung von OGS und Kindertreffarbeit macht der Interviewpartner noch folgende Aussagen:
Das Problem der Offenheit bzw. Anmeldung für den OGS-Bereich wird diskutiert bis hin auch zur finanziellen Beteiligung bei einigen AGs. So gibt es in der OGS Angebote die bis 16.00 Uhr dauern, die aber dann auch schon von Kindern genutzt werden, die den Kindertreff ab 15.00 Uhr benutzen. An der Stelle verwischt sich das ein bisschen. Als Kindertreffbesucher können die Besucher der Offenen Kindertreffs z.B. die AGs der OGS zwischen 15.00 und 16.00 Uhr wahrnehmen. Es geht vor allen Dingen um ein Angebot für die Kinder die mittags nach Hause gehen und nicht in der OGS angemeldet sind!
Im wachsenden Konkurrenzkampf der Schulen sind die Kindertreffs ein positiver Faktor für Schule und die Erhaltung der Standorte, so dass es jetzt tatsächlich Nachfragen aus dem schulischen Bereich zur Einrichtung eines Kindertreffs gibt. Auch in den Gesprächen mit den Eltern nutzen die Schulleitungen das Vorhandensein des Dreiklangs als Argument für den Besuch der jeweiligen Schule.
In einem Kindertreff gibt es auch ein Elterncafé, das von den Eltern auch angenommen wird.
Durch die Kindertreffs kann natürlich die Betreuungszeit bis maximal 18.00 Uhr für einige Kinder ausgeweitet werden, auch wenn die Zeit zwischen 16.00 und 18.00 Uhr nicht in der Weise verbindlich geregelt ist wie im Bereich der OGS.
1.3 Gesamteinschätzung und Transfer
Das Wittener Modell zeigt eine konsequente Verlagerung der Einrichtungen der Offenen Arbeit mit Kindern an Schulstandorte: Damit verbunden ist eine sehr starke institutionelle Verknüpfung mit der jeweiligen Schule und der OGS. Durch die gleiche Trägerschaft von Kindertreff und OGS erscheinen diese beiden Einrichtungen wie zwei „Schwestern“! Zum Teil die gleichen Räume nutzend, sprechen sie dennoch auch unterschiedliche Zielgruppen an, nach wie vor werden auch Kinder angesprochen, die nicht in der OGS angemeldet sind und das Angebot der Offenen Kinderarbeit klassisch nutzen, d.h. auf unverbindlicher und nicht angemeldeter Basis. Die Koordination und Kooperation und Durchmischung mit der OGS (insbesondere in den AGs) ist interessant ebenso wie die Frage, inwieweit die OGS gestärkt wird durch eine zweite Einrichtung in Form der Kindertreffs gegenüber der sonst übermächtigen Schule.
Im Hinblick auf die Strukturprinzipien der Kinder- und Jugendarbeit, stellt sich die Frage, ob die Offenen Kindertreffs im schulischen Bereich, u.U. untergehen bzw. ihre Prinzipien überhaupt erhalten werden können. Jedoch scheint in der pädagogischen Arbeit der Kindertreffs (Unverbindlichkeit, offenes Angebot, Freiwilligkeit, freies Spiel etc.) der eigenständige Charakter der Offenen Arbeit tatsächlich erhalten zu bleiben.
Die Frage ist, ob dies ein Rettungskonzept für die Offene Arbeit mit Kindern ist (in Anbetracht der hohen Anzahl von elf Standorten in einer Stadt), oder ob die Offene Kinderarbeit hier an Schule „verkauft“ wurde, als sinnvolle Ergänzung der OGS. Man kann die Offenen Kindertreffs in Witten auch als Einrichtung nach der „auslaufenden OGS“ verstehen, die nach dem Ende um 16.00 Uhr den Kindern die Möglichkeit gibt, im Offenen Bereich noch bis 18.00 Uhr zu bleiben und entsprechende Angebote zu nutzen. Auch von der Personalgestaltung und vom Volumen her sind die Kindertreffs eher klein und insoweit auch als „Anhängsel“ der OGS zu betrachten. Wie dies aus Sicht der Kinder aussieht, müsste untersucht werden. Interessant ist dabei die Frage, als was die Kinder die OGS, insbesondere aber die Kindertreffs wahrnehmen, als Teil der Schule, als eigene Institution oder als Mischung etc.? Besondere Aspekte von Partizipation und Beteiligung der Kinder wären z.B. ein inhaltlicher Kontrapunkt zum schulischen Alltag und würde diesen entsprechend bereichern.
Auch könnte man die Kindertreffs unter den Begriffen Bildung, Erziehung, Betreuung diskutieren und käme wahrscheinlich eher zu der Einschätzung, dass es sich hier um ein gutes Betreuungsangebot und weniger um ein Bildungsangebot handelt. Dies erscheint mir jedoch fachlich richtig zu sein, weil es den Bedürfnissen der Kinder entspricht und aufgesetzte Bildungsangebote am Tagesende der Kinder nach Schule und OGS wenig Sinn machen.
Neben der Frage, ob Bildung oder Betreuung, wäre aber zusätzlich nach einem eigenständigen pädagogischen Verständnis der Kindertreffs zu fragen. Dabei geht es gar nicht um Differenzen und Unterschiedlichkeiten, sondern um die Frage, welche Wirkungs- und Handlungsziele die Offene Kinderarbeit in diesen Dreiklang einbringt, wo sie eigenständige Räume für Kinder schafft und vielleicht sogar bewusst eine Abgrenzung zur OGS/Schule in Kauf nimmt.
In diesem Zusammenhang könnte auch der Begriff der „Beziehungsarbeit“ durchaus wieder aktiviert werden und auch die Frage nach Bezugspersonen, die ja dann in einem langen „Kinderarbeitstag“ häufig wechseln und am späten Nachmittag in der Offenen Kinderarbeit mit wieder neuen Bezugspersonen enden.
Die Kindereinrichtungen sprechen auch Kinder als Besucher und Besucherinnen an, die nicht in der OGS angemeldet sind. Auf Grund der Tatsache, dass es auch im Rahmen früherer Studien immer wieder den Hinweis auf Kinder gibt, die nicht in der OGS angemeldet werden, aber einen Bedarf an nachmittäglicher Betreuung haben, wäre diese eine wichtige Funktion der Kindertreffs. Dies spricht für eine eigenständige Arbeit mit Kindern, die Kinder über die Schülerinnen und Schüler der jeweiligen Schule hinaus, aus dem Stadtteil anspricht. Aus Sicht der OGS stellt ein Kindertreff natürlich eine ideale Verbindung dar, insbesondere auch in Bezug auf die von vielen Eltern geforderten längeren, aber auch flexiblen Betreuungszeiten.
Die Einführung und Entwicklung der OGS in Nordrhein-Westfalen hat die Offene Arbeit mit Kindern nachhaltig beeinflusst und verändert. Eine Weiterentwicklung dieses Bereiches und auch eine Veränderung sind unausweichlich und auf Grund der veränderten gesamtgesellschaftlichen Situation der Offenen Kinder- und Jugendarbeit auch dringend geboten.
Auf Grund der unterschiedlichen Rahmenbedingungen, aber auch der sozialräumlichen Strukturen existiert ein breites Spektrum sehr unterschiedlicher Kooperations- und Angebotsformen zwischen Offener Kinder- und Jugendarbeit und OGS: Auf der einen Seite eines imaginären Spektrums stehen sehr stark schulbezogene Kooperations- und Organisationsformen, die vielleicht so weit gehen wie die Verlagerung von Kindertreffs an Schule in der Stadt Witten, auf der anderen Seite Kooperationsformen, die gerade die Eigenständigkeit der Orte der Offenen Arbeit und ihre Qualitäten betonen, wie z.B. auf Abenteuerspielplätzen..
Auch die Übernahme der Trägerschaft einer OGS durch eine Kinder- und Jugendeinrichtung ist eine ebenso schulintensive Kooperationsform. Dennoch muss man auch hier unterscheiden zwischen der Kooperation mit der Schule als Institution und der Orientierung an Schule als Lebensort Schule.
Das Wittener Beispiel zeigt eine konsequente Verlagerung der Arbeit mit Kindern am Ort der Schule mit zahlreichen damit verbundenen institutionellen und konzeptionellen Vor- und Nachteilen. Eine vorschnelle Bewertung wäre falsch und zeigt auch wie differenziert die gesamte Situation zu betrachten ist.
2 Jugendamt und Offene Kinder- und Jugendarbeit bringen sich in die Bildungslandschaft ein – am Beispiel des Kreises Lippe (mit Julia Heiligenstühler/Petra Jürgens) [2]
In NRW wird das vom Jugendministerium geförderte Modellprojekt der AGOT von der Fachwelt mit großem Interesse betrachtet. Vor allem, weil es das einzige landesweite Projekt ist, in der die Offene Kinder- und Jugendarbeit im Rahmen von Bildungslandschaften an sechs Modellstandorten wissenschaftlich begleitet Konzepte entwickeln soll, wie Kinder- und Jugendarbeit auch selbst Bildungslandschaften gestalten kann. Die Fachwelt ist sehr auf die Ergebnisse gespannt und hofft auf neue Impulse für die weitere Entwicklung.
Im Unterschied zu der von der AGOT favorisierten herausragenden Stellung der freien Träger als Motor lokaler Bildungslandschaften, fördert das Jugendministerium eine weitere Bildungslandschaft im Kreis Lippe in der das Kreisjugendamt der Motor der Entwicklung ist. Im Folgenden sollen auf der Grundlage von Dokumenten und eines Interviews mit den dortigen Fachkräften einige Eindrücke wiedergegeben werden, die meiner Einschätzung nach auch typisch für die Gesamtsituation der Offenen Kinder- und Jugendarbeit in den aktuellen Bildungslandschaften ist.
Die Initiative geht hier vom Kreisjugendamt aus und bezieht sich im ersten Schritt auf vier der zwölf Kommunen im Zuständigkeitsbereich des Kreisjugendamtes. Dazu zählen Blomberg, Horn-Bad Meinberg, Lügde und Schieder-Schwalenberg als Modellkommunen in der Startphase des Projektes „Kommunale Bildungslandschaften aus der Sicht der Offenen Jugendarbeit“.
Die Arbeit vollzieht sich gleichzeitig auf der Ebene des Landkreises und der Ebene von vier teilnehmenden Kommunen mit ihren Einrichtungen. Bei den Einrichtungen handelt es sich um vier große Jugendeinrichtungen, teils in kommunaler und teils in freier Trägerschaft mit insgesamt 5 ½ Fachkraftstellen sowie sieben kleinere Jugendtreffs mit insgesamt drei Fachkraftstellen, die häufig in dörflichen Strukturen und meist in kirchlicher Trägerschaft vorhanden sind.
Die vier Städte gehören alle zu einem der drei sozialräumlichen Planungsräume des Kreises. Es handelt sich hier um einen ländlichen Randbereich des Kreises, der bewusst dafür ausgewählt wurde. Die politischen Gremien der Kommunen wurden vom Kreis angesprochen und zur Mitarbeit motiviert. In verschiedenen Sitzungen wurden die politischen Mandatsträger und die Kontaktpersonen der Jugendarbeit vor Ort für das Projekt interessiert und motiviert; dazu gehörten auch unter anderem die Vorstellung des Projektes in den örtlichen Sozialausschüssen.
Begonnen wurde mit einer Bestandsaufnahme in Bezug auf die vorhandenen Bildungsinstitutionen, der Anbieter in den Kommunen sowie der insgesamt sehr vielschichtigen Struktur des Kreises in Bezug auf die beteiligten Akteure im Bildungsbereich des gesamten Kreises und auch fokussiert auf die beteiligten anfänglichen vier Kommunen.
2.1 Ebene der Jugendeinrichtungen
Im ersten Schritt ist es interessanterweise um die Einrichtungen der Offenen Kinder- und Jugendarbeit gegangen. Nach der Bestandsaufnahme stand vor allem im Fokus, den Bildungsbegriff mit den Einrichtungen zu definieren. Im Arbeitskreis der hauptamtlichen Fachkräfte dieser Modellregion, wurde viel erarbeitet, bevor die Einrichtungen mit neuen Projekten und/oder Ideen an Schule oder andere Bildungsakteure vor Ort herangetreten sind.
Es ging um die Frage, was ist Bildung, glauben die Fachkräfte, dass sie überhaupt Bildung in ihren Einrichtungen machen und wie sieht diese aus? Ein Ziel besteht darin, ein eigenständiges Bildungsprofil der Kinder- und Jugendarbeit zu erarbeiten. Dieses Bildungsprofil dient den Fachkräften einerseits zur eigenen Positionierung (in der alltäglichen Arbeit fehlt häufig die Zeit, den Blick hierauf zu schärfen) als auch andererseits als Diskussions- und Profilgrundlage in der Diskussion vor Ort, wenn es um ihre Rolle als bedeutender Bildungspartner im kommunalen Kontext geht. Offene Jugendarbeit ist ein ernstzunehmender Partner und muss dieses vor Ort aber auch transparent machen, was wiederum ein wichtiges Ziel des Projektes mit Blick auf die sozialräumliche Ebene ist.
Neben den Jugendeinrichtungen wurde laufend der Blick auf Jugendliche gerichtet. Unter anderem wurden in zwei Jugendeinrichtungen Jugendliche zum Thema Bildung befragt und mit Ihnen über eigene außerschulische Bildungserfahrungen gesprochen. Hier wurde deutlich, dass Jugendliche Bildung häufig im Kontext Schule sehen und erleben. Erst in den Gesprächen über die verschiedenen Angebote der Offenen Jugendarbeit und ihre eigenen Erfahrungen stellten sie fest, wie häufig Bildung auch nebenbei stattfindet. Zitat eines Jugendlichen: „Also ich denke, dass man im Juz nicht wirklich gebildet wird. Da solche Dinge eher da sind, um Spaß zu haben.“ Aus dieser Erfahrung heraus ist unter anderem die Veranstaltung „K-on-Tour“ (Kultur on Tour) entstanden, auf die später noch eingegangen wird.
In verschiedenen Workshops des Arbeitskreises zum „Bildungsprofil“ wurde unter anderem der Blick darauf geschärft, wieviel Bildung bereits im klassischen Offenen Treff steckt und welche Lernsituationen sich für Jugendliche bereits hier ergeben. Anhand einer alltäglichen Situation, wie „Kochen mit Jugendlichen“ wurde festgestellt, wie viele soziale und methodische Kompetenzen Jugendliche für sich selber mitnehmen bzw. aneignen können.
Die Intention der Arbeit mit einem Bildungsprofil war es, die Fachkräfte der Offenen Jugendarbeit in Hinsicht des eigenständigen Bildungsbegriffs und -auftrags zu stärken, um hierüber eine zukünftige bessere Einmischung und Vernetzung im jeweiligen Sozialraum in der Kooperation mit anderen Bildungsakteuren Jugendlichen zu ermöglichen.
Auf dieser Grundlage ist es die Idee des Projektes, im weiteren Verlauf spezifische Kooperationsprojekte in den verschiedenen Sozialräumen zu etablieren und auszubauen. An diesem Punkt setzt die zweite Phase des Projektes an. Hier verändert sich der Fokus des Projektes von der Offenen Jugendarbeit hin zu sämtlichen Bildungsakteuren in den vier Modellkommunen. Ende 2013 wurde bereits ein Kooperationsprojekt zwischen einer größeren Jugendeinrichtung und einer Förderschule vor Ort neu konzeptioniert und mit einem Kooperationsvertrag insofern verbindlich gestaltet, dass beide Akteure (Offene Jugendarbeit wie auch Schule) ihre Ressourcen einbringen.
Inzwischen sind durch die gute sozialräumliche Arbeit der Jugendeinrichtungen verschiedene weitere Bildungspartner auf das Projekt aufmerksam geworden und sind selbständig mit Wünschen und Ideen an die Projektleitung, wie auch an die Jugendeinrichtungen herangetreten. Ein Beispiel: In einer Kommune wünschen sich die außerschulischen Bildungsakteure, die eng mit Schulsozialarbeit kooperieren, dass die Zusammenarbeit zwischen Lehrern und Sozialpädagogen gestärkt wird, z.B. durch AGs im Ganztagsbereich. Zudem fehlen aus Sicht der männlichen Jugendlichen Angebote ausschließlich für Jungen mit männlichen Akteuren.
Das Projekt versteht sich insgesamt als Motor der Vernetzung im Sozialraum, d.h. die Kooperation zwischen den Jugendeinrichtungen und sämtlichen Bildungspartnern vor Ort (häufig Schulen) soll durch das Projekt intensiviert werden, deutlich unterhalb der Kreisebene. Dazu dient eine Bestandsaufnahme und kritische Bewertung der bisherigen Kooperationsprojekte im Arbeitskreis der Modell-Jugendeinrichtungen. Zeitgleich wurde mit Blick auf die überörtliche Struktur die Zusammenarbeit mit LVO (Lernen vor Ort/Lippe Bildung eG) intensiviert.
In der Fortschreibung des Kinder- und Jugendförderplans des Kreises Lippe ist dem Thema „Bildung“, insbesondere der non-formalen Bildung mit Blick auf die Offene Jugendarbeit ein besonderes Gewicht eingeräumt worden. Mit der Entwicklung des Bildungsprofils wurden ebenso Rahmenbedingungen für die Kooperation mit Bildungsträgern im sozialräumlichen Kontext geschaffen, die als Orientierung für alle Jugendeinrichtungen im Kreis Lippe bis 2020 Geltung haben werden. Dem Kinder- und Jugendförderplan ist in der Anlage ein Beispiel eines Bildungsprofils beigefügt. Die Auseinandersetzung mit dem Thema der non-formalen Bildung im Unterausschuss wie auch im Jugendhilfeausschuss hat die Intention des Projektes gleichzeitig auf die politische Ebene des Kreises gebracht und ist hierüber ein vom Jugendhilfeausschuss getragenes Thema geworden.
2.2 Die Beteiligung von Jugendlichen hat einen hohen Stellenwert
Einen großen Stellenwert nimmt die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen ein, die auf allen drei Ebenen initiiert und organisiert wurde: „K-on-Tour“ (Kultur on Tour) war Anfang 2013 eine herausragende Veranstaltung des Projektes „Kommunale Bildungslandschaften aus Sicht der Jugendarbeit“ von Jugendlichen für Jugendliche organisiert. Die Intention dieser Veranstaltung bestand vor allem darin, Jugendlichen den Raum für die eigene Jugendkultur zu geben und sie Gleichaltrigen zu präsentieren. Gleichzeitig bekamen die Jugendeinrichtungen die Chance, ihre Arbeit einem breiten Publikum, bestehend aus Kollegen, Jugendlichen, Politikern und Interessierten vorzustellen und vor allem hierüber auf die vielfältigen Möglichkeiten der non-formalen Bildung aufmerksam zu machen und diese herauszustellen.
Die besondere Idee der Fahrt war die Verbindung zwischen den vier Kommunen, „…begonnen hat die Fahrt in Blomberg, von wo aus ein Bus die Jugendlichen zur ersten Veranstaltung ins LokalMotion nach Lügde gefahren hat. Die Rundreise wurde von dort fortgesetzt und ermöglichte Jugendlichen stets dazu zu kommen. So wuchs die Zahl der Jugendlichen im Bus mit jeder einzelnen Station. Weitere Anlaufpunkte waren das Jugendzentrum Church in Schwalenberg, die „Alte Post“ in Horn-Bad Meinberg und das Jugendzentrum „Paradies“ in Blomberg, wo ebenfalls die große Abschlussveranstaltung stattgefunden hat.
Hier war ein Markt der Möglichkeiten, organisiert von Jugendlichen für die Jugendlichen und zeitgleich fand eine interessante und moderierte Diskussionsrunde von Fachleuten und Politik zum Thema Offene Jugendarbeit und non-formale Bildung statt. Hieran nahmen teil: ein Vertreter des Ministeriums (Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport), eine Vertreterin des Landesjugendamtes, der Landrat des Kreises Lippe, zwei Bürgermeister der beteiligten Kommunen am Projekt, der Fachbereichsleiter (Jugend, Familie und Soziales), der Vorsitzende des Jugendhilfeausschusses des Kreises Lippe, der Fachgebietsleiter der Jugendförderung, die Kreisjugendpflegerin, die Leiterin des Projektes „KomBiLa“ sowie drei Jugendliche. Diese Fachrunde stellte sich den Fragen junger Leute, die sich im Vorfeld hierfür vorbereitet hatten. Daraus entwickelte sich eine sehr anregende und interessante Diskussion, die auch heute noch in verschiedenen Kontexten zur Sprache kommt.
Der Erfolg von „K-on-Tour“ hat dazu geführt, dass auch weitere Regionalbereiche des Kreises Lippe aufmerksam geworden sind und den Wunsch nach einer ähnlichen Veranstaltung geäußert haben. Inzwischen fand am 08.02.2014 daraus folgend die „Cool-Tour“ in den Kommunen Augustdorf, Leopoldshöhe, Oerlinghausen und Schlangen statt. Auch „K-on-Tour“ wird aufgrund der Begeisterung der Jugendlichen wie auch der sozialpädagogischen Fachkräfte im April 2014 erneut durchgeführt.
Damit konnte das zentrale Thema „Mobilität im ländlichen Raum“ positiv in einem Projekt aufgenommen werden.
Das Konzept des Kreises Lippe, vor allem auch die Jugendlichen zu beteiligen, erscheint ein interessanter Aspekt zu sein. Es geht hier nicht nur um die Arbeit auf der Strukturebene, sondern auch darum, Jugendliche zu beteiligen und nicht über den Kopf der Jugendlichen hinweg zu entscheiden.
„Es geht auch darum, dass Jugendliche etwas daraus ziehen können“! Partizipative Ansätze sollen auch in Zukunft Voraussetzung für eine Förderung auf der Grundlage des Kinder- und Jugendförderplans im Kreis Lippe sein. Schon bei der Erarbeitung der Fortschreibung hat der Kreis Lippe Jugendliche aus dem Kreisgebiet hieran beteiligt. Ein Ergebnis ist u.a., dass ein starker partizipativer Ansatz in der Offenen Kinder- und Jugendarbeit Grundvoraussetzung für eine zukünftige Förderung sein wird.
2.3 Jugendarbeit im Bildungsdiskurs
Nur durch eine solche starke Markierung von Bildungsprozessen im Bereich der Kinder- und Jugendarbeit ist es möglich, diesen Bereich in der Entwicklung von Bildungslandschaften zu etablieren und damit auch viel stärker als bisher subjektorientierte Bildungsprozesse, Aneignungsprozesse außerhalb formeller Settings etc. in den Blick zu nehmen.
Gleichzeitig muss dies nicht bedeuten, dass die Jugendlichen ständig damit konfrontiert werden, Bildung machen zu müssen und damit die Jugendarbeit in die Nähe von Schule zu bringen. Die zwangsläufig auch bei vielen Jugendlichen vorhandene Verbindung zwischen Bildung, formellen Bildungsprozessen und der Institution Schule können damit ein Stück weit überwunden werden.
Eine Jugendgruppe einer beteiligten Jugendeinrichtung hat zum dritten Mal eigenständig und eigenverantwortlich ein Musik-Festival geplant und durchgeführt. Hierbei wurden sie durch die Fachkraft lediglich unterstützt und im Bedarfsfall begleitet. Im Rahmen des Projektes wurde der Prozess der Planung, Vorbereitung und Durchführung medial begleitet und beobachtet. Dabei war besonders wichtig, wie sie sich mit verschiedenen Aufgaben auseinandersetzten, wie sie zusammen arbeiten, wer welche Verantwortung übernimmt und wie man sich gegenseitig unterstützt. Sie haben gelernt, welche öffentlichen Stellen bei dieser Planung einbezogen werden müssen, wie man das Programm ansprechend gestalten muss und wie man für diesen Tag wirbt. Die Jugendlichen konnten im September 2013 ein erfolgreiches Musik-Festival feiern und haben hierfür sehr viel Anerkennung erhalten (ein Aspekt einer Bildungslandschaft).
An diesem Beispiel wird sehr gut deutlich wie Bildungsprozesse in der Jugendarbeit gestaltet werden können: Situativ, projektorientiert, ohne Curriculum und sehr stark auf die subjektive Situation der Jugendlichen bezogen. Mit der gelungenen Organisation und Durchführung des Festivals konnte eine deutliche Erweiterung ihres Verhaltensrepertoires und ihrer Kompetenzen verbunden werden, vielleicht könnte man sogar von Aneignung als expanded learning (vgl. Engeström 2011) sprechen, weil die Jugendlichen hier über sich hinausgewachsen sind, neue Lösungen für neue Probleme gefunden haben und somit ihre bisherigen Grenzen überschritten haben.
2.4 Die Handlungsebenen im Kreis
Die örtliche Ebene ist für die einzelnen Jugendeinrichtungen die zentrale Ebene der Kooperation mit Schulen, aber auch mit anderen Institutionen in einem überschaubaren Sozialraum. Auf der Ebene des jeweiligen Sozialraums existieren bereits Netzwerke, in die sich die Kinder- und Jugendarbeit integrieren kann und muss.
In drei von vier Sozialräumen im Projekt existiert eine regionale Bildungskoordinatorin, die naturgemäß eine mögliche Kooperationspartnerin bzw. Ansprechpartnerin für die Offene Jugendarbeit in diesen Sozialräumen sein kann. Die Offene Jugendarbeit wird auch hier bereits als potenzieller Kooperationspartner und Protagonist in der Bildungslandschaft wahrgenommen und auch angefragt.
Der Kreis Lippe führt in seinen Städten und Gemeinden sog. „Wirtschafts- und Sozialraumkonferenzen durch. Die Themenfelder reichen hierbei von Wirtschaft über Gesundheit bis hin zu Familie, Jugend und schließlich Bildung. Die Projektleitung (KomBiLa) arbeitet hierbei im Themenfeld „Bildung“ mit und vertritt hierbei den Part der non-formalen Bildung.
Die Installierung des Projektes hat auf Kreisebene einige Auswirkungen gehabt: Die Jugendförderung, wie auch die Projektleitung ist jetzt in diversen Gremien im Bildungskontext vertreten, die Jugendarbeit hat sich überhaupt als Akteur auf Kreisebene mit Hilfe dieses Projektes in die Diskussion eingebracht.
Zudem wurde die non-formale Bildung zum ersten Mal im Bildungsbericht 2012 für den Kreis Lippe aufgenommen und öffentlich vorgestellt. Das ist ein großer Fortschritt, denn in den meisten Bildungslandschaften wird die Jugendarbeit ja überhaupt nicht als Kooperationspartner gesehen.
Um auf der Kreisebene in einen fachlichen Austausch zu kommen, wird aus dem Projekt „KomBiLa“ heraus im Februar 2014 zum ersten Mal ein „Runder Tisch Bildung“ einberufen. An diesem nehmen bedeutende Akteure auf Kreisebene teil, die in unterschiedlichen Positionen im Bildungsbereich kreisweit tätig sind.
Das Handeln der Akteure muss auf den verschiedenen Ebenen betrachtet werden. Das Projekt hat von Anfang an diese unterschiedlichen Ebenen in den Blick genommen. So sind die Hauptakteure der Sozialraumebene die Jugendeinrichtungen und die Jugendlichen und auf Kreisebene sind es die Fachkräfte der Jugendförderung und des Projektes mit den weiteren Bildungsakteuren auf den jeweiligen Ebenen.
In der Startphase des Projektes KomBiLa gehörte es unter anderem dazu, die vielfältigen Angebote und Strukturen, die es im Kreis Lippe im Bildungsbereich gibt (Beispiel: Lippe Bildung eG, Bildungsbüro, Kommunale Koordinierungsstelle, etc.) zu erfassen und die dazu gehörenden Ansprechpartner kennen zu lernen. Aus diesen ersten Kontakten sind inzwischen der „Runde Tisch Bildung“ entstanden, wie aber auch die Einbeziehung in Veranstaltungen oder Vorträge im Rahmen der Hauptamtlichenkonferenz (Offene Jugendarbeit), an der kreisweit alle pädagogischen Fachkräfte der Offenen Jugendarbeit teilnehmen und worüber sich persönliche Kontakte zu den Bildungsakteuren zwischenzeitlich entwickelt haben.
2.5 Gesamteinschätzung und Transfer
Bisher lag die Orientierung im Kreis Lippe vor allem im Übergang zwischen Schule und Beruf. Obwohl die Offene Kinder- und Jugendarbeit gerade im Übergang von Schule und Beruf weit verbreitet niedrigschwellige Angebote z.B. bei Bewerbungen etc. zur Verfügung stellt, ist es schwierig, sich in diese Bildungslandschaft einzuklinken, die geprägt wird durch ein hochkompliziertes Spektrum von unterschiedlichen Projekten und Förderungsmaßnahmen, welche weitgehend spezialisiert sind auch auf Einrichtungen der Jugendsozialarbeit und die meist kreisweit agieren. Insofern ist diese Ebene und diese Orientierung für die Einrichtungen schwer erreichbar.
Typisch für einen Flächenkreis und damit eine große Herausforderung ist der Abstand zwischen den unterschiedlichen Ebenen: von der Einrichtungsebene über die Sozialraumebene bis hin zur Kreisebene mit seinen unterschiedlichen Gremien und Strukturen. Hierbei kommt auch die interessante Frage der „richtigen“ Ebene einer Bildungslandschaft ins Spiel: Ist dies die lokale Kooperation in einem kleinen überschaubaren Sozialraum vor Ort, einem Ortsteil, in dem es dann aber nur wenige weiterführende Schulen oder andere Institutionen gibt?
Ist dies eine kleine Region in einem großen Kreis, die aber auch schwer fassbar ist, oder ist dies der Gesamtkreis mit seiner kaum durchschaubaren Struktur und den unterschiedlichen Playern auch im Rahmen von Bildungs- und Vernetzungslandschaften, etwa Lernen vor Ort etc.
Aus Sicht der Jugendeinrichtungen (Offenen Kinder- und Jugendarbeit) ist es die Sozialraumebene, die in der konkreten Gestaltung von Kooperationsprojekten, bzw. dem Erhalt des öffentlichen Raums für Jugendliche. Aus Sicht der Jugendförderung (Fachberatung Offene Jugendarbeit, Förderplan) ist es die Kreisebene, auf der ein vernetztes Agieren im Bereich der Bildung, mit dem Gesamtblick auf Bildung (Beispiele: Runder Tisch Bildung, gemeinsamer Bildungsbericht, Teilnahme an Bildungskonferenzen, etc.) möglich wird und worüber wiederum Vernetzungen zur Sozialraumebene erfolgen können.
Diese Herangehensweise verdeutlicht, dass es unterschiedliche Schwerpunkte und Akteure auf den verschiedenen Ebenen gibt, so dass sich jeder entsprechend seines Schwerpunktes fördernd für die jeweilige Bildungslandschaft einbringen kann.
In dem Projekt im Kreis Lippe ging es von Anfang an darum, neben der Sozialraumebene (so wie das AGOT Projekt angelegt ist) immer auch die Strukturebene bzw. Kreisebene mit einzubeziehen. Schon allein deshalb, damit Entwicklungen auf der Sozialraumebene in die Jugendhilfeplanung des öffentlichen Trägers der Jugendhilfe (hier: Kreisjugendamt) nachhaltig installiert werden können.
Hierbei spielt das Kreisjugendamt in Lippe als Initiator, Motor und Vernetzer eine wesentliche Rolle auf den unterschiedlichen Ebenen. Dieses ist jedoch nur möglich, weil die Kommunen, die Träger wie auch die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Offenen Jugendarbeit in den vier Modell-Kommunen von Anfang an, an diesem Projekt beteiligt waren und sich in alle Prozesse einbringen können.
Auch die Einbeziehung der Kommunalpolitik und das Bemühen der Offenen Kinder- und Jugendarbeit im Bildungsbericht des Kreises oder auch in weiteren Gremien vertreten zu sein, spricht für die zentrale Funktion des Jugendamtes. Dafür spricht auch, dass das Jugendamt nicht gleichzeitig noch Anbieter von Jugendarbeit ist, sondern in dieser Metafunktion auch agieren kann, mit all ihren Möglichkeiten und Grenzen.
Dieses Beispiel zeigt, dass es sich lohnt, dass Offene Kinder- und Jugendarbeit sich profiliert und in aktuelle Bildungsdiskussionen einmischt – egal ob auf sozialräumlicher oder auf Kreisebene. So konnte im Kreis Lippe bereits erreicht werden, dass im Kontext von Bildung auch über Offene Kinder- und Jugendarbeit bzw. non-formale Bildung gesprochen wird. In vielen Köpfen ist Bildung inzwischen nicht mehr nur mit dem Thema „Schule“ belegt.
Jugendpolitisch erscheint es von Bedeutung zu sein, sich auf verschiedenen Ebenen zu bewegen, denn die „große Politik“ wird auf Kreisebene gemacht, dort sind die entscheidenden Steuerungsgremien angesiedelt. Im Kreis Lippe ist das Thema Offene Kinder- und Jugendarbeit, wie auch Beteiligung junger Menschen und politische Jugendbildung ein sehr präsentes Thema im Jugendhilfeausschuss.
Liest man die Ergebnisse der Auswertung der Evaluation und die Empfehlungen zur Weiterentwicklung der regionalen Bildungsnetzwerke in NRW (Rolf 2013), so kann man einmal feststellen wie schulorientiert die regionalen Bildungslandschaften in NRW sind (vgl. Eisnach 2011) und wie wenig die Bereiche der Jugendhilfe und erst Recht die der Kinder- und Jugendarbeit überhaupt wahrgenommen werden. Bei der Beschreibung von Handlungsfeldern und Beispielen guter Praxis (a.a.O., 28 ff.) findet man in dieser Expertise eine Auflistung von durchgängig schulisch orientierten Themen bzw. an einem engen Bildungsbegriff orientierten Themen, die im Sinne der Definition von Eisnach eindeutig der schulorientierten Variante von Bildungslandschaften zuzuordnen sind.
Natürlich wird es nicht einer einzelnen Jugendeinrichtung vor Ort gelingen, diese Engführung zu überwinden, aber die Betonung der Bedeutung außerschulischer Bildungsorte und -räume, die damit verbundene notwendige Erweiterung des Bildungsbegriffes und der Schaffung eines größeren Rahmens für die lokalen Bildungslandschaften ist eine Forderung, die nicht von den einzelnen Einrichtungen aber von der OKJA insgesamt über ihre Fachverbände und die Jugendpolitik in die Diskussion eingebracht werden muss.
Die erfreuliche Hinwendung einiger NRW-Bildungskonferenzen in Richtung informeller Bildung etc. zeigen zarte Pflänzchen, die in die richtige Richtung deuten. Auf Grund der Komplexität des Schulsystems der unterschiedlichen Schulformen der kommunalen Organisation von Verwaltung, der Rolle der Schulaufsicht, dem Vorhandensein weiterer landesweiter Aktivitäten und Netzwerke ist es geschuldet (und in dem Sinne keine böse Absicht von Akteuren!), dass sich die regionalen Bildungsnetzwerke in der Aufbauphase zunächst eher schulorientiert darstellen.
Auch mit der Hoffnung auf gute Ergebnisse des großen AGOT-Projektes zeigen die ersten Erfahrungen des Kreises Lippe wie bedeutsam es ist, dass sich die Offene Kinder- und Jugendarbeit offensiv mit dem Projekt von Bildungslandschaften auseinandersetzt und es zeigt auch, dass die Jugendämter dabei eine zentrale Rolle spielen!
3 Resümee: Die „Öffnungsfunktion“ der Jugendarbeit für die Bildungslandschaften
Die beiden beschriebenen Beispiele sind sehr unterschiedlich: Während in Witten das Thema Bildungslandschaft eigentlich so noch gar nicht thematisiert wird, steht es im Kreis Lippe im Vordergrund. Dennoch kann die Entwicklung in Witten auch unter dem Aspekt der Erweiterung der Bildungslandschaft diskutiert werden, denn die Wittener Schullandschaft hat sich durch die neue Positionierung der Einrichtung der Offenen Arbeit mit Kindern deutlich verändert und erweitert in Richtung einer Bildungslandschaft. Die Verlagerung von Standorten schafft auch Fakten, die die Schullandschaft nachhaltig verändert.
Im Gegensatz zu den Bemühungen im Kreis Lippe, die Kooperation zwischen Einrichtungen und Schulen zu verbessern und sich als Feld überhaupt in der Bildungslandschaft zu positionieren, ist dies in der Stadt Witten in einem viel weitergehenden institutionellen Rahmen schon gelungen, denn ein großer Teil der Einrichtungen der Offenen Arbeit sind am Standort Schule! Ob dies allerdings die Eigenständigkeit der OKJA als Feld der Jugendhilfe beeinträchtigt oder sogar zu einer Assimilierung der OKJA durch Schule führt, wurde kontrovers diskutiert.
Auf jeden Fall ist das Wittener Projekt durch eine deutliche Nähe zur Schule gekennzeichnet und dadurch auch mit großen Chancen für eine intensivere Kooperation verbunden.
Demgegenüber zeigt das Beispiel aus dem Kreis Lippe wie die OKJA versucht mit Hilfe des Jugendamtes eine eigenständige Position in der sich entwickelnden Bildungslandschaft zu erlangen, was allerdings nicht einfach erscheint auch auf Grund der zahlreichen Player in einem großen Landkreis und einer thematischen Grundausrichtung einer Bildungslandschaft im Übergang von Schule und Beruf, in der die OKJA Schwierigkeiten hat ihre Themen entsprechend einzubringen.
Dennoch werden die Stärken der OKJA deutlich, besonders in der Partizipation und Einbeziehung von Kindern und Jugendlichen die zum elementaren Bestandteil der Offenen Kinder- und Jugendarbeit gehört, aber bisher in den Bildungslandschaften nicht die Rolle spielte die sie eigentlich spielen sollte!
Trotz großer Unterschiedlichkeit zeigen beide Beispiele, wie die Kinder- und Jugendarbeit in NRW in einer sich entwickelnden Bildungslandschaft manövriert zwischen einer engen institutionellen Kooperation mit Schule, wie in Witten, und einer eher auf Eigenständigkeit beruhenden Positionierung in einer breiten Bildungslandschaft, wie in Lippe.
Durch die Kooperation mit einer sozialräumlich ausgerichteten Jugendhilfe und der Offenen Kinder- und Jugendarbeit kann eine bisher eher schulorientierte Bildungslandschaft ihre institutionelle Begrenztheit überwinden und insbesondere auch die Bildungsorte integrieren, die bisher weniger stark in den Blick genommen werden konnten.
Meine These ist, dass diese Bildungsorte durch die unterschiedlichen Bereiche der Jugendhilfe insgesamt in einem sehr breiten Spektrum thematisiert werden, weshalb die Jugendhilfe der ideale Partner für eine kooperationsorientierte sozialräumliche Bildungslandschaft ist.
Literatur
Bradna, M./Meinecke, A./Schalkhausser, S./Stolz, H.-J./Täubig, V./Thomas, F. (2010): Lokale Bildungslandschaften in Kooperation von Ganztagsschule und Jugendhilfe. Abschlussbericht (unveröffentlicht). München: Deutsches Jugendinstitut e.V.
Deinet, U. (Hrsg.) (2005): Sozialräumliche Jugendarbeit. Grundlagen, Methoden, Praxiskonzepte. Wiesbaden: VS Verlag, 2. Aufl.
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Rolf, H.-G. (2013): Auswertung der Evaluation und der Empfehlungen zur Weiterentwicklung der regionalen Bildungsnetzwerke in NRW, Prof. Dr. Hans-Günther Rolf, Oktober 2013. Verfügbar unter: http://www.regionale.bildungsnetzwerke.nrw.de/, [Zugriff 26.06.14]
Fussnoten
[1] Grundlage des Beitrags ist ein leitfadengestütztes Interview mit einem Abteilungsleiter des Jugendamts Witten sowie ein Besuch einer Einrichtung in Witten
[2] Dieser Teil zur Entwicklung im Kreis Lippe ist ein gemeinsamer Text zusammen mit Julia Heiligenstühler/Petra Jürgens vom Kreisjugendamt in Lippe auf der Grundlage eines leitfadengestützten Interviews und einem Besuch vor Ort
Zitiervorschlag
Deinet, Ulrich (2014): Offene Kinder- und Jugendarbeit in Nähe und Distanz zur Schule – Zwei Projektbeispiele zur Gestaltung von Bildungslandschaften. In: sozialraum.de (6) Ausgabe 1/2014. URL: https://www.sozialraum.de/offene-kinder-und-jugendarbeit-in-naehe-und-distanz-zur-schule.php, Datum des Zugriffs: 30.12.2024