Zur institutionellen und diskursiven Relevanz von Raumdeutungen im Kontext von Ganztagskooperationen zwischen Schulen und der Offenen Kinder- und Jugendarbeit

Katharina Gosse

In diesem Beitrag stehen Ergebnisse aus einem ethnographischen Forschungsprojekt [1] im Mittelpunkt, die die Bedeutung von Räumen in (Ganztags-)Schulkooperationen der Offenen Kinder- und Jugendarbeit fokussieren. Die quantitative Bedeutung solcher Angebote kann am Beispiel des Schuljahres 2017/18 aufgezeigt werden. Für dieses haben 34,6 % der Ganztagsschulen in der Primarstufe und 56,6 % in der Sekundarstufe I angegeben, mit Jugendtreffs/Jugendzentren zusammenzuarbeiten (vgl. Altermann et al. 2018: 23). Die Kooperationen gestalten sich sehr heterogen und finden zum Teil, wie in der vorliegenden Studie, am Ort Schule statt. Unabhängig von den Ganztagsschulkooperationen gibt es parallel dazu in der Offenen Kinder- und Jugendarbeit resp. in Jugendzentren auch Angebote, die sich in einem allgemeineren Verständnis an Schule richten. Sie adressieren Schulkinder im Stadtteil bzw. jene Eltern, die sich eine Kinderbetreuung für die Zeit nach dem Unterricht am Nachmittag wünschen. [2] Solch ein Angebot wurde ebenfalls in die Untersuchung einbezogen.

Das Forschungsinteresse zielt auf die grundsätzliche Frage, was in der Offenen Kinder- und Jugendarbeit in solchen Kooperationen mit Ganztagsschule und in solchen Angeboten an Schulkinder passiert. Operationalisiert wird dies, indem Interaktionen resp. Erziehungsverhältnisse von Mitarbeiter*innen der OKJA und Nutzer*innen in den Blick genommen werden. [3] Die Dimension Raum ist in diesem Zusammenhang äußerst relevant, wird sie doch in der teilnehmenden Beobachtung im Rahmen der Ethnographie fortlaufend miterhoben. Wie sie theoretisiert wird, soll im Folgenden zunächst ausgeführt werden, bevor dann Ergebnisse zur Relevanz von Räumen im Mittelpunkt stehen. Davon ausgehend wird in einem Fazit auf konzeptionelle Möglichkeiten in Schulkooperationen fokussiert.

1. Raum als institutionelle Dimension des Forschungsfeldes

Im Mittelpunkt der Untersuchung stehen drei verschiedene Angebotsformen eines Jugendzentrums. Einmal der sog. Kindertreff, der den offenen Betrieb – als Kernelement von Jugendzentren – repräsentiert, dann die sog. Schulkinderbetreuung am gleichen Ort, die jener Angebotsform entspricht, die sich an Schulkinder im Stadtteil richtet und drittens eine sog. Schulkinderbetreuung in einer benachbarten Realschule, die im Kontext der Ganztagsschule steht und die durch Mitarbeiter*innen des gleichen Jugendzentrums organisiert wird. Das Forschungsfeld umfasst somit zwei Orte an denen die teilnehmende Beobachtung durchgeführt wurde, das Jugendzentrum und die Schule.

Bevor ausgewählte Ergebnisse dargestellt werden, ist zu klären, welchen Stellenwert Raum in der Studie einnimmt. Anders als es etwa im Fachdiskurs zur Offenen Kinder- und Jugendarbeit prominent vertreten wird, wird er hier nicht in erster Linie im Hinblick auf Bildungsmöglichkeiten berücksichtigt (vgl. dazu bspw. Deinet et al. 2020). Vielmehr rückt er im Rekurs auf die Institutionenforschung der Institutional Ethnography (Smith 1998; 2005) als institutionelle Dimension in den Fokus. Dabei wird eine ideologiekritische mit einer diskursanalytischen Blickrichtung zusammengedacht, letztere im Rekurs auf Foucaults Diskursverständnis. Der Forschungsgegenstand – die Interaktionen zwischen den Mitarbeiter*innen und den Kindern – wird in den institutionellen Arrangements lokalisiert, in denen er beobachtet wird, hier in den Institutionen Offene Kinder- und Jugendarbeit und Schule. Raum erscheint dabei als eine relationale Dimension, die im Zusammenspiel mit anderen, bspw. den Rahmenbedingungen und den Diskursen, beeinflusst, wie die Interaktionen (re-)produziert werden. In dieser Perspektive rücken Bezeichnungen von Räumen durch die Akteur*innen vor Ort in den Analysefokus, welche auf unterschiedliche Wissensformen, wie Alltagswissen oder institutionenbezogenes Wissen, schließen lassen. Zu letzterem gehören bspw. professionelle Diskurse. Das heißt, Raumbezeichnungen, bspw. das „Café“ oder der „Klassenraum“, schließen auf Wissensformen und diese legen Handlungsoptionen nahe bzw. schließen sie andere aus. Demnach vollziehen sich die Interaktionen zwischen Mitarbeiter*innen und Heranwachsenden different, in Abhängigkeit von der institutionellen Verortung der Räume – ob im Jugendzentrum oder in der Schule –sowie ihren Bezeichnungen.

Anschlussfähig ist dies an die Perspektive auf Raum von Markus Rieger-Ladich und Norbert Ricken (2009). Demnach rufen Räume spezifische Ordnungen auf, d. h. symbolische Codierungen, die auf Zweckbestimmungen verweisen, indem sie sowohl Funktionszusammenhänge und Verwendungsweisen als auch Atmosphären und damit implizite Normen transportieren. Ergänzt wird dies – im Rekurs auf Foucault – durch die Frage nach der subjektivierenden Wirkung von Architektur. In den Blick gerät, was Räume ermöglichen oder verhindern, zum einen angesichts kontrollierender Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit und zum anderen angesichts der Möglichkeiten der aktiven Inszenierung des Gesehenwerdens oder Verbergenkönnens.

2. Zentrale Ergebnisse der Studie

Für die vorliegende ethnographische Studie wurde anhand der Methode der Teilnehmenden Beobachtung die raum- und institutionenbezogenen Diskurs- und Veränderungsdynamiken in der Offenen Kinder? und Jugendarbeit im Zusammenhang mit dem Ganztagsschulausbau betrachtet. Die Methodologie der Institutionellen Ethnografie (vgl. Gosse 2020a: 33ff.), das Studiendesign (vgl. Gosse 2020a: 57ff.) sowie das Forschungsfeld (vgl. Gosse 2020a: 87ff.) können hier aus Platzgründen nicht weiter erläutert werden.

Im Folgenden werden stattdessen die zentralen Ergebnisse der Studie exemplarisch in ihrem Bezug zur Relevanz von Räumen in den unterschiedlichen Angeboten der betrachteten Einrichtungen vorgestellt. Den Anfang macht der Kindertreff, dann folgt die Schulkinderbetreuung am Ort Jugendzentrum und anschließend die Schulkinderbetreuung am Ort Schule.

2.1 Heterogene Räume für ein offenes Angebot – der Kindertreff

Der betrachtete Kindertreff ist ein Angebot in der Trägerschaft des Jugendamtes. Er ist im Jugendzentrum lokalisiert, welches sich in einem mittelschichtgeprägten Wohnviertel einer Großstadt in Nordrhein-Westfalen befindet. Neben dem Jugendtreff, der nicht in die Untersuchung einbezogen wurde, stellt er das Kernelement des Gesamtangebots dar und steht allen Kindern zur Nutzung offen. Die Angebotszeiten sind werktäglich von 15.30–18.00 Uhr. Das Jugendzentrum befindet sich im Erdgeschoss eines Reihenhauses, welches in den 1970er Jahren für diese Zwecke umfunktioniert wurde.

Wenn die Räume in den Blick genommen werden, fällt zunächst ihre Heterogenität auf. Es gibt insgesamt neun, die sich in Größe und Ausstattung deutlich voneinander unterscheiden. Für einen Großteil lässt sich keine durch die Akteur*innen vor Ort gewählte Bezeichnung feststellen, so dass sie für die Feldprotokolle wie folgt benannt wurden:

Die Heterogenität dieser Räume korrespondiert mit dem professionellen Diskurs der Offenen Kinder- und Jugendarbeit, ergo deren Prinzipien, wie der Offenheit – sowohl für die Zielgruppen als auch für die Formen der Freizeitbeschäftigung – der Selbstorganisation und Interessenorientierung sowie der Gemeinschaftsbildung. Denn die zahlreichen unterschiedlichen Räume ermöglichen es den Nutzer*innen eben, selbstorganisiert unterschiedlichen Interessen nachzugehen. Zum anderen spiegelt sich diese fachliche Ausrichtung auch in der Abwesenheit von Bezeichnungen wider. Dadurch sind die Räume nicht vordefiniert, so dass sie offen und flexibel, je nach Nutzer*inneninteresse, angepasst werden können, bspw. auch für unterschiedliche Konstellationen von Gemeinschaft. Darüber hinaus werden hier ganz grundsätzlich eher egalitäre Erziehungsverhältnissen (re-)produziert, wie es im Fachdiskurs zur OKJA vertreten wird, insofern als die verschiedenen Räume es den Kindern ermöglichen, sich zurückzuziehen und einem Gesehenwerden, das in Erziehungsorganisationen potenziell zu erzieherischen Interventionen führt, zu entgehen.

Neben diesen für eine flexible Nutzung arrangierten offenen Räumen gibt es zwei weitere, die eine alltagsweltlich festgelegte Bezeichnung aufweisen und somit eine vordefinierte Ordnung transportieren. Einmal ist es das „Büro“, welches nur für die Mitarbeiter*innen zugänglich ist und zum anderen die „Küche“, ein Raum, der eingerichtet ist, wie man es für Küchen in privaten Haushalten kennt. Beide weisen über die spezifische Funktion eines Jugendzentrums hinaus und aktualisieren Alltagswissen zur Büro- resp. Küchennutzung. Sie stehen für die typische Mehrfachcodierung in Jugendzentren, indem Räume mit verschiedenen Funktionszusammenhängen und Verwendungsweisen vorzufinden sind, hier ein Arbeitsort neben einem eher lebensweltlich-privaten Ort.

Weiterhin gibt es noch zwei Räume, die insofern exponiert sind, als sie durch die Akteur*innen vor Ort bezeichnet werden, einmal der „Computerraum“ und dann das „Café“. Beim Computerraum handelt es sich um einen relativ kleinen Raum in dem sich einige PCs befinden, die von den jungen Menschen für den Internetzugang genutzt werden. Das Café ist von zentraler Bedeutung für den Kindertreff und wird deshalb im Folgenden näher thematisiert.

Im Café des Jugendzentrums

Die Möbeleinrichtung adaptiert ein öffentliches bzw. kommerzielles Café. Es befinden sich dort eine Theke, ein Kickertisch, zahlreiche kleine quadratische Tische, inkl. Stühle sowie Regale, inkl. Gesellschaftsspiele. Die Raumordnung produziert entsprechend Gastlichkeit, Kommunikation sowie Geselligkeit und zielt ganz allgemein auf Freizeitgestaltung. Im Folgenden wird anhand einer typischen Situation ins Augenmerk genommen, wie die Akteur*innen in diesem Raum handeln:

Meike und Andrea (zwei Mitarbeiterinnen) gehen gemeinsam hinter die Theke. Eine stellt Musik an. Als ich von meinen Notizen hochschaue, stehen sieben Kinder vor der Theke. Einige bestellen Cornflakes, fünf setzen sich dann an einen Tisch. Ein Mädchen setzt sich Meike gegenüber an die Theke, ein anderes stellt sich dazu. Jan kommt zu mir und erzählt mir von der Titanic. Einige Kinder spielen Kicker. Meike steht hinter der Theke und trinkt. Ein Mädchen bestellt Flakes. Einige sind im Schlagzeugkeller (das hört man), einige im Computerraum. Zwei Jungen kommen ins Café, sie halten Schlagzeugschläger in ihren Händen. Die Musik ist laut. Sie gehen zu Hannes (Mitarbeiter), der vor der Theke steht. Ein Junge zu ihm: Hannes, kannst du mitkommen und uns am Schlagzeug was zeigen? Hannes beugt sich zu dem Jungen:„Was?" Der Junge wiederholt. Hannes entgegnet: Ja, kann ich machen. Sie gehen gemeinsam weg.

In dieser Szene wird die wichtige Bedeutung der Theke für die inter- und intragenerationelle Gemeinschaft offensichtlich. Sie aktiviert einen Café-Modus, der eine spezifische Atmosphäre impliziert, welche es nahelegt, Musik anzustellen, die wiederrum zur harmonischen Geselligkeit beiträgt. Eine wichtige Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang auch dem Essen zu, da es eher egalitäre Interaktionen evoziert (vgl. Rose 2012: 243). Allerdings ist die Theke widersprüchlich konnotiert, denn neben diesem gemeinschaftsstiftenden egalitären Moment stellt sie auf der anderen Seite eine territoriale Barriere dar, die Funktionstrennungen zwischen den Mitarbeiter*innen und Kindern schafft (vgl. Rose und Schulz 2007: 55). Die Erwachsenen stehen überwiegend hinter ihr und die Kinder davor. Zudem haben erstere hinter der Theke die Verfügungsmacht über die Lebensmittel, wie es auch in einem kommerziellen Café der Fall ist.

Jenseits dieses Erziehungsaspektes wird anhand dieser Passage aber vor allem deutlich: die Raumoffenheit und -heterogenität des Jugendzentrums ermöglichen es im Café und in seiner Peripherie, in einer großen oder auch in verschiedenen kleineren Gruppen gemeinschaftlich in ungezwungener Atmosphäre zu essen, Musik zu hören, sich zu unterhalten oder Schlagzeugspielen zu lernen.

2.2 Modifizierte Funktionsräume für die Betreuung – die Schulkinderbetreuung am Ort Jugendzentrum

Die Schulkinderbetreuung ist, wie der Kindertreff, ein Angebot in der Trägerschaft des Jugendamtes. Sie findet werktäglich im Zeitraum von 12.00 bis 15.30 Uhr statt und organisiert Kinder aus dem Stadtteil zu einer festen Gruppe.

Im Vergleich zum Kernelement des Jugendzentrums, dem Kindertreff, zeigt sich hier, dass nur ein Teil der prinzipiell zur Verfügung stehenden Räume genutzt wird, nämlich der Computerraum, die Halle, das Café und das Esszimmer. Im Computerraum und in der Halle können die Teilnehmer*innen der Schulkinderbetreuung zwar selbstorganisiert Freizeitaktivitäten nachgehen, allerdings stehen dafür nur kurze Zeiträume zur Verfügung. Die Rahmenbedingungen des Betreuungsangebotes führen nämlich dazu, dass die Verpflegung mit einem Mittagessen und die Betreuung der Hausaufgaben im Zentrum des Tagesablaufs stehen. Deshalb ist hier zumindest ein Bedeutungsverlust von zentralen Prinzipien, wie der Offenheit, der Selbstorganisation und der Interessenorientierung zu verzeichnen, denn die jungen Menschen können nicht wesentlich entscheiden, was sie machen möchten.

Aufgrund der Dominanz des Mittagessens und der Hausaufgabenbetreuung ereignet sich ein Großteil der Interaktionen in zwei Räumen, dem Esszimmer und in dem für die Hausaufgaben okkupierten Café.

Zunächst ein Blick auf das von mir so bezeichnete Esszimmer, das im Kindertreff der Playstationraum ist. Aufgrund seiner Verortung, es grenzt direkt an die Küche, sowie aufgrund seiner Möbelausstattung – es wird durch einen großen Tisch in der Mitte dominiert – kann davon ausgegangen werden, dass es mit der Nahrungsaufnahme seiner originären Funktion entsprechen genutzt wird. Mit Blick auf die Frage, wie sich der Handlungsvollzug an diesem Ort herstellt, zeigt sich, dass in den Mittagessensituationen die familiäre Tischmahlzeit hergestellt wird. Diese geht einher mit spezifischen „Macht- und Erziehungseffekten“ (Audehm 2007: 23) und zudem mit Privatheit. Ursächlich ist dafür einmal, dass sich zum Essen alle Anwesenden zusammen an einem Tisch niederlassen (müssen), denn es gibt keine andere Sitzoption im Raum, dann ist die Teilnehmer*innenzahl begrenzt und zudem ist der Raum klein. Insgesamt ist ein Ergebnis damit, dass mit der gemeinsamen Tischmahlzeit einerseits Gemeinschaft ermöglicht wird, wie es charakteristisch ist für die OKJA, andererseits transportiert es auch eine Privatheit der Tischmahlzeit, inkl. intensivierter Erziehungspraktiken. [4]

Im Hausaufgaben-Café des Jugendzentrums

Der andere Ort, der in der Schulkinderbetreuung hauptsächlich genutzt wird, ist das Café, das durch mich als „Hausaufgaben-Café“ bezeichnet wird. Damit deutet sich bereits an, dass der Raum in diesem Angebot im Vergleich zum Kindertreff eine erhebliche Neuausrichtung erfährt. Veränderungen im Möbelarrangement müssen dafür nicht vorgenommen werden, stattdessen wirkt anderes, wie z. B. hier ersichtlich wird:

Nur Simona und Yunus machen heute Hausaufgaben. Yunus will sich zu Simona an den Tisch setzen, wird aber von Paul (Mitarbeiter) angehalten, sich an den Nebentisch zu setzen.

In dieser kurzen Sequenz wird die modifizierte Raumordnung über eine angeleitete Sitzordnung hergestellt. Dafür wird der Jugendarbeiter zum Platzanweiser der Hausaufgabenbetreuung. Er folgt einem Modus, der im Zusammenhang mit Schulunterricht bekannt ist und der ein individualisierendes Moment impliziert – jede*r macht die Aufgaben für sich alleine. Die zum Kindertreff identische Anordnung der Tische, die dort zu Geselligkeit führt, trägt hier zu Vereinzelung bei. Dabei ist es die gemeinsame aktive Umdeutung der Raumordnung, vom Freizeit- zum Arbeitsort, die sich auffallend reibungslos vollzieht und zwar mithilfe von Unterrichtsregeln, etwa auch einem impliziten Ruhegebot.

Insgesamt zeigt sich somit, dass die Räume in diesem Angebot im Vergleich zum Kindertreff modifizierte Ordnungen und somit neue Funktionsbestimmungen, Verwendungsweisen und auch diverse implizite Normen produzieren, beeinflusst von der familiären Tischmahlzeit und vom Schulunterricht. Diese Konstellationen führen im Vergleich zum Kindertreff zu weniger freiheitlichen, denn potenziell eher kontrollierenden und disziplinierenden Erziehungsverhältnissen.

2.3 Funktionale Schulräume für die Betreuung – die Schulkinderbetreuung am Ort Schule

Die zeitgleich stattfindende Schulkinderbetreuung in der Realschule ist formal eine schulische Veranstaltung, denn sie liegt in der Trägerschaft des Schulamtes. Das Jugendamt wurde von diesem als Kooperationspartner für den außerunterrichtlichen Bereich am Nachmittag engagiert, wobei dieser organisiert und umgesetzt wird durch Mitarbeiter*innen des Jugendzentrums. Damit repräsentiert das Angebot jene Kooperationsformen der Offenen Kinder- und Jugendarbeit, wie sie im Zuge des Ganztagsschulausbaus entstanden sind. Vorgesehen sind 30 Plätze für Kinder der Schuljahrgangsstufen 5 und 6.

Der Schulkinderbetreuung steht weder ein eigenes Gebäude noch eine separate Einheit in der Schule zur Verfügung. Stattdessen sind lediglich drei Räume vorgesehen, die sich an unterschiedlichen Orten auf der ersten Etage mitten im Schulgeschehen befinden. Zudem wird der Außenbereich sehr oft für die Zeiten zwischen Unterricht, Mittagessen und Hausaufgabenzeit genutzt. In den Beobachtungen fällt auf, dass die vier Räume resp. Orte durch die Akteur*innen eindeutig benannt werden, wobei für drei von ihnen übliche Schulbezeichnungen verwendet werden; es sind zwei „Klassenräume“ und ein „Schulhof“. Etwas anders verhält es sich mit dem vierten Raum, der sog. Mensa. In Ermangelung einer schulspezifischen Bezeichnung wird hier jene von Essräumen an Hochschulen – lateinisch Tisch oder Tafel – verwendet, wobei mir nicht bekannt ist, ob diese durch das Jugendzentrum oder durch die Schule gewählt wurde.

Die Schulinnenräume, die beiden Klassenräume und die Mensa, werden nun näher beleuchtet. Sie sind nicht alleine aufgrund ihrer Bezeichnungen, sondern auch in ihren baulichen Voraussetzungen als schulische Orte identifizierbar, insofern als sie rechtwinklig, ohne Nischen o. ä. angelegt sind. Dadurch wäre es den Lehrkräften möglich, die gesamte Schüller*innenschaft zu überblicken, um sowohl deren Lerntätigkeit zu beobachten als auch um sie zu beaufsichtigen. Die Möglichkeiten des Verbergenkönnens sind für die Kinder somit in dieser Raumarchitektur deutlich eingeschränkter als im Jugendzentrum.

In den beiden Klassenräumen wird ausschließlich die Hausaufgabenzeit durchgeführt, organisiert in festen Gruppen. Auch in der Möbeleinrichtung lässt sich ein typisches Arrangement für solche Orte der formalen Bildung vorfinden. Es dominieren Schultische für zwei Personen, inkl. Stühle. Allerdings sind sie an den beiden Orten unterschiedlich gestellt. In dem einen entsprechen sie den Erfordernissen des sog. Frontalunterrichts, d. h. sie sind alle auf ein Vorne ausgerichtet, das bei der Wandtafel auszumachen ist. Im anderen Raum lässt sich solch eine Möbelanordnung nicht identifizieren, stattdessen stehen in diesem scheinbar ungeordnet Gruppentische (je zwei zusammengeschobene Zweiertische), ohne dass sich ein exponierter Bereich für Lehrkräfte resp. Hausaufgabenbetreuer*innen ausmachen ließe. Diese Variante ruft reformpädagogische Konzeptionen von Unterricht auf, in denen eine hierarchische Raumordnung, wie sie im Frontalunterricht vorherrscht, verworfen wird (vgl. Reh 2011: 38).

Im Essbereich der Mensa

Der Essraum, die sog. Mensa, der nun näher beleuchtet wird, wird ausschließlich für die Schulkinderbetreuung genutzt, in der ein Mittagessen vorgesehen ist. Er entspricht in seiner Größe drei Klassenräumen. Ausgestattet ist er mit einer Großküche und einem Essbereich mit zahlreichen Tischen, um die jeweils sechs Stühle stehen. Diese beiden Bereiche werden nicht durch eine Wand, sondern durch eine Art Theke voneinander getrennt, die als Essensanrichte und -ausgabe dient.

Der Ablauf der Mittagsverpflegung entspricht jenem, wie er in Kantinen üblich ist. Die Kinder kommen vom Unterricht an und stellen sich in einer Reihe hintereinander an der Theke an. Auf der anderen Seite stehen ein oder zwei Mitarbeiter*innen des Jugendzentrums und geben Essen – eine warme Mahlzeit – aus. Dann nehmen die jungen Menschen an einem der Tische Platz und essen in Wahlgemeinschaften. Dieser Ablauf vollzieht sich zumeist selbstorganisiert, ohne beobachtbare intergenerationelle Interaktionen. Somit wirkt die Mittagessensituation auf den ersten Blick relativ frei, denn kaum beeinflusst durch erzieherische Praktiken, in Differenz zu der Vorannahme, die baulichen Gegebenheiten forcierten eher kontrollierende resp. disziplinierende Erziehungspraktiken. In einer genaueren Analyse wird allerdings offensichtlich, dass der beschriebene Ablauf brüchig erscheint, wie bspw. in der folgenden Sequenz:

Wir sind beim Mittagessen. Sechs Kinder und fünf Mitarbeiter*innen sind anwesend. Bilal und Stefanie (zwei Mitarbeiter*innen) stehen bei der Essensausgabe, sie schauen in die Mensa hinein. Bilal sagt laut in den Raum: Der Tisch von Freddi und Jan. Drei Kinder, die zusammen an einem Tisch sitzen, stehen auf und kommen nach vorne.

Dieser Auszug aus den Feldprotokollen wirkt irritierend, denn es wird vom üblichen Kantinenmodus, alle stellen sich selbstorganisiert an der Essensausgabe an, abgewichen. Stattdessen sitzen die Kinder an den Esstischen und dürfen sich anscheinend erst anstellen, nachdem sie durch eine*n Mitarbeiter*in aufgerufen wurden. Dieses Vorgehen wird als eine erzieherische Intervention gedeutet, deren Anlass aus der Sequenz nicht hervorgeht, die aber dazu führt, dass die Erwachsenen die sonst übliche Selbstorganisation der Kinder bei der Mittagsverpflegung unterminieren. Anders als es die Bezeichnung „Mensa“ erwarten lässt, erinnert der Essraum somit in dieser Passage nicht an jene in Hochschulen, auch nicht an Kantinen in Betrieben – die beide keine Erziehungsorte sind – sondern es wird eher eine spezifische Form eines Essraums identifizierbar. In diesem wird sowohl eine große Anzahl von Kindern im Kantinenmodus durch die Mittagsverpflegung geschleust, als auch im „Bedarfsfall“ erzieherisch interveniert.

Charakteristisch für den Essraum in der Schule ist somit seine hybride Struktur. Einerseits stellt das Erziehungsverhältnis Nähe, Bekanntheit und Beziehung her, reproduziert dadurch, dass der Mitarbeiter Bilal die Namen der Kinder kennt und zudem legitimiert ist, ihnen Anweisungen zu geben. Andererseits schafft die Kantinenraumordnung gleichzeitig eine gewisse Fremdheit und Objektivierung, denn die Kinder werden in Bilals Rede Tischen zugeordnet, als seien sie Teil des Mobiliars und die Mitarbeiter*innen, die hier als Erzieher*innen auftreten, befinden sich zu ihren Edukand*innen in einer räumlichen Distanz. Das bedeutet, trotz ihrer erzieherischen Intervention verbleiben sie auf der Position der „Kantinenmitarbeiter*innen“ und schauen deshalb von außerhalb auf das Geschehen, das sie dirigieren. Dies irritiert die Erwartungen, die mit Erziehungssituationen einhergehen.

Im Spielbereich der Mensa

Mit dem Essbereich ist der Raum, der durch die Akteur*innen als Mensa bezeichnet wird, noch nicht abschließend behandelt. Dieser macht zusammen mit der Küche nämlich lediglich ca. zwei Drittel der gesamten Nutzung aus. Den übrigen Platz nimmt ein Bereich ein, der durch die Akteur*innen nicht benannt wird und den ich in den Feldprotokollen als „Spielbereich“ bezeichne. Dabei handelt es sich um ein kleines Areal, das an den Essbereich grenzt und das durch Regale von diesem abgetrennt ist. Die Möbeleinrichtung erinnert an jene im Jugendzentrum; es gibt Gesellschaftsspiele, zwei Sofas sowie einen Kicker- und einen Billardtisch. Oft lassen sich dort ähnliche Situationen wie die Folgende beobachten:

Meike (Mitarbeiterin) setzt sich mit einem Mädchen an einen Tisch und sie packen ein Kartenspiel aus. Bilal und Silke (Mitarbeiter*innen) setzen sich dazu. Es wird immer voller und lauter. Zwei Jungen spielen Kicker, zwei Mädchen Billard, drei sitzen auf dem Sofa, drei stehen beieinander und sprechen miteinander. Drei Jungen spielen Karten. Schulgong. (Es ist zu laut, ich kann keiner verbalen Kommunikation folgen.) Drei weitere Mädchen sitzen auf der Fensterbank und unterhalten sich laut. Meike dreht sich zu ihnen um: Armina, redest du mal bitte nicht so laut. Ich beachte, dass die Tür zum Flur auf ist und denke, dass gleich ein*e Lehrer*in kommt und sich über die Lautstärke beschwert.

Zunächst könnte sich diese Situation so auch im Jugendzentrum ereignen. Es befinden sich auffallend viele Akteur*innen in dem relativ kleinen Bereich, die unterschiedlichen Freizeitaktivitäten nachgehen, teilweise zusammen, teilweise nebeneinander. Der Hinweis auf den Schulgong allerdings markiert die Situation als eine Schulpause. Eine Differenz zu den Beobachtungen im Jugendzentrum ist zudem, dass hier mehrmals die Lautstärke hervorgehoben wird. Die Zurechtweisung Arminas durch die Mitarbeiterin Meike wirkt in dieser Konstellation wie ein hilfloser Versuch, die Geräuschkulisse einzudämmen. Wie in einer Allianz der Erwachsenen versuche ich diese Zurechtweisung zu ergründen resp. zu begründen, indem ich meine Gedanken am Ende der Sequenz vermerke. Es ist die Sorge, ein*e Lehrer*in könnte sich beschweren. Deutlich wird an dieser Stelle, dass ich hier in gewisser Weise auf die Position der Mitarbeiterin (oder der Schülerin) gerate, die ein grundsätzliches Ruhegebot in Schulgebäuden antizipiert.

Solche Ermahnungen von Kindern bzgl. der Lautstärke wurden im Spielbereich der Mensa oft beobachtet. Auf der Grundlage dessen kann bilanziert werden, dass das Jugendzentrum mit seiner Schulkinderbetreuung in der Schule hier in gewisser Weise über einen Gaststatus verfügt und sich die Mitarbeiter*innen bemühen, höflich zu sein und sich den Gepflogenheiten des*der Gastgeber*in anzupassen.

Auf dem Schulhof

Ein weiterer Ort, der von großer Bedeutung für das Angebot des Jugendzentrums in der Schule ist, ist der Schulhof. Dabei handelt es sich um einen Außenbereich, der entsprechend seiner symbolischen Codierung als Pausenort über zahlreiche Bänke, zwei Tischtennisplatten und ein Basketballfeld verfügt.

Die architektonischen Voraussetzungen sind im Vergleich zu den Schulinnenräumen andere. Das Außenareal ist viel weitläufiger und nicht derart konsequent als Quadrat angelegt. Somit lädt es ein, sich auch einmal zurückzuziehen, unbeobachtet zu sein. Gleichzeitig wird der Schulhof aber überwiegend vom Schulgebäude eingerahmt, so dass die Akteur*innen, die sich dort aufhalten, potenziell von zahlreichen Fenstern der Klassenräume aus zu sehen sind. Somit erinnert das bauliche Arrangement an Foucaults Panoptikum, d. h. an Konstellationen, bei denen die Beobachteten potenziell beobachtet werden, aber nicht sehen können, ob dies tatsächlich so ist. Foucault zieht den Schluss, dass die Adressat*innen sich in der Folge das erwünschte Verhalten zu eigen machen (Rieger-Ladich/Ricken 2009: 193f.). An dieser Stelle deutet sich an, was für den Schulhof insgesamt festzustellen ist. Er legt eine ambivalente Gleichzeitigkeit von Verbergenkönnen und Gesehenwerden nahe. Diese Konstellation wird manchmal spielerisch in die Interaktionen einbezogen, wie hier:

Nur die Mittagskinder sind auf dem Hof. Die Betreuer*innen stehen zusammen und unterhalten sich. Einige Jungen spielen mit Bilal Basketball. Einige Mädchen sitzen zusammen auf der Bank. Sie stehen irgendwann auf und gehen um die Ecke der Turnhalle, die gleichzeitig auch zum Schultor führt. Meike (Mitarbeiterin) schaut zu ihnen und ruft laut: Ey, wo geht ihr hin? Das Mädchen, das als letztes geht und noch zu sehen ist, bleibt stehen und sagt: Die wollen sich da sonnen. Dann sind alle aus dem Blickfeld verschwunden.

Hier handelt es sich im Grunde um eine typische Schulhofsituation, wie sie im Alltagswissen zu Schule präsent ist. Kinder verbringen ihre Pause und Erwachsene sind für die Hofaufsicht zuständig. Von erheblicher Bedeutung ist in diesem Zusammenhang, dass es sich bei der Schulkinderbetreuung formal um eine schulische Veranstaltung handelt. Aus diesem Grund gelten hier auch Vorgaben zur schulischen Aufsichtspflicht, die eine kontinuierliche und direkte Kontrolle in präventiver Ausrichtung vorgeben. [5] Somit ist die Option, unbeobachtet zu sein, nicht vorgesehen. Allerdings ermöglicht der Schulhof, hier konkret die Ecke an der Turnhalle, dass sich die jungen Menschen der Aufsicht zumindest kurzzeitig entziehen können. Ihr Handeln sowie auch jenes der darauf reagierenden Erwachsenen, kann als aktive Inszenierung des Verbergenko?nnens gedeutet werden. Demnach demonstrieren die Mädchen ihre Möglichkeiten, nicht gesehen zu werden, d. h. etwas unbeobachtet zu machen. Die Mitarbeiterin Meike wiederum inszeniert ihr Gesehenwerden, ergo ihre Aufsichtstätigkeit, indem sie laut ruft. Da die Schilderung an dieser Stelle nicht weitergeht, kann davon ausgegangen werden, dass den jungen Menschen zumindest zeitweilig dieses Nicht-Beobachtetsein zugestanden wird, forciert durch den schulisch konnotierten, ambivalenten Raum „Schulhof“. Allerdings ändert dieses Zugeständnis nicht grundsätzlich etwas an dem vorherrschenden schulischen Aufsichtspflichtverständnis, welches durch die Mitarbeiter*innen des Jugendzentrums umgesetzt wird.

3. Konzeptionelle Anknüpfungspunkte für (Ganztags-)Schulkooperationen – ein transferbezogener Ausblick

In diesem Beitrag wurde die Relevanz von Räumen in (Ganztags-)Schulkooperationen der Offenen Kinder- und Jugendarbeit – auch in Relation zu anderen institutionellen Dimensionen, wie den Rahmenbedingungen und den Diskursen – in den Fokus gerückt. Auf der Grundlage der Ergebnisse lassen sich Anknüpfungspunkte für die konzeptionelle Planung solcher Angebote finden, so wird nun für die beiden Schulkinderbetreuungen skizziert. Der Kindertreff – als traditionelles Kernelement der Offenen Kinder- und Jugendarbeit – wird dabei vergleichend herangezogen.

In jenem Angebot im Jugendzentrum können die Teilnehmer*innen prinzipiell, ähnlich wie im Kindertreff, einen Teil der Räume zur interessenorientierten Freizeitgestaltung nutzen. Allerdings sind diese Zeiten im Tagesablauf äußerst knapp bemessen, so dass sie eher als Zwischen- resp. Wartezeiten in Erscheinung treten und weniger als Freizeit, die ihren eigenen konzeptionellen Stellenwert hat. Ursächlich dafür ist, dass der überwiegende Teil des Tagesablaufs aufgrund der Betreuungsfunktion dem Mittagessen und den Hausaufgaben vorbehalten ist. Stimmig dazu werden zwei der Räume, das Esszimmer und das Café, sehr funktional genutzt.

An dieser Stelle rückt die Frage ins Blickfeld, ob die Räume eindeutige Bezeichnungen vor Ort aufweisen, d. h. ob sie vordefiniert sind. Für den Kindertreff kann dies hier verneint werden, so dass sich die Arbeit dort zumindest zu einem Teil konsistent zu den fachlichen Prinzipien resp. dem professionellen Fachdiskurs entfaltet. In der Schulkinderbetreuung am gleichen Ort führt diese Nicht-Bezeichnung in Kombination mit der partiellen Nutzung der Räume allerdings dazu, dass Raumordnungen hergestellt werden, die durch Alltagswissen zur familiären Tischmahlzeit und zum Schulunterricht dominiert werden, mit dem Resultat, dass eher beschränkende bzw. kontrollierende Erziehungsmomente Einzug halten.

Damit liegt ein konzeptionelles Dilemma vor. Auf der einen Seite könnte eine dezidierte Benennung der Räume ermöglichen, dass Alltagswissen aus anderen Institutionen an Relevanz verliert, bspw. könnte die Hausaufgabenzeit so weniger unterrichtsnah gestaltet werden. Auf der anderen Seite würde dann aber, zumindest für dieses Teilangebot des Jugendzentrums – konzeptionell verbrieft – von den Prinzipien der Offenheit und der Interessenorientierung etc. abgerückt.

Wenn vor diesem Hintergrund nun die Schulkinderbetreuung am Ort Schule hinzugezogen wird, ist offensichtlich, dass die Vordefiniertheit der Räume einen wesentlichen Unterschied beider Betreuungsangebote des Jugendzentrums markiert. Die Räume, in denen sich nämlich im Schulgebäude die Interaktionen zwischen Mitarbeiter*innen und Kindern ereignen, sind entsprechend schulisch vordefiniert. Ein „Klassenraum“ mit seiner typischen Möbelausstattung legt nahe, die Hausaufgabenbetreuung ähnlich eines Unterrichtssettings zu gestalten. Entsprechend vollziehen sich hier die Interaktionen auf dem „Schulhof“ ähnlich, wie es von Pausen auf Schulhöfen bekannt ist, indem die Jugendarbeiter*innen zur Hofaufsicht werden. Zwar lassen sich in diesem Angebot immer wieder auch Praktiken rekonstruieren, die diesen Schulmodus spielerisch oder gar inkonsequent umsetzen, insgesamt muss aber herausgestellt werden, dass hier die Schulkinderbetreuung in erheblichem Maße durch den Ort Schule beeinflusst wird. Von Bedeutung ist dabei auch – neben den Räumen –, dass alle Akteur*innen, sowohl die Kinder und die Mitarbeiter*innen des Jugendzentrums als auch ich als Beobachterin über profunde Vorstellungen dazu verfügen, wie Schule sich gestaltet, denn alle sind selbst einmal Schüler*innen gewesen.

Diese Unterschiede in der Vordefiniertheit der Räume am Ort Jugendzentrum und am Ort Schule können auf die gesellschaftlichen Funktionen beider Institutionen – Offene Kinder- und Jungendarbeit und Schule – zurückgeführt werden. Die Schule ist in einer strukturfunktionalistischen Perspektive von erheblich größerer gesellschaftlicher Bedeutung, denn sie erfüllt die wichtige Aufgabe der Qualifikation der jungen Menschen für den Beruf. Dies lässt scheinbar wenig Spielraum für die Raumcodierungen in einem Schulgebäude. Die Offene Kinder- und Jugendarbeit befindet sich im Vergleich dazu in einer „Nische“, denn als Freizeitinstitution ist sie von eher nachrangiger gesellschaftlicher Bedeutung; dies lässt Offenheit zu.

Die Ergebnisse zeigen hier exemplarisch, wie wichtig die konzeptionelle Berücksichtigung von Räumen im Kontext von (Ganztags-)Schulangeboten ist. Dies gilt nicht nur für die Offene Kinder- und Jugendarbeit, sondern allgemein für die Kinder- und Jugendhilfe, die mit Ganztagsschulen und anderen Akteur*innen zusammenarbeitet. Es ist davon auszugehen, dass solche Kooperationen in Zukunft noch an Bedeutung gewinnen werden, denn die jüngsten politischen Pläne auf Bundesebene zielen auf einen Anspruch der Eltern auf einen Ganztagsschulplatz an Grundschulen in den kommenden Jahren ab (vgl. Deutscher Bundestag 2020).

Wesentlich ist m. E., dass die Organisationen der Offenen Kinder- und Jugendarbeit für ihre Nachmittagsangebote über eigene Räume verfügen können und nicht in einem Gaststatus an Schulen verbleiben sollten. Denn es muss im Interesse der Fachkräfte und Träger sein, den Alltag – gemeinsam mit den Nutzer*innen – entsprechend der eigenen fachlichen Prinzipien und Traditionen gestaltet zu können.

Literatur

Altermann, André/Lange, Mirja/Menke, Simone/Rosendahl, Johannes/Steinhauer, Ramona/Weischenberg, Julia (2018): Bildungsbericht Ganztagsschule NRW 2018. Dortmund: Eigenverlag Forschungsverbund DJI/TU Dortmund.

Audehm, Kathrin (2007): Erziehung bei Tisch. Zur sozialen Magie eines Familienrituals. Bielefeld: transcript.

Deinet, Ulrich/Icking, Maria/Rehrs, Simone (2020): Offene Kinder- und Jugendarbeit und Schule in NRW. https://www.socialnet.de/materialien/29066.php. Zugriff am 15.06.2021.

Deutscher Bundestag (2020) Ausbau ganztägiger Betreuung für Grundschulkinder beschlossen. https://www.bmbf.de/de/wichtiger-schritt-auf-dem-weg-zum-rechtsanspruch-auf-ganztagsbetreuung-im-grundschulalter-10150.html. Zugriff am 21.11.2020.

Gosse, Katharina (2020a): Pa?dagogisch betreut. Die offene Kinder- und Jugendarbeit und ihre Erziehungsverhältnisse im Kontext der (Ganztags-)Schule. Wiesbaden: Springer VS.

Gosse, Katharina (2020b): Mittagessen in Jugendzentrum und Schule – ein ethnographischer Blick auf Praktiken der Gemeinschaft in Nachmittagsangeboten der offenen Kinder- und Jugendarbeit. In: Rose, Lotte/Schmidt, Friederike/Schulz, Marc (Hrsg.): Pädagogisierungen des Essens. Kinderernährung in Institutionen der Bildung und Erziehung, Familien und Medien. Weinheim, Beltz Juventa, 121–135.

Mollenhauer, Klaus (1986/1964): Versuch 3. In: Mu?ller, C. Wolfgang/Kentler, Helmut/Mollenhauer, Klaus/Giesecke, Hermann (Hrsg.): Was ist Jugendarbeit? Vier Versuche zu einer Theorie. Reprint d. Ausg. v. 1964. Weinheim und München, Juventa, 89–118.

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Fußnoten

[1] Erschienen unter dem Titel „Pädagogisch betreut. Die offene Kinder- und Jugendarbeit und ihre Erziehungsverhältnisse im Kontext der (Ganztags-)Schule“ (2020a).

[2] Zur quantitativen Bedeutung dieser Angebote können lediglich Hinweise herangezogen werden. In einer Studie in NRW hat sich bspw. gezeigt, dass 36 % der dort berücksichtigten Jugendzentren solch ein Angebot ohne zusätzliche Förderung anbieten (vgl. Deinet et al. 2020: 9).

[3] Als heuristische Vorannahme wird im Rekurs auf die Arbeiten zur offenen Jugendarbeit von Mollenhauer (1986/1964) davon ausgegangen, dass sich die Erziehungsabsichten in beiden Institutionen deutlich unterscheiden. Die offene Jugendarbeit steht eher für freiheitliche, die Schule eher für kontrollierende resp. disziplinierende Erziehungsverhältnisse.

[4] Siehe dazu ausführlicher sowie zu den konzeptionellen Möglichkeiten des Mittagessens im Jugendzentrum (Gosse 2020b).

[5] Niedergeschrieben findet sich dieses schulische Aufsichtspflichtverständnis bspw. im Dokument „Sicherheitsfo?rderung und Aufsicht – in offenen und gebundenen Ganztagsschulen sowie in weiteren Betreuungsmaßnahmen in Schulen“ (vgl. Schulministerium NRW o.J.).


Zitiervorschlag

Gosse, Katharina (2021): Zur institutionellen und diskursiven Relevanz von Raumdeutungen im Kontext von Ganztagskooperationen zwischen Schulen und der Offenen Kinder- und Jugendarbeit. In: sozialraum.de (13) Ausgabe 2/2021. URL: https://www.sozialraum.de/zur-institutionellen-und-diskursiven-relevanz-von-raumdeutungen-im-kontext-von-ganztagskooperationen-zwischen-schulen-und-der-offenen-kinder-und-jugendarbeit.php, Datum des Zugriffs: 21.12.2024