Hiltruper Jugendliche analysieren ihre Sozialräume
Ein Studienprojekt zur Sozialraumorientierung in der Kinder- und Jugendhilfe
durchgeführt von:
Isabel Lohmann
Ann-Kathrin Middendorf
Meike Müller
Marina Gorke
unter der Leitung von:
Eva Christina Stuckstätte
in Kooperation mit:
Verbund Sozialtherapeutischer Einrichtungen (VSE) Münster Hiltrup: Streetwork
Juni 2009
Einleitung
Die hier dargestellten Ergebnisse der Sozialraum- und Lebensweltanalysen Hiltruper Jugendlicher sind das Resultat eines Studienprojektes der Katholischen Hochschule NRW, Abteilung Münster. In der Zeit vom 01.04.2009 – 22.06.2009 führte eine Projektgruppe von vier Studentinnen im Rahmen des Konzepte-Seminars „Sozialraumorientierung in der Kinder- und Jugendhilfe“ unter der Leitung von Prof. Dr. Eva Christina Stuckstätte die Analysen mit gut 30 Jugendlichen aus Hiltrup und angrenzenden Stadtteilen durch. Unterstützt wurde die Projektgruppe von allen Studierenden des Seminars, die die Analysen vor- und nachbereitet haben sowie Raum zur Reflexion boten.
Das Projekt wurde in Kooperation mit dem Streetwork des Verbunds Sozialtherapeutischer Einrichtungen (VSE) realisiert. Die Ergebnisse sollen der Weiterentwicklung der Hiltruper Jugendhilfeangebote im Bereich des Streetworks und der offenen Kinder- und Jugendarbeit dienen. Zudem sollen die Erkenntnisse in ein aktuelles Mediationsprojekt einfließen, das derzeit unter der Leitung von Prof. Dr. Georg Albers in Hiltrup durchgeführt wird.
Sozialraum- und Lebensweltanalysen dienen dazu, öffentliche Räume aus der differenzierten Perspektive von Kindern und Jugendlichen zu sehen und zu verstehen. Die hier angewandten Methoden dienen dazu, Wahrnehmungen und Deutungen der Jugendlichen von ihrem Stadtteil qualitativ (nicht quantitativ!) zu erfassen und transparent zu machen. Die Analysen sind Bestandteil sozialräumlicher Konzeptentwicklung in der Kinder- und Jugendhilfe, wie sie von Deinet (2005) beschrieben wird.
Im Rahmen der Hiltruper Analysen wurden vier Methoden angewandt:
- Strukturierte Stadtteilbegehung
- Nadelmethode
- Stadtteilbegehung mit Jugendlichen
- Autofotografie
Detaillierte Informationen zu den einzelnen Methoden sind Deinet et al. (2009) zu entnehmen.
Im Folgenden werden die Ergebnisse stichpunktartig dargestellt.
1. Strukturierte Stadtteilbegehung
1.1 Rahmenbedingungen
- Tag der Begehung: 27.05.2009, 17.30 - 19.30 Uhr
- Orte der Begehung: Hiltrup Ost, Hiltrup Zentrum, Hiltrup West
- Beobachter: drei Kleingruppen a sechs Studierende in unterschiedlichen Beobachterrollen
- Ziel: Aufspüren und Erfassen relevanter öffentlicher Orte für Kinder und Jugendliche, Beschreibung und Bewertung der Räume durch die Außensicht der Studierenden
1.2 Fragestellung
- Wer besetzt welche Räume?
- Wie werden die Räume besetzt?
- Was passiert in diesen Räumen?
- Welche Formen der Aneignung werden erkennbar?
- Gibt es Hinweise auf weitere mögliche attraktive Outdoortreffpunkte für Jugendliche?
- Beschreibung der aufgesuchten Räume
1.3 Ergebnisse
Hiltrup Ost (Roggenkamp und Umgebung)
- Attraktives Wohngebiet, viele Grünflächen, kleine Parkanlagen, Assoziation „Feriensiedlung“
- Wirkt ruhig, keine Gruppierungen von Jugendlichen sind anzutreffen
- Potentielle öffentliche Treffpunkte sind vorhanden (z.B. Steinrondell) und liegen sichtgeschützt jedoch durchgängig nah an Wohnhäusern
- Supermarkt vorhanden (bis 22.00 Uhr geöffnet)
- Erscheinungsbild des Stadtteils: gut bürgerlich, Atmosphäre an diesem Mittwoch Abend „wie an einem Sonntag Nachmittag“
- Häuser werden vielfach von hohen Hecken und Zäunen umgeben, Eindruck „Das Leben spielt sich hinter den Gardinen ab“
- Warnschilder gegen Beschmutzung
- Gute Busanbindung sowohl tagsüber als auch nachts
- Ein unattraktiver Spielplatz ohne Spielgeräte und Sitzplatzmöglichkeiten
- Spielplätze mit begrenzten Zeiten zur Nutzung (mittags Nutzung untersagt sowie abends nach 19.00 bzw. 22.00 Uhr)
- An öffentlichen Orten viele Schilder mit Verboten
- Treffpunkte weisen Nutzungsspuren auf (Wodkaflaschen, Eisteepackungen, Zigarettenstummel); Trampelpfade in Gebüsche nahe von Wohnsiedlungen
Bewertung:
- Attraktiver Stadtteil mit attraktiven Treffpunkten, die jedoch sehr verregelt sind und nah an Wohnhäusern liegen (begrenzte Rückzugsmöglichkeiten für Jugendliche)
- Trotz des guten Wetters sind so gut wie keine Jugendlichen in den Abendstunden anzutreffen
Hiltrup Mitte (Schulzentrum und Umgebung)
- Rewe-Markt: Vorplatz wird nur wenig als Treffpunkt genutzt, Unterhaltung weniger Jugendlicher, Personen warten überwiegend auf den Bus
- Schulgelände am Schulzentrum: gepflegt, einige Bäume, Beton überwiegt, erstaunlich großes Gelände in verhältnismäßig kleinem Stadtteil, bietet Nischen
und Ecken zum Rückzug, Unterstellmöglichkeiten jedoch wenig Sitzmöglichkeiten, liegt abgeschottet, tendenziell eher unattraktives Gelände, Architektur
funktional jedoch nicht einladend, Infrastruktur sehr attraktiv: Tankstelle, Imbiss, drei Supermärkte, Bushaltestelle um die Ecke
- Sportzentrum: gepflegtes und attraktives Gelände, viele Sitzgelegenheiten, nur für begrenzten Personenkreis geöffnet (?), Öffnungszeiten begrenzt (?)
- Weitere attraktive öffentliche Orte: Vorplatz an der Kirche (sehr im öffentlichen Raum), Jugendheim St. Clemens (sehr begrenzte Öffnungszeiten, für Jugendliche vermutlich wenig attraktiv), Clemens-, Paul Gerhard-, Johannesschule (attraktives, farbenfrohes Gelände mit vielen Sitzmöglichkeiten und guten Unterstellmöglichkeiten, viele Verbotsschilder)
Bewertung:
- attraktive öffentliche Orte sind vorhanden, jedoch nah an Wohn- oder Geschäftsbereichen und meist gut einsehbar (z.T. keine guten Rückzugsmöglichkeiten für Jugendliche)
Hiltrup West (Mesenstiege und Umgebung)
- attraktives Wohngebiet, viele Einfamilienhäuser, Wohngebiet macht ländlichen Eindruck
- Jugendplatz hinter dem Edeka-Center: stark einsehbar, Pavillon ohne Sitzmöglichkeiten, macht ungenutzten Eindruck (wenn auch Aneignungsspurenvorhanden sind wie Grafittis), wird auch von Erwachsenen genutzt, Müll sichtbar (Wodkaflaschen, Pizzakartons), weit ab vom Zentrum
- Trampelpfad in den Wald: Jugendliche suchen Rückzug in angrenzendem Wald, deutliche Gebrauchsspuren (Alkoholflaschen, Kondomverpackungen)
- Spielplatz im Wohngebiet: „Für Jedermann“, Skateranlage vorhanden (kaum nutzbar, da ein Zaun zu nah an der Anlage vorbei gezogen wurde), viele Grafittis, kein Müll, grün bewachsen
- Ludgerusschule, Bolzplatz, 37 Grad: attraktive Orte, jedoch vorrangig für Kinder und jüngere Jugendliche
Bewertung:
- Begrenzt attraktiver öffentlicher Raum für ältere Jugendliche vorhanden
- Trotz guten Wetters sind so gut wie keine Jugendlichen in den Abendstunden anzutreffen
1.4 Fazit
- Attraktive öffentliche Räume sind vorhanden, jedoch immer nah an Geschäfts- und Wohnhäusern
- Keine Rückzugsorte, an denen sich Jugendliche ungestört aufhalten können
- Vorhandene Räume weisen Barrieren auf, die Nutzung einschränken (z.B. Skateranlage zu nah am Zaun)
2. Nadelmethode
2.1 Rahmenbedingungen
- Befragungszeitraum: 27.05. - 08.06.2009
- Orte der Befragung: Jugendzentrum Black Bull in Amelsbüren, 37 Grad in Hiltrup, Schulzentrum Hiltrup, VSE Hiltrup
- Alter der Befragten: 10-24 Jahre (überwiegend 14 - 18 Jahre)
- Geschlecht: 12 Männer, 13 Frauen
- Wohnorte der Befragten (5x Amelsbüren, 1x Gievenbeck, 14 x Hiltrup, 1x Coerde, 1x Gremmendorf) - 3 Angaben fehlen
- Ziel: Ermittlung von attraktiven und weniger attraktiven Orten im Stadtteil
2.2 Fragestellung
- Wo wohnst du?
- Wo hälst du dich abends/in deiner Freizeit viel auf?
- Wo hälst du dich gern auf?
- Wo fühlst du dich unwohl?
- Wo wünschst du dir Veränderungen?
2.3 Ergebnisse der Befragung (Frauen)
Bewertungen der Mädchen - eine Auswahl:
Burgwall:
- „Wo fühlst du dich unwohl?“: „Am Burgwall. Dort sind falsche Leute. Jugendliche wurden mit Waffen bedroht.“
Schulzentrum:
- „Ausgangspunkt für alle Unternehmungen.“
- „Wo triffst du dich gerne?“: „Am Schulzentrum. Hier chillen immer meine Kollegen.“
- „Das Schulzentrum ist nicht so schlimm. Da haben wir früher auch gesessen.“
- „Wo fühlst du dich unwohl?“: „Am Schulzentrum. Die Jungs pöbeln einen grundlos an, die da sitzen.“
- „Wo wünscht du dir Veränderungen?“: „Mehr Bänke am Schulzentrum, mehr Dekoration. Das wäre besser, dann fühlt man sich auch besser.“
- „Wo fühlst du dich unwohl?“: „Am Schulzentrum. Die Leute schieben Stress.“
Rewe-Markt:
- „Der hat lange offen. Jetzt mach ich ne Ausbildung, da hat man nicht mehr so viel Zeit.“
- „Es gibt oft Stress dort. Die hängen da ab und machen Sachen kaputt. Das stand auch öfters in der Zeitung. Ich trau mich nicht dort einzukaufen.“
- „Wo fühlst du dich unwohl?“: „Am Rewe an der Marktallee. Ganz schrecklich.“
Schwimmbad Hiltrup:
- „Wo bist du gerne“: „Am Freibad, weil´s da Spaß macht.“
Blackbull:
- „Die Mädchengruppe im Blackbull ist super.“
Sportplatz Amelsbüren:
- „Da sind nur Fussballplätze aber nichts für uns. Wir wünschen uns eine Ecke mit Bänken.“
37 Grad:
- „Im 37 Grad abends sind dort viele Freunde.“
- „Wo triffst du dich gerne?“: „Im 37 Grad. Ja einfach nur, weil Freunde von mir hier sind. Wir treffen uns hier zum chillen.“
Gesamtbewertung:
- Die Mädchen geben vielfach an, Freizeit in privaten Kontexten zu verbringen (bei Freunden, der Oma, ...).
- Das Schulzentrum sowie die Gegend um den Rewe-Markt werden überwiegend negativ und als stressbesetzte Ort bewertet. Hier sind Veränderungen erwünscht.
- Die Mädchen bewerten die Jugendzentren durchgängig positiv.
2.4 Ergebnisse der Befragung (Männer)
Bewertungen der Jungen - eine Auswahl:
Burgwall:
- „Wo triffst du dich gerne?“: „Draußen in der Nähe vom Burgwall, zum Reden und bisschen spazieren oder bei einem Kumpel.“
Schulzentrum:
- „Wo wünscht du dir Veränderungen?“: „Überhaupt Hiltrup. Das Schulzentrum ist dreckig, wie so ein kleiner Mini-Bremerplatz. Es ist einfach so tot hier.“
- „Wo fühlst du dich unwohl?“: „Am Schulzentrum. Da sind die ganzen Zigeuner voll uncool. Wir haben Angst vor denen. Da sind dann Teenager, die sich betrinken. Der eine kotzt, der andere kippt nach rechts.“
- „Wo hältst du dich viel auf in deiner Freizeit?“: „Am Schulzentrum, da kann man was zu trinken holen. Und weil wir nichts anderes haben. An der Marktallee ist der Treffpunkt. Früher war ich auch im Black Bull aber da sind jetzt zu viele kleine Kinder. Meine Freunde machen jetzt eine Ausbildung wir haben gar nicht so oft Zeit. Ich bin seit 2 Monaten mal wieder hier. Am Wochenende ab und zu.“
- „Wo triffst du dich gerne?“: „Am Schulzentrum, da halten sich viele auf.“
Rewe-Markt:
- „Wo wünschst du dir Veränderungen?“: „Am Rewe, da chillen immer die Säufer.“
- „Beim Rewe kann man sogar bis 22h vortrinken.“
Schwimmbad Hiltrup:
- „Wo triffst du dich gerne?“: „Am Freibad in Hiltrup.“
Blackbull:
- „Wo triffst du dich gerne?“: „Im Black Bull.“
37 Grad:
- „Wo triffst du dich gerne?“: „Am 37 Grad weil die meisten meiner Freunde hier sind.“
- „Wo fühlst du dich unwohl?“: Am 37 Grad hab ich auch schlechte Erfahrungen gemacht, die Mitarbeiter beurteilen Menschen einfach falsch wenn sie ihn gar nicht kennen.“
Kanal, Prinzenbrücke
- „Da kann man halt schwimmen, grillen und chillen.“
Fußballplatz:
- „Wo wünscht du dir Veränderungen?“: „Am Fußballplatz. Da ist zu wenig Ordnung und die Tore sind zu voll.“
Hauptschule:
- „Wo fühlst du dich unwohl?“: „In der Schule (Hauptschule). Dort treffe ich mich nicht. Es ist einsam dort und schlecht beleuchtet.“
Bewertung insgesamt:
- Positiv werden der Kanal, die Prinzenbrücke, das Freibad, die Jugendzentren, das Osttor und teilweise das Schulzentrum bewertet.
- Veränderungen werden erwünscht am Fußballplatz, am Rewe-Markt, am Schulzentrum sowie am Bahnhof.
- Mehrfach negativ bewertet wird das Gelände um die Hauptschule und das Schulzentrum.
- Die Jungen benennen deutlich seltener als die Mädchen private Treffpunkte in der Freizeit.
3. Stadtteilbegehung mit Jugendlichen
3.1 Rahmenbedingungen
- Tag der Begehung: 15.06.09, 16.30 - 17.30 Uhr
- Teilnehmer: zwei Studentinnen, zwei Schülerinnen
- Alter der Schülerinnen: 14 Jahre
- Wohnort: MS- Hiltrup, besuchte Schule: Hauptschule
- Ort der Begehung: Schulzentrum und Umgebung
- Ziel: Beschreibung öffentlicher Orte in ihren Qualitäten durch Jugendliche als Experten ihres Stadtteils.
3.2 Fragestellung
- Wir würden gerne erfahren, wo ihr euch gerne trefft bzw. wo beliebte Treffpunkte sind.
- Was wünscht ihr euch? Was fehlt euch?
- Was macht ihr am Schulhof?
- Wo sind Orte die noch verbessert werden können?
- Was sind eure Ideen, Wünsche und Anregungen?
3.3 Ergebnisse
- Treffpunkte: Rewe, Kanal, Prinzenbrücke
- „So viele Treffpunkte gibt's eigentlich nicht... manchmal sind wir am Rewe oder am Kanal in der Nähe der Prinzenbrücke oder Hafen. An der Halfpipe treffen sich eher die Jüngeren. Da hab ich früher auch gechillt. Da haben sich alle wohl gefühlt, doch dann kam die Polizei.“
- Wünsche: mehr öffentliche Partys, weniger Gewalt (Schlägereien auf dem Schulgelände)
- Aktivitäten auf dem Schulhof: „Parcours machen“, rumsitzen, chillen
- Verbesserungswürdige Orte: Bahnhof,
- „Der Hbf. Da sind die Ecken. Alles ist kaputt gewesen. Und ziemlich viele Penner, die müssen doch auch irgendwo hin. Man sieht da Spritzen rumliegen.“
- Eigene Ideen: Orte zum Aufhalten ohne Raumwärter, mehr öffentliche Partys, Informationsmaterial über öffentliche Orte für Jugendliche
- „Es fehlt ein Treffpunkt für Jugendliche. In den Go Parc kommen wir auch wenn wir uns richtig aufbretzeln. Aber wir wollen auch unter Gleichaltrigen sein!“
- „Vom Jugendforum wird einmal im Monat eine Disco in der Stadthalle gemacht. Hier darf man nur bis 15 Jahren hin. Aber da kostet eine Party 500 Euro!“
- Es sollte mehr Treffpunkte geben. Mehr Abwechselung! Hier gibt es ja nicht so viele und man bleibt ja nicht immer an demselben. Ne Zeit lang waren wir auch am Spielplatz, weil wir nicht wussten wo wir hin sollten!“
- „Wir brauchen größere Treffpunkte, wo man Sitzplätze hat und ein Dach über dem Kopf. Wo nicht so viele Opas sind!“
- „Prospekte wären auch super. Da könnten dann neue Treffpunkte drin stehen.“
4. Autofotografie
4.1 Rahmenbedingungen
- Zeitraum der Autofotografie: einwöchige Fotodokumentation von öffentlichen Orten
- Teilnehmerinnen: zwei Mädchen, 18 und 20 Jahre aus MS- Hiltrup
- Ziel: Jugendliche visualisieren und analysieren als Experten ihres Sozialraums relevante Aufenthaltsorte durch Fotodokumentationen und erläutern diese
4.2 Fragestellung
- Wo seid ihr gerne? (in eurer Freizeit)
- Wo seid ihr nicht gerne?
- Wo würdet ihr gern sein und dürft es nicht?
- An welchen Orten gibt es Stress? (z.B. Anwohner, Polizei)?
4.3 Ergebnisse
Die Mädchen haben vorrangig Orte fotografiert, an denen sie sich gerne aufhalten.
Aus ihren Erläuterungen wird erkennbar, wie sie die Qualitäten der Räume hinsichtlich möglicher Aneignungen einschätzen:
1.) Sitzbank/Tisch in Hiltrup-Nord an der Reitwiese
- Keine Beleuchtung vorhanden, selbst organisiert
- Manchmal Ärger mit den Nachbarn
- Hat immer Spaß gemacht
2.) Bankkonstruktion bei Betten Limberg
- Hier kann man gut chillen
3.) BFV Fußballplatz
- Kicken, Zelten, Saufen
4.) Draht-Lauen-Spielplatz (Nähe Hohe Geest)
- Schaukeln
- Chillen
5.) Burger King/Westfalentankstelle
- Totaler Jugendtreffplatz seit hier der Burger King ist
- Tankstelle hat (auch unter der Woche) durchgehend geöffnet
6.) Spielplatz am Nimrodweg (Hiltrup-West)
- „Drehscheibenspielplatz“
- Hier haben auch wir noch Spaß mit
7.) Star-Tankstelle
- Chillen auf der Mauer oder auch hinter der Tankstelle
8.) Rewe/Schulzentrum
- Extra versucht beides zusammen zu fotografieren (gehört schließlich zusammen)
- Altbekannter Sammelplatz
- Bushaltestelle als Ausgangspunkt
9.) Stadthalle
- Treppen, Dach à ideal zum Sitzen, Schutz vor Regen
- Nähe zur Hauptschule
10.) Kant-Sporthalle/Tiefgarage
- Toll, viel Spaß gehabt
- An den Fahrradständern Alkohol getrunken
11.) Kant-Gymnasium Eingangsbereich
- Immer viel Müll = da ist immer viel los
- Ideal, kann man überall sitzen
- Dach
12.) Studentenwohnheim (Stuwo)
- Super Treffpunkt, da hier viele junge Leute wohnen
- „Hier wohne ich, das ist meine Burg“
13.) Brunnen Marktallee
- Hier kann man gut sitzen
14.) Spielplatz hinter der Sparkasse
- Kann man viele Leute treffen, besonders beim Frühlingsfest
15.) Marktstübchen
- Kneipe
- Hier treffen sich viele Leute
- „Mit 13 war ich das erste Mal da“
- Auf Alkoholausgabe wird geachtet, aber es sind immer ältere da, die einem was besorgen können
16.) Skaterpark am Bahnhof
- Beliebter Ort
- „Dort habe ich den VSE kennengelernt“
17.) Spielplatz bei Lidl, Glasuritstraße
- Fußballspielen
- Chillen auf der Wiese
18.) VSE
19.) Grünes Klassenzimmer der Realschule
- Mit Freunden dort geraucht, gesoffen
20.) am Kant-Gymnasium, Schulhof
- Überall Sitzgelegenheiten
- Basketballkörbe
5. Fazit
Aus den differenzierten Berichten der Jugendlichen ergeben sich einige Orte, die von mehreren Befragten als negativ besetzt bzw. als stress- und angstbesetzt und somit als dringend veränderungsbedürftig erachtet werden. Hierzu zählen insbesondere:
- das Schulzentrum („Der Hiltruper Bremer Platz“)
- die Region um den Rewe-Markt („Da chillen die Säufer“)
- der Bahnhof („Man sieht da Spritzen rumliegen“).
Deutlich wird im Weiteren, dass eine Vielzahl attraktiver kleinerer Plätze und Orte in Hiltrup existieren, die von Jugendlichen gerne in Anspruch genommen werden. Problematisch ist jedoch durchgängig, dass diese Plätze vielfach nah an Wohnhäusern liegen und sehr verregelt sind. Die Nutzung dieser Orte ist in den Abendstunden häufig konfliktbesetzt (Auseinandersetzungen mit Anwohnern und Polizei). Als dominierendes Thema der Auseinandersetzungen mit der Polizei wird von den Jugendlichen das „Verscheuchen“ von öffentlichen Plätzen benannt (Die Polizei sagt immer: „Was macht ihr hier, was macht ihr da?“). In der Konsequenz fordern viele Jugendliche einen Raum für sich, der wenig reglementiert ist, wo sie unter sich sein können, der Rückzug bietet, der am Wochenende nutzbar ist, an dem geraucht und Alkohol konsumiert werden darf, der eine Atmosphäre zum „Chillen“ bietet und nur von ihnen besetzt wird.
Die Jugendlichen bringen zudem weitere Änderungswünsche für eine attraktivere Stadtteilgestaltung ein:
- Skaterplatz überdachen
- öffentliche Orte für Jugendliche mit Dächern und Sitzgelegenheiten ausstatten
- Container zum Aufhalten mit Strom für Musik
- in Wohngebieten Fussball- und Basketballfelder
- mehr Sauberkeit und Dekoration am Schulzentrum
- ein Jugendzentrum, das auch abends geöffnet hat
- einen Flyer, der öffentliche Orte für Jugendliche ausweist
Einige Jugendliche waren nur begrenzt bereit, Ideen zur Verbesserung öffentlicher Räume zu entwickeln. Folgende Äußerung zeigt, dass die eigene Stimme nicht als bedeutungsvoll eingeschätzt wird:
„Hab mir einmal was gewünscht. Warum soll ich das jetzt sagen? Das bringt doch eh nichts.“
Eine andere Jugendliche berichtet stolz, dass sie sich gerne für den Stadtteil engagiert. Positiv erlebt sie in diesem Zusammenhang die Arbeit im Jugendforum:
„Ich bin auch im Jugendforum. Es gibt 13 Teilnehmer und man kann bis man 18 Jahre alt ist dabei sein. Ich wurde von über 600 Leuten gewählt.“
Die Ergebnisse der Analysen zeigen, dass Jugendliche öffentliche Räume sehr differenziert wahrnehmen, unterschiedlich nutzen und somit auch unterschiedlich bewerten. Die vielfältigen und beteiligungsorientierten Methoden sozialräumlicher Analysen haben die Jugendlichen durchgängig sehr motiviert, Ideen und Veränderungsvorschläge für ihren Stadtteil zu entwickeln. Die hier dargestellten Ergebnisse sind eine gute Grundlage, um mit den Jugendlichen der aufsuchenden Jugendarbeit aber auch mit dem Klientel der Jugendzentren im Sinne sozialräumlicher Konzeptentwicklung (vgl. Deinet 2005) an der Weiterentwicklung des Stadtteils in Form gemeinsam entwickelter Projekte zu arbeiten.
Literatur
- Deinet, Ulrich et. al.: Methodenbuch Sozialraum. VS Verlag, Wiesbaden 2009
- Deinet, Ulrich: Sozialräumliche Jugendarbeit. VS Verlag, Wiesbaden 2005
Zitiervorschlag
Hiltruper Jugendliche analysieren ihre Sozialräume. In: sozialraum.de (1) Ausgabe 2/2009. URL: https://www.sozialraum.de/hiltruper-jugendliche-analysieren-ihre-sozialraeume.php, Datum des Zugriffs: 21.11.2024