Jugendliche in Wien Döbling – Eine Sozialraumanalyse des TEAM FOCUS über den 19. Wiener Gemeindebezirk
Sonja Gabler, Marianne Kolar-Paceski, Alexandra Rajchl, Holger Piringer
1. Die Institution TEAM FOCUS
TEAM FOCUS wurde 1993 als Einrichtung der Stadt Wien gegründet, um den Verantwortlichen von Politik und Verwaltung differenzierte Informationen von als problematisch geltenden Plätzen oder Regionen zu liefern. Qualitäten und Defizite von öffentlichen Räumen und sozialen Lebenswelten sollten – anfangs aus sozialarbeiterischer bzw. sozialpädagogischer, mittlerweile verstärkt aus qualitativ-sozialwissenschaftlicher Perspektive – erforscht werden. TEAM FOCUS kann von Bezirksvorstehungen, StadträtInnen und Einrichtungen der Stadt Wien beauftragt werden.
1.1 Zielgruppen – wer steht im Zentrum der Forschung?
Ausgehend von der Entstehungsgeschichte setzt sich die primäre Zielgruppe aus Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen zusammen. Für diese Altersgruppe hat der öffentliche Raum als Sozialraum eine besonders zentrale Bedeutung, jedoch fehlt den Heranwachsenden oft die Möglichkeit, ihre Bedarfslagen so zu artikulieren, dass sie von den Verantwortlichen wahrgenommen und in der Planung entsprechend berücksichtigt werden. Immer wieder beschäftigt sich TEAM FOCUS auch mit anderen Personengruppen, dabei handelt es sich häufig um:
- sozial und/oder ökonomisch benachteiligte Gruppen (z. B. wohnungslose Menschen)
- sowie Personen, die aufgrund ihrer Lebensumstände oder ihres Lebensstils den öffentlichen Raum für längere Aufenthalte nutzen (z.B. DrogenkonsumentInnen, „Punks“, etc.)
Auch wenn meist einzelne Gruppen im Mittelpunkt des Interesses stehen, richtet TEAM FOCUS den Blick auf alle AkteurInnen im Erhebungsgebiet, wie z.B. PassantInnen, AnrainerInnen oder Geschäftsleute.
1.2 Ziele – was soll bewirkt werden?
Die Ergebnisse der Analysen werden in Berichten praxisnah und verständlich dargestellt. Sie dienen VertreterInnen aus Politik und Verwaltung als Grundlage bei Entscheidungen und der Umsetzung von Maßnahmen, vor allem im jugend- und sozialpolitischen Bereich.[1]
Im Sinne einer sozialräumlichen Orientierung[2] sollen die Analysen dazu beitragen,
- Handlungsspielräume von Kindern, Jugendlichen und benachteiligten Personen zu erweitern
- das Zusammenleben aller Menschen im Gemeinwesen zu verbessern
- ein Verständnis für unterschiedliche Interessen zu schaffen
- die Zusammenarbeit und den Informationsaustausch zwischen Institutionen zu unterstützen
- Ausgrenzung und sozialer Bedürftigkeit vorzubeugen und
- bestehende Ressourcen aufzuzeigen.
2. Anlass für die Sozialraumanalayse Wien-Döbling
Die Kommission für Jugend und Bildung der Bezirksvertretung Döbling äußerte in ihrem Antrag an TEAM FOCUS den Wunsch nach einer Darstellung vorhandener Freizeitressourcen für Jugendliche sowie einer Analyse des zukünftigen Bedarfs als Grundlage für bezirksbudgetäre Planungen und Maßnahmen im Jugendbereich.
Grafik 1: Die Bezirksteile Döblings
vgl.: http://de.wikipedia.org/wiki/D%C3%B6bling
Mit einer Wohnbevölkerung von 69.324 EinwohnerInnen liegt Döbling im Mittelfeld der Wiener Bezirke. Das Durchschnittsalter beträgt 43,9 Jahre, der AusländerInnenanteil 18,0 % (Wien: 40,6 Jahre, 22,3 %). Der Anteil der 10 bis 18-Jährigen an der Bezirksbevölkerung liegt bei 8,86 % (Wien: 9,65 %).[3]
3. Zentrale Fragestellungen
Bei einem gemeinsamen Treffen erarbeitete TEAM FOCUS mit den BezirksrätInnen folgende Fragestellungen:
- Welche Freizeitressourcen werden in Döbling von Mädchen und Burschen[4] im Alter von ca. 10 bis 18 Jahren genutzt?
- Welches Potential an Freizeitressourcen gibt es darüber hinaus im Bezirk?
Unter Freizeitressourcen werden dabei Frei- und Grünflächen, Angebote der offenen und verbandlichen Jugendarbeit sowie eventuelle weitere jugendrelevante Angebote verstanden.
- Welche sozialen Problemlagen, die Jugendliche betreffen, werden im Erhebungsverlauf sichtbar?
- Welche Bedarfslagen im Freizeitbereich ergeben sich – insbesondere für benachteiligte Jugendliche?
Um diese Fragestellungen zu beantworten, wurde ein Erhebungszeitraum von März bis Juli 2013 vereinbart. Resultierend aus den Analyseergebnissen sollten Empfehlungen und Handlungsoptionen für den Bezirk formuliert werden.
4. Methodische Arbeitsschritte
Die explorative Erhebungsphase zu Beginn bestand aus:
- einer Recherche über Freizeitangebote für Jugendliche
- einer Erfassung soziodemografischer Daten und Bevölkerungsentwicklungen
- einer Sekundäranalyse bestehender Wissensbestände
- offener und strukturierter Stadtteilbegehungen
- sowie aus explorativen Interviews mit ausgewählten ExpertInnen aus dem Bezirk
Danach erfolgte die Haupterhebungsphase, die sich methodisch in leitfadenorientierte Interviews mit Jugendlichen, ExpertInneninterviews und Beobachtungen unterteilte.
4.1 Interviews mit Jugendlichen
Die Kontaktaufnahme von NutzerInnen, die sich im öffentlichen Raum aufhalten, erfordert im Allgemeinen eine hohe Sensibilität der ForscherInnen, um Vertrauen herzustellen und wertschätzend und reflektiert mit den Informationen der Personen umzugehen. Erfahrungen aus der praktischen Sozial- und Jugendarbeit haben sich dabei als wertvolle Ressource herausgestellt. Ergänzend werden häufig auch einzelne Interviews in einem geschützten Rahmen einer Institution, z.B. in einer Jugendeinrichtung, geführt, um die bisher gewonnenen Informationen zu vertiefen.
Zur Einschätzung der Situation in Döbling befragte TEAM FOCUS im Rahmen von leitfadenorientierten Einzel- und Gruppengespräche 55 Burschen und 28 Mädchen. Die meisten Interviews wurden mit Jugendlichen geführt, die sich im öffentlichen Raum aufhielten. Dazu suchte sie TEAM FOCUS an ihren bevorzugten Aufenthaltsorten in Parkanlagen, auf öffentlichen Plätzen und in Höfen von Wohnhausanlagen der Stadt Wien (Gemeindebauten) auf. Zusätzlich gab es Gespräche mit BesucherInnen von Einrichtungen der offenen Kinder- und Jugendarbeit, mit SchülerInnen, SchulsprecherInnen und Mitgliedern der Pfarrjugend.
4.2 Interviews mit ExpertInnen
ExpertInnen sind Personen, die im untersuchten Erhebungsgebiet in unterschiedlichen Funktionen tätig sind, aber auch solche, die zu speziellen Fragen des Untersuchungsgegenstandes überregional über ein besonderes Wissen verfügen. Im Sinne der Sozialraumorientierung geht es hier auch darum, zu erfassen, welche Ressourcen und Handlungsmöglichkeiten die einzelnen Institutionen zur Verfügung haben und welche Kooperationen bestehen bzw. realisierbar wären.
In Döbling wurden 60 leitfadenorientierte Interviews mit ExpertInnen aus folgenden Bereichen durchgeführt: Bezirksvertretung, Bezirksverwaltung, Stadtverwaltung, Offene Jugendarbeit, verbandliche Jugendarbeit, Gemeinwesenarbeit, allgemein bildende Pflicht- und höhere Schulen, Pfarren, Sportvereine, Exekutive, Pfadfinder, MieterInnenvertretung, Schulsozialarbeit, Elternvereine, Volkshochschulen, Jugendcoaching, Vernetzungsinitiativen, Einkaufszentren und Gastronomie.
4.3 Beobachtungen
Zu Beginn der Erhebung werden durch explorative Stadtteilbegehungen und Beobachtungen Eindrücke über die Region, die dort handelnden Personen und ihre Interaktionen gesammelt. Daran anschließende strukturierte Beobachtungen ermöglichen eine Darstellung der Nutzung wichtiger Treffpunkte im öffentlichen Raum und die Erfassung ihrer Bedeutungen in der Lebenswelt der sich dort aufhaltenden Kinder und Jugendlichen.
Im Döblinger Bezirksgebiet befinden sich zahlreiche großzügige Parkanlagen. TEAM FOCUS führte in den größten und für Jugendliche relevantesten Parks strukturierte Beobachtungen an Wochentagen und –enden zu unterschiedlichen Tages- und Nachtzeiten durch.
4.4 Auswertung des Datenmaterials und Analyse
Während der Erhebungsphasen war die Reflexion des Forschungsprozesses im Team ein wesentliches qualitätssicherndes Element. Das vorhandene Gesprächsmaterial und die Beobachtungsprotokolle wurden inhalts- und themenanalytisch ausgewertet. Die Bewältigung des umfangreichen Datenmaterials erfolgte unter Zuhilfenahme von QDA-Software[5].
Bei der Erarbeitung von Empfehlungen bezüglich der Gestaltung von sozialen und unterstützenden Maßnahmen stellten die Prinzipien der Sozialraumorientierung (vgl. Hinte 2012) ein wichtiges Kriterium dar.
4.5 Veröffentlichung und Präsentation
Der fertige Erhebungsbericht erging an den Bezirk sowie an alle GesprächspartnerInnen und relevante Geschäftsgruppen der Stadt Wien.
Die MitarbeiterInnen von TEAM FOCUS standen nach Abschluss der Erhebung weiterhin zur Verfügung, um die Ergebnisse zu präsentieren und diese mit den AuftraggeberInnen bzw. den jeweiligen regionalen Vernetzungsgremien und interessierten Institutionen zu diskutieren.
Die konkrete Umsetzung der Vorschläge obliegt nun den Verantwortlichen aus Politik und Verwaltung.
5. Zentrale Ergebnisse der Sozialraumanalyse
Die folgend dargestellten Ergebnisse konnten durch die Sozialraumanalyse ermittelt werden.
5.1 Viele öffentliche Grünflächen erzeugen eine hohe Lebensqualität
Döbling ist, verglichen mit den Innenbezirken, weniger dicht besiedelt und weist zahlreiche Grünflächen auf. Die Peripherie ist durch den Wienerwald und durch Weingärten geprägt. Teilweise sind die historischen, ländlich wirkenden Ortskerne der ehemaligen Wiener Vororte noch zu erkennen. All dies macht Döbling zu einem Bezirk mit hoher Lebensqualität. Diese Qualitäten werden auch in der Gesamteinschätzung des Bezirks durch Jugendliche genannt: Döbling gilt als „schön“, vielfach betonen Jugendliche gerne hier zu leben. Sie vermissen aber auch Angebote und Möglichkeiten für ihre Freizeitgestaltung. Um Gastronomie, jugendadäquate Einkaufmöglichkeiten oder Aufenthaltsräume in Anspruch zu nehmen, weichen ältere und mobile Jugendliche häufig in die Innenstadt oder in Nachbarbezirke aus.
5.2 Ein Nebeneinander sozioökonomisch unterschiedlich ausgestatteter Bevölkerungsgruppen ohne Gemeinsamkeiten oder Berührungspunkte
Sozioökonomische Indikatoren bescheinigen der Döblinger Bevölkerung höhere Bildung, höheres Einkommen und eine bessere Beschäftigungssituation. Die Zusammensetzung der Bevölkerung ist jedoch durchaus heterogen, Döbling besitzt neben Einfamilienhäusern und Villen auch eine hohe Zahl an kommunalen Wohnhausanlagen[6].
Der unterschiedliche soziale Hintergrund der Döblinger Jugendlichen zeigt sich in der Erhebung jedoch nicht durch Konflikte und Spannungen zwischen verschiedenen Gruppen, vielmehr entstand der Eindruck eines Nebeneinanders ohne viele Berührungspunkte und Kontakte.
Jugendliche – vor allem BesucherInnen höherer Schulen – berichteten häufig von vorstrukturierten Tagesabläufen durch schulische Verpflichtungen wie Nachmittagsunterricht, Lernen, unverbindliche Übungen und durch die Zugehörigkeit zu Vereinen, zur Pfarrjugend oder zu den PfadfinderInnen.
Der typische Tagesablauf anderer Jugendlicher – vor allem BesucherInnen von Pflichtschulen und Arbeitssuchender – verläuft unstrukturierter. In der schulfreien Zeit halten sie sich häufig mit Freunden im (halb-)öffentlichen Raum auf, sie sind eher die Zielgruppe der Offenen Jugendarbeit.
5.3 Der öffentliche Raum – ein zentraler Aufenthaltsort für benachteiligte Jugendliche
Ähnlich wie in anderen Bezirken Wiens konnte TEAM FOCUS in Döbling feststellen, dass sich vor allem jene Kinder und Jugendliche regelmäßig im öffentlichen Raum aufhalten, die in beengten Wohnverhältnissen leben oder denen die finanziellen bzw. persönlichen Ressourcen für eine kommerzielle oder strukturierte Freizeitgestaltung fehlen. Viele dieser Jugendlichen besuchen Mittelschulen, gehen einer Lehre nach oder sind auf Arbeitssuche. Für diese Gruppe haben Parks, Plätze, Höfe und Einkaufszentren in ihrer Freizeit eine zentrale Bedeutung.
SchülerInnen der allgemein bildenden höheren Schulen verbringen meist viel Zeit in der Schule oder lernen zu Hause. Der öffentliche Raum wird von ihnen zum Teil in Mittagspausen oder um einer bestimmten Tätigkeit nachzugehen, aufgesucht. Dabei nehmen sie auch längere Anfahrtswege in Kauf, etwa um in einem gut ausgestatteten Käfig Fußballspielen zu können. Einige befragte Mädchen gaben an, Parks nur als Kinder genutzt zu haben.
Während mobile Jugendliche einen weiten Aktionsradius besitzen, sind Kinder und teilweise auch ältere Mädchen auf Grund elterlicher Vorgaben stark auf ihre Wohnumgebung angewiesen. ExpertInnen der Jugendarbeit beobachten, dass es auch Gruppen älterer Jugendlicher gibt, die weniger mobil sind und sich mit einem bestimmten Ort stark verbunden fühlen.
JugendbetreuerInnen machen die Erfahrung, dass trotz der intensiveren Beschäftigung Jugendlicher mit elektronischen Medien ihr Bedürfnis, sich im öffentlichen Raum aufzuhalten, gleich geblieben ist. Jugendliche organisieren sich und kommunizieren über das Internet, treffen sich jedoch weiterhin in Parks und auf Plätzen.
5.4 Höfe in den Wohnhausanlagen der Stadt Wien – zentrale Aufenthaltsorte für dort wohnende Kinder
Kinder, jüngere Jugendliche und vor allem Mädchen, deren Aktionsradius durch elterliche Vorgaben eingeschränkt ist, verbringen viel Freizeit in den Höfen der Gemeindebauanlagen. Die Freiflächen sind teilweise großzügig gehalten, in kleineren Anlagen besitzen Kinder nur wenig Bewegungsspielraum. Teilweise leiden sie unter Einschränkungen durch BewohnerInnen, die sich gestört fühlen. Häufig sind dies jedoch nur wenige, dafür massiv auftretende BeschwerdeführerInnen. ExpertInnen berichten, dass in einigen Bauten ältere, langjährige BewohnerInnen, jungen, zugezogenen Familien mit Migrationshintergrund gegenüberstehen. Durch diesen Generationenwechsel trifft das Ruhebedürfnis älterer Personen auf das Bedürfnis von Heranwachsenden, sich zu bewegen und zu spielen. Die Rechte der Kinder wären theoretisch durch die Hausordnung von Wiener Wohnen abgesichert, die besagt, dass Kinderlärm nicht mit Lärm gleichzusetzen ist. In der Praxis setzen jedoch meist ältere Personen und MietervertreterInnen ihre Interessen durch.
Auch von Seiten der Hausverwaltung sind die Kinder mit Einschränkungen konfrontiert. So waren im Erhebungszeitraum Grünflächen von zwei Höfen mit Holzzäunen abgesperrt und durften nicht bespielt werden, um das wachsende Gras zu schützen.
Die Wohnpartner leisten im Auftrag der Stadt Wien Gemeinwesen- und Konfliktarbeit in den Gemeindebauten. Ihr Zugang ist allparteilich, die Anliegen von Kindern und Jugendlichen berücksichtigen sie in Aktivierungs- und Konfliktlösungsprozessen, sehen sich aber nicht als geeignetes „Sprachrohr“ für deren Rechte und Ansprüche wie z. B. die Jugendarbeit.
5.5 Soziale und freizeitpädagogische Angebote für Jugendliche
In Döbling bieten zwei Einrichtungen Offene Jugendarbeit an. 19 KMH – eine Einrichtung des Vereins Wiener Jugendzentren – legt den Fokus auf mobile, aufsuchende Jugendarbeit, die Zielgruppe bilden Jugendliche im Alter von ca. 12 bis 22 Jahren. Die Tätigkeit der Einrichtung ist sozialarbeiterisch und sozialraumorientiert ausgerichtet und konzentriert sich auf den Raum Heiligenstadt. Der Familienbund bietet in einem Park und zwei Höfen stundenweise Parkbetreuung an. Zu festgelegten Zeiten werden freizeitpädagogische Angebote für Kinder und Jugendliche gesetzt, die von einer relativ konstanten Gruppe angenommen werden.
Resultierend aus den fachlichen Ausrichtungen besteht daher im Raum Heiligenstadt ein geringeres Angebot an freizeitpädagogischer Animation, in den oberen Bezirksteilen ein geringeres Angebot an sozialraumorientierter Jugendarbeit.
Eine bedeutende Freizeitressource für Jugendliche ist der Vereinssport. In Döbling sind drei größere Fußballvereine angesiedelt, die alle auch Nachwuchsteams betreuen. Der Vereinsfußball ist ab einem bestimmten Alter (ca. 12 Jahre) leistungsorientiert. Regelmäßiges Training und die Teilnahme an Wochenendspielen werden vorausgesetzt. Demgegenüber steht der Wunsch vieler Jugendlicher nach zeitlich flexiblen Sport- und Bewegungsangeboten, Mädchen äußern z.B. häufig den Wunsch nach Tanzmöglichkeiten oder Cheerleading, Burschen interessieren sich oft neben Fußball für Kampfsport. Der Zugang zu Vereinen und die damit verbundene Verbindlichkeit sind Jugendlichen teilweise zu hochschwellig. Werden Sportarten in Zusammenarbeit mit der Offenen Jugendarbeit z.B. von TrainerInnen vorgestellt, so ist das Interesse hoch und der Zugang leichter möglich.
Döbling bietet Jugendlichen umfangreiche Aufenthaltsmöglichkeiten im öffentlichen Raum, besitzt jedoch relativ wenige Indoor-Angebote. Jugendliche Mitglieder von Vereinen, Pfadfindern oder der Pfarrjugend haben oftmals dort die Möglichkeit Räume zu nutzen. Im Rahmen der Offenen Jugendarbeit sind im Bezirk nur zwei eher kleine Räume vorhanden, die eingeschränkt geöffnet sind. In Interviews äußern Jugendliche (vermehrt Mädchen) vielfach den Wunsch nach einem Raum, in dem sie sich „einfach treffen können“, um sich zu „unterhalten“ und zu „chillen“.
Auch im Sport- und Bewegungsbereich gibt es einen Bedarf nach Räumlichkeiten. Möchten JugendarbeiterInnen Sport-, Bewegungs- oder Tanzprojekte mit Jugendlichen durchführen, ist es äußerst schwierig, Turnsäle oder Räumlichkeiten zu finden. Die Turnsäle der Schulen sind ganzjährig nahezu lückenlos an Vereine vermietet.
5.6 Mobilität
Die Möglichkeiten zur Mobilität bewerten Kinder und Jugendliche in Döbling differenziert: Sie schätzen die öffentlichen Verkehrsverbindungen in Richtung Stadtzentrum durchaus positiv ein, schwieriger ist es jedoch, sich im Nahbereich fortzubewegen. Das starke Verkehrsaufkommen schränkt ihren Bewegungsspielraum ein, insbesondere das Fahren mit dem Fahrrad – für Jugendliche ein relevantes Verkehrsmittel – vermeiden viele aus Furcht. Radwege, die ein sicheres Fortbewegen ermöglichen, sind nur eingeschränkt und lückenhaft vorhanden.
5.7 Partizipation
In der Wahrnehmung der Jugendlichen, aber auch vieler ExpertInnen, sind die Anliegen undBedürfnisse Jugendlicher in Döbling unterrepräsentiert. Jugendliche – unabhängig von ihrem sozialen Hintergrund – äußerten sich in Gesprächen vielfach interessiert und bereit, ihre Lebensumwelt mitzugestalten, kannten jedoch keinen Weg dazu. „Wir sind nur Jugendliche, auf uns hört sowieso niemand“ charakterisiert ein Gefühl der Ohnmacht. Insbesondere in die baulich-räumliche Gestaltung von Parkanlagen – für viele Jugendliche zentrale Aufenthaltsorte – könnten sie vermehrt eingebunden werden.
6. Empfehlungen an den Bezirk
Aus der Sozialraumanalyse heraus gingen die folgend dargestellten Empfehlungen an den Bezirk.
6.1 Attraktivität der Parkanlagen durch jugendgerechte Gestaltung erhöhen
Jugendliche zeigten sich in den Gesprächen mit der Anzahl und dem Umfang der Parkanlagen zufrieden, wünschten sich jedoch eine attraktivere Gestaltung, vor allem der Ballspielkäfige. Dies würde vor allem jenen Jugendlichen zugutekommen, die sich viel im öffentlichen Raum aufhalten und seltener im Vereinssport tätig sind. Verbesserungen sollten unter Einbeziehung der lokalen Jugendlichen vorgenommen werden, diese kennen die Schwächen der Käfige sehr genau.
Ein weiterer, häufig genannter Wunsch war jener nach einer Skateanlage im Bezirk für Scooter-, Skateboard- und BMX-FahrerInnen. Eine solche Anlage sollte ebenfalls unter Einbeziehung der Jugendlichen außerhalb der Wohngebiete errichtet werden.
6.2 Schaffung einer Anlaufstelle für die Anliegen von Kindern in Gemeindebauten
Kindern fällt es – in den Wohnhausanlagen ohne Kinder- und Jugendbetreuung – oft schwer, ihre Rechte durchzusetzen bzw. überhaupt erst auf ihre Bedürfnisse aufmerksam zu machen. Eine kinder- und jugendadäquate Schnittstelle zu Wiener Wohnen, der Hausverwaltung der Gemeindebauten, würde Heranwachsende unterstützen, ihre Anliegen zu artikulieren und transparent zu machen.[7]
6.3 Öffnung des Vereinssports
Eine regelmäßige Vernetzung zwischen VertreterInnen von Sportvereinen, Jugendlichen und JugendarbeiterInnen könnte helfen, Zugangsschwellen zu Vereinen herabzusetzen sowie für Jugendliche attraktive Angebote und Rahmenbedingungen zu schaffen.
6.4 Schaffung von Indoor-Angeboten
Partyräume, Band-Proberäume, Räume für Veranstaltungen, Tanz, Sport und für einen Aufenthalt wurden von Jugendlichen, insbesondere von Mädchen, nachgefragt. Mit Unterstützung der Bezirksvertretung könnte ein Pool an Räumlichkeiten für unterschiedliche Nutzungen geschaffen werden, der einen einfachen Zugang ermöglicht. Hier bieten sich geförderte Konditionen für die Miete kommerzieller Räume durch Jugendliche an, auch die Zwischennutzung leer stehender Objekte birgt ein Potential. Bestehende Institutionen wie Volkshochschulen oder manche Pfarren sind bereit, ihre Räume unter bestimmten Voraussetzungen für Jugendliche zu öffnen.
6.5 Jugendadäquatere Mobilitätsmöglichkeiten
Das starke Individualverkehrsaufkommen in Döbling schränkt besonders die Mobilität von Kindern und jüngeren Jugendlichen ein. Besser ausgebaute und sichere Radwege und -routen würden den Aktionsradius von Kindern und Jugendlichen vergrößern und ihnen ermöglichen, auch Freizeitangebote in ihrer erweiterten Wohnumgebung aufzusuchen.
6.6 Die Anliegen Jugendlicher im Bezirk präsenter machen
Döblings Jugendliche hatten zahlreiche Ideen und Vorstellungen, ihr Lebensumfeld zu gestalten. Daher sollte eine bezirksweite, repräsentative Einbeziehung ihrer Anliegen zur Mitgestaltung in der Bezirkspolitik eingerichtet werden. Eine vermehrte Teilhabe von Jugendlichen würde die Präsenz ihrer Anliegen erhöhen, ihnen politische und administrative Abläufe näherbringen und einer Skepsis gegenüber politischen Institutionen entgegenwirken.
Solche Beteiligungsverfahren erfordern eine Auseinandersetzung mit Politik, Kompetenzen, Strukturen und Finanzen des Bezirks, ohne diese bergen sie das Risiko kaum umsetzbarer Vorschläge. Um eine zufriedenstellende Umsetzung zu gewährleisten, sollten aus den bisherigen Erfahrungen mit Partizipationsverfahren Best-Practice-Elemente übernommen werden:
- Es ist sinnvoll, ein eigenes Projektteam zu beauftragen, das sich Wissen und Engagement der lokalen Jugendarbeit zu nutzen macht. Mitglieder könnten VertreterInnen der Offenen Jugendarbeit des Bezirks sowie die Bezirksrätin für Jugendfragen sein.
- Eine Kooperation mit Schulen ermöglicht, an Partizipation interessierte SchülerInnen zu finden und zu informieren. Darüber hinaus ist es ebenso wichtig, Jugendliche auch außerhalb der Schulen z. B. in Parkanlagen zu erreichen.
- Die Jugendlichen sollten an den Treffen freiwillig teilnehmen. Die Schule kann dazu dienen, interessierte Jugendliche zu finden, weitere Runden sollten jedoch außerhalb einer verpflichtenden Unterrichtssituation stattfinden.
- Als Thema zur Einführung bezirksweiter Partizipationsverfahren hat sich die Gestaltung von Parkanlagen als konkreter, nachvollziehbarer Gegenstand bewährt.
- Die Realisierungsmöglichkeiten von Ideen und Wünschen sollten frühzeitig überprüft werden, um später Frustrationen zu vermeiden. Fachleute aus den entsprechenden Bereichen können dazu beitragen. Zum Beispiel besitzen MitarbeiterInnen des Stadtgartenamtes ein umfangreiches Wissen über Errichtungs- und Wartungskosten von Parkgestaltungen.
- Ein eigenes Budget ermöglicht (und zwingt) Vorschläge zu selektieren, Prioritäten zu setzen und die Umsetzungschancen zu berücksichtigen. Fehlplanungen können vermieden und Finanzmittel des Bezirks bedarfsgerecht eingesetzt werden.[8]
- Jugendliche müssen Rückmeldungen über ihre eingebrachten Vorschläge erhalten.
- Die Identifikation mit den vorgeschlagen Umgestaltungen wird durch eine Teilnahme an deren Umsetzung erhöht.
6.7 Erstellung eines Jugendplans
Eine Sammlung der Freizeitressourcen Döblings für Jugendliche soll einen Überblick geben und auch die Sensibilität für die Anliegen Jugendlicher erhöhen. Diese könnte in Form eines Jugendplans und/oder als mobile Applikation für Smartphones zugänglich gemacht werden.
7. Reflexion der Ergebnisse
Wie schon eingangs erwähnt, ist das Ziel der Berichte, möglichst praxisnah und auch für AkteurInnen, die nicht im wissenschaftlichen oder sozialarbeiterischen Kontext tätig sind, verständliche, konkrete Ergebnisse und Handlungsoptionen für das jeweilige Erhebungsgebiet darzustellen.
Trotzdem zeigen sich in Bezirken immer wieder interessante Aspekte bzw. Problemlagen, die auf die ganze Stadt zutreffen, also nicht nur auf das gerade erforschte Erhebungsgebiet. Folgenden Themen begegnete Team Focus in den letzten 20 Jahren immer wieder in unterschiedlichen Ausprägungen. Zu nennen wären hier beispielhaft:
- Die Nutzung des öffentlichen Raums, insbesondere der Parkanlagen und Ballspielkäfige, verläuft zeitweise konfliktreich. Hier zeigt die Erfahrung, dass sich zielgruppen- und gemeinwesenorientierte soziale Maßnahmen besser bewährt haben als sicherheits- und ordnungspolitische Trends.
- Die Räumlichkeiten für Jugendliche(Jugendcafés, Treffpunkte, Proberäume, …), aber auch für die Durchführung gemeinwesenorientierter Aktivitäten wie z.B. Nachbarschaftszentren, fehlen häufig. Hier wurden vor allem mit Konzepten der Mehrfachnutzung gute Erfahrungen gemacht. [9]
- In manchen Bezirken mangelt es nach wie vor an Partizipationsmöglichkeiten von Kindern und Jugendlichen bei der Gestaltung ihrer Aufenthaltsorte wie z. B. Parkanlagen im öffentlichen Raum.[10]
- In den Wohnhausanlagen der Stadt Wien fehlt häufig eine „Lobby“ für Kinder und Jugendliche und ihre Vertretung im Mieterbeirat.
- Die Formen der Mobilität von Jugendlichen in ihrer Freizeit unterscheiden sich nach ihren sozialen Ressourcen. Zum Beispiel beschränkt sich der Sozialraum benachteiligter Jugendlicher oft auf wenige Punkte wie den öffentlichen Raum in ihrer Wohnumgebung und einzelne Einkaufszentren.
- Defizite lassen sich auch beim bereichs- und zielgruppenübergreifenden Arbeiten von Institutionen erkennen: Viele MitarbeiterInnen an der Basis sind zwar hoch motiviert, sich auszutauschen und zusammenzuarbeiten, jedoch die hierarchisch und fachspezifisch ausgelegten Organisationsstrukturen der Institutionen erschweren dies.
In diesem Sinne gilt es auch weiterhin in den Erhebungen aufzuzeigen, was in Regionen gut und was weniger gut funktioniert, um letztendlich einen positiven Beitrag zur sozialräumlichen Entwicklung der Bezirke zu leisten.
Der komplette Bericht der Sozialraumanalyse „Jugendliche in Döbling“ ist unter dem Link http://www.fsw.at/downloads/berichte.html nachzulesen.
Literatur
Hinte, Wolfgang (2008): Sozialraumorientierung. Prinzipien, Strukturen und Finanzierungsformen. In: SIO Sozialarbeit in Österreich 1/2008. 8-13
Hinte, Wolfgang (2012): Das Fachkonzept „Sozialraumorientierung“ Grundlagen und Herausforderungen für professionelles Handeln. In: SIO Sozialarbeit in Österreich Sondernummer 1/12 2012, 4-9.
Kessl, Fabian/ Reutlinger, Christian/ Maurer, Susanne/ Frey Oliver (Hrsg.) (2005): Handbuch Sozialraum. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften
Fussnoten
[1] Die Berichte von TEAM FOCUS werden veröffentlicht. Sie sind im Internet zu finden auf: www.fsw.at/teamfocus
[2] Der zentrale Fokus liegt auf den konkreten Sozialräumen, in denen Menschen leben und handeln. Der Begriff des Sozialraums verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass es sich nicht alleine um sozialgeografische begrenzte Räume handelt, sondern um Lebensräume und sozialkonstruierte Räume mit ihren jeweiligen Bedeutungs- und Sinnstrukturen (vgl. Kessl et al. 2005).
[4] Die Formulierung „Mädchen und Burschen“ verweist auf die Einbeziehung einer genderspezifischen Perspektive.
[5] Zur Unterstützung der Qualitativen Datenanalyse (engl. „Qualitative Data Analysis“, QDA) wird eine Computersoftware eingesetzt. Diese hilft, Texte zu strukturieren, zu systematisieren und letztendlich auszuwerten.
[6] Insgesamt befinden sich 29 kommunale Wohnhausanlagen im 19. Bezirk. Darunter sind auch sehr große Anlagen wie der Karl-Marx-Hof (1.272 Wohnungen), Kopenhagen-Hof (432), Franz-Weber-Hof (430), Anton Proksch-Hof (398) oder der Helmut-Qualtinger-Hof (368).
[7] Für solche Zwecke sieht Wiener Wohnen eine Interessensvertretung für Kinder und Jugendliche innerhalb des Mieterbeirats vor. In der Praxis besteht diese jedoch nur selten.
[8] vgl. www.wordup23.at
[10] In Wien gibt es derzeit in 19 der 23 Gemeindebezirke Kinder- und/oder Jugendparlamente. Zwei weitere Bezirke haben eine alternative Form der Jugendbeteiligung im Bezirk gewählt (Parkforen im 10. Bezirk, Projekte im 17. Bezirk). vgl. www.mitbestimmung.at
Zitiervorschlag
Gabler, Sonja, Marianne Kolar-Paceski, Alexandra Rajchl und Holger Piringer (2014): Jugendliche in Wien Döbling – Eine Sozialraumanalyse des TEAM FOCUS über den 19. Wiener Gemeindebezirk. In: sozialraum.de (6) Ausgabe 1/2014. URL: https://www.sozialraum.de/jugendliche-in-wien-doebling.php, Datum des Zugriffs: 21.11.2024