Gemeinwesenarbeit im deutschsprachigen Raum

Ein Forschungsbericht zu Finanzierungsformen, Trägerschaft und Vorkommen von GWA mit einer Sammlung von offenen Fragen und Kartierung im Atlas der Gemeinwesenarbeit

Maren Schreier, Edi Martin, Oliver Fehren

1. Einleitung

Diesem Beitrag liegen Erfahrungen und Erkenntnisse eines mehrjährigen trinationalen Forschungsprojektes zu Rahmenbedingungen und Verankerungsdimensionen von Gemeinwesenarbeit (GWA) in Deutschland, Österreich und der deutschsprachigen Schweiz zugrunde. Der Anstoß zu diesem Forschungsprojekt erfolgte durch Selbstbeauftragung im Rahmen der Sektion Gemeinwesenarbeit in der Deutschen Gesellschaft für Soziale Arbeit (DGSA). Dies ermöglichte dem Forschendenteam größtmögliche Unabhängigkeit von externen Mittel- und Auftraggebenden sowie von Forschungsförderprogrammen. Mit dieser Freiheit gingen jedoch andere Begrenzungen und Zwänge einher, unter anderem eine sehr lange Laufzeit des Projektes (2014-2023).

Der Beitrag verfolgt drei Anliegen:

Erstens bietet er eine Zusammenfassung des ausführlichen Forschungsberichts (Fehren/Martin/Schreier 2023) (Kapitel 2 – 4.6): Beschrieben werden Erkenntnisinteresse, methodisches Vorgehen und ausgewählte Ergebnisse der vier Teilprojekte der Studie. Dies erfolgt unter anderem entlang von sechs Verankerungsdimensionen der Gemeinwesenarbeit: Vorkommen, Bezeichnungen, Ausrichtung, Träger, Ressortzuordnungen, Finanzierung. [1]

Zweitens präsentieren wir, zusammenfassend und gebündelt, einige Überlegungen und Folgerungen über die wir im Zuge der Auswertung und Berichtslegung nachgedacht und diskutiert haben (Kapitel 5). Dies auch in der Hoffnung, dass diese Impulse den Fachdiskurs sowie weitere Forschungen zu GWA anregen.

Drittens - und das liegt uns Autor*innen besonders am Herzen - zeigen wir anhand von Fragen vielfältige Anschlussstellen für weiterführende Forschungen auf (ebenfalls Kapitel 5). Wir möchten explizit auch neu in die Forschung einsteigende Kolleg*innen ermutigen, anknüpfend an die vielen im Forschungsbericht aufgeworfenen Fragen (vgl. Fehren/Martin/Schreier 2023: 146ff.) eigene Forschungsvorhaben durchzuführen und so die Gemeinwesenarbeit weiter empirisch zu fundieren.

Aus Platz- und Zeitgründen verzichten wir in diesem Beitrag auf die Offenlegung von Limitierungen und Engführungen, die sich im Projektverlauf zeigten und die wir ausführlich reflektiert, verschriftlicht und veröffentlich haben. Diese resultieren unter anderem aus den Ambivalenzen des Forschens ohne gesicherte Drittmittel und mit geringen Eigenmitteln, d. h. aus dem Forschen unter prekären Bedingungen. Das behandeln wir ausführlich im Forschungsbericht (vgl. Fehren/Martin/Schreier 2023: 23ff.).

Dass wir an dieser Stelle auf etwas verweisen, das im vorliegenden Beitrag nicht weiter thematisiert wird, hängt mit folgenden Überlegungen zusammen: Es scheint uns nicht übertrieben, festzustellen, dass der ausführliche Forschungsbericht (vgl. Fehren/Martin/Schreier 2023) eine Besonderheit aufweist: Er bietet eine hohe Transparenz und Nachvollziehbarkeit hinsichtlich der Benennung von Ambivalenzen, Limitierungen und Engführungen, die den Forschungsprozess mitgeprägt haben. Uns war und ist es ein Anliegen, mit dieser expliziten Offenheit Verhältnisse sichtbar zu machen, die meist – insbesondere in etablierten Formaten der akademisierten Wissenschaft - verdeckt wirken (z.B. als hierarchisierende Verdeckungszusammenhänge (vgl. Tübinger Institut für frauenpolitische Sozialforschung e.V. 1998; vgl. Lorenz/Schreier 2014). Wir möchten die verbreitete Praxis des Verdeckens (z.B. durch Verschweigen von Ambivalenzen, Fehlern, Unsicherheiten) oder des Glättens (z.B. von Forschungsergebnissen oder Darstellungen relevanter Schritte, vgl. ebd.) nicht derart mitmachen.

Wir wollen auf diese Weise (Neu-)Forschende ermutigen, eigene Vorhaben anzugehen, die dazu beitragen, die empirischen Grundlagen von Gemeinwesenarbeit zu erweitern. Insbesondere denken wir hierbei auch an diejenigen, die ihr Forschungsvorhaben zu (hohen) Anteilen durch den Gebrauch der eigenen Kräfte stemmen (müssen), z.B. in Form von Dissertationsprojekten oder selbstbeauftragten Forschungsvorhaben. Mögen unsere Erfahrungen helfen, eigene Forschungsdesigns in kritischer Auseinandersetzung mit den im Bericht offen gelegten Umwegen, Unschärfen, Ambivalenzen, Stolpersteinen und Begrenzungen zu entwickeln. Wir benennen dies an dieser Stelle auch deshalb, weil wir hoffen, dass nicht nur der vorliegende Beitrag, sondern auch der diesem zugrunde liegende ausführliche Forschungsbericht kritisch rezipiert wird

Der diesem Artikel zugrunde liegende Forschungsbericht kann über den Link am Ende dieses Beitrags kostenfrei heruntergeladen werden.

2. Anliegen und Forschungsfragen der Studie

2.1 Auslösende Faktoren und Erkenntnisinteresse

Rückblickend ließen sich drei auslösende Faktoren rekonstruieren, die den Anstoß zum Forschungsprojekt gegeben haben. Sie nahmen ihren Ausgangspunkt in Diskursen und Projekten der DGSA Sektion Gemeinwesenarbeit [2] und wurden im Jahr 2014, im Rahmen des Herbsttreffens der Sektion, diskutiert:

  1. Es sollten Hinweise zum „Standing“ der GWA durch Erkundung ihrer finanziellen Rahmenbedingungen generiert werden. Dem lagen unter anderem folgende Annahmen zugrunde: Zwar stellt GWA ein traditionsreiches Konzept und Handlungsfeld Sozialer Arbeit [3] dar und ist entsprechend im deutschsprachigen Fachdiskurs etabliert (vgl. exemplarisch Stövesand 2019, insbesondere auch die dort aufgeführte Literatur); gleichwohl erleb(t)en wir GWA als vielfach marginalisiert (z.B. ohne politische/rechtliche Verankerung, mit Randständigkeit in den Lehrplänen Sozialer Arbeit, häufig findet GWA-Praxis unter anderen Bezeichnungen und in Handlungsfeldern anderer Professionen statt u.v.m.). Dies könne, so die Annahme, unter anderem eine nicht ausreichend abgesicherte Finanzierung zur Folge haben.
    An der Finanzierung professioneller Handlungsfelder sowie an institutionellen Verankerungen lassen sich immer auch gesellschaftliche Bedeutung und Wertschätzung ablesen, ebenso wie der Grad des Zugestehens und Nicht-Zugestehens professioneller Autonomie. Davon ist auch gemeinwesenarbeitsorientierte Praxis [4] nicht ausgenommen. Wissen über die Finanzierung von GWA, insbesondere zu Akquise und Möglichkeiten der mittel- und längerfristigen Sicherung der Finanzierung, ist eine Machtquelle. Viele GWA-Praktiker*innen eignen sich (bislang) entsprechendes Wissen durch Learning-by-Doing und im Rahmen von selbstorganisiertem, kollegialem Austausch an. Dies ist jedoch immer auch abhängig von Gelegenheiten und Zufall. Deshalb war unser Anliegen (und ist es bis heute), entsprechendes Wissen zugänglicher zu machen und breiter zu verankern.
  2. Die Marginalisierung von GWA könne, vermuteten wir, damit zusammenhängen, dass GWA selten auf den ersten Blick als solche sichtbar wird: GWA nimmt weder im Fachdiskurs noch in der Praxis Sozialer Arbeit oder in fach- und sozialpolitischen Zusammenhängen eine klar erkennbare Position ein. Viele Menschen, darunter auch Studierende Sozialer Arbeit und selbst Fachpersonen der GWA [5] können nicht klar auf den Punkt bringen, was GWA genau ist und was sie tut (z.B. welchen Gegenstand sie bearbeitet, welche sozialen Probleme sie löst und wie genau dies geschieht; vgl. Fehren/Martin/Schreier 2023: 182; vgl. auch Schreier 2019: 76f.).
    Gemeinwesenarbeitsorientierte Praxis wird zudem unter vielfältigen Bezeichnungen durchgeführt: Mal wird von „Quartiersmanagement“ gesprochen, mal von „Nachbarschaftsarbeit“, von „soziokultureller Animation“ oder von „Stadtteilarbeit“ (vgl. ausführlicher weiter unten sowie Fehren/Martin/Schreier 2023: 87ff.; 177ff.). Damit verbunden sind unterschiedliche strukturelle Verortungen und Verankerungen von GWA in den Kommunen, Gemeinden, Bundesländern und Kantonen. Dies erschwert die Wiedererkennbarkeit. Auch ist GWA in sehr unterschiedlichen Handlungsfeldern, Verwaltungs- und Politikbereichen (Ressorts) verankert. Die Folge ist, so war unsere Vermutung, dass GWA nicht in dem Maße wahrgenommen wird, in welchem sie faktisch vorhanden ist. Wir haben mit Blick auf dieses Phänomen von der „tendenziellen Unsichtbarkeit“ von GWA gesprochen. Diese sollte empirisch beleuchtet werden, in der Hoffnung, differenziertere Einsichten in das tatsächliche Vorkommen gemeinwesenarbeitsorientierter Praxis zu erhalten.
  3. Mit der Studie sollten die empirischen Grundlagen der GWA angereichert werden. Zu Beginn des Forschungsprojektes (2014) verzeichnete der Fachdiskurs nur sehr vereinzelte deutschsprachige empirische Forschungsarbeiten zur GWA (vgl. Fehren/Martin/Schreier 2023: 9). 2019 ließ eine Sekundäranalyse von Noci (ebd.: 112) die Forschungslücke zum Thema Finanzierung der GWA deutlich sichtbar werden. Zum Füllen dieser Lücken wollten wir mit dem Forschungsprojekt der Sektion Gemeinwesenarbeit einen Beitrag leisten.

Nachfolgend die erkenntnisleitenden Fragen, denen wir seit Herbst 2014 nachgegangen sind:

Wo wird im deutschsprachigen Raum GWA praktiziert, wie wird diese Praxis bezeichnet und wie ist sie verankert? Wie lässt sich gemeinwesenarbeitsorientierte Praxis sichtbarer machen? Und lassen sich Erkenntnisse zur Ökonomie der GWA generieren, mit denen das auf Finanzierung bezogene Wissen sowohl von Praktiker*innen der GWA und ihren Trägern, aber auch das Wissen von an Hochschulen Lehrenden, Studierenden und Forschenden sowie von in der GWA-Weiterbildung tätigen Kolleg*innen empirisch fundiert erweitert werden kann?

2.2 Forschungsfragen

Aus den oben genannten Auslösern und erkenntnisleitenden Fragen wurden diese beiden Forschungsfragen synthetisiert:

  1. In welchen kommunalen Ressorts sowie programmatischen Strömungen und in welchen Handlungsfeldern wird GWA im deutschsprachigen Raum praktiziert?
  2. Welche wesentlichen Finanzmittel sichern die GWA-Einrichtungen/-Projekte ab und welcher Art sind diese Finanzmittel: handelt es sich um zeitlich begrenzte Projektfinanzierungen oder über längere Zeiträume bzw. dauerhafte GWA-Finanzierungen?

Dies wurde in Deutschland, Österreich und der deutschsprachigen Schweiz untersucht. Die Herausforderungen und auch Begrenzungen, die mit diesem trinationalen Forschungssettings einhergegangen sind, sind im Forschungsbericht nachzulesen (vgl. Fehren/Martin/Schreier 2023: 27f.).

3. Wie haben wir geforscht?

3.1 Eine weite Umschreibung von GWA als Gegenstandsbestimmung

Wenn wir von „GWA“ sprechen – was meinen wir damit? So rhetorisch diese Frage anmuten mag – weil an Fragen dieser Art in der Regel eine präzise Definition als Merkmal wissenschaftlichen Arbeitens anschließt – so herausfordernd war sie damals, und sie ist es noch heute. Um es vorwegzunehmen: Auf eine allgemein gültige präzise Definition des Forschungsgegenstands „Gemeinwesenarbeit“ konnten wir im Zusammenhang mit dem oben ausgeführten Erkenntnisinteresse weder zurückgreifen, noch haben wir diese erarbeitet. Entwickelt wurde eine weite Umschreibung von GWA, die einen Kern möglicher Gegenstände und Ziele von GWA deutlich macht und gleichzeitig an den Rändern relativ anschlussfähig gehalten ist. Die Entscheidung zugunsten einer weiten Umschreibung des Gegenstands wurde mit Blick auf und im Wissen um die Heterogenität und Unschärfen der Gemeinwesenarbeit getroffen.

Um diesen Besonderheiten des Forschungsgegenstands Rechnung zu tragen sowie um den Anforderungen der Forschungsfrage gerecht zu werden (Kriterium der Gegenstandsangemessenheit, vgl. Flick 2007: 27, Helfferich 2009: 46, Brüsemeister 2008: 29), scheint uns diese Umschreibung bis heute angemessen. Im Folgenden skizzieren wir ausgewählte, damit verbundene Überlegungen.

GWA ist nicht gleich GWA. Das zeigt bereits ein flüchtiger Blick in die Vielfalt verschriftlichter Aussagen zu Gemeinwesenarbeit. Viele Jahre lang wurde GWA neben der Einzelfallhilfe und der Gruppenarbeit als „dritte Methode“ der Sozialen Arbeit gefasst. Dies hat sich, unter anderem im Zusammenhang mit der Infragestellung der Methodentrinität und dem Fokus auf methodisches Handeln, geändert (vgl. von Spiegel 2008; Galuske 2013).

Aktuell finden sich unter anderem folgende Varianten in der Fachliteratur: Im „Handbuch Gemeinwesenarbeit“ wird GWA als Arbeitsprinzip bzw. als Konzept konturiert (vgl. Stövesand/Stoik 2013). Martin Becker hingegen definiert GWA als eigenständiges Arbeitsfeld bzw. Handlungsfeld Sozialer Arbeit (2014). Edi Martin (2013: 142) macht das Spezifikum von GWA in ihrem Gegenstand aus: „Gemeinwesenarbeit ist = per Definition eine professionelle Tätigkeit Sozialer Arbeit mit mittelgrossen und grösseren sozialen Systemen.“ Michael May hat einen historisch wie theoretisch entfalteten Begründungszusammenhang vorgelegt, aus dem er konkrete Ansatzpunkte für eine Soziale Arbeit als Arbeit am Gemeinwesen ableitet. Mit „Arbeit am Gemeinwesen“ verweist May auf die „Subjektivität menschlichen Gemeinwesens“, an deren Verwirklichung Soziale Arbeit mitwirken kann bzw. solle (vgl. May 2017).

Sichtet man den Fachdiskurs, fallen unterschiedliche Theoretisierungen auf. Diese umfassen z.T. divergente (gesellschafts-)theoretische wie normative Grundannahmen mit Blick auf Gegenstand, Zielorientierungen und professionelles Selbstverständnis (vgl. Boulet/Kraus/Oelschlägel 1980; Bingel 2011; Stövesand/Stoik 2013). Maria Bitzan und Thilo Klöck führen diese Unterschiede auf den „Doppelcharakter“ der GWA zurück (ebd. 1993: 26 ff.). Dieter Oelschlägel arbeitet heraus, dass GWA „immer ein Kontinuum [bildet], an dessen einem Ende ein systemkritischer, konfliktorientierter, zu Zeiten auch sozialrevolutionärer Ansatz steht und am anderen Ende ein staatstragender, systemorientierter, meist pragmatisch-managerieller Ansatz“ (Oelschlägel 2017: 172). GWA kann, wie auch Sabine Stövesand betont, als „Partnerin und Widerpart“ der Verhältnisse zugleich positioniert werden bzw. fungieren (Stövesand 2011: 7).

Die damit einhergehenden Unschärfen lassen sich zudem auf Differenzen zurückführen, die weit über Fragen der Verankerung und Bezeichnung von GWA hinausweisen (und die zugleich mit diesen in Wechselwirkung stehen).

Die Ausprägungen von Gemeinwesenarbeit sind also nicht nur heterogen, sondern stets widersprüchlich und konflikthaft. Wie Maren Schreier (2019: 77) feststellt, erweckt der konzeptprägende Begriff „Gemeinwesen“ zwar den Anschein eines gemeinsamen Gegenstands; doch von dem Gegenstand der GWA zu sprechen, sei (aus den o.g. Gründen) nicht möglich (vgl. ebd.; vgl. auch Schreier 2011).

Vor diesem Hintergrund ist folgende weite Umschreibung von «Gemeinwesenarbeit» entstanden:

Gemeinwesenarbeit ist eine Tätigkeit von Praktiker*innen und Fachpersonen, die, deutlich über den Einzelfall hinausgehend, mit Gruppen, Organisationen und Netzwerken arbeiten, um gemeinsam mit diesen ihre Lebensbedingungen zu verbessern, Gemeinschaft zu erleben, Benachteiligungen zu überwinden, Behinderungen auszugleichen, das Zusammenleben zu gestalten (vgl. Fehren/Martin/Schreier 2023: 14).

Das Anliegen des vorliegenden Forschungsprojektes war es, eine Umschreibung von GWA zu entwickeln, die sich als geeignet erweist, den Bezug auf Tätigkeiten der GWA klar herzustellen. Auch wollten wir GWA so fassen, dass vielfältige Anschlüsse möglich werden, unter anderem für GWA verstanden als Konzept oder als Methode oder als Arbeitsfeld. Zudem sollte die Umschreibung es ermöglichen, auch diejenige Praxis zu adressieren bzw. zu erreichen, die vielleicht nicht schon auf den ersten Blick als GWA sichtbar wird. In diesem Zusammenhang haben wir im Verlauf des Forschungsprojektes das Adjektiv „gemeinwesenarbeitsorientiert“ entdeckt bzw. auch wiederentdeckt (vgl. Froncek/Lensing 1991: 57). Damit erfolgte auch eine Abgrenzung von einem – oft theoretisch unterkomplex oder einseitig territorial bestimmten – als Subjekt gedachten Gemeinwesen, wie es z.B. im Gebrauch des Adjektivs «gemeinwesenorientiert» oder auch in der Idee einer Arbeit im Gemeinwesen zum Ausdruck kommt (vgl. zu weiteren Abgrenzungen bzw. Differenzierungen May 2017: 9f.).

Die Frage, ob der von uns angestrebte Balanceakt in Gestalt der oben genannten Umschreibung und durch das Adjektiv „gemeinwesenarbeitsorientiert" gut gelungen ist, ist weiter zu diskutieren.

3.2 Forschungsprozess

Im Folgenden wird der Forschungsprozess skizziert. Dies erfolgt stark verkürzt und ausschnittweise. Für differenziertere und vertiefende Informationen zum methodischen Vorgehen verweisen wir deshalb nachdrücklich auf den Forschungsbericht. Er enthält sowohl eine Kurzfassung des gesamten Forschungsprozesses (vgl. Fehren/Martin/Schreier 2023: 15ff.), ein grafisch gestaltetes Ablaufschema des Forschungsprozesses (vgl. ebd.: 31), einen ausführlichen Methodenteil (vgl. ebd.: 30ff.) sowie illustrierende Anhänge (vgl. ebd.: 198ff.).

Das Forschungsprojekt umfasste vier Teilprojekte (I – IV). Deren Inhalte werden im Folgenden kurz skizziert.

Teilprojekt I: Exploration (qualitative Untersuchung)

Im Ergebnis eines mehrstufigen explorativen Feldzugangs konnten aus über 800 recherchierten GWA-Einrichtungen bzw. GWA-Mitarbeitenden (in Deutschland, Österreich und der deutschsprachigen Schweiz) in einem wiederum mehrstufigen, kriteriengeleiteten Auswahlverfahren 13 Fachpersonen ausgewählt werden. Mit diesen Fachpersonen wurden leitfadengestützte Experteninterviews geführt. Die Interviews wurden mittels qualitativer Inhaltsanalyse ausgewertet. In einem zirkulären Prozess wurde auf Grundlage von Verdichtungen, vorläufige Hypothesen und deren Operationalisierungen sowie ersten Entwürfen für Merkmalsausprägungen und Antwortkategorien für die folgende Online-Umfrage das methodische Konzept für Teilprojekt II entwickelt und verfeinert.

Teilprojekt II: Online-Umfragen (quantitative Untersuchung)

Ziel dieses Teilprojektes war es, die aus den Interviews gewonnenen Erkenntnisse und Hypothesen zu überprüfen und zu generalisieren. Als Ergebnis einer schriftlichen Online-Vorumfrage, die über fachbezogene Mailverteiler und Newsletter, Social Media-Plattformen und einschlägige Websites verbreitet wurde, konnten 612 E-Mail-Adressen von Fachpersonen gewonnen werden, die alle gemäß Selbsteinschätzung Gemeinwesenarbeit im Sinne der weiter oben genannten weiten Umschreibung von GWA praktizierten (bzw. in deren Einrichtungen eine solche GWA praktiziert wurde). An diese 612 E-Mail-Adressen wurde ein umfangreicher Online-Fragebogen verschickt. Die Rücklaufquote betrug 55,8% (342 ausgefüllte Datensätze), was ein äußerst zufriedenstellender Wert für Umfragen dieser Art ist. Nach einer Korrektur der Rohdaten flossen n=334 gültige Datensätze in die Auswertung ein (vgl. Teilprojekt IV).

Teilprojekt III: Atlas der GWA

Im Sinne einer „Forschung als Praxis“ wurde ein digitaler Atlas der Gemeinwesenarbeit erstellt, mehrfach aktualisiert und ergänzt und schließlich im Dezember 2021 als Webkarte auf Google Maps publiziert. Dieser frei zugängliche Atlas leistet einen Beitrag zur Erhöhung der Sichtbarkeit von Gemeinwesenarbeit. Zum Zeitpunkt der Berichtslegung umfasste er 500 Praxisorte der Gemeinwesenarbeit. Änderungen und Neueinträgen können jederzeit über die hier verlinkte Website an die für die Pflege des Atlasses zuständige Kollegin übermittelt werden.

Teilprojekt IV: Berichtslegung und Publikation

In einem zirkulären Prozess wurden die gewonnenen Daten und Erkenntnisse aus allen vorgängigen Teilprojekten systematisiert, interpretiert, analysiert und in eine schriftliche Berichtsform gebracht. Ergänzt um kritisch-reflexive Auseinandersetzungen mit unterschiedlichen Aspekten des Forschungsprozesses (u.a. Methodenreflexion und Reflexion des Forschens unter prekären Bedingungen) sowie um vielfältige Anschlussfragen für weiterführende Forschungen wurde der Bericht schließlich im Dezember 2023 im kostenfreien Open-Access-Format auf dem Wissenschaftsserver der Alice Salomon Hochschule Berlin veröffentlicht.

4. Ausgewählte Ergebnisse

Anhand der Ergebnisse des Forschungsberichts konnte die Vielfalt der GWA bezüglich der Größe, der Trägerschaft und der Finanzierung und zum großen Teil auch der Lokalisierung (vgl. Atlas der GWA), präzise dokumentiert werden. Auch die Vielfalt an Finanzierungsformen, Förderprogrammen und Trägerstrukturen wurde sichtbar.

Im Folgenden werden, in Form einer knappen Zusammenfassung, ausgewählte Ergebnisse präsentiert. Dies erfolgt analog zu den sechs Verankerungsdimensionen von GWA: Vorkommen, Bezeichnungen, Ausrichtung, Träger, Ressortzuordnungen, Finanzierung. Damit soll nicht mehr, aber auch nicht weniger als ein erster Einblick gegeben werden.

Die Gliederungslogik des nachfolgenden Textes entspricht der Gliederung des ausführlichen Forschungsberichts (vgl. Fehren/Martin/Schreier 2023). Im Bericht sind die nachfolgenden Kurzzusammenfassungen mit Zahlen und Diagrammen hinterlegt; sie werden ausführlich interpretiert und diskutiert. Wir empfehlen allen Leser*innen sehr, dort vertiefend hineinzulesen.

4.1 Vorkommen von Gemeinwesenarbeit

Um es vorwegzunehmen: Es gibt eine beachtliche Anzahl an GWA-Praxis im deutschsprachigen Raum! Wichtig ist uns, an dieser Stelle folgendes zu betonen: Das Forschungsprojekt hat keine Vollerhebung von GWA-Praxis angestrebt. In allen drei Ländern sind, mit Blick auf die Teilnehmenden der Online-Umfragen, diverse regionale Lücken zu verzeichnen. Es ist von einer hohen Dunkelziffer auszugehen (vgl. Fehren/Martin/Schreier 2023: 33ff. sowie 147). Gleichwohl machen die Ergebnisse der Online-Umfragen deutlich sichtbar, wie zahlreich und vielfältig (bezogen auf die im Forschungsprojekt untersuchten Verankerungsdimensionen, vgl. Fehren/Martin/Schreier 2023: 64f.) die GWA-Praxis im deutschsprachigen Raum ist.

Gemäß den Angaben der 334 Personen/Einrichtungen, die die Hauptumfrage ausgefüllt haben, verfügen diese über 872 Arbeitsstellen für GWA (Vollzeitäquivalente) und insgesamt 1.493 GWA Mitarbeiter*innen. Der 2–3-mal jährlich aktualisierte Atlas der GWA weist derzeit eine beeindruckende Menge von 500 GWA-Standorten auf (Aktualisierungen werden weiterhin vorgenommen); und auch hier lässt sich erahnen, dass noch längst nicht alle GWA-Praxis dort verzeichnet ist, die es tatsächlich gibt. [6]

GWA wird sowohl in städtischem als auch in ländlichem Raum praktiziert. Die Mehrheit der von uns erreichten GWA-Praxis ist im städtischen Raum lokalisiert. Es gibt aber auch Einrichtungen, die sowohl im städtischen als auch im ländlichen Raum tätig sind. Über die Hälfte der Einrichtungen praktiziert GWA von mehreren Standorten aus.

Die meiste Gemeinwesenarbeit erfolgt als Kleinst- oder kleinere GWA-Praxis: 291 Einrichtungen (87,1%) praktizieren mit weniger als 4 Stellen (Vollzeitäquivalent). Über ein Viertel der Einrichtungen, die an der Hauptumfrage teilgenommen haben, verfügt über weniger als eine GWA-Stelle (< 100%).

In den meisten Einrichtungen mit GWA gibt es mehrere Mitarbeitende, die Gemeinwesenarbeit leisten. Die Größe der Einrichtungen, in denen GWA praktiziert wird, variiert sehr stark. GWA wird sowohl in reinen GWA-Einrichtungen praktiziert, als auch in Einrichtungen, die schwach oder nur marginal auf GWA ausgerichtet sind. In der Mehrheit der Einrichtungen finden neben GWA maßgeblich noch weitere Tätigkeiten statt. Hier gibt es mehr Mitarbeiter*innenstellen als GWA-Stellen.

Der Stellenumfang für GWA wurde in den fünf Jahren des Untersuchungszeitraums (2014-2018) in den meisten Einrichtungen ausgebaut oder gleich belassen. In den meisten Einrichtungen sind auch mehrjährig erfahrene GWA-Mitarbeiter*innen tätig: Über die Hälfte der Umfrageteilnehmenden arbeitet 6 Jahre und länger im Bereich der GWA, fast 10% davon gar 25 Jahre und mehr. Nur 8,4 % geben an, weniger als 2 Jahre in der GWA tätig zu sein.

Es gibt eine beachtliche Anzahl dauerhafter GWA-Praxen (vgl. die folgende Abbildung 1). Ca. 2/3 der Umfrageteilnehmer*innen sind in Einrichtungen tätig, die schon länger als 8 Jahre (seit vor 2010) GWA praktizieren; mehr als die Hälfte davon seit über 18 Jahren, d.h. seit vor der Jahrtausendwende, in sieben Einrichtungen gar seit den 1950er Jahren. Lediglich 11,4 % geben an, erst seit zwei oder weniger Jahren GWA zu praktizieren (vgl. Fehren/Martin/Schreier 2023: 85).

 Dauer der GWA-Praxis in den Einrichtungen

Abbildung 1: Dauer der GWA-Praxis in den Einrichtungen (Quelle: Eigene Darstellung)

4.2 Bezeichnungen von GWA-Tätigkeiten

In der Einleitung wurde bereits auf den vermuteten Zusammenhang zwischen den Bezeichnungen von GWA-Praxis und deren Sichtbarkeit bzw. Wiederkennbarkeit hingewiesen. Wir haben in der Online-Umfrage deshalb sowohl nach offiziellen Bezeichnungen als auch nach den (Selbst-)Bezeichnungen gefragt.

Offiziell werden GWA-Tätigkeiten in mehr als der Hälfte der Fälle als „Gemeinwesenarbeit" bezeichnet, dicht gefolgt von „Stadtteilarbeit". Es folgen „Quartiers-/Stadtteilmanagement", „Nachbarschaftsarbeit", „Quartierarbeit" und „Sozialraumarbeit". Es gibt jedoch viele weitere offizielle Bezeichnungen. Dies wird in der folgenden Abbildung 2 ersichtlich:

Offizielle Bezeichnungen der GWA-Tätigkeiten

Abbildung 2: Offizielle Bezeichnungen der GWA-Tätigkeiten (Quelle: Eigene Darstellung)

Die Auswertung zeigt: Offizielle Bezeichnungen und Bezeichnungen der Praktiker*innen für ihre Tätigkeit decken sich nicht immer, und offensichtlich sind relativ vielen Praktiker*innen feine Differenzierungen wichtig.

Interessant sind auch die Angaben, die in den Freieintragsfeldern vorgenommen wurden. Hier findet sich eine breite Variation an offiziellen Bezeichnungen, beispielsweise „Kultur- und Kommunikationszentrum", „Fachstelle Ehrenamt", „Sport-Partizipationsbeauftragter", „Gewerbeförderung", aber auch längere Freieinträge wie „Ich war die Projektleiterin. Niemand hat wahrgenommen, dass ich zur Durchführung Aufgaben auch Kompetenzen im Bereich Gemeinwesensarbeit habe und aktiv einsetze". Die Freieinträge zu den Selbstbezeichnungen beinhalten z.B. „Demokratieentwicklung", „Mehrgenerationenarbeit", „Projektleitung", „Stadtteilmoderatorin" oder auch „’Geschenk` der Kommune an ihre Bürger*innen" (vgl. Fehren/Martin/Schreier 2023: 87ff. sowie 154ff.).

4.3 Ausrichtungen von Gemeinwesenarbeit: territorial, funktional und kategorial

Eine zentrale Dimension der Verankerung von GWA ist ihre Ausrichtung. Die GWA-Tätigkeiten der Umfrageteilnehmenden sind mehrheitlich auf geografisch abgegrenzte Gebiete ausgerichtet, z.B. auf alle Einwohner*innen und deren Lebensbedingungen in einem politisch-ökologischen, geografischen Raum. Viele GWA-Tätigkeiten sind auf spezifische thematische Schwerpunkte/Probleme ausgerichtet oder auf spezifische Personenkategorien/Zielgruppen.

Betrachtet man die Angaben zu Schwerpunkten/Problemen und zu Personenkategorien und Zielgruppen, auf die die eigene Tätigkeit ausgerichtet ist, zeigen sich unterschiedliche Fokussierungen: Erstens Fokussierungen auf weiter oder enger gefasste Problembereiche und wichtige gesellschaftliche Funktionen (funktionale GWA), wie z.B.: [7] Bürgerschaftliches Engagement, Stadt- und Siedlungsentwicklung, Kultur/Soziokultur, Bildung, Migration, Wohnen, Gesundheit, Demokratie, Flucht, Antidiskriminierung, Arbeit/Beschäftigung, Digitalisierung, Lokale Ökonomie. Zweitens zeigen sich auch Fokussierungen auf mehr oder weniger implizite Werte und Ziele wie: Inklusion, Nachhaltigkeit, gesellschaftlicher Zusammenhalt, Nachbarschaft, demografische Entwicklung, Identifikation mit dem Stadtteil. Drittens zeigen sich Fokussierungen auf Methoden und Handlungsansätze wie: Partizipation, Selbsthilfe, Begegnung und Austausch, Betreuung und Pflege, frühe Förderung, Konfliktbearbeitung, Netzwerkbildung. Viertens zeigen sich Fokussierungen auf Personenkategorien (kategoriale GWA) wie: Familien, Alter, Kinder/Jugend, Geflüchtete, Frauen, Senioren. In vielen Fällen ist die GWA einer Einrichtung auf zwei oder gar alle drei Ausrichtungstypen bezogen (Mehrfachnennungen waren möglich). Die Angaben zeigen, dass es neben territorialer Gemeinwesenarbeit auch funktionale und kategoriale GWA gibt und dass alle Formen häufig kombiniert werden (vgl. Fehren/Martin/Schreier 2023: 93ff. sowie 155ff.; vgl. auch Boulet/Krauss/Oelschlägel 1980: 291ff.).

4.4 Träger von Gemeinwesenarbeit

Eine weitere wichtige Verankerungsdimension ist die der Trägerschaft von GWA. Hier zeigen die Daten, dass die GWA-Praxis mehrheitlich Einzelträgerschaften aufweist und relativ wenige Kooperationsträgerschaften. 1/3 der Einzelträgerschaften sind als Verein organisiert. Je knapp 1/5 der Einrichtungen werden von einem Wohlfahrtsverband/Wohlfahrtsträger bzw. einer Stadt/Gemeinde getragen. Die Kooperationsträgerschaften involvieren als Mitglieder hauptsächlich Städte/Gemeinden und Wohlfahrtsverbände/Wohlfahrtsträger, aber auch Vereine, Kirchgemeinden, Wohnbaugesellschaften, Stiftungen und weitere (vgl. Fehren/Martin/Schreier 2023: 105ff. sowie 159ff.).

4.5 Ressortzuordnungen von Gemeinwesenarbeit

Gemeinwesenarbeit ist mehrheitlich einem Ressort/Departement/Amt der öffentlichen Verwaltung zugeordnet, es gibt aber auch viele Einrichtungen, die über mehr als eine Ressortzuordnung verfügen. Die meisten Einrichtungen geben an, dass ihre GWA dem Ressort „Soziales“ zugeordnet ist. Zudem gibt es Zuordnungen zu den Ressorts „Kinder/Jugend/Familie“, „Stadtentwicklung/Planung“, „Wohnen“, „Asyl/Ausländer/Migration/Integration“, „Kultur/Soziokultur“, „Bildung/Schule“, „Gesundheit“ und Weitere. Es gibt auch direkte Zuordnungen bei „Bürgermeister*in/Präsidialdirektion“ (vgl. Fehren/Martin/Schreier 2023: 111ff. sowie 162ff.).

4.6 Finanzierung von Gemeinwesenarbeit

Ein zentrales Anliegen der Studie war es, Wissen über die Finanzierung von GWA zu generieren. Folgendes lässt sich anhand der Daten aussagen:

Die GWA-Tätigkeiten sind sehr unterschiedlich finanziert, mehrheitlich aus mehreren Finanzquellen. Die meisten GWA-Tätigkeiten sind (auch) öffentlich-staatlich (mit-)finanziert. Knapp zur Hälfte wird GWA (auch) nichtstaatlich (mit-)finanziert. Mehrheitlich werden auch Eigenmittel des Trägers und zum Teil noch andere Finanzmittel eingesetzt. Fast 40% der Einrichtungen geben an, dass ihre GWA (auch, d.h. teilweise oder ganz) aus Programmen finanziert wird. Das Jahres-Finanzvolumen für Gemeinwesenarbeit in den einzelnen Einrichtungen differiert stark und geht von 0 bis über 3 Mio. Euro. [8]

Die Vielzahl der eingesetzten Eigenmittel und der Methoden des Erwirtschaftens bzw. Gewinnens von Eigenmitteln zur Finanzierung von GWA zeigen, ergänzend zur ohnehin schon großen Anzahl und Art öffentlicher/staatlicher und nichtstaatlicher Finanzquellen, dass und inwiefern die Finanzierung von GWA in vielen Fällen anspruchsvoll und aufwändig ist (z.B. gilt verbreitet die jährliche Aushandlung des Budgets, mehrheitlich bei mehreren Finanzierern). Dies dürfte einiges an Zeitaufwand und Kreativität erfordern (vgl. Fehren/Martin/Schreier 2023: 165ff.).

Bezüglich der Zeitdauer der gesicherten Finanzierung für GWA zeigt sich ein heterogenes Bild von kurzfristig bis langfristig. Finanziell ungesichert sind nur sehr wenige Einrichtungen. Interessant ist jedoch, dass es Einrichtungen mit abnehmenden oder wegfallenden Finanzierungen signifikant häufiger nicht gelingt, neue oder mehr Finanzen zu erschließen, als Einrichtungen ohne abnehmende oder wegfallende Finanzierungen.

Bei vielen Einrichtungen macht die verlässlich geregelte Finanzierung nur einen Teil der Finanzierung ihrer GWA aus. Die Finanzierungsperspektive für die in den Blick genommenen fünf Jahre 2018-2023 wird von etwas mehr als der Hälfte positiv eingeschätzt, von etwas weniger als der Hälfte als unentschieden +/-, negativ oder kaum abschätzbar.

Die Datenauswertung zeigt ein deutliches Bild dahingehend, dass die Finanzierung von GWA für die meisten Einrichtungen immens aufwändig sein dürfte. Diese Tätigkeit ist komplex. Sie kann als praxisbegleitende Daueraufgabe bezeichnet werden, die zudem in der Regel mit hohem zeitlichem Aufwand (für die Finanzakquise, -bewirtschaftung, -abrechnung sowie für die Pflege der Beziehungen zu den Finanzierenden) verbunden ist. GWA zu finanzieren ist anspruchsvoll und definitiv kein Selbstläufer (vgl. Fehren/Martin/Schreier 2023: 116ff. sowie 165ff.).

5. Zusammenfassende Überlegungen und Folgerungen

Im Folgenden werden einige Überlegungen und Folgerungen zusammenfassend präsentiert. Sie beinhalten, gebündelt und in unterschiedlicher Ausführlichkeit, zentrale Erkenntnisse, über die wir im Zuge der Auswertung und Berichtslegung nachgedacht und diskutiert haben. Es folgen jeweils Fragen, die sowohl Denk- und Diskussionsanstöße für fachliche Auseinandersetzungen bieten können als auch Anschlussstellen sichtbar machen für weiterführende empirische Forschungen. Auch an dieser Stelle sei auf den Forschungsbericht verwiesen, in dem all dies ausführlich darlegt ist und der darüber hinaus eine Vielzahl weiterer Diskussionsimpulse, Anknüpfungspunkte und Fragen für weiterführende Forschungen enthält (vgl. Fehren/Martin/Schreier 2023: 146ff.).

GWA als Praxis gibt es seit langem kontinuierlich

Hinsichtlich des „Standings“ von Gemeinwesenarbeit zeigt sich ein klares Bild: Es gibt quantitativ mehr GWA-Einrichtungen/GWA-Praxen als wir vermutet hatten. GWA wird im deutschsprachigen Raum seit langem an vielen Orten praktiziert und ist insgesamt kontinuierlich verankert. An diese Tatsache lässt sich in Zukunft explizit anknüpfen, sei es bei Innovationen oder weiterführenden Projekten in der Praxis, bei der Theorieentwicklung, in der Forschung und in der Lehre.

Die Erkenntnis, dass es eine beachtliche Anzahl dauerhafter GWA-Praxen gibt, viele gar langjährige  (drei, vier oder fünf Jahrzehnte, vgl. Fehren/Martin/Schreier 2023: 85ff.), verdeckt vielleicht, dass oft dennoch periodisch ums Weiterbestehen gebangt werden muss, dass die Finanzakquise für Gemeinwesenarbeit bei vielen Einrichtungen erheblichen Aufwand verursacht und dass wichtige Arbeiten teils nicht finanziert sind (vgl. auch in diesem Kapitel hier weiter unten)

Es eröffnen sich folgende Fragen:

GWA ist vielerorts nicht auf Anhieb sichtbar und es ist nicht einfach, zu vermitteln, was GWA tut und wofür sie gut ist

Gemeinwesenarbeit ist vielerorts nicht auf Anhieb sichtbar, weil GWA-Tätigkeiten oft und in vielen Varianten anders bezeichnet werden, sich auf viele verschiedene Themen/Probleme und Zielgruppen/Personenkategorien ausrichten und auch neben etablierteren Professionen verschwinden.

Die Ergebnisse zur Frage nach der offiziellen Bezeichnung und jene zur Bezeichnung der Praktiker*innen für ihre Tätigkeit (vgl. Kapitel 4.2 in diesem Beitrag) spiegeln einen Proto-Professionszustand wider. Auch seitens Aus- und Weiterbildungen scheinen kaum übergeordnete Professionsbezeichnungen eingeflossen zu sein. Es ist anzunehmen, dass die Bildungs- und Ausbildungsherkunft der Praktiker*innen sehr heterogen ist.

Die teils abstrakten Nennungen und die Vermischung von Problemen, gesellschaftlichen Funktionen, Werten, Zielen, Methoden und Handlungsansätzen sowie Personenkategorien/Zielgruppen (vgl. Kapitel 4.3 in diesem Beitrag) könnten Hinweise auf die Schwierigkeit sein, die Problematik, die mit GWA bearbeitet wird, prägnant und unmissverständlich zu benennen und dadurch auch einzugrenzen. Dies kann an behindernden Machtverhältnissen liegen und damit zusammenhängenden Strategien, nicht so deutlich zu benennen, was man tut; oder es kann an fehlendem Wissen liegen. Praktiker*innen, Lehrende, Forschende können bislang nicht auf eine geteilte Problemtheorie zurückgreifen.

Viele Nennungen zum Handlungsbedarf von GWA (vgl. Fehren/Martin/Schreier 2023: 100ff. sowie 156ff.) verweisen auf grundlegende, mit verwehrter Teilhabe/sozialer Ausschließung/sozialer Ungleichheit zusammenhängende Probleme und Themen. Hier wird sichtbar, dass GWA auf gesellschaftliche Ungleichheitsverhältnisse reagieren will bzw. hierfür sensibilisiert ist. Dies zeigt auch, dass GWA umsichtig, in vielen Fällen offenbar auch über den formulierten Auftrag hinaus, soziale Probleme und die gesellschaftliche Bedingtheit von Lebensbedingungen im Blick hat. Doch auch hier ist davon auszugehen, dass sich in der konkreten Handlungspraxis weder Eindeutigkeit noch Homogenität oder gar Harmonie zeigt: Das Spektrum an (gesellschafts-)theoretischen wie normativen Grundannahmen dürfte – mit Blick auf Gegenstand, Zielorientierungen und professionelles Selbstverständnis – das von Dieter Oelschlägel benannte Kontinuum abbilden, in welchem sich staatstragend-affirmative GWA ebenso verwirklicht wie systemkritisch-konfliktorientierte GWA (vgl. Kapitel 3.1 in diesem Beitrag; vgl. Oelschlägel 2017: 172).

Vor diesem Hintergrund scheint es sinnvoll und notwendig zu sein, Strategien zur Verbesserung der Sichtbarkeit von GWA zu entwickeln. Dies allein kann jedoch nur einen Teil der hier skizzierten Unschärfen klären. Unbedingt angezeigt scheint es, exakte, profunde und überprüfbare Theorien über Gemeinwesenarbeit zu entwickeln und auf dieser Grundlage – d.h. in reflexiver Auseinandersetzung mit bzw. in konsistenter Ableitung aus diesen Theorien – handlungsleitende Konzepte, Arbeitsprinzipien, Arbeitsformen, Methoden und Techniken (weiter-)zu entwickeln und zu implementieren (vgl. Fehren/Martin/Schreier 2023: 153).

Es eröffnen sich folgende Fragen:

Die GWA-Praxis ist allgemein relevant

Gemeinwesenarbeit ist als Praxis in vielen unterschiedlich großen, abgegrenzten geografischen Gebieten, in vielen verschiedenen Themen bzw. Problembereichen und in Bezug auf einige Personenkategorien/Zielgruppen verankert (vgl. Fehren/Martin/Schreier 2023: 93ff. sowie 155ff.). Diese vielen Ausrichtungen und dadurch vielfältigen Verankerungen von Gemeinwesenarbeit zeigen die allgemeine Relevanz dieser Art Tätigkeit. Zudem dürften sie viel zur bereits lang andauernden Kontinuität von GWA-Praxis beigetragen haben.

Es eröffnen sich folgende Fragen:

Über ihre Trägerschaften ist die GWA-Praxis gesellschaftlich breit abgestützt

Die Verankerung von GWA über die Trägerschaften ist insgesamt gesellschaftlich breit abgestützt. GWA ist sowohl im öffentlich/staatlichen Sektor als auch zivilgesellschaftlich und im wirtschaftlichen Sektor verankert (vgl. Fehren/Martin/Schreier 2023: 105ff. sowie 159ff.). Diese breite Abstützung über Trägerschaften dürfte jedoch infolge der schlechten Sichtbarkeit von GWA eher wenig zu deren Sicherung und Verbreitung beitragen. Für die Verbesserung der Sichtbarkeit und die Etablierung von GWA könnte diese breite gesellschaftliche Verankerung über die Trägerschaften hingegen genutzt werden.

Es eröffnen sich folgende Fragen:

GWA ist in mehreren Verwaltungs- und Politikbereichen verankert

Gemeinwesenarbeit ist mehrheitlich über Ressortzuordnungen mit der öffentlichen Verwaltung verknüpft und darüber mit unterschiedlichen Politikbereichen (vgl. Fehren/Martin/Schreier 2023: 111ff. sowie 162ff.). GWA muss vielfach hochflexibel sich bietende Finanzierungs- und Programmkulissen aufgreifen und sowohl lokalen politischen Entwicklungen und Problembeschreibungen als auch gesellschaftlichen Trends folgen. Auch vor diesem Hintergrund ist es plausibel anzunehmen, dass der GWA aufgrund der Heterogenität ihrer finanziellen und ressortmäßigen Bezugspunkte so etwas wie eine institutionalisierte Wiedererkennbarkeit fehlt.

Die vielfältige Verankerung von GWA in mehreren Verwaltungs- und Politikbereichen ist bemerkenswert, trifft dies doch für viele andere professionelle Tätigkeiten nicht in diesem Ausmaß zu. Im Hinblick auf die Verbesserung der Sichtbarkeit und der Etablierung von GWA stellt dies eine günstige Basis dar.

Es eröffnen sich, im Zusammenhang mit den beiden letztgenannten Punkten (Verankerung bei Trägern und in Verwaltungs- und Politikbereichen) folgende Fragen:

Die Finanzierung von GWA ist anspruchsvoll

Die sehr unterschiedlichen Finanzierungen der GWA bezüglich der Anzahl der Finanzquellen, öffentlich/staatlicher, nichtstaatlicher, Eigenmittel- und Programm-Finanzierung (vgl. Fehren/Martin/Schreier 2023 116ff. sowie 165ff.) sind zwar mehrheitlich anspruchsvoll in der Akquise und Bewirtschaftung. Gleichzeitig verankern sie GWA jedoch bei den unterschiedlichsten Finanzgebern. Diesen kann bzw. könnte die Relevanz von GWA vermittelt werden.

Wir können begründet vermuten, dass die komplexen Finanzkonstruktionen für GWA ein erhebliches Maß an Arbeitszeit für Mittelbeschaffung und -bewirtschaftung binden, die deshalb nicht fachlich für Gemeinwesenarbeit verfügbar ist. Hier sollte in Zukunft viel stärker dokumentiert und ausgewiesen werden, welchen Zeitaufwand dies erfordert und welche „Kosten“ damit erzeugt werden.

Es eröffnen sich folgende Fragen:

Die Finanzierung von GWA ist nur zum Teil verlässlich gesichert

In vielen Einrichtungen ist die GWA nur zum Teil verlässlich gesichert. Zudem ist die Dauer der Sicherung bei mehr als einem Viertel der mit der Befragung Erreichten nur für ein Jahr gesichert (vgl. Fehren/Martin/Schreier 2023: 142ff. sowie 171ff.). Die Erkenntnis, dass GWA relativ dauerhaft ist (ebd.: 151), verdeckt jedoch möglicherweise, wie weiter oben bereits erwähnt, die Tatsache, dass die Absicherung oft nur für einen periodisch begrenzten Zeitraum verlässlich ist.

Fast 40% der Einrichtungen haben angegeben, dass ihre GWA (auch, d.h. teilweise oder ganz) aus Programmen finanziert wird (vgl. Fehren/Martin/Schreier 2023: 125ff.). Programmfinanzierungen gehen oft mit hohem bürokratischem Aufwand einher und erfordern meist einen nicht unerheblichen Teil an Eigenmitteln und/oder Eigenleistung.

Bei Finanzierern scheint recht verbreitet die Gepflogenheit vorzuherrschen, dass sie nur Teile der für Gemeinwesenarbeit erforderlichen Kostenstellen finanzieren und davon ausgehen, dass andere Akteure mitfinanzieren, Finanzen erwirtschaftet werden bzw. Tätigkeiten unbezahlt und ehrenamtlich erbracht werden. Gerade wenn der Arbeitsaufwand für die Finanzakquise und die längerfristige Sicherung der Finanzierung (was zu den Gemeinkosten zählt) nicht finanziert wird, kann das die Beständigkeit der erreichten Verbesserungen im Gemeinwesen gefährden, weil dann vieles unbeständig bleibt. Dies kann sich wiederum negativ auf die Motivation und das Engagement beteiligter Menschen (GWA-Praktiker*innen inklusive) auswirken.

Es eröffnen sich folgende Fragen:

Wissen über die Finanzierung von GWA ist eine Machtquelle

Institutionalisiertes, gemeinsam geteiltes Wissen über die Ökonomie der GWA, insbesondere Wissen über deren Finanzierung kann, auch wenn wir mit dem Forschungsprojekt hier einige Aspekte empirisch beleuchten konnten, weiterhin als Blindstelle bezeichnet werden (vgl. Fehren/Martin/Schreier 2023: 179). Das ist eine gravierende Schieflage. Wissen zur Finanzierung von Gemeinwesenarbeit ist mit Blick auf den Grad an Handlungsautonomie der GWA sowie mit Blick auf deren Machtpotenziale hinsichtlich der Erschließung bzw. Erweiterung von Handlungs- und Gestaltungsspielräumen als immens wichtig einzustufen. Diesbezügliches Wissen sollte Praktiker*innen und Trägern von GWA vermehrt zugänglich gemacht und in Ausbildungen vermittelt werden. Entsprechende Lehrinhalte sind in die Curricula und Konzepte von Aus- und Weiterbildungen aufzunehmen.

Es eröffnen sich folgende Fragen:

6. Fazit und Ausblick

Auch wenn der Beginn des Forschungsprojektes nun fast 10 Jahre zurückliegt und die Datengrundlage der Hauptumfrage den Erhebungszeitraum der Jahre 2018/2019 abbildet, so scheinen uns die Ergebnisse und Erkenntnisse unserer trinationalen Studie weiterhin aktuell und hoch relevant zu sein.

Präzise dokumentiert werden konnte die Vielfalt der GWA, und zwar hinsichtlich der von uns untersuchten Verankerungsdimensionen Vorkommen, Bezeichnungen, Ausrichtung, Träger, Ressortzuordnungen und Finanzierung. Zudem wurde der digitale „Altas der Gemeinwesenarbeit“ entwickelt und veröffentlicht, im welchem – vor allem auch, da er weiterhin ergänzt und aktualisiert wird – die Lokalisierung von GWA-Praxis in Deutschland, Österreich und der deutschsprachigen Schweiz eindrucksvoll sichtbar wird.

Insbesondere mit Blick auf die gefundene Vielfalt an Bezeichnungen und Umschreibungen von GWA sehen wir unsere eingangs skizzierte Vermutung bestätigt (vgl. Kapitel 2.1): GWA ist nicht gleich GWA, gemeinwesenarbeitsorientierte Praxis ist oft nicht auf den ersten Blick bzw. nicht eindeutig als solche erkennbar.

Das ist bei Weitem nicht nur eine Frage des „Wordings“, der Bezeichnung. Es kann sowohl für den Fachdiskurs als auch für die Praxis der GWA als charakteristisch bezeichnet werden, dass – bezogen auf fachliche Zugehörigkeit, berufliche Identität, Gegenstandsverständnis, Zielorientierungen sowie theoretische wie normativen Grundannahmen (vgl. auch Kapitel 3.1) – eine divergente Vielfalt vorherrscht, die auch von Unschärfen und Widersprüchen geprägt ist. Inwiefern es vor diesem Hintergrund angezeigt oder sinnvoll ist, die Kontinuität eines gemeinsam geteilten Begriffes – wir plädieren hier für den Begriff „Gemeinwesenarbeit“ – zu pflegen und die Bezeichnung GWA, respektive „gemeinwesenarbeitsorientierte Praxis“ für eine professionelle Tätigkeit zu stärken, sollte weiter und intensiver diskutiert werden (vgl. Fehren/Martin/Schreier 2023: 189f.; Schreier 2019: 73ff.).

Eine unserer Ausgangsthesen war (vgl. Kapitel 2.1), dass Gemeinwesenarbeit in Praxis, Profession, Disziplin und Ausbildung Sozialer Arbeit vielfach marginalisiert wird, und dass sich dies einerseits begründen lässt, andererseits widerspiegelt in einer nicht ausreichend abgesicherten Finanzierung. Diese These lässt sich unter Rückgriff auf die Erkenntnisse aus unserem Forschungsprozess so nicht aufrechterhalten. Was die Daten zeigen, ist, dass die finanzielle Verankerung von GWA – betreffend Sicherheit und Verlässlichkeit ihrer finanziellen Rahmenbedingungen – sehr heterogen ist. Diese Heterogenität sollte zukünftig viel stärker bei der fachlichen Verständigung und strategischen Ausrichtung von GWA berücksichtigt werden. Denn erst die wechselseitige Transparenz und Kenntnis gesicherter, unsicherer oder eben auch prekärer Finanzierungen ermöglicht produktiven Austausch über die Handlungsfreiheiten und Handlungsbegrenzungen der jeweiligen GWA-Praxen.

GWA zu finanzieren ist hochgradig komplex, anspruchsvoll und zeitintensiv; die damit verbundenen Tätigkeiten erfordern ein immenses spezifisches Wissen sowie einen hohen Grad an strategischer Vernetzung. Das, was viele Praktiker*innen der GWA aus ihrer tagtäglichen Praxis nur allzu gut kennen, lässt sich nun auch empirisch belegen und generalisieren: Die Finanzierung von GWA ist für die allermeisten Träger, Einrichtungen und Praktiker*innen definitiv kein Selbstläufer (vgl. Fehren/Martin/Schreier 2023: 116ff. sowie 165ff.). Nichtsdestotrotz – bzw. vermutlich genau deswegen – gibt es viele Praktiker*innen der GWA, die über einen beeindruckenden Wissens- und Erfahrungsschatz bezüglich Finanzierungsfragen verfügen: [9] Das sind sehr gute Voraussetzungen, um zu überlegen, wie sich Räume und Anlässe schaffen lassen, in denen ein auf Finanzierung von GWA bezogener Erfahrungsaustausch möglich wird und in denen entsprechende Lern- und Entwicklungsprozesse kollektiviert werden können.

Eine Kollektivierung von Wissen und Erfahrung scheint auch aus einem weiteren Grund sinnvoll zu sein: Finanzierungsfragen sind immer auch Machtfragen. Das in diesem Zusammenhang relevante Wissen sollte deshalb systematischer gesammelt, analysiert, breiter zugänglich gemacht und institutionalisiert werden. Es müsste beispielsweise in der Aus- und Weiterbildung von zukünftigen Praktiker*innen der GWA sehr viel mehr Berücksichtigung finden. Hier wäre es nicht zuletzt auch Aufgabe der Hochschulen, ihrer gesellschaftlichen Verantwortung und ihrem Bildungsauftrag nachzukommen. In die Curricula von einschlägigen Bachelor-, Master und Weiterbildungsstudiengängen ist Wissen zur Ökonomie und Finanzierung von Gemeinwesenarbeit (bzw. auch von Sozialer Arbeit) ebenso mit aufzunehmen, wie, damit zusammenhängend, Wissen über die Kollektivierung und Politisierung von (unterdrückten, marginalisierten) Interessen, Wissen zur Erweiterung von Handlungsspielräumen oder zum Ausgleich von mit auf Finanzierung zusammenhängenden Machtasymmetrien. Die mit dem Forschungsbericht (vgl. Fehren/Martin/Schreier 2023) vorgelegten Forschungsergebnisse und Diskussionsimpulse können dazu beitragen, nun stärker empirisch fundiert weitere Schritte in die oben skizzierten Richtungen zu gehen.

Der diesem Beitrag zugrunde liegende Forschungsbericht „Gemeinwesenarbeit im deutschsprachigen Raum – Ein Forschungsbericht zu Finanzierungsformen, Trägerschaften und Vorkommen von GWA“ kann unter diesem Link kostenfrei heruntergeladen werden: DOI: https://doi.org/10.58123/aliceopen-601

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Fußnoten

[1] Es gibt noch eine Reihe weiterer Verankerungsdimensionen der GWA, die wir nicht untersucht haben: Verankerung von GWA a) als konsolidierte Theorie, b) als Geschichte, c) als Profession/Beruf oder als Bestandteil einer Profession/eines Berufs, d) innerhalb einer wissenschaftlichen Disziplin, e) in der Forschung, und all das lokal, regional, national, international, sowie personenbezogen mit Blick auf den Verlauf von Lebensbiografien (vgl. Fehren/Martin/Schreier 2023: 185).

[2] Die Sektion Gemeinwesenarbeit der Deutschen Gesellschaft für Soziale Arbeit (DGSA) ist ein Zusammenschluss von Kolleg*innen, die in der hochschulischen Lehre sowie in der Forschung und in Praxisentwicklungsprojekten in Deutschland, der Schweiz und Österreich im Bereich der Gemeinwesenarbeit tätig sind. Einige sind zusätzlich auch als Praktiker*innen im Feld aktiv. Die Idee zu dem Forschungsprojekt stand dabei in Verbindung mit den vorherigen Projekten und Arbeitsprodukten der Sektion: der qualitativ-deskriptiven Studie „Erfolgsgeschichten der Gemeinwesenarbeit“ (Romppel/Lüters 2005), dem Lehrfilm „Gemeinwesenarbeit Deutschland-Österreich-Schweiz“ (2010) sowie dem „Handbuch Gemeinwesenarbeit" (Stövesand/Stoik/Troxler 2013).

[3] Ein Teil der GWA-Praktiker*innen verortet sich explizit nicht in der Sozialen Arbeit. Das soll mit der oben getroffenen Aussage weder ignoriert noch delegitimiert werden. Wir beziehen uns im Folgenden mit derartigen Aussagen deshalb auf das Feld Soziale Arbeit, weil wir dort beruflich verankert sind bzw. waren.

[4] Das Adjektiv «gemeinwesenarbeitsorientiert» haben wir im Verlauf des Forschungsprozesses (wieder-)entdeckt und ab diesem Moment verwendet, vgl. die Erläuterungen unter Punkt 3.1.

[5] Hier sind in der Wissenschaft Tätige inbegriffen. Ausnahmen bestätigen die Regel.

[6] Standortangaben von gemeinwesenarbeitsorientierter Praxis können von deren jeweiligen Trägern jederzeit über das Eingabeformular auf dieser Website an die Projektverantwortlichen übermittelt werden: Atlas der GWA. Der Atlas wird in unregelmässigen Abständen aktualisiert.

[7] Die jeweiligen Aufzählungen erfolgen jeweils geordnet in der Reihenfolge der Häufigkeit der Nennung.

[8] Die Angaben zum Finanzvolumen wurden für Österreich und Deutschland in Euro und für die Schweiz in CH-Franken erhoben und anschliessend umgerechnet in Euro, vgl. Fehren/Martin/Schreier 2023: 131.

[9] Dies zeigte sich beispielsweise im Rahmen der Expert*inneninterviews, die wir in Teilprojekt I mit 13 Personen aus der GWA geführt haben.


Zitiervorschlag

Schreier, Maren, Edi Martin und Oliver Fehren (2024): Gemeinwesenarbeit im deutschsprachigen Raum. In: sozialraum.de (15) Ausgabe 1/2024. URL: https://www.sozialraum.de/gemeinwesenarbeit-im-deutschsprachigen-raum.php, Datum des Zugriffs: 04.07.2024