Sozialräumliche Jugendarbeit und Gemeinwesenarbeit: Schwestern, aber keine Zwillinge!
Ulrich Deinet
1. Zukunftsfähigkeit der Offenen Jugendarbeit durch Sozialraumorientierung?
In zahlreichen Veröffentlichungen und bei Tagungen wird die Zukunftsfähigkeit der Offenen Kinder- und Jugendarbeit zum Thema gemacht. Vor dem Hintergrund des demographischen Wandels und des zum Teil deutlichen Rückgangs von Kindern und Jugendlichen, aber auch auf Grund gesellschaftlicher Veränderungen wie dem Übergang von der Halbtags- zur Ganztagsschule werden die konzeptionellen Ansätze der Offenen Kinder- und Jugendarbeit in Frage gestellt und es wird diskutiert, wie diese zukunftsfähig ausgerichtet werden kann. Für die Beantwortung dieser Frage ist es auch von Bedeutung, wie sich die anderen Felder der Jugendhilfe entwickeln, insbesondere die Nachbarfelder wie etwa Streetwork, Schulsozialarbeit oder Gemeinwesenarbeit (GWA).
Die in der Gemeinwesenarbeit ebenfalls geführte Diskussion um die Perspektiven dieses Arbeitsbereiches in der Spannung zwischen der klassischen Gemeinwesenarbeit und einer Sozialraumarbeit als intermediärer Instanz ist für die Weiterentwicklung der Offenen Kinder- und Jugendarbeit von großem Interesse, weil es gerade zwischen diesen Bereichen große Schnittmengen, aber auch Abgrenzungen gibt. Im folgenden Text soll deshalb der Versuch gemacht werden, Parallelen, Schnittstellen, aber auch Unterscheidungen zwischen einer modernen Gemeinwesenarbeit und einer sozialräumlich orientierten Offenen Kinder- und Jugendarbeit zu beschreiben. Damit soll auch ein Beitrag geleistet werden zu einer Diskussion zwischen den Feldern der Jugendhilfe. Die in der Jugendhilfe vorhandene Versäulung, die auch in den Debatten um die Perspektiven einzelner Arbeitsbereiche stattfindet, führt eher zu einer Schwächung des gesamten Bereiches der Kinder- und Jugendhilfe im gesellschaftlichen Diskurs etwa in der Kooperation mit Schule.
Ein weiteres Motiv für einen stärkeren Austausch der Felder besteht in dem Interesse an der Entwicklung konzeptioneller Differenzierungen der Offenen Kinder- und Jugendarbeit in unterschiedlichen Feldern und mit unterschiedlichen Partnern. Dabei wird nicht nur die Kooperation zwischen Jugendarbeit und Schule diskutiert (Deinet u.a. 2010), sondern eben auch andere konzeptionelle Entwicklungen, die in der Kooperation mit weiteren Feldern der Jugendhilfe denkbar sind, etwa zwischen Jugendarbeit und den Hilfen zur Erziehung oder eben einer sozialräumlich orientierten Jugendarbeit, die starke Gemeinwesen orientierte Bezüge aufweist. Der erste Teil des Beitrags befasst sich zunächst mit einer Positionierung der Offenen Kinder- und Jugendarbeit im Feld der Jugendhilfe mit ihrem spezifischen Mandat und den notwendigen Abgrenzungen zu anderen Bereichen der Jugendhilfe.
Vor dem Hintergrund der Entwicklung eines sozialräumlichen Ansatzes in der Kinder- und Jugendarbeit folgt eine kurze Beschreibung Gemeinwesenorientierter Tendenzen in der Offenen Jugendarbeit, die sich insbesondere im großstädtischen Bereich zeigen.
Zwei Beispiele für die Kooperation zwischen Offener Jugendarbeit und Gemeinwesenarbeit zeigen auf, wie eine sozialräumlich orientierte Jugendarbeit lebensweltorientiert, aber auch im Gemeinwesen agiert, dabei die spezifischen Bedarfe von Kindern und Jugendlichen herausarbeitet und sich damit im Gemeinwesen einbringt.
Der nächste Teil beschäftigt sich mit unterschiedlichen Raumverständnissen und Raumbegriffen zwischen Gemeinwesenarbeit und einer sozialräumlichen Jugendarbeit, die insbesondere in der Lebensweltorientierung in der Jugendarbeit zu sehen sind und eine sozialräumliche Jugendarbeit dazu verpflichtet, über den jeweiligen Stadtteil als Gemeinwesen hinaus zu agieren, insbesondere was die Mobilität von Jugendlichen angeht.
Im Fazit und Ausblick werden Parallelen, aber auch Unterschiede zwischen GWA und sozialraumorientierter Jugendarbeit beschrieben, insbesondere auf der Grundlage der von Reutlinger u.a. beschriebenen drei Ebenen der Sozialraumarbeit.
2. Offene Jugendarbeit muss sich zwischen den Feldern der Jugendhilfe profilieren
Das Feld innerhalb der Jugendhilfe ist durch eine ambivalente Situation gekennzeichnet: Kommunal existieren große Unterschiede was die Positionierung der Offenen Kinder- und Jugendarbeit anbelangt. Zum einen ist sie anerkannter Bestandteil sozialer Infrastruktur und übernimmt entsprechende Aufgaben. Andererseits erscheint sie als „Schmuddelkind" der Jugendhilfe, dem ständig neue Aufgaben zugemutet werden und dessen Infrastruktur als kommunalpolitische Manövriermasse genutzt wird.
Die Tatsache, dass die Kinder- und Jugendarbeit nach wie vor der drittgrößte Bereich der Jugendhilfe (nach Tageseinrichtungen und den Hilfen zur Erziehung) ist, entspricht heutzutage bei weitem nicht ihrer Bedeutung und so wird sie immer mehr zu einem Bereich der sozialpolitisch für jedes neue Thema zur Verfügung stehen muss.
Die Positionierung der Kinder- und Jugendarbeit und ihr spezifisches Mandat kann so beschrieben werden: Offene Kinder- und Jugendarbeit ist Erziehung, Bildung, Betreuung, aber nicht Prävention, entsprechend der im § 11, 1 gegebenen Definition:
„Jungen Menschen sind die zur Förderung ihrer Entwicklung erforderlichen Angebote der Jugendarbeit zur Verfügung zu stellen. Sie sollen an den Interessen junger Menschen anknüpfen und von ihnen mitbestimmt und mitgestaltet werden, sie zur Selbstbestimmung befähigen und zu gesellschaftlicher Mitverantwortung und zu sozialem Engagement anregen und hinführen" (§ 11, 1 SGB VIII).
Das Gesetz beschreibt sehr deutlich ein Curriculum der Kinder- und Jugendarbeit, das diese von anderen Arbeitsbereichen der Jugendhilfe unterscheidet:
- Offene Kinder- und Jugendarbeit ist primär nicht Jugendschutz oder Jugendsozialarbeit,
- nicht Prävention im Vorfeld der Hilfen zur Erziehung (kann aber diese Wirkung entfalten).
- Sie ist nicht Hilfe zum Übergang in den Beruf (kann diese Wirkung aber entfalten) (vgl. Deinet u.a. 2010).
Die Offene Kinder- und Jugendarbeit muss ein stückweit unkalkulierbar bleiben, weil sie sich an den wechselnden Themen und Interessen von jungen Menschen orientiert.
Die Ausdifferenzierung der Einrichtungen der Kinder- und Jugendarbeit stellen sich sozialräumlich, also bezogen auf die jeweiligen Bedarfe und Strukturen in den Stadtteilen und Regionen sehr unterschiedlich dar.
Dadurch entsteht ein Widerspruch zwischen den vielfach durchgeführten Präventionsprogrammen, insbesondere auch in Stadtteilen mit besonderem Entwicklungsbedarf (früher soziale Brennpunkte!) und der Funktion der Kinder- und Jugendarbeit. Sicher wird die Kinder- und Jugendarbeit in vielen Bereichen auch präventive Wirkung entfalten, aber ihr Jugendbild ist zunächst positiv und nicht eingeschränkt auf Randgruppen (wie man diese früher bezeichnete) oder marginalisierte Jugendliche.
Aus einer Lebensweltanalyse heraus entwickelt eine sozialräumlich orientierte Jugendarbeit konzeptionelle Schwerpunkte, die auf die Bedürfnisse und Bedarfe in den Sozialräumen eingehen. Deshalb wird eine Offene Kinder- und Jugendarbeit in einem sozial belasteten Stadtteil auf jeden Fall auch Arbeitsbereiche entwickeln, die versuchen, auf die Defizite der Kinder und Jugendlichen einzugehen und ihnen Chancen zu eröffnen, etwa in der Kooperation mit Schule, in der Bekämpfung von Armut etc.
Es geht hier nicht darum, auf gesetzlichen Grundlagen zu beharren, aber im Vergleich zu den anderen Bereichen der Jugendhilfe und auch in der Kooperation mit der GWA ist diese Positionierung wichtig, weil sie insbesondere dazu führt, dass die Kinder- und Jugendarbeit nicht mit dem Präventionsparadigma, das die soziale Arbeit weitgehend bestimmt, arbeiten kann.
Meine These ist, dass die sozialräumlich orientierte Kinder- und Jugendarbeit mit einem positiven Selbstbewusstsein in die Diskussion um die Weiterentwicklung der Jugendhilfe gehen könnte und zwar aus folgenden Gründen:
- Offene Kinder- und Jugendarbeit ist der Bereich an der Schnittstelle von öffentlichem Raum, Schule und Familie
- Der konzeptionelle Ansatz ist flexibel genug, um sich an die sozialräumlichen Gegebenheiten anpassen zu können.
- Als Partner von Schule, der GWA, den Bereichen der Jugendhilfe und weiteren Institutionen bietet die Offene Jugendarbeit ein breites Spektrum informeller und nicht-formeller Bildungsangebote.
3. Gemeinwesenorientierte Tendenzen in der Offenen Jugendarbeit [1]
Vor dem Hintergrund der neueren Diskussion um GWA-Ansätze soll in dem Folgenden diskutiert werden, inwieweit eine sozialräumlich orientierte Jugendarbeit und die GWA vergleichbare konzeptionelle Ansätze entwickelt haben, wo es Schnittmengen, aber auch Profilunterschiede zwischen beiden Handlungsfeldern gibt.
Vor dem Hintergrund der Methodendiskussion in der sozialen Arbeit und der Tatsache, dass die Gemeinwesenarbeit zu den drei klassischen Methoden gezählt wird, gehe ich für meinen Beitrag von der Einschätzung aus, dass Jugendarbeit und Gemeinwesenarbeit unterschiedliche Handlungsfelder der sozialen Arbeit sind, die über möglicherweise gemeinsame, aber auch spezifische Methoden verfügen (vgl. Galuske 2007). Ich verstehe also GWA nicht mehr als Methode der sozialen Arbeit, sondern heute als Handlungsfeld, das insbesondere auch im Zusammenhang mit dem Bundesprogramm soziale Stadt und den damit verbundenen Ansätzen einer Sozialraumorientierung zu verstehen ist.
Im Folgenden werden Ansätze einer sozialräumlichen Jugendarbeit, wie sie an vielen Orten zu beobachten sind, und ein moderner Ansatz einer sozialräumlich orientierten Gemeinwesenarbeit verglichen. Diese hat sich in einem Spektrum zwischen der direkten Arbeit mit Wohnbevölkerung, spezifischen Zielgruppen und deren methodischer Aktivierung etc. und auf der anderen Seite auch durch ein Sozialraummanagement, so wie es Wolfgang Hinte u. a. beschrieben haben (vgl. Hinte 2001), entwickelt. Auf die im engeren Bereich der Gemeinwesenarbeit geführten kontroversen Diskussion zwischen GWA und Sozialraumorientierung möchte ich in diesem Zusammenhang nicht weiter eingehen, sondern die Gelegenheit nutzen, einen Beitrag zu leisten gegen die Versäulung der sozialen Arbeit in zum Teil auch sehr kleine Felder und mich dafür stark machen, dass es in Zukunft darum gehen muss über diese Versäulung hinauszukommen und sowohl intermediär als auch interdisziplinär zusammen zu arbeiten. Dafür kann die mögliche Kooperation zwischen GWA und sozialräumlich orientierter Jugendarbeit eine wichtige Grundlage sein
Meine These ist, dass GWA und sozialräumlich orientierte Jugendarbeit wie Schwestern in einem Sozialraum wirken können, die sich sehr gut ergänzen, aber mit unterschiedlichen Mustern und Blickwinkeln und spezifischen eigenen Methoden und Profilen ausgestattet sind, die sie weiter entwickeln müssen und nicht unzulässig vermischen dürfen.
Folgende gemeinwesenorientierte Tendenzen lassen sich in der sozialräumlich orientierten Jugendarbeit beobachten:
- Verbreitet ist eine intensive Kooperation mit Schule mit sehr unterschiedlichen Konzepten im Primarbereich und im Bereich der Sekundarstufe I (vgl. Deinet u.a. 2010). Diese im Feld der Offenen Jugendarbeit durchaus kontrovers diskutierte konzeptionelle Orientierung ist insofern von großem Interesse, weil sich die Entwicklung von der Halbtags- zur Ganztagsschule in allen Bundesländern in unterschiedlicher Weise vollzieht und damit die Schule zu einem der wichtigsten Lebensorte von Kindern und Jugendlichen außerhalb ihrer Familie wird. Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen muss die Offene Kinder- und Jugendarbeit sich auch in der Kooperation zur Schule positionieren.
- Jugendeinrichtungen sind aber auch Stadtteilzentren, sie sind Motoren sozialräumlicher Kooperation und Vernetzung zwischen verschiedenen Institutionen, sie bilden den Mittelpunkt eines Netzwerkes bis dahin, dass die Fachkräfte Aufgaben eines Quartiersmanagements übernehmen. Diese, insbesondere im großstädtischen Bereich anzutreffende, konzeptionelle Differenzierung von Einrichtungen der Offenen Kinder- und Jugendarbeit ist sozusagen die GWA-Variante der Offenen Jugendarbeit! Selbstverständlich finden Stadtteilkonferenzen in den Räumen dieser Einrichtungen statt, die Fachkräfte übernehmen zum Teil selbst Funktionen, die weit über die klassische Offene Kinder- und Jugendarbeit hinausgehen und Gemeinwesen orientiert sind. In den vielen Stadtteilen, in denen es keine Gemeinwesenarbeit gibt, übernimmt die Offene Kinder- und Jugendarbeit hier ganz deutlich GWA-Funktionen. Dies wird oft dadurch unterstützt, dass die entsprechenden Strukturen bei Jugendämtern so ausgelegt sind, dass Jugendpflegerinnen und Jugendpfleger über die klassische Rolle hinaus Funktionen von Sozialraummanagern übernehmen, d.h. die Aufgabe haben, Netzwerke zu bilden und über die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen hinaus die Infrastruktur der Einrichtungen so zu nutzen, dass diese oftmals Knotenpunkte in Netzwerken sind.
- Kinder- und Jugendeinrichtungen werden auch zu Kinder-, Jugend- und Familieneinrichtungen, d. h. sie arbeiten intergenerativ, machen Angebote für Familien (vgl. mit Familienzentren, arbeiten intensiver mit den Hilfen zur Erziehung zusammen). Diese fast ähnliche Variante der Offenen Kinder- und Jugendarbeit ist eine Konsequenz aus dem in manchen Stadtteilen ausgesprochen stark zu bemerkenden demographischen Wandel, in der die Einrichtungen darauf angewiesen sind, andere Zielgruppen zu erreichen. Nicht unproblematisch ist aber dennoch die Übernahme von solchen Funktionen, die über die klassische Zielgruppe der Kinder- und Jugendlichen hinausgehen und zum Teil mit anderen Zielsetzungen oder Paradigmen verbunden sind. Dazu zählt etwa die in der Praxis durchaus verbreitete Kooperation mit den Hilfen zur Erziehung, die zwei Bereiche der Jugendhilfe zusammenbringt, die von ihren Mustern ausgesprochen gegensätzlich sind. Genauso ist die Einbeziehung von Familien- und Elternarbeit ein bisher in der Offenen Kinder- und Jugendarbeit eher vernachlässigter Aspekt, der sicher auch mit der Geschichte der Jugendarbeit zu tun hat, die ihre Freiraumfunktion u.a. darin fand, dass sie Kindern und Jugendlichen einen Raum außerhalb ihrer Familien zur Verfügung stellte.
Der „sozialräumliche Blick" der Jugendarbeit
Auf der Grundlage der Einblicke in subjektive Lebenswelten und dem Erleben von Kindern in ihren Wohngebieten unter dem Aspekt der Raumaneignung wurden Verfahren einer „sozialräumlichen Konzeptentwicklung" (Deinet/Krisch 2002) entwickelt: Man geht davon aus, dass aus der Beobachtung, Analyse und Interpretation des Raumaneignungsverhaltens von Kindern und Jugendlichen auch die Bedarfe für die Entwicklung von Konzepten und konkreten Angeboten der Kinder- und Jugendarbeit abzuleiten sind.
Solche Verfahren arbeiten deshalb weniger mit Bedürfnisabfragen wie in vielen Jugendbefragungen sondern versuchen die sozialräumlichen Zusammenhänge der Zielgruppen zu analysieren und ihr Aneignungsverhalten zu deuten. So können mit Hilfe von qualitativen Verfahren wie etwa der Stadtteilbegehungen mit Kindern und Jugendlichen oder der Nadelmethode (Kennzeichnung von bestimmten Orten und Raumqualitäten mit farbigen Nadeln auf einem Stadtplan) Erkenntnisse über subjektives und z.B. geschlechtsheterogenes Raumerleben in einem Stadtteil gewonnen werden. Mit Hilfe solcher qualitativer Methoden (ausführlich: Deinet 2009; Krisch 2009) entwickelt die Kinder- und Jugendarbeit einen „sozialräumlichen Blick", d.h. Kompetenzen und Kenntnisse über Formen der Raumaneignung, jugendkulturelle Ausdrucksformen, ihre Orte und Räume etc.
Mit einer solchen Kompetenz können sich die Mitarbeiter/innen der Jugendarbeit für die Nutzbarmachung, Rückgewinnung und Schaffung jugendkultureller Räume stark machen. Eine sozialräumliche Konzeptentwicklung geht nicht von den institutionellen Rahmenbedingungen aus wie die klassische Konzeptentwicklung, sondern fragt aus der Analyse der Lebenswelten und dem Aneignungsverhalten von Kindern nach Bedarfen und Anforderungen an die Jugendarbeit oder andere Institutionen. Diese Vorgehensweise steht im Gegensatz zu einer institutionellen Konzeptentwicklung, die sehr stark von den Institutionen, Trägern, deren Ausstattung sowie von den Ressourcen ausgeht (vgl. Deinet 2005 und 2009).
Sozialräumlich orientierte Kinder- und Jugendarbeit unterscheidet sich von einer - immer noch anzutreffenden - eher auf eine „Komm"-Struktur angewiesene Kinder- und Jugendarbeit durch folgende Aspekte:
Sozialräumliche Jugendarbeit...
- ...versteht Sozialräume auch als subjektive Aneignungs- und Bildungsräume,
- ...gewinnt ihre konkreten (und sich verändernden!) Ziele aus einer qualitativen Sozialraum-Lebensweltanalyse.
- ...versteht sich als Unterstützung von Kindern und Jugendlichen und deren Bildung im sozialen Raum und stellt dazu Aneignungs- und Bildungsmöglichkeiten zur Verfügung.
- ...besitzt die Kompetenzen einer Expertin für die Belange von Kindern und Jugendlichen im öffentlichen Raum, fördert Vernetzung und nimmt sozialpolitisches Mandat wahr!
- ...ist aufgrund ihres Profils ein geschätzter Kooperationspartner von GWA, Schule...
Diese Dimensionen einer sozialräumlichen Jugendarbeit muss die Kinder- und Jugendarbeit erarbeiten, d. h. sie fallen ihr nicht zu, sondern um eine Expertin für die Lebenswelten und Sozialräume von Kindern und Jugendlichen zu werden, benötigt die Kinder- und Jugendarbeit sozialräumliche Kompetenzen, die sie nur über die Anwendung eines Methodenrepertoires erreichen kann (Deinet 2005, Krisch 2010, Deinet 2010, www.sozialraum.de)
4. Beispiele für die Kooperation von Offener Jugendarbeit und GWA
Jugendarbeit nimmt lebensweltliche Themen auf
Eine Jugendeinrichtung entwickelt einen Babysittingkurs für Jugendliche, der aus einem Curriculum mit unterschiedlichen Elementen besteht und mit einem Zertifikat für die Teilnehmenden abschließt. In der Kooperation mit einem Kinderkrankenhaus und weiteren Institutionen lernen die Jugendlichen elementare Kenntnisse in der Betreuung von Kleinkindern, welche Kooperationspartner wichtig sind, welche Parks und Spielplätze im Stadtteil nutzbar sind.
Bildungstheoretisch würde man dieses Projekt als non-formale Bildung bezeichnen, weil es ein Projekt ist, das im Bereich der Freiwilligkeit liegt, aber eine curricular entwickelte Lernsituation darstellt, die sogar mit einem Zertifikat endet.
Lebensweltlich könnte man dieses Projekt als typisches Projekt einer sozialräumlich orientierten Jugendarbeit interpretieren, das positive Wirkungen für das Gemeinwesen haben kann. Speziell für die Jugendlichen (an dem Projekt nehmen nicht wenige Jungen teil!) werden Kompetenzen vermittelt und die für die Jugendlichen wichtige Frage der Suche und des Findens von Jobs außerhalb der Schule wird angesprochen.
Es handelt sich bei dem Projekt aber auch um ein sehr spezielles Thema, das sicherlich nicht als Idee auf einer Stadtteilkonferenz entwickelt wird. Insofern ist das Beispiel typisch für die Funktion der Jugendarbeit an den Themen und Interessen von Jugendlichen anzusetzen und daraus Projekte und Angebote zu entwickeln. Diese können aus Sicht der GWA dennoch als Bereicherung im Sozialraum wirken.
Jugendarbeit agiert im öffentlichen Raum
In einer westfälischen Stadt agiert eine sozialräumlich orientierte Jugendarbeit an den Orten, an denen sich Jugendliche aufhalten und versucht, durch mobile Angebote, aber auch durch die Arbeit mit Cliquen im öffentlichen Raum zu wirken. Ein neues Projekt bezieht sich auf zwei Cliquen, die sich nicht unbedingt mögen und versucht, mit diesen beiden unterschiedlichen Cliquen die gemeinsame Gestaltung eines Ortes im öffentlichen Raum zu entwickeln. Dabei geht es sehr stark um Aushandlungsprozesse zwischen den verschiedenen Jugendszenen etc. (vgl. www.betreten-erlaubt.de).
Starke Rückschläge wie der Brand eines gerade erst eröffneten Cliquentreffs kennzeichnen das Projekt ebenso wie die gelungene Ansprache von Jugendlichen und ihre Beteiligung bis hin zu Aspekten der politischen Bildung, z. B. in der Kommunikation mit Lokalpolitikern.
Dabei geht es insbesondere um die Beteiligung von Jugendlichen, um die Schaffung positiver Beteiligungserfahrungen, die Verdeutlichung von Strukturen etc. Das Mandat der sozialräumlichen Jugendarbeit in diesem Bereich bedeutet aber auch, die überall zu beobachtende Verdrängung von Jugendlichen aus dem öffentlichen Raum zu skandalisieren und diese durch Projekte der Revitalisierung des öffentlichen Raums für Jugendliche zu konterkarieren. Dafür muss sich die Jugendarbeit einsetzen und z. B. öffentlich deutlich machen, dass und welche Funktionen öffentliche Räume für Jugendliche haben. Es geht nicht um das Abhängen von Jugendlichen, sondern um ihre Bedeutungskonstruktion des öffentlichen Raumes als „verharren in Gelegenheitsstrukturen".
Eine sozialräumlich orientierte Jugendarbeit agiert selbstverständlich an den Orten der Jugendlichen im öffentlichen Raum und versucht dort eine Moderations- und Scharnierfunktion zu übernehmen. Insofern gibt es interessante Vergleiche zu einer Gemeinwesenarbeit die sich heute auch stärker als intermediäre Instanz und Vermittlung zwischen unterschiedlichen Institutionen und Interessengruppen sieht.
Die Beispiele zeigen, welche Parallelen, aber auch Unterschiede es zwischen einer sozialräumlich orientierten Jugendarbeit und einer Gemeinwesenarbeit geben kann. Beide Bereiche - deshalb als Schwestern bezeichnet - haben wichtige Funktionen in der Entwicklung eines Gemeinwesens und sind von daher auch aufeinander angewiesen. Eine Vermischung ist in der Praxis überall zu finden. Dort, wo es in Stadtteilen mit besonderen Problembedarfen keine Gemeinwesenarbeit gibt, übernimmt die Offene Kinder- und Jugendarbeit oft auch eine Gemeinwesenfunktion. Andererseits initiiert die GWA ihrerseits oft Projekte und Formen der Kinder- und Jugendarbeit in benachteiligten Stadtteilen, in denen es oft keine spezifischen Einrichtungen der Kinder- und Jugendarbeit gibt.
5. Sozialraumarbeit - eine gemeinsame Aufgabe für Jugendarbeit und GWA
Reutlinger und Wigger (Reutlinger/Wigger 2008) formulieren Dimensionen einer Sozialraumarbeit, die im Folgenden auf Offene Jugendarbeit und GWA bezogen werden sollen. Im Sinne einer übergreifenden „Sozialraumarbeit" bestünde der normative Anspruch an die Kinder- und Jugendarbeit, in drei Ebenen sozialräumlich aktiv gestaltend tätig zu sein. Reutlinger und Wigger unterscheiden drei Zugänge, die auch als Ebenen bezeichnet werden können, auf denen sich sozialräumliches Arbeiten vollzieht (Reutlinger/Wigger 2008, S. 344).
Diese drei Ebenen sollen im Folgenden dazu dienen, die Handlungsebene der Fachkräfte in den Blick zu nehmen und zu fragen, ob die Studien zur Offenen Jugendarbeit Ergebnisse zeigen, die sich den drei Ebenen zuordnen lassen und welche normativen Ansprüche dazu bestehen. Mit dem Fokus auf die Offene Kinder- und Jugendarbeit wird die von Reutlinger & Wigger vorgenommene Reihenfolge verändert und im Folgenden vorgestellt, beginnend mit Zugang B, der sich hier auf „Sozialraumarbeit als Arbeit an Strukturen" konzentriert. Es folgt Ebene bzw. Zugang A, hier „Sozialraumarbeit als Gestaltung von Orten" genannt, gefolgt von der dritten Ebene bzw. Zugang C, in Anlehnung an Spatscheck (2010) „Sozialraumarbeit als pädagogische Arbeit" bezeichnet.[2].
Sozialraumarbeit als Arbeit an Strukturen (Kooperation und Vernetzung)
Auf der Ebene der Strukturgestaltung geht es insbesondere um die Schaffung von Strukturen in Stadtteilen im Sinne einer besseren Kooperation und Vernetzung der bestehenden Einrichtungen, sowie deren sozialpolitische Steuerung. Die Offene Kinder- und Jugendarbeit hätte in diesem Bereich große Chancen auf Grund ihrer sozialräumlichen Kompetenz als Experte der unterschiedlichen Akteure eines Sozialraums. Dabei stellt die Kooperation mit Schule eine besondere Herausforderung dar, die letztlich auch die Organisation der Offenen Kinder- und Jugendarbeit verändert, z. B. im Sinne der Verlagerung von Angeboten an die Schule. Mit der Schaffung von Strukturen sind aber auch neue Organisationsformen gemeint, die, jenseits der klassischen „Versäulung" der Kinder- und Jugendhilfe auf der Grundlage von sozialräumlichen Bedarfen, unterschiedliche, bisher als einzelne Einrichtungen existierende Arbeitsformen zusammenfassen könnten. Dazu gehören etwa die Bereiche der Jugendförderung, der stationären und der mobilen Arbeit: „Die Bearbeitung der Sozialen Räume wird aus dieser Perspektive durch veränderte Organisationsstrukturen, Steuerungs- und Verteilungsmechanismen ermöglicht" (Reutlinger/Wigger 2008, S. 348). Solche Veränderungsprozesse können sich auf Strukturen der Sozialen Arbeit aber auch auf die „neue" Zusammenarbeit größerer Systeme wie Jugendhilfe und Schule in den entstehenden Bildungslandschaften beziehen.
Auf der Ebene einer Sozialraumarbeit als Arbeit an Strukturen (Kooperation und Vernetzung) wären eine sozialräumlich orientierte Jugendarbeit und eine Gemeinwesenarbeit ideale Partner. Dies zeigt sich insbesondere in solchen Stadtteilen, wo der eine oder andere Partner fehlt und Gemeinwesenarbeit auch sozialräumliche Projekte der Jugendarbeit initiiert und aufbaut und umgekehrt eine sozialräumlich orientierte Jugendarbeit auch Bereiche der Gemeinwesenarbeit abdeckt und die Funktion eines Motors für Kooperation und Vernetzung übernimmt. So haben inzwischen in einigen Städten in Nordrhein-Westfalen die früheren Jugendpflegerinnen und Jugendpfleger auch die Funktion einer Sozialraumkoordination übernommen und die Einrichtungen der Offenen Kinder- und Jugendarbeit bilden häufig die Zentralen von Netzwerken, die wie in der Gemeinwesenarbeit üblich von einem örtlichen Träger aus vorangetrieben und entwickelt werden.
Eine klassische, immer noch an „Komm"-Strukturen orientierte Kinder- und Jugendarbeit ist in diesem Zusammenhang kein Partner einer Sozialraumarbeit im Sinne von Kooperation und Vernetzung und es muss in Zukunft darum gehen, solche Einrichtungen für die Bedarfe des Stadtteils zu öffnen. In den Kooperations- und Vernetzungsrunden übernimmt die sozialraumorientierte Jugendarbeit eine Scharnierfunktion zwischen der Welt der Erwachsenen und der Jugendkulturen und sie übernimmt auch eine Mandatsfunktion für die Interessen von Kindern und Jugendlichen. Sie sieht sich selbst als Mediator zwischen den unterschiedlichen Interessenlagen von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen, übernimmt aber auch ein jugendpolitisches Mandat zur Vertretung der Interessen von Kindern und Jugendlichen auch gegenüber den Interessen anderer Gruppen, die zum Teil sehr dominant auftreten und vor dem Hintergrund des demographischen Wandels in Zukunft ihre Interessen breit vertreten werden. Interessenwidersprüche zwischen GWA und sozialraumorientierter Jugendarbeit sind in diesem Zusammenhang durchaus denkbar und möglich, basierend auf den unterschiedlichen professionellen Profilen, aber auch händelbar und miteinander in Einklang zu bringen.
Sozialraumarbeit als Gestaltung von Orten
Auf der zweiten Ebene, der Ebene der Gestaltung von Orten, geht es zunächst um die Orte der Jugendarbeit selbst, d. h. die Gestaltung der Einrichtungen. In deren Gestaltung spiegeln sich auch die Strukturmerkmale und pädagogischen Prinzipien der Offenen Arbeit wieder. Besonders der sogenannte „Offene Bereich" einer Einrichtung (Eingangsbereich, Café, Spielbereich usw.) ist durch das Prinzip der „Freiwilligkeit" gekennzeichnet, in dem sich Kinder und Jugendliche jederzeit aus der Einrichtung zurückziehen können. Der traditionelle Begriff für Jugendeinrichtungen als „Offene Tür" versinnbildlicht diesen konzeptionellen Kern. Die offenen Bereiche bilden durch ihre freie Zugänglichkeit damit auch Teile des öffentlichen Raumes für Kinder und Jugendliche und bilden in den Einrichtungen einen Übergang zwischen der allgemeinen Öffentlichkeit und den spezifischen Räumen der Jugendarbeit (z.B. den Werkräumen oder den Räumen, in denen spezielle Projekte durchgeführt werden).
Holger Schmidt (Schmidt 2011, S. 58 ff.) formuliert einen wirkungsvollen sozialräumlichen Zusammenhang, der in der Forschung zur Offenen Kinder- und Jugendarbeit bisher vernachlässigt wurde: Die unbedingt notwendige Verknüpfung zwischen baulicher und innenarchitektonischer Gestaltung, sowie bestimmten konzeptionellen Schwerpunkten. In der Literatur zur sozialräumlichen Offenen Kinder- und Jugendarbeit (vgl. Deinet 2005, Krisch 2009) finden sich immer wieder Hinweise auf den Zusammenhang zwischen architektonischen und baulichen Gegebenheiten und den konzeptionellen Entwicklungsmöglichkeiten von Einrichtungen: „Die Möglichkeiten der konzeptionellen Differenzierung einer Einrichtung sind natürlich von deren sozialräumlichen Qualitäten und Möglichkeiten abhängig. Hier spielen verschiedenste Faktoren eine Rolle. Räumliche Strukturen, wie die Größe, die Ausstattung und Lage einer Einrichtung im Stadtteil, die potentiellen Möglichkeiten, Räume zu verändern, die „Offenheit" und Zugänglichkeit des Eingangsbereiches, die Gelegenheit, verschiedene Zugangsoptionen zu schaffen bzw. generell die verfügbaren Ressourcen, bestimmen die Aneignungsmöglichkeiten von Kindern und Jugendlichen und beeinflussen deren Zugang" (Krisch 2009, S. 171).
Sozialraumarbeit als Gestaltung von Orten kann in Bezug auf die Offene Kinder- und Jugendarbeit auch bedeuten, dass die Kinder- und Jugendeinrichtungen auch sozialräumlich für ein Gemeinwesen wichtige Funktionen übernehmen und sich dies auch in ihrer architektonischen Gestaltung, insbesondere des Offenen Bereiches widerspiegelt. Elterncafés, Angebote für Senioren in Kinder- und Jugendeinrichtungen, intergenerative Ansätze geben den Kinder- und Jugendeinrichtungen über ihre klassische Funktion hinaus neue Profile in Gemeinwesen, die auf eine starke Infrastruktur angewiesen sind, zu denen insbesondere auch die Einrichtungen der Offenen Kinder- und Jugendarbeit gehören. Die an vielen Stellen vollzogene Öffnung im Hinblick auf andere Altersstufen, Angebotsformen etc. bis hin zu Mehrgenerationenhäusern zeigt, wie die Infrastruktur der Offenen Kinder- und Jugendarbeit in ein Gemeinwesen eingebracht werden kann.
Sozialraumarbeit als die Gestaltung der pädagogischen Arbeit
Die dritte Ebene ist die „Gestaltung der pädagogischen Arbeit": Hier soll es insbesondere darum gehen, den in der Praxis weit verbreiteten Begriff der Beziehungsarbeit mit den normativen Ansprüchen an eine professionelle Rolle in der Offenen Kinder- und Jugendarbeit zu vergleichen. Zur dritten Ebene der Sozialraumarbeit, so wie sie von Reutlinger und Wigger (2008) skizziert werden, gehört die pädagogische Arbeit als wichtiges Gestaltungselement. Unter sozialräumlichen Aspekten stellt sich hier vor allem die Frage, wie die Aneignungsprozesse von Kindern und Jugendlichen begleitet werden können, sowohl in der Einrichtung als auch im Stadtteil, und wie sich die Fachkräfte insgesamt in einer Sozialraumarbeit verorten können.
Mit einem normativen Anspruch verweist Richard Krisch (Krisch 2009) auf das besondere Verhältnis zwischen den Fachkräften und dem „Sozial-Raum", sowohl innerhalb der Einrichtungen als aber auch im Stadtteil: „Aus dem sozialräumlichen Blickwinkel sind aber auch die Jugendarbeiter/innen ‚Bestandteil' des Sozialraumes Jugendhaus und daher auch Teil der Aneignungsqualität. Dies wird mit der Zuschreibung der Fähigkeit zur „strukturierenden Kompetenz" (Deinet 1992) einer sozialräumlichen Jugendarbeit deutlich, die auf das besondere Verhältnis von Mitarbeiter/innen und Raum hinweist. Ihre Fähigkeiten, den Raum zielgruppenspezifisch zu strukturieren, Umgangsformen vorzuschlagen, Konfliktlösungsmuster anzubieten und inhaltliche Angebotsstrukturen zu schaffen prägen das spezifische Klima des Raumes Jugendhaus und wirken - wie Simmel beschreibt - als Raumbestimmtheit wieder auf die Handlungen der Jugendlichen zurück" (Krisch 2009, S. 171).
In der Gestaltung der pädagogischen Arbeit verstehen sich sozialraumorientierte Jugendarbeiter/innen immer auch als Bestandteil ihres Sozialraumes und wirken über die Einrichtung hinaus. Dazu gehören heute etwa kontinuierliche Angebote außerhalb der Einrichtungen an Orten im öffentlichen Raum (etwa Spielplätzen, Schulhöfen etc.), die von den Einrichtungen, insbesondere in den Sommermonaten durchgeführt werden. Solche herausreichenden Angebote beziehen sich auf die Unterstützung von Aneignungsprozessen von Jugendlichen im öffentlichen Raum, die durchaus auch im Widerspruch zu den Interessen von Erwachsenen und anderen Zielgruppen stehen können. Die Übernahme mobiler Arbeitsformen schafft eine Präsenz im Sozialraum/Gemeinwesen, die aus Sicht der GWA positiv zu bewerten ist. So können die entstehenden Konflikte z.B. in der Nutzung von Treffs im öffentlichen Raum durch unterschiedliche Zielgruppen auch dazu genutzt werden, aktivierende Methoden (etwa die aktivierende Befragung, Begehungen etc.) einzusetzen, um die unterschiedlichen Interessenlagen der einzelnen Zielgruppen deutlich zu machen und diese dann in einem Mediationsprozess zwischen GWA und Jugendarbeit so wie anderen beteiligten Institutionen (etwa Schule etc.) bearbeiten zu können.
Die Schnittmenge zwischen GWA und einer sozialräumlich orientierten Jugendarbeit werden größer: vor dem Hintergrund des demographischen Wandels und der auch aus anderen veränderten Rahmenbedingungen resultierenden Notwendigkeit zur sozialräumlichen Differenzierung und konzeptionellen Differenzierung der Offenen Jugendarbeit, wird diese gerade in Großstadtbezirken neben ihrer klassischen Zielgruppenorientierung eine ansatzweise Gemeinwesen orientierte Arbeit entwickeln müssen. Diese resultiert zum einen aus dem sogenannten sozialräumlichen Blick, d. h. aus dem Selbstverständnis der Jugendarbeit, die ihre Konzepte aus den sich verändernden Lebenslagen und den sozialräumlichen Bezügen entwickelt und deshalb an allen Entwicklungen im Gemeinwesen interessiert sein muss. Es macht heute keinen Sinn mehr, sich nur aus dem Blickwinkel von Kindern und Jugendlichen um das Thema öffentlicher Raum zu kümmern, sondern dabei spielen auch andere Blickwinkel, die von Senioren und älteren Menschen eine große Rolle. Nur so lassen sich Lösungen finden. Idealerweise arbeiten sozialräumlich orientierte Jugendarbeit und GWA zusammen, besonders dann, wenn die GWA als intermediäre Instanz, als Sozialraumkoordinierung eine bedeutende Funktion für die Entwicklung des Gemeinwesens übernimmt, mit der die Jugendarbeit alleine völlig überfordert wäre.
Literatur
Deinet, Ulrich (1992): Das Konzept „Aneignung" im Jugendhaus. Neue Impulse für die offene Kinder- und Jugendarbeit. Opladen
Deinet, Ulrich (Hrsg.) (2009): Sozialräumliche Jugendarbeit. Grundlagen, Methoden, Praxiskonzepte. Wiesbaden, 3. überarbeitete Aufl.,
Deinet, Ulrich/Krisch, Richard (2002): Der sozialräumliche Blick der Jugendarbeit: Methoden und Bausteine zur Konzeptentwicklung und Qualifizierung. Opladen.
Deinet, Ulrich (Hrsg.) (2009): Methodenbuch Sozialraum. Wiesbaden
Deinet, Ulrich/ Okroy, Heike/ Dodt, Georg/ Wüsthof, Angela (Hrsg.) (2009): Betreten erlaubt! Projekte gegen die Verdrängung Jugendlicher aus dem öffentlichen Raum. Soziale Arbeit und sozialer Raum Bd. I. Opladen/ Farmington Hills.
Deinet, Ulrich/ Icking, Maria/ Leifheit, Elisabeth/ Dummann, Jörn (2010): Jugendarbeit zeigt Profil in der Kooperation mit Schule. Soziale Arbeit und sozialer Raum Bd. 2. Opladen/ Farmington Hills
Galuske, Michael (2007): Methoden der Sozialen Arbeit. Eine Einführung. Weinheim, 7., ergänzte Auflage
Hinte, Wolfgang/ Lüttringhaus, Maria/ Oelschlegel, Dieter (2001): Grundlagen und Standards der Gemeinwesenarbeit. Ein Reader für Studium, Lehre und Praxis. Münster
Krisch, Richard (2009): Sozialräumliche Methodik der Jugendarbeit. Aktivierende Zugänge und praxisleitende Verfahren. Weinheim
Reutlinger, Christin/ Wigger, Annegret (2008): Von der Sozialraumorientierung zur Sozialraumarbeit. Eine Entwicklungsperspektive für die Sozialpädagogik? In: Zeitschrift für Sozialpädagogik, 6. Jahrgang, 2008, Heft 4, S. 340-370
Schmidt, Holger (Hrsg.) (2011): Empirie der Offenen Kinder- und Jugendarbeit, Wiesbaden
Spatscheck, Christian (2010): Kinder- und Jugendarbeit im sozialen Raum: Über die Vernetzung und Gestaltung sozialer Nahräume. In: Soziale Arbeit (DZI), 2/2010, S. 64-70.
Internetquellen
www.betreten-erlaubt.de
www.sozialraum.de
Dieser Beitrag ist zur Veröffentlichung geplant in:
Blandow, Rolf/ Knabe, Judith/ Ottersbach, Markus (Hrsg.): Von der Revolte zur Steuerung und zurück – Zur Zukunft der Gemeinwesenarbeit.
Näheres zum geplanten Band kann hier eingesehen (PDF-Datei) werden.
Fussnoten
[1] Im ländlichen Raum und in kleinen Kommunen stellt sich die Situation völlig anders dar: Hier herrschen kleine Einrichtungen vor mit großen Elementen von Selbstorganisation der Jugendlichen, so dass die Situation zwischen dem städtischen und dem ländlichen Raum nach wie vor schwer vergleichbar ist.
[2] Christian Spatscheck „übersetzt" diese drei Ebenen für die Kinder- und Jugendarbeit und spricht von „der Gestaltung von Strukturen [...], der Gestaltung von Orten [...] und der Gestaltung durch pädagogische Arbeit" (Spatscheck 2010, a.a.O. S. 11)
Zitiervorschlag
Deinet, Ulrich (2011): Sozialräumliche Jugendarbeit und Gemeinwesenarbeit: Schwestern, aber keine Zwillinge!. In: sozialraum.de (3) Ausgabe 1/2011. URL: https://www.sozialraum.de/sozialraeumliche-jugendarbeit-und-gemeinwesenarbeit.php, Datum des Zugriffs: 22.12.2024