Urbanes Transformationswissen – Zur politischen Bedeutung der Gemeinwesenarbeit in der transformativen Stadt

Andreas Thiesen

Zu behaupten, Transformation sei in sämtlichen wissenschaftlichen Disziplinen das Stichwort der Stunde, käme einem Euphemismus gleich: Transformation ist per definitionem das Thema, das bleiben wird und gleichzeitig alle anderen Diskurse impliziert. Die terminologische Schärfung des Gegenstandes erfordert zunächst den Hinweis, dass mit dem Begriff – abhängig vom Fachgebiet – sehr unterschiedliche Prozesse beschrieben werden können: In der Klimaforschung meint Transformation die Formulierung eines zukunftsfähigen Gesellschaftsmodells, während die Politikwissenschaften darunter bislang die historische Entwicklung des so genannten Ostblocks nach dem Kalten Krieg verstanden haben – eine theoretische Perspektive, die aktuell durch den russischen Angriffskrieg auf zynische Weise widerlegt wird.[1] Die zunehmende Fragmentierung moderner Gesellschaften, etwa durch die Digitalisierung, beschäftigt insbesondere die Sozialwissenschaften, die Ökonomie hingegen erlebt Transformation vor allem als Innovationsdruck. Dass die Folgen transformativer Dynamiken nicht spurlos am Subjekt vorübergehen, können wiederum die Kulturwissenschaften zeigen: Die Transformation des Raums durch die Zeit, so würde Marc Augé formulieren, erfordert die Auseinandersetzung mit wechselnden sozialräumlichen Verortungen und neuen Identitätsfragen. Und schließlich werden die Naturwissenschaften für sich beanspruchen, mit dem „Transformator“ die Begriffsgeschichte der Transformation vorweggenommen zu haben.

Bei der Bewertung dieser nur exemplarisch genannten Diskursstränge sind drei Dinge entscheidend: Transformation steht erstens für eine strukturelle Entwicklung außerordentlicher gesellschaftlicher Reichweite, zweitens finden alle hier beschriebenen Dynamiken nicht isoliert voneinander statt, vielmehr liegt das Hauptmerkmal der Transformation – und damit das eigentlich Neue – in der nur scheinbar widersprüchlichen Symbiose aus struktureller Universalität und sozialräumlicher „Eigenart“ (WBGU 2016: 4).[2] Daraus ergibt sich, drittens, ein klares wissenstheoretisches Argument für die Notwendigkeit einer transdisziplinären Perspektive.

Diese kurze einleitende Darstellung zeigt, wie viele unterschiedliche Disziplinen die gegenwärtigen Herausforderungen von Transformationen bereits diskutieren und bearbeiten. In der Sozialen Arbeit klafft dagegen noch eine wissenstheoretische Lücke zum Konzept der Transformation auf, die damit auch die Anschlussfähigkeit Sozialer Arbeit an Theorie und Praxis in Frage stellt. Ein entscheidendes Potenzial des Transformationsparadigmas liegt aber gerade in seiner transdisziplinären Anlage. Dieser Hinweis begründet die herausragende Bedeutung von Transformationswissen für die Soziale Arbeit, die ihrerseits in der Praxis als Generalunternehmerin wirkt. Die Soziale Arbeit benötigt daher umfangreiches Transformationswissen, um als Profession, die es sich laut Definition der IFSW bekanntlich zur Aufgabe gemacht hat, sozialen Wandel zu fördern, nicht auf der Strecke zu bleiben.

Da der Transformationsdiskurs wie kaum ein anderer räumlich determiniert ist – die Debatte um globale Ressourcenschonung bedingt beispielsweise eine zweite Debatte um lokale Energieautonomie – scheinen sozialräumliche Ansätze und die Gemeinwesenarbeit im besonderen Maße herausgefordert, sich in diesem Themenfeld stärker als bisher zu engagieren. Bereits ein flüchtiger Blick auf Theorie und Praxis derjenigen Bewegungen, die sich aktuell mit „Transformation“ beschäftigen, führt allerdings zu der Erkenntnis, dass hier ausgerechnet die Gemeinwesenarbeit als zentrale Akteurin meist fehlt. Um dieses ebenso epistemologische wie politische Vakuum aufzubrechen, will ich den folgenden Überlegungen drei Thesen voranstellen mit dem Ziel, daran angelehnt die Gemeinwesenarbeit in den weiteren Abschnitten als politische Taktgeberin und konkrete Akteurin in der transformativen Stadt neu zu positionieren und zu verorten:

  1. Zukunftsfähige Stadtentwicklung ist auf Gemeinwesenarbeit angewiesen.
  2. Gemeinwesenarbeit muss sich hörbar in die Transformationsdebatte einbringen.
  3. Um die transformative Stadt gestalten zu können, muss Gemeinwesenarbeit zunächst ihre eigene Zukunftsfähigkeit sicherstellen.

1. Zukunftsfähige Stadtentwicklung ist auf Gemeinwesenarbeit angewiesen

Die gegenwärtigen Transformationsdiskurse legen gleichermaßen die Produktion und Reproduktion von machtvollem wissenschaftlichem Wissen offen. Der Transformationsbegriff lässt zwar, wie wir oben gesehen haben, abhängig vom disziplinären Schwerpunkt grundsätzlich zahlreiche Definitionen zu,[3] ist normativ hingegen eindeutig umrissen. Wir sollten bei der Analyse unserer Themenstellung daher zunächst herausarbeiten: Wer spricht in der Debatte, wer wird gehört, und wer determiniert auf diese Weise das Transformationsparadigma?

Vor allem zwei dominante und miteinander verknüpfte Diskurse scheinen die kritische Auseinandersetzung mit dem Gegenstand der Transformation zu verengen: der ökonomische und der kulturelle Diskurs, zusammengehalten durch Begriffe wie „Postwachstum“ und „Kulturmodell“. In dieser Debatte, die weitestgehend durch die Kulturindustrie vereinnahmt wurde, stehen Figuren wie Harald Welzer stellvertretend für ein mediales Narrativ, das sich hinter einem imaginierten „Wir“ verschanzt; Gesellschaftskritik wird dadurch unmöglich. Eine solche, kulturalisierte Kritik mag rhetorisch unterhalten, bleibt jedoch politisch wirkungslos – jedenfalls, wenn unter „Politik“ mehr verstanden werden will als die Bestätigung der bestehenden Verhältnisse durch mehr oder weniger symbolische Gewalt (Bourdieu).[4] Dringend geboten wäre deshalb eine konsequente Erweiterung des Transformationsbegriffs mit dem Ziel, konzeptionell an die Alltagswelten derjenigen anzuschließen, an denen sämtliche politische Implikationen von Transformation – seien es Klimakampagnen oder infrastrukturelle Anreize – bisher vorbeigegangen zu sein scheinen (vgl. dazu auch Schmidt 2020).

Was heißt das genauer? Über Transformation zu sprechen, oder mehr noch, den Begriff offensiv zu verwenden, bedeutet einerseits, die historische Chance zu sehen, in der Geschichte „liegen gebliebene“ Themen in diesen Diskurs einzuspeisen – konkret: das Recht auf feministische, migrantische, inklusive Stadtentwicklung etc. – andererseits, bei jeder sich bietenden Gelegenheit zu betonen, dass die normative Transformationsdebatte in die entgegengesetzte Richtung zeigt. Dramatischer noch: Wenn im Stadtentwicklungskontext „smart“ gesagt wird, ist wirklich smart gemeint! Dagegenzuhalten wäre, dass eine Stadtentwicklung, die auf männlichen Planungsvorstellungen aufbaut (Kern 2020), die Segregation ignoriert oder voraussetzungslos als „Chance“ verklärt und die mobile Menschen ohne Handicaps privilegiert, kaum als intelligent bezeichnet werden kann. Transformation aus der Position einer kritischen Gemeinwesenarbeit zu vertreten hieße vielmehr, genuine Gerechtigkeitspostulate in die Diskurse einzuspeisen (vgl. Dörre 2021). Damit erreichen wir gewissermaßen politische Grundsatzfragen.

2. Gemeinwesenarbeit muss sich hörbar in die Transformationsdebatte einbringen

Wenn wir historisch anerkennen, dass der „Erfolg“ Sozialer Arbeit unter anderem im Spiegel sozialer Bewegungen zu betrachten und zu bewerten ist, müssen wir fragen, inwiefern gerade die Gemeinwesenarbeit, wenn sie schon nicht teilnimmt an Klimastreiks, Platzbesetzungen oder anderen Protestformen, nicht zumindest versucht, eine Brücke zu schlagen zwischen den Alltagssorgen der vermeintlich „einfachen“ Leute und den zweifellos elitären Klimabewegungen: Schließlich weisen die Themen der Klimaaktivist:innen durchaus Schnittmengen mit den Zukunftsängsten von sozialökonomisch ausgegrenzten bzw. an andere „Ökonomien“ gewöhnte Quartiersbewohner:innen auf. Als zentrale Kraft transformativer Stadtentwicklung wird Gemeinwesenarbeit deshalb stärker als je zuvor den Schulterschluss mit emanzipatorischen sozialen Bewegungen suchen müssen, um ihre Themen in die Stadtöffentlichkeit zu tragen. Gemeinwesenarbeit wird dabei durch ihre Institutionalisierung nicht bei allen Akteur:innen auf offene Ohren stoßen, sichtbarer wird sie durch die Überwindung der eigenen Stadtteilgrenzen in jedem Fall; Richard Sennett hat hierzu fortschrittliche Anregungen formuliert (Sennett 2018: 275f.).

Eine an der Maxime einer transkulturellen und inklusiven Stadtöffentlichkeit (Thiesen 2016: 112f.) orientierte Gemeinwesenarbeit benötigt völlig neue Konzepte: An die Stelle einer konzeptionellen Fokussierung auf „die eigenen vier Wände“ des Stadtteils, tritt die Orientierung an Maßstäben normativer Integration: Ökonomische und kulturelle Teilhabe ersetzen symbolische Ersatzleistungen wie Beschäftigungsförderung auf Projektbasis. Konzeptionell kann ein solcher Ansatz nur gelingen, wenn Menschen in sozialökonomisch schlechter gestellten Quartieren die Möglichkeit bekommen, an Themen zu partizipieren, die sie selbst stärker als andere betreffen – Klimawandel, Klimaanpassung, sozialökologische Resilienz, Investition in zukunftsfähige Technologien etc. – der methodische Schlüssel liegt im Aufbau quartiersübergreifender Kooperationsstrukturen. Transformation als Gegenstand lokaler Projekte kann dabei nur über „das Soziale“ erschlossen werden.

Transformative Gemeinwesenarbeit findet in der TRANSCITY statt, die vor allem von drei Voraussetzungen ausgeht (vgl. hierzu das gleichnamige Forschungsprojekt: Thiesen/Fischedick 2020a; Stelzer/Thiesen/Weber/Schuster 2023):

  1. Soziale Problemstellungen bilden den Ausgangspunkt klimapolitischer Maßnahmen.
  2. Milieuübergreifende Kooperationsbereitschaft entscheidet über das Gelingen stadtweiter Klimaschutzanstrengungen.
  3. Der öffentliche Raum wird zum Methodenlabor gesellschaftlicher Transformation.

Dabei ist die TRANSCITY einerseits eine konkrete Konzeption der zukunftsfähigen Stadt, andererseits trägt sie dem Eigensinn von Quartieren, wie im Gutachten des WBGU (2016) gefordert, Rechnung.

3. Um die transformative Stadt gestalten zu können, muss Gemeinwesenarbeit zunächst ihre eigene Zukunftsfähigkeit sicherstellen

Drei Aspekte verhindern aus meiner Sicht aktuell die Anschlussfähigkeit der Gemeinwesenarbeit an die Transformationsdiskurse. Erstens fehlt es der Gemeinwesenarbeit hierzulande an theoretischem Engagement. Es ist nicht so, dass innerhalb der theoriebildenden Gemeinwesenarbeit keine Auseinandersetzung mit Transformation stattfinden würde.[5] Die Plattform „Stadtteilarbeit.de“ zeigt in der Rubrik „Neuerscheinungen GWA“ seit dem Jahr 2010 allerdings eine verschwindend geringe Zunahme solcher Publikationen, die sich explizit im Titel auf Transformation beziehen.[6] Von einem eigenständigen Transformationsdiskurs in der Gemeinwesenarbeit kann also keine Rede sein.[7] Hinzu kommt erschwerend, dass die Argumente der wissenschaftlichen Vertreter:innen der Gemeinwesenarbeit über eine eingeschränkte Reichweite verfügen. Im nordamerikanischen Diskurs mag man sich noch an Jane Addams erinnern (vgl. Kern 2020: 7), in der Stadtsoziologie oder verwandten Disziplinen findet Gemeinwesenarbeit jedoch für gewöhnlich nicht statt. Um die Zukunftsfähigkeit unserer Städte streiten andere. Daraus ergibt sich die Forderung nach der Anschlussfähigkeit der Gemeinwesenarbeit sowohl an theoretische Diskurse der politischen Stadtsoziologie als auch an transformative Praxen in den Quartieren. Das bedeutet für in der Gemeinwesenarbeit Tätige zuallererst eine kritische Reflexion der eigenen habituellen Betrachtungen auf Stadt und zusätzlich eine Neujustierung der eigenen Sprache: Es gibt keine „Brennpunkte“, und „Bewohner:innen“ mögen zur stigmatisierenden Nomenklatur sozialer Einrichtungen gehören, in Stadtteilen leben – man muss es so platt ausdrücken – Menschen. Vielleicht würde Gemeinwesenarbeit hin und wieder die Vorstellung helfen, in einer Megacity zu arbeiten, unabhängig vom Urbanisierungsgrad der von ihr „bespielten“ Räume. Dahinter verbirgt sich der Gedanke einer grundsätzlichen Auswirkung der kulturellen Effekte urbaner Transformation selbst auf den ländlichen Raum.

Diese und weitere Gründe führen die Gemeinwesenarbeit zweitens in die Sackgasse reproduktiver Themensuche. Anders ausgedrückt: Zukunftsfähige Gemeinwesenarbeit muss sich endlich vom Lokalismus ihrer eigenen Praxis verabschieden und stattdessen die transkulturelle Praxis von Stadtmenschen zum konzeptionellen Ausgangspunkt erklären. Das Primat der offenen Stadt (Sennett 2018) bildet hier einen hervorragenden Ausgangspunkt. Das heißt, dass Gemeinwesenarbeit sich in ihren Projekten sozialräumlich nicht länger auf das Zentrum der so genannten Brennpunkte konzentrieren, sondern, wie oben am Beispiel des Forschungsprojektes TRANSCITY gezeigt, den Anspruch quartiersübergreifender Ansätze verfolgen sollte (vgl. Thiesen/Fischedick 2020a; Stelzer/Thiesen/Weber/Schuster 2023). Indem Gemeinwesenarbeit sich also hörbar einbringt in die Transformationsdiskurse, erhebt sie die politische Forderung nach echter sozialer, ökonomischer und kultureller Teilhabe. Sie macht auf diese Weise unmittelbar deutlich: Das Integrationsversprechen der offenen Stadt gilt auch für sozialökonomisch schlechter gestellte Quartiere. Um diese und weitere Forderungen konzeptionell zu stabilisieren, muss sie sich ihrer eigenen Untertheoretisierung stellen und stattdessen Anschluss finden an eine Theorie transformativer Stadtentwicklung (Thiesen 2016; 2020a; 2020b; 2023). Das bedeutet letztlich eine radikale Korrektur ihres Denkens auf der Ebene der Kultur, der Ökonomie, der Ökologie und der politischen Steuerung. Wenn es stimmt, dass die Transformation der Stadt von jenen entschieden und ausbuchstabiert wird, die über einen umfassenden Kompetenzkatalog verfügen – die Auseinandersetzung mit ökologischen Ressourcen erfordert das Einbringen individueller und kollektiver sozialer, ökonomischer und kultureller Ressourcen – braucht es dringend eine Kraft, die sich auf die Seite derjenigen stellt, die dieser Diskurs überfordert und die mit unmittelbaren – aus milieuspezifischer Sicht sozusagen „unmittelbareren“ – Alltagssorgen zu tun haben. Es muss Gemeinwesenarbeit darum gehen, (habituell voraussetzungsvolles) zivilgesellschaftliches Wissen und (habituell nicht weniger voraussetzungsvolles) Alltagswissen zusammenzudenken, um die Transformationsdebatte selbst zu demokratisieren.

Daraus ergeben sich, drittens, forschungslogische Konsequenzen, die wir aktuell an der Hochschule RheinMain in Wiesbaden innerhalb unserer Transformationsforschung untersuchen und die zugleich eine methodologische Fokussierung auf partizipative Ansätze und/oder Action Research nahelegen (Bergold/Thomas 2012). Wir benötigen zum einen differenzierte Forschungszugänge, wenn wir die Frage beantworten wollen, wer sich aktuell hinter „der Zivilgesellschaft“ genau verbirgt und inwieweit dieses Konzept aus der Perspektive globaler Migrationsbewegungen und/oder durch postmigrantische Strukturen möglicherweise überarbeitet gehört. Zum anderen wird die aus meiner Sicht schon immer unglückliche Trennung von Forschung und Praxisforschung an Hochschulen für Angewandte Wissenschaften nicht nur aufgehoben, sie wird sogar umgedreht und angeeignet, da sich Action Research paradigmatisch immer und ausschließlich als Praxisforschung versteht. Action Research wird in der Konsequenz zu einem „Gütekriterium qualitativer Forschung“ (Steinke 2007). Darüber hinaus erfordert diese Argumentation eine doppelte Methodenpluralität hin zu einer Erweiterung klassischer Forschungsmethoden um das Methodenrepertoire Sozialer Arbeit als aktivierende und verstehende Komponente. Ein solches Verständnis von Forschung stellt die Beteiligten am Ende vor die Herausforderung eines dreifachen Transfers: Generierung von Praxiswissen, gemeinsame Übersetzung von Forschung und Veränderung kommunaler Machtstrukturen. Damit wäre Gemeinwesenarbeit in der transformativen Stadt auch der Versuch einer methodologischen Neubegründung in der Hoffnung, dass daraus zukunftsfähige Aktivitäten entstehen können, die aus dem bisherigen Stigma der Partizipation ein Versprechen machen.

4. Fazit

Mit dem Versuch, die Gemeinwesenarbeit als politische Akteurin in der transformativen Stadt zu platzieren, ist deutlich geworden, welche theoretischen und praktischen Voraussetzungen zu einer stärkeren gesellschaftlichen Wahrnehmung der Gemeinwesenarbeit führen können. Die Zukunftsfähigkeit der Städte, so wurde argumentiert, hängt nicht zuletzt von einer an die Transformationsdiskurse anschlussfähigen Gemeinwesenarbeit ab. Eine Orientierung an vermeintlichen Best-Practice-Beispielen der lokalen Projektförderlogik gilt es in der Gemeinwesenarbeit zu kritisieren: Zu deutlich spiegelt sich darin häufig ein Raumverständnis, das die Bedeutung des Lokalen für die Integration von Stadtmenschen symbolisch überhöht, statt – anders herum – das Lokale zum politischen Ausgangspunkt transformativer Stadtentwicklung zu erklären. Ein entscheidendes Potenzial des Transformationsparadigmas liegt sowohl in der relativen Offenheit des Transformationsbegriffs als auch in seiner transdisziplinären Beschaffenheit. Damit geht einerseits die – möglicherweise historische – Chance einher, bis heute nicht eingelöste Prinzipien sozialer Rechte im intersektionalen Spiegel neu zu bewerten und zu Leitfragen des Transformationsdiskurses zu machen. Andererseits sind alle mit „Transformationsarbeit“ beschäftigten Akteur:innen auf urbanes Transformationswissen angewiesen. Nachhaltigkeit in einem für die Soziale Arbeit entscheidenden Maßstab setzt voraus, lokale Akzeptanzstrukturen ebenso im Blick zu behalten wie sozialräumlich eigensinnige Strategien der Transformationsbewältigung. Politische Konzepte transformativer Gemeinwesenarbeit werden sich aus diesem Grund durchaus untereinander unterscheiden.

Literatur

Bergold, Jarg/Thomas, Stefan (2012): Participatory Research Methods: A Methodological Approach in Motion. In: FQS – Forum Qualitative Sozialforschung, 13 (1), Art. 30. Im Internet: https://doi.org/10.17169/fqs-13.1.1801, Zugriff: 31.03.2023.

Dörre, Klaus (2021): Die Utopie des Sozialismus. Kompass für eine Nachhaltigkeitsrevolution. Berlin: Matthes & Seitz.

Elsen, Susanne (Hrsg.) (2011): Ökosoziale Transformation. Solidarische Ökonomie und die Gestaltung des Gemeinwesens. Perspektiven und Ansätze von unten. Neu-Ulm: AG SPAK Bücher.

Kern, Leslie (2020): Feminist City. Claiming Space in a Man-made World. London/New York: Verso.

Pollak, Julia/Stoik, Christoph (2016): FAIR-PLAY-TEAM – Soziale Arbeit gegen die ordnungspolitische Transformation von öffentlichen Räumen in Wien. Eine praxisbezogene kritische Reflexion. In: sozialraum.de (8) 1/2016. Im Internet: https://www.sozialraum.de/fair-play-team.php, Zugriff: 31.03.2023.

Schmidt, Marcel (2020): Zur Entstehung und Bedeutung des »Recht auf Stadt« im Werk Lefebvres. In: sozialraum.de (12) Ausgabe 1/2020. Im Internet: https://www.sozialraum.de/zur-entstehung-und-bedeutung-des-recht-auf-stadt-im-werk-lefebvres.php, Zugriff: 31.03.2023.

Sennett, Richard (2018): Die offene Stadt. Eine Ethik des Bauens und Bewohnens. Berlin: Hanser.

Steinke, Ines (2007): Gütekriterien qualitativer Forschung. In: Flick, Uwe/von Kardorff, Ernst/Steinke, Ines (Hrsg.): Qualitative Forschung. Ein Handbuch, 5. Auflage. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 319-331.

Stelzer, Franziska/Thiesen, Andreas/Weber, Linda/Schuster, Sebastian (2023): TRANSCITY. Sozialräumliche Inklusion durch Instrumente des Klimaschutzes. In: Blank, Jennifer/Bergmüller, Claudia/Sälzle, Sonja (Hrsg.): Transformationsanspruch in Forschung und Bildung. Konzepte, Projekte, empirische Perspektiven. Münster/New York: Waxmann. Open Access: https://www.waxmann.com/waxmann-buecher/?tx_p2waxmann_pi2%5bbuchnr%5d=4677&tx_p2waxmann_pi2%5baction%5d=show

Thiesen, Andreas (2016): Die transformative Stadt. Reflexive Stadtentwicklung jenseits von Raum und Identität. Bielefeld: transcript.

Thiesen, Andreas/Fischedick, Manfred (2020a): Bildet die TRANSCITY! Kommunaler Klimaschutz durch quartiersübergreifenden Emissionshandel. In: Forum Wohnen und Stadtentwicklung – Verbandszeitschrift des vhw – Bundesverband für Wohnen und Stadtentwicklung e.V., Heft 6/2020, 325-329, im Internet: https://www.vhw.de/fileadmin/user_upload/08_publikationen/verbandszeitschrift/FWS/2020/6_2020/FWS_6_2020_Thiesen_Fischedick.pdf, Zugriff: 31.03.2023.

Thiesen, Andreas (2020b): Urban Love Stories. Geschichten aus der transformativen Stadt. Münster/New York: Waxmann.

Thiesen, Andreas (2023): Urban Love Stories II. Perspektiven transformativer Städte. Münster/New York: Waxmann.

WBGU – Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (2016): Der Umzug der Menschheit: Die transformative Kraft der Städte. Im Internet: https://www.wbgu.de/de/publikationen/publikation/der-umzug-der-menschheit-die-transformative-kraft-der-staedte#sektion-downloads, Zugriff: 31.03.2023.

Dieser Beitrag erscheint mit freundlicher Genehmigung des Waxmann Verlages. Er ist eine leicht überarbeitete Fassung eines Beitrags, der ursprünglich als gleichnamiger Abschnitt auf den Seiten 104-111 in folgender Originalquelle erschienenen ist: Thiesen, Andreas (2023): Urban Love Stories II – Perspektiven transformativer Städte. Münster: Waxmann Verlag. ISBN-13: 978-3-8309-4686-1, 19,90 €.


Fußnoten

[1] Dass unter Transformation ebenso die Veränderung globaler Protestkulturen verstanden werden kann, verdeutlicht die begriffliche Ambivalenz selbst innerhalb eines Fachs.

[2] Das bedeutet, Transformation wird in räumlicher und zeitlicher Perspektive unterschiedlich erfahren. Der Begriff der „Eigenart“ ist aus meiner Sicht jedoch genuin naturwissenschaftlich gesetzt, weshalb es verstehenssoziologisch hilfreicher gewesen wäre, von „Eigensinn“ zu sprechen.

[3] Um einer inflationären Verwendung des Transformationsbegriffs entgegenzuwirken, wäre aus meiner Sicht viel gewonnen, die Debatte stärker auf gesellschaftstheoretischem Gebiet zu führen und beispielsweise das Paradigma der Intersektionalität als begründeten Bestandteil gesellschaftlicher Transformation zu betrachten.

[4] Gleichwohl nehmen jene medialen „Taktgeber:innen“ Einfluss auf Politik – auch, weil sie herrschaftstheoretisch unkonkret bleiben.

[5] Hier ist vor allem auf Susanne Elsen zu verweisen, die seit über zehn Jahren zu Transformation publiziert (vgl. stellvertretend für das Gesamtwerk zu Transformation Elsen 2011).

[6] In den Jahren 2010–2014 weist die von Dieter Oelschlägel zusammengetragene Bilanz lediglich den oben erwähnten Beitrag von Susanne Elsen aus. In den Jahren 2015–2018 folgen zwei weitere Beiträge von Judith Knabe, Anne van Rießen und Rolf Blandow (jeweils ein Sammelband und ein Essay derselben Autor:innen in diesem Band) und in den Jahren 2019–2021, die von Mario Rund dokumentiert wurden, schließlich drei (Maik Wunder; Katja Keggenhoff et al.; Sebastian Beck) bzw. vier, sofern wir das Konzept der „Transnationalität“ in diesem Zusammenhang gelten lassen (Pries/Kurtenbach). Die bibliografischen Angaben der genannten Werke sind auf „Stadtteilarbeit.de“ hinterlegt.

[7] Eine ergänzende Recherche im wissenschaftlich einschlägigen und ebenfalls in der Gemeinwesenarbeit anschlussfähigen Portal „Sozialraum.de“ unter dem Stichwort „transform“ führt zwar zu insgesamt 50 Ergebnissen. Davon bezieht sich allerdings nur einer der Beiträge im Titel auf den Problemgegenstand, und zwar im spezifischen Zusammenhang „ordnungspolitische[r] Transformation von öffentlichen Räumen in Wien“ (Pollak/Stoik 2016). Ohne inhaltliche Kenntnis der übrigen 49 Beiträge besteht Anlass zur These, dass die theoretische Verhandlung von Transformation auch hier zumindest nicht in einem zusammenhängenden Diskurs stattfindet.


Zitiervorschlag

Thiesen, Andreas (2023): Urbanes Transformationswissen – Zur politischen Bedeutung der Gemeinwesenarbeit in der transformativen Stadt. In: sozialraum.de (14) Ausgabe 1/2023. URL: https://www.sozialraum.de/urbanes-transformationswissen-–-zur-politischen-bedeutung-der-gemeinwesenarbeit-in-der-transformativen-stadt.php, Datum des Zugriffs: 21.11.2024