Sozialraumanalyse als Methodik der Jugendarbeit

Richard Krisch

[1]

Sozialräumliche Methoden, wie die Stadtteilbegehung mit Kindern und Jugendlichen, die strukturierte Stadtteilbegehung, die Nadelmethode, das mobile Nadelprojekt, die subjektive Landkarte, die Autofotografie, das Zeitbudget, das Cliquenraster u.a. (vgl. Deinet 2009, Krisch 2009) werden von Fachkräften der Jugendarbeit angewandt, sind an qualitative Forschungsmethoden - der Befragung oder der teilnehmenden Beobachtung - angelehnte Verfahren, die sich aus der Dynamik der Jugendarbeit und deren Erkenntnisinteresse - nämlich „sozialräumliche Kundigkeit" (Böhnisch/Münchmeier) zu erwerben - entwickelt haben.
Die Konzipierung der Methoden charakterisiert sich durch zwei zentrale Bezüge. Sie versuchen einerseits analytisch die Aneignungsformen Jugendlicher in ihren Wechselwirkungen mit den gesellschaftlichen Raumdefinitionen zu erschließen und damit die sozialräumliche Qualität Jugendlicher Lebenswelten zu erfassen. Die Anwendung der Methoden findet andererseits aber direkt im „Feld“ der Jugendarbeit - die in der Interaktion mit Jugendlichen eine bestimmte Praxis der Jugendarbeit aufbaut - statt. Die Methoden sind also gleichzeitig Forschungsinstrumente wie Instrumente der praktischen Arbeit: Sie erzeugen nicht nur Erkenntnisse über Jugendliche und räumlich vermittelte gesellschaftliche Strukturen (z.T. auch über die Rolle der Jugendarbeit), sondern sind auch Praxis der sozialräumlichen Jugendarbeit.
Diese Zusammenhänge sollen hier kurz verdeutlicht werden.

1. Der analytische Zugang:

Die Methoden sollen das sozialräumliche Spannungsfeld beschreiben, welches das Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen strukturiert: Denn „Kinder und Jugendliche entwickeln sich vor allem auch über Prozesse sozialräumlicher Aneignung, in denen sie die räumliche Umwelt für sich zu entdecken und gestalten suchen, um sich zu erleben und zu erfahren. Gleichzeitig tritt ihnen diese räumliche Umwelt schon besetzt, gesellschaftlich vordefiniert und funktionalisiert gegenüber.“ (Böhnisch 2003, S.171)
Sozialräumliche Aneignung (vgl. Deinet 2005, Krisch 2009) wird als eigentätige Entwicklungsaufgabe von Kindern und Jugendlichen verstanden, über die sich Heranwachsende mit gesellschaftlichen Werten und Normen auseinandersetzen, Kompetenzen und Handlungsfähigkeiten entwickeln und Identität entfalten. Über die alters-, geschlechts- und lebenslagenspezifisch tätige Auseinandersetzung mit der räumlich vermittelten Umwelt werden Bildungsprozesse (vgl. Deinet/Reutlinger 2005) ermöglicht, die in engem Zusammenhang mit anderen Formen des kognitiven oder emotionalen Lernens stehen.
Während Kinder sich Gegenstandsbedeutungen aneignen, deren Bedeutungen zu verallgemeinern erlernen und sich schrittweise den ökologischen Nahraum erschließen, stellt bei jüngeren Jugendlichen die Erweiterung von Handlungsräumen eine typische (dominante) Tätigkeit dieser Altersgruppe dar. Die Konfrontation mit ungewohnten Situationen und Gelegenheiten eröffnet neue Orientierungszusammenhänge und Handlungsoptionen und führt zur Erweiterung der Handlungskompetenzen. Bei älteren Jugendlichen steht nicht mehr so sehr die Entwicklungsperspektive der Aneignung im Vordergrund, vielmehr kommt Räumen eine zentrale Bedeutung zur Konstituierung ihrer Gleichaltrigenkultur und als sozialräumlich vermittelte Ressource der Lebensbewältigung zu.
Verschiedene „sozialökologische“ Qualitäten bestimmen dabei die Handlungsmöglichkeiten, erlauben dabei mehr oder weniger Eigentätigkeit, fördern oder verhindern Partizipation, eröffnen Gelegenheiten für Erfahrungen und Erlebnisse und bestimmen die Lern- und Entwicklungschancen. Räume sind aber nicht wertfrei, in ihnen finden sich gesellschaftliche Dimensionen und Funktionsbestimmungen in Form von „kodifizierten Regelungen, Machtbefugnissen, Herrschafts- und Eigentumsansprüchen“ (Böhnisch/ Münchmeier 1990, S.58) wieder. Die Chancen der sozialräumlichen Aneignung von Kindern und Jugendlichen stehen also in einem unmittelbaren Zusammenhang zu den „räumlichen Ordnungen der Gesellschaft“ (Simmel 1992, S.687), die in ihrer Beschaffenheit, ihren Zugänglichkeiten, ihren Begrenzungen, ihren materiellen und symbolischen Ressourcen und in ihren Funktionszuschreibungen gesellschaftliche Bedingungen abbilden. Diese gesellschaftlichen Raumbestimmtheiten (Simmel) stehen den eigenwilligen Nutzungsformen von Heranwachsenden im Prozess ihrer Aneignung gegenüber und führen zu Wechselwirkungen, die als spezifische Dynamik die sozialräumliche Dimension des Aufwachsens charakterisieren.

Die Erforschung von sozialräumlichen Zusammenhängen muss also Deutungen und Handlungen von Kindern und Jugendlichen zu verstehen versuchen, aber auch die gesellschaftlichen Strukturen „als Botschaften, die in den Räumen sind“ (Böhnisch/Münchmeier 1990, S.13) ergründen. Dieses Spannungsfeld zwischen jugendlicher Aneignung und der gesellschaftlichen Verfasstheit von Sozialräumen mit ihren gesellschaftlichen Funktionszuschreibungen, Regelungen und Gebote muss mit Hilfe eines entsprechenden methodischen Instrumentariums ergründet werden, welches im sozialökologischen Ansatz grundsätzlich ausformuliert wurde.

Der sozialökologische Ansatz, der davon ausgeht, dass „Umwelt das Verhalten definiert und damit Handeln beeinflusst“ und umgekehrt „Verhalten und Handeln die Umwelt definieren“ (Baacke 1999, S.109) eröffnet uns methodische Möglichkeiten der „Beschreibung und Erklärung des Verhaltens Jugendlicher“ (Baacke 1980, S.493).
Bronfenbrenner und Baacke (vgl. Bronfenbrenner 1981, S.38, Baacke 1999, S.108f.) fordern eine entsprechend phänomenologische Betrachtungsweise ein. Nicht die objektiven Bedingungen, sondern das „Erleben ist wichtig“, die „Art und Weise wie die Person die Umwelt wahrnimmt“ (Bronfenbrenner 1981, S.19f.) ist für deren Entwicklung und Handeln von Bedeutung. Dementsprechend rücken „Alltagserleben, Alltagserfahrung bzw. die subjektiven Sinnzuschreibungen und (Um-)Weltkonstruktionen“ (Sander/Vollbrecht 1985, S.33) von Kindern und Jugendlichen in den Vordergrund des Erkenntnisinteresses. Dies nimmt auch Bezug auf die Arbeiten Muchows, die bereits 1935 in ihrem Forschungszugang genau diese Dimensionen begründte. Begriffe wie „umschaffen“, „gelebte Welt“, „Spielraum“, „Streifraum“, „Umnutzung“ (vgl. Muchow 1998, Deinet 1999, Zinnecker 2001) stehen für Betrachtungsweisen, welche die subjektive Wahrnehmung sozialräumlicher Zusammenhänge von Kindern und Jugendlichen in den Vordergrund stellt.
Das Ziel der sozialräumlichen Verfahren ist es demnach, Verständnis dafür zu entwickeln, wie die Lebenswelten Jugendlicher in engem Bezug zu ihrem konkreten Stadtteil oder ihrer Region, zu ihren Treffpunkten, Orten und Institutionen stehen und welche Sinnzusammenhänge, Freiräume oder auch Barrieren Jugendliche in ihren Gesellungsräumen erkennen. Der Fokus des Erkenntnisinteresses richtet sich auf die Deutungen, Interpretationen, Handlungen und Tätigkeiten von Heranwachsenden im Prozess ihrer Aneignung von Räumen.

Um Aneignungsprozesse als Wechselwirkung zu beschreiben, braucht es qualitative Verfahren. Diese müssen die Wechselwirkung zwischen gesellschaftlich Gewordenem und individueller Aneignungsfähigkeit zu beschreiben versuchen. Das Aufeinandertreffen von z.T. divergenten Raumbestimmtheiten - da die Aneignungsformen von Heranwachsenden, dort gesellschaftliche Funktionszuschreibungen, Regelungen und Gebote - lassen sich schwer quantitativ in Erfahrung bringen oder abfragen. Sie müssen verstanden werden - als die Botschaften, die in den Räumen sind und den Deutungen und Interpretationen von Jugendlichen im Prozess ihrer Aneignung.

2. Der methodische Zugang

In den methodischen Bezügen fließen aber - als Ausdruck einer „reflexiven räumliche Haltung“ (vgl. Kessl/Reutlinger 2007) - auch jugend- und sozialraumtheoretische Hypothesen, sowie Annahmen zum Verhältnis von Jugend und Institutionen ein.
So werden mit der Methode der Stadtteilbegehung mit Jugendlichen nicht nur die Handlungsräume und die Aneignungsformen vor Ort sichtbar. Verschiedenste räumliche Zuschreibungen der Jugendlichen werden von ihnen dargelegt und können in ihrer Unterscheidung zwischen Motiven und entsprechenden Vergesellschaftungsformen wahrgenommen werden: Es lassen sich die Bedeutungen und Strukturen von „ökologischen Zonen“ (Baacke) verschiedener Jugendkulturen, Altersgruppen und Geschlechter, der Grad der Verwiesenheit auf Cliquenräume oder öffentliche Räume, subjektive Raumqualitäten mit spezifischen Ressourcen der Lebensbewältigung, aber auch andere Wechselwirkungen zwischen Aneignung und gesellschaftlich verfassten, räumlichen Strukturen in Erfahrung bringen.
Über vorgeschaltete Erkundungsgänge, bei denen JugendarbeiterInnen - im Verfahren der Strukturierten Stadtteilbegehung - ohne jugendliche Begleitpersonen den Stadtteil betrachten, wird der Fokus auf sozialräumliche Zusammenhänge gerichtet. Aus der Perspektive der Fachkräfte der Jugendarbeit können sowohl objektive städtebauliche Strukturen und infrastrukturelle Gegebenheiten erforscht, wie auch sozialraum- und jugendtheoretische Überlegungen angestellt und Annahmen über mögliche Formen der Wechselwirkungen zwischen räumlichen Gegebenheiten und jugendlichen Aneignungsformen in spezifischen Regionen entwickelt werden. Diese können dann in den nachfolgenden Stadtteilbegehungen mit Jugendszenen überprüft bzw. relativiert werden.
Auch mit der Methode des Cliquenrasters wird versucht, die Wechselwirkungen zwischen Clique und Raum abzubilden. Der Zusammenhang zwischen Clique und Raum stellt ja einen zentralen Orientierungsrahmen unter individualisierten Lebensbedingungen dar und ist der Ort an dem Selbstwert, Anerkennung und Wirksamkeit auf der Ebene der Jugendszene eingelöst werden kann. Die damit verbundenen Gespräche werden in Gruppenzusammenhängen geführt, bezugnehmend auf die operationelle These, dass sich in Gruppendiskussionen die spezifische Gesellungsform von Jugendlichen abbilden kann.
Um aber neben der Perspektive der Jugendlichen auch gesellschaftliche Verfasstheiten und Zugänge abzubilden, die den Sozialraum und damit die Aneignungsprozesse der Jugendlichen bestimmen, werden auch Erwachsene, meist VertreterInnen von Institutionen oder StadtteilbewohnerInnen befragt. Aus unserem raumsoziologischen Zugang (genauer: Krisch 2009) wissen wir, dass nicht nur bestimmte Raumformen Vergesellschaftungsprozesse begründen, sondern diese auch in einem soziologischen Sinne Wirkungen entfalten. Sowohl die Institutionenbefragung wie auch die Fremdbilderkundung versuchen diese Raumbestimmtheiten, die z.T. von Erwachsenen bestimmt, erzeugt oder reproduziert werden, zu verstehen. Während die Fremdbilderkundung die Zuschreibungen und Images des sozialräumlichen Zusammenhanges ‚Jugendarbeit' erforscht, interessierten uns bei der Institutionenbefragung generell die Einschätzungen und das Wissen über jugendsoziologische und sozialräumliche Zusammenhänge seitens der MitarbeiterInnen von Einrichtungen in einer Region: werden Wechselbeziehungen zwischen Cliquen und Raum, beispielsweise als Medium der Konstituierung als Clique, der entwicklungsbedingten Abbildungen im Raum, oder auch Räume als Ressource der Lebensbewältigung verstanden, oder aber auch Ausdifferenzierungen von Jugendcliquen im Stadtteil mit jeweils unterschiedlichen Aneignungsformen wahrgenommen? Die Ausdifferenzierungen von Jugendkulturen bildet auch das Cliquenraster ab, in dem Betätigungen, Gesellungsformen, Bedarfe - auch vor dem Hintergrund individualisierter Lebensverläufe - in Zusammenhang zu bestimmten räumlichen Ausformungen gebracht werden.
Ebenso greifen auch die Methoden der Subjektiven Landkarten, der Autofotografie, der Zeitbudgets oder der Jugendkulturenraster die verschiedenen Ebenen jugendkultureller Ausdrucksformen auf und führen methodisch zur Abbildung jugendlicher Raumbestimmungen und Aneignungsformen. In der Verschränkung der verschiedenen Methoden entsteht ein komplexes Bild der sozialräumlichen Zusammenhänge.

3. Die Methoden als Praxis der Jugendarbeit

Die Durchführung der Methoden findet im Rahmen und mit den Möglichkeiten der Jugendarbeit statt. Der/die JugendarbeiterIn ist damit - im Unterschied zu einer/m ForscherIn - in ein spezifisches Interaktionsgeschehen eingebunden, welches im Rahmen (im ‚Raum') der Jugendarbeit stattfindet. Der analytische Blick - mit der Perspektive des sozialräumlichen Verstehens - fließt in die Interaktion der Jugendarbeit in Form verschiedener Methoden ein und bezeichnet so ein bestimmtes Interaktionsmuster mit den Jugendlichen. Dieses ist sowohl durch den Versuch des Verstehens jugendlicher Aneignungsformen gekennzeichnet, als auch durch das Wissen über gesellschaftliche Raumbestimmtheiten, die das Verhalten Jugendlicher beeinflussen.
Die Anwendung der Methoden ist daher bereits eine Form der Praxis einer sozialräumlichen Jugendarbeit. Sie setzt den Kontakt zu Jugendlichen voraus bzw. bedingt ihn. Jugendliche werden im Rahmen der Verfahren unmittelbar beteiligt und aktiviert (vgl. Deinet 2005, S.72) und es wird Verständnis für deren Lebenswelten in ihrem sozialräumlichen Kontext - in strukturierter Form - hergestellt.
Die Durchführung von Methoden der Sozialraumanalyse ist aber auch aus dem Blickwinkel der Jugendlichen ein Ausdruck der Praxis von Jugendarbeit: JugendarbeiterInnen eröffnen eine Ebene der Auseinandersetzung, die dadurch geprägt ist, subjektive Deutungen, Wahrnehmungen und Interpretationen verstehen und den Blickwinkel der Jugendlichen auf ihre sozialräumlichen Zusammenhänge begreifen zu wollen. Diese Intention bildet sich auch als zentrales didaktisches Element in einigen Methoden ab. Gerade Verfahren wie die Subjektiven Landkarten, die Autofotografie, die Cliquenportraits, oder die Stadteilbegehungen charakterisieren sich durch andauernde „Nachfrageschleifen“, die zu intensiven Auseinandersetzungen zwischen Jugendlichen und JugendarbeiterInnen führen. Jugendliche werden als ExpertInnen ihres Sozialraumes angesprochen und wahrgenommen. Insofern ist die Durchführung dieser Methoden auch Teil der Partizipation und Beteiligung von Kindern und Jugendlichen an der Jugendarbeit und darüber hinaus an der Gestaltung ihrer Umwelt.
Zudem finden diese Anwendungen der Sozialraumanalyse oft auch direkt in Form von Projekten in den Räumen der Jugendarbeit statt und sind für Jugendliche daher Teil der Angebote der Jugendarbeit.
Die besondere Dynamik dieser Vorgehensweise entsteht natürlich auch dadurch, dass dabei von den Jugendlichen, aber auch von der Jugendarbeit selbst, ihre unterschiedlichen Rollen, ihre gesellschaftlichen Funktionen, gegenseitige Zuschreibungen und Erwartungen etc. thematisiert werden. JugendarbeiterInnen sind eben auch Teil des vergesellschafteten Raumes und Jugendarbeit damit selbst Medium räumlicher Interaktionen im Spannungsfeld jugendlicher Aneignung und gesellschaftlicher Strukturen.
Die Durchführung der sozialräumlichen Methoden führt also zu intensiven Gesprächen mit Heranwachsenden über ihre sozialräumlichen Zusammenhänge, holt sie gleichsam in die Jugendarbeit und wird zum Thema der Jugendarbeit, genauso wie Jugendarbeit selbst zum „Medium von Aneignungsprozessen“ (Deinet 1990) wird.

Die intensive Auseinandersetzung mit dem Blickwinkel von Kindern und Jugendlichen auf ihre spezifischen und unterschiedlichen Lebensräume - in Form der Anwendung dieser Methoden und der damit verbundenen Beobachtungen, Befragungen, Animationen etc. -erlaubt es nicht nur, entsprechend adäquate Aneignungssituationen in der Jugendarbeit zu entwickeln, sondern auch Aneignungsmöglichkeiten - über Vernetzung und Ausgestaltung - im öffentlichen Raum zu fördern. Die Wahrnehmung dieser Einbettung im Gemeinwesen oder der Region bilden damit „Anknüpfungspunkte zu anderen sozialpädagogischen Konzepten wie Gemeinwesenarbeit, Netzwerkbildung und Regionalisierung.“ (Wolf 1998:14)

4. Ausblick: Perspektiven einer sozialräumlichen Jugendarbeit

Die Anwendung von sozialräumlichen Methoden - in Form der Durchführung von Sozialraumanalysen - führt zu „sozialräumlicher Kundigkeit“ und erwirkt damit in weiterer Folge die besondere Pädagogik der sozialräumlichen Jugendarbeit, die bestimmte räumlich vermittelte Bezüge aufnimmt und sich in spezifischen Angeboten ausdrückt. Beispielsweise in der Wahrnehmung eines jugendpolitischen Mandats, der Nutzung von Vernetzungszusammenhängen, dem Ausbau „herausreichender“ Arbeitsansätze und dem Arrangement von sozialräumlichen Qualitäten im Jugendzentrum, die Erlebnis- und Erfahrungsräume für verschiedene Jugend(en) eröffnet und als Ressource der Lebensbewältigung Bedeutung entfaltet:

.... Aneignungsmöglichkeiten im öffentlichen Raum fördern

Sozialräumlich orientierte Jugendarbeit muss - im Sinne der Wahrnehmung eines jugendpolitischen Mandates (vgl. Böhnisch/Münchmeier 1990:103) - die Interessen und Bedarfe der Jugendlichen bei maßgeblichen Institutionen und in politischen Entscheidungsprozessen einbringen und zu vertreten versuchen. Dieser Vertretungsanspruch - „Lobby sein“ (ebda) - kann und soll aber nicht die Gestaltungspotentiale oder die Selbstorganisationsfähigkeiten von Heranwachsenden ersetzen. Es gilt vielmehr ein politisches Klima zu schaffen, welches auch den Kindern und Jugendlichen die Artikulation ihrer Interessen ermöglicht.
Als zentrale Zielsetzung einer sozialräumlichen Jugendarbeit kann daher die Erweiterung der Aneignungsmöglichkeiten für Kinder und Jugendliche genannt werden, die sich nicht nur gegen die Verdrängung von Jugendlichen von öffentlichen Orten richtet. Als Erfolgskriterium eines wirkungsvollen jugendpolitischen Auftretens lassen sich die erweiterte Zugänglichkeit öffentlicher oder halb öffentlicher Räume, die Möglichkeiten jugendlicher Mitgestaltung, damit verbundene neue Erfahrungs- und Erlebnisebenen für Jugendliche, aber auch generell die Erweiterung sozialräumlicher Möglichkeiten und Ressourcen benennen, die sich über vernetzte Angebote ergeben.

.... Vernetzungszusammenhänge herstellen und Vorschläge zur Verdichtung von Angebotsschwerpunkten für Jugendliche machen ...

Über den Aufbau von Vernetzungszusammenhängen mit anderen Institutionen können weitere Angebote im Stadtteil oder der Region angeregt und damit Veränderungen der Infrastruktur im Interesse der Jugendlichen bewirkt werden. Vernetzungen und Kooperationen mit anderen Institutionen können eine Verdichtung der Angebotsschwerpunkte bzw. eine Annäherung von Angeboten an die differenzierten Lebenswelten Jugendlicher schaffen. Damit ist vor allem die Erweiterung und Öffnung alltagsweltlicher Ressourcen, wie die Zugänglichkeit zu Informationen, zu Beschäftigung, zu Freizeiten und Sportgelegenheiten, zu Netzwerken in der Region, zu niedrigschwelligen Beratungs- und Unterstützungsangeboten - aber auch Öffentlichkeit für die Darstellung ihrer verschiedenartigen Themen und Interessen gemeint (vgl. Öehme/ Beran/ Krisch 2007).
Dabei werden die JugendarbeiterInnen durch die Anwendung der Erkundungsprojekte zu „Sozialraum-Fachleuten“ mit „sozialräumlichen Kompetenzen“ (Böhnisch/Münchmeier 1990, S.103), die sehr differenziert sozialräumliche Zusammenhänge und die damit verbundenen Aneignungsmöglichkeiten der verschiedenen Jugend(en) der Region beschreiben können. Die Wahrnehmung dieser Aufgabe erweitert das Arbeitsfeld der Jugendarbeit sozialräumlich über die konkreten Angebote an Jugendliche hinaus und lässt sie zu einem aktiven und gestaltenden Teil der sozialen Infrastruktur eines Stadtteils bzw. einer Region werden.

....... spezifische Aneignungsqualitäten in den eigenen Räumen entwickeln....

Jugendarbeit ist selbst Medium von Aneignungsprozessen (vgl. Böhnisch/Münchmeier 1990, Deinet 1990) und kann in Form konzeptioneller Differenzierung (vgl. Deinet 2005) der Angebotsstrukturen der Einrichtung spezifische Aneignungsqualitäten in den eigenen Räumen entwickeln: Aus dem sozialräumlich orientierten Blickwinkel gesehen, suchen Jugendliche Räume auf, die für sie eine bestimmte Qualität entfalten. Ob die Räume eines Jugendzentrums oder -treffs, die Angebote der Mobilen Jugendarbeit in den Parks oder die Beratungsstelle für Jugendliche - Jugendarbeit ist gefordert, ausdifferenzierte Angebote mit hohem Gebrauchswert für unterschiedliche Jugendkulturen zu bieten und über die Ermöglichung von Eigentätigkeit, Veränderung und (Mit)-Gestaltung ein bedeutsamer Handlungsraum im sozialräumlichen Kontext von Jugendlichen zu werden.
Die Angebote einer sozialräumlichen Jugendarbeit sind aber konzeptionell nicht nur auf den eigenen „Raum“ der Jugendarbeit beschränkt, sondern sollen andere öffentliche, teilöffentliche oder kommerzielle Räume mit einschließen und so ein Geflecht von unterschiedlich betreuten Treffpunkten und Cliquenräumen aufbauen, die sozialräumlich miteinander in Verbindung stehen. Der Anspruch der Offenheit gegenüber verschiedensten Jugendkulturen kann so eingelöst werden, weil er sich nicht mehr nur auf den Raum des Jugendzentrums oder -treffs bezieht, sondern auch andere Orte als Ausschnitte und Ressource der Offenen Jugendarbeit begreift.

....über die Etablierung regelmäßiger „herausreichender Arbeit“ der standortbezogenen Jugendarbeit den Zugang zu den Lebensräumen der Jugendlichen im Stadtteil herstellen.

Die sozialräumliche Orientierung muss sich aber auch konzeptionell abbilden und den Zugang zu den Lebensräumen der Jugendlichen - als Bestandteil der Jugendarbeit - in den Konzeptionen der standortbezogenen Offenen Jugendarbeit festlegen. Entsprechend einer sozialräumlich begründeten, konzeptionellen Differenzierung können verschiedene Formen herausreichender Arbeit entwickelt werden, die natürlich auch verschiedene Zielsetzungen beinhalten. Diese reichen von der Anwendung sozialräumlicher Methoden, über kontinuierliche strukturierte Stadtteilbeobachtungen, der Teilnahme an Regionalteams, über Außenkontakte in Form von unregelmäßigen Stadtteilbegehungen oder regelmäßigen Kontakten zu Cliquen, welche die Einrichtungen nicht besuchen, bis zu regelmäßigen (Infrastruktur-)Angeboten im Stadtteil.
Der herausreichende Arbeitsansatz versucht - nicht so sehr an einzelne Cliquen gebunden, sondern sozialräumlich orientiert - die Infrastruktur des Sozialraumes im Interesse der Jugendlichen generell zu verbessern. Dementsprechend liegt der Fokus bei der Kontaktnahme zu verschiedenen Cliquen des Stadtteils/der Region auf Ansätzen zur Verbesserung ihrer sozialräumlichen Bedingungen, die über Vernetzungen, Kooperationen und jugendpolitischem Lobbying erreicht werden.

Literatur

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Zinnecker, Jürgen: Stadtkids. Kinderleben zwischen Straße und Schule. Weinheim und München 2001


Fussnote

[1] Die ausführliche Darstellung findet sich in: Krisch, Richard: Sozialräumliche Methodik der Jugendarbeit. Aktivierende Zugänge und praxisleitende Verfahren. Weinheim und München, Juventa Verlag 2009.


Zitiervorschlag

Krisch, Richard (2009): Sozialraumanalyse als Methodik der Jugendarbeit. In: sozialraum.de (1) Ausgabe 2/2009. URL: https://www.sozialraum.de/sozialraumanalyse-als-methodik-der-jugendarbeit.php, Datum des Zugriffs: 22.12.2024